Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Laut des Arbeitsvertrages des seit 1996 beschäftigten Klägers erhält er seinen „monatlich nachzahlbaren Bruttomonatslohn auf der Basis von 156,60 Stunden“. Im Jahr 2003 schloss die Arbeitgeberin eine Betriebsvereinbarung zur „Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit“ ab, welche in Ziffer 3 die wöchentliche Arbeitszeit für alle Mitarbeitenden auf 40 Stunden erhöhte. Zudem führte sie gemäß Ziffer 4 der Vereinbarung „zeitgleich“ mit Einführung der Erhöhung der Arbeitszeit ein Arbeitszeitkonto ein, welches durch eine am selben Tag abgeschlossene „Betriebsvereinbarung zur Umsetzung der 40-Stunden-Woche und zur Einführung von Zeitkonten im gewerblichen Bereich“ regelte, dass Zeiten, die über der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit liegen, dem Zeitkonto gutgeschrieben werden.
Der Kläger arbeitete entsprechend den Vorgaben der Betriebsvereinbarung zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit seither in einer 40-Stunden-Woche. Mit seiner Klage hat der Kläger im Wesentlichen die Zahlung von Vergütung für Überstunden auf der Basis einer Arbeitszeit von 156,60 Stunden in den Jahren 2014 bis 2017 geltend gemacht.
Das BAG hat festgestellt, dass die vertragliche Arbeitszeit des Klägers durch die Betriebsvereinbarung wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nicht abgeändert worden ist.
Die Sperrwirkung werde nicht unter dem Gesichtspunkt einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit nach § 87 Abs. 1 BetrVG aufgehoben. Der Betriebsrat habe nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nur über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage mitzubestimmen. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG räume ihm lediglich bei einer vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit ein Mitbestimmungsrecht ein. Seine Mitbestimmungsrechte erstrecken sich damit nicht auf die Dauer der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit (vgl. BAG, Beschl. v. 09.07.2013 - 1 ABR 19/12 Rn. 18 und BAG, Beschl. v. 24.01.2006 - 1 ABR 6/05 Rn. 17).
Die Parteien hätten den Arbeitsvertrag des Klägers im Hinblick auf den Umfang der geschuldeten Arbeitszeit auch nicht dadurch konkludent abgeändert, dass sie diesen entsprechend den Vorgaben der Betriebsvereinbarung faktisch über Jahre hinweg vollzogen haben. Zwar könne die widerspruchslose Fortsetzung der Tätigkeit durch den Arbeitnehmer nach einem Änderungsangebot des Arbeitgebers gemäß den §§ 133, 157 BGB unter bestimmten Umständen als stillschweigende Annahme der Vertragsänderung angesehen werden. Erforderlich hierfür sei jedoch, dass der Arbeitnehmer in einem solchen Fall erkennen könne und müsse, dass seine widerspruchslose Weiterarbeit als Einverständnis mit der angebotenen Vertragsänderung verstanden werde (vgl. BAG, Urt. v. 01.08.2001 - 4 AZR 129/00). Diese Voraussetzungen liegen nach Auffassung des BAG nicht vor.
Anders als vom LArbG Frankfurt in der Vorinstanz (Urt. v. 09.10.2019 - 19 Sa 706/18) noch angenommen, stünden den Entgeltansprüchen auch die betrieblichen Arbeitszeitkontenregelungen nicht entgegen. Denn die Unwirksamkeit von Nr. 3 bedinge die Unwirksamkeit von Nr. 4 der Betriebsvereinbarung. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG führe die Unwirksamkeit einzelner Regelungen einer Betriebsvereinbarung zwar nicht notwendig zu deren Gesamtunwirksamkeit. Nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB sei eine Betriebsvereinbarung nur teilunwirksam, wenn der verbleibende Teil auch ohne die unwirksame Bestimmung eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung enthalte (vgl. BAG, Beschl. v. 15.05.2018 - 1 ABR 75/16 Rn. 31). Allerdings stelle die Einführung von Arbeitszeitkonten ohne die Einführung der 40-Stunden-Woche keine sinnvolle und in sich geschlossene, praktikable Regelung mehr dar. Dies zeige bereits der Regelungsanlass. Die Einführung der 40-Stunden-Woche und die Einführung von Arbeitszeitkonten seien Teil des Maßnahmenkatalogs zur langfristigen Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und einer damit verbundenen weiteren Standortsicherung. Die Regelungsverknüpfung drücke sich daneben in der zeitgleichen Einführung der Arbeitszeitkonten und der 40-Stunden-Woche aus.
Kontext der Entscheidung
Man mag zunächst meinen, die Arbeitgeberin sei blauäugig davon ausgegangen, die arbeitsvertragliche Bestimmung der Arbeitszeit sei betriebsvereinbarungsoffen und damit durch die Betriebsvereinbarung abänderbar gewesen (vgl. zur Betriebsvereinbarungsoffenheit von Arbeitsverträgen BAG, Urt. v. 09.07.2013 - 1 AZR 275/12 und BAG, Urt. v. 05.03.2013 - 1 AZR 417/12). Tatsächlich dürften die Betriebsparteien die Unwirksamkeit einer Erhöhung der Arbeitszeit durch Betriebsvereinbarung aber einkalkuliert haben. Denn es ist in der Praxis kein Einzelfall, dass sich Betriebsräte in Krisenlagen auf ähnliche Vereinbarungen zum Erhalt von Arbeitsplätzen einlassen und der Arbeitgeberin die eigentlich notwendige Nachverhandlung jedes einzelnen Arbeitsvertrages „ersparen“. Solange sich die Belegschaft mit der Vereinbarung solidarisiert und die Mitarbeitenden keine Ansprüche geltend machen, funktioniert der Plan. Auch im vom BAG entschiedenen Fall sind immerhin 11 Jahre vergangen, bis ein Kläger seine Rechte geltend gemacht hat. Zutreffend hat es das BAG der Arbeitgeberin dann aber auch schwer gemacht sich herauszuwinden und u.a. festgestellt, dass sie sich nicht isoliert auf das Arbeitszeitkonto berufen kann. Ebenso wenig sind die Ansprüche des Klägers verwirkt.