Matrixstruktur keine Betriebsabteilung i.S.d. § 15 Abs. 5 KSchGLeitsätze 1. Eine Betriebsabteilung i.S.v. § 15 Abs. 5 KSchG ist ein räumlich und organisatorisch abgegrenzter Teil des Betriebes, der eine personelle Einheit erfordert, dem eigene technische Betriebsmittel zur Verfügung stehen und der einen eigenen Betriebszweck verfolgt. 2. Für die Annahme einer Betriebsabteilung des Vertragsarbeitgebers reicht es bei der Beschäftigung in einer Matrix-Struktur nicht bereits aus, dass nur eine einzelne Arbeitnehmerin aus einer betriebsübergreifenden Organisationseinheit im Betrieb des Vertragsarbeitgebers beschäftigt ist. 3. Matrix-Strukturen stellen vom Vertragsarbeitgeber unabhängig gestaltete Arbeitsorganisationen dar, die über das Vorliegen einer Betriebsabteilung nichts aussagen. - A.
Problemstellung Das LArbG Niedersachsen hat sich mit der Frage befassen müssen, ob eine Betriebsabteilung i.S.d. § 15 Abs. 5 KSchG aus einer einzigen Person bestehen und inwiefern sich eine Matrixstruktur darauf auswirken kann. Im Ergebnis ging das Gericht davon aus, dass die Voraussetzungen für eine Betriebsabteilung nicht erfüllt gewesen sind.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Parteien stritten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer Betriebsrätin. Die Beklagte ist Teil eines global und in einer Matrixstruktur agierenden Konzerns. Sie beschäftigte neben der Klägerin etwa 90 Arbeitnehmer an ihrem Standort in C-Stadt. Die Klägerin war zuletzt im Bereich IT ERP – Finance & Controlling tätig und unterstand dem in Indien angesiedelten Director ERP – Finance & Controlling im Global Information Technology Development Center. Die Klägerin war damit organisatorisch nicht eigenständig, sondern in eine Matrixstruktur eingebunden. Die von der Klägerin übernommenen Aufgaben sollten nach Indien verlagert werden, so dass ihr ursprünglicher Arbeitsplatz – so die Beklagte – entfallen sei. Das LArbG Hannover hält die Kündigung wegen des Sonderkündigungsschutzes der Klägerin als Mitglied des Betriebsrates für unwirksam. Die Voraussetzungen nach § 15 Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 KSchG, wonach eine ordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds bei der Stilllegung einer Betriebsabteilung zulässig sei, seien nicht erfüllt. Das Gericht geht auf Grundlage der Rechtsprechung des BAG davon aus, dass eine Betriebsabteilung i.S.v. § 15 Abs. 5 KSchG ein räumlich und organisatorisch abgegrenzter Teil des Betriebs sei, der eine personelle Einheit erfordere, dem eigene technische Betriebsmittel zur Verfügung stünden und der einen eigenen Betriebszweck verfolge, auch wenn dieser in einem bloßen Hilfszweck für den arbeitstechnischen Zweck des Gesamtbetriebs bestehe (vgl. BAG, Urt. v. 23.02.2010 - 2 AZR 656/08). Diese Voraussetzungen waren nach Ansicht des LArbG Hannover vorliegend nicht erfüllt; der Bereich IT ERP – Finance & Controlling sei aus den folgenden Erwägungen keine Betriebsabteilung i.S.v. § 15 Abs. 5 KSchG: - •
Der Umstand, dass der Klägerin ein eigenes Büro zugewiesen gewesen sei, genüge für die räumliche Abgrenzbarkeit nicht. Im Hinblick darauf, dass es sich bei der Klägerin um die einzige Mitarbeiterin der von der Beklagten behaupteten Abteilung handle, müsse dieses Abgrenzungskriterium – so das LArbG Hannover – „notwendig versagen“. - •
Die Funktion IT ERP – Finance & Controlling sei auch nicht organisatorisch eigenständig, weil sie in eine Matrixstruktur eingebunden sei. - •
Zwar sei denkbar, dass eine personelle Einheit auch aus einer einzelnen Person bestehe. In diesem Fall handle es sich aber – so das LArbG Hannover weiter – ebenfalls um ein „untaugliches Abgrenzungskriterium“. Denn nur bei einer aus mehreren Mitarbeitern bestehenden personellen Einheit könne die organisatorische Verknüpfung und Einordnung festgestellt werden. Ein Zusammenhang könne sich dann aus der Unterstellung unter einen gemeinsamen Vorgesetzten, ähnliche Arbeitszeiten, Vertretungsregelungen etc. ergeben. Diese organisatorische Verknüpfung könne bei einer Einzelperson nicht bestehen. - •
Auch das Kriterium eigener technischer Betriebsmittel sei nicht erfüllt. Die Ausstattung mit den erforderlichen Arbeitsmitteln sei eine Selbstverständlichkeit, die über die organisatorische Zuordnung der Klägerin nichts aussage. - •
Schließlich sei der Arbeitszweck der Funktion IT ERP – Finance & Controlling zwar abgrenzbar, doch begründe dieser Umstand noch keine eigene Betriebsabteilung.
- C.
Kontext der Entscheidung Zunehmend erreichen Rechtsstreitigkeiten zum Umgang mit Matrixstrukturen die Arbeitsgerichtsbarkeit, insbesondere in kündigungsschutz- (vgl. ArbG Bonn, Urt. v. 03.02.2022 - 3 Ca 1698/21) und betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten (vgl. BAG, Beschl. v. 12.06.2019 - 1 ABR 5/18, zu § 99 BetrVG). Dem LArbG Hannover zufolge sind Matrixstrukturen „durch eine vom Vertragsarbeitgeber unabhängig gestaltete Arbeitsorganisation gekennzeichnet. Die Arbeitnehmer stehen häufig in zwei oder mehr Weisungsbeziehungen“. Damit umschreibt das Gericht zutreffend die zwei wesentlichen Eigenschaften der Matrixstruktur: einerseits die Loslösung der arbeitstechnischen und betriebswirtschaftlichen Organisation von der juristischen Struktur und andererseits die Abkopplung des arbeitgeberseitigen fachlichen (§ 106 GewO) vom disziplinarischen Weisungsrecht. Erstgenanntes wird in der Matrixstruktur von Dritten – sog. Matrix- oder Linemanagern – innerhalb oder außerhalb des Konzerns und in der Regel gerade nicht mehr vom Vertragsarbeitgeber selbst ausgeübt. Zumindest mit der gegebenen Begründung kann die Entscheidung des LArbG Hannover jedoch nicht überzeugen: Das LArbG Hannover scheint die fünf Kriterien für das Bestehen einer Betriebsabteilung (räumliche und organisatorische Abgrenzbarkeit, personelle Einheit, technische Betriebsmittel sowie eigenständiger Arbeitszweck) darauf hin zu untersuchen, ob diese jeweils für sich genommen die Eigenschaft einer Betriebsabteilung begründen können. Richtigerweise setzt eine Betriebsabteilung voraus, dass das Vorliegen der fünf Kriterien insgesamt bejaht werden kann, diese müssen also kumulativ vorliegen (vgl. BAG, Urt. v. 23.02.2010 - 2 AZR 656/08 - NZA 2010, 1288, 1290; BAG, Urt. v. 28.09.2005 - 10 AZR 28/05 - NZA 2006, 379, 381). Ausgehend davon: Die Feststellung, dass das Kriterium der räumlichen Abgrenzbarkeit bei einer behaupteten Ein-Personen-Abteilung „notwendig versagen“ müsse, lässt sich weder § 15 Abs. 5 KSchG noch der Rechtsprechung des BAG entnehmen. Auch die Feststellung, dass die personelle Einheit bei einer einzelnen Person ein „untaugliches Abgrenzungskriterium“ sei, ist nicht zielführend. Entscheidend ist doch die Frage, ob die Klägerin – zusammen mit ihrem Matrixmanager – eine personelle Einheit bildet, die bei der Bewertung der Betriebsabteilung zu berücksichtigen ist. Aus der Entscheidung lässt sich ableiten, dass eine Matrixstruktur keine eigene Betriebsstruktur mit eigenen Betriebsabteilungen begründet. Zu weitgehend ist allerdings die Feststellung des LArbG Hannover, dass Matrixstrukturen „über das Vorliegen einer Betriebsabteilung nichts aussagen“. Denn richtigerweise ist für die Beantwortung der Frage, ob eine Betriebsabteilung besteht, selbstverständlich die vorliegende Arbeitsorganisation, etwa eine Matrixstruktur, zu berücksichtigen. Davon ausgehend ist unter Beachtung der Matrixstruktur in einem ersten Schritt zu bestimmen, wie überhaupt der kündigungsschutzrechtliche Betrieb festgelegt wird, um dann in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ein bestimmter Bereich oder auch nur eine bestimmte Person eine Abteilung in diesem Betrieb darstellt bzw. darstellen kann. Dabei sind die fünf Kriterien (räumliche und organisatorische Abgrenzbarkeit, personelle Einheit, technische Betriebsmittel sowie eigenständiger Arbeitszweck) im Verhältnis zum „Gesamtbetrieb“ anzulegen – und eben gerade nicht im Verhältnis zur Matrixorganisation.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die Praxis wird sich dennoch bei betriebsbedingten Kündigungen von Mitgliedern eines Betriebsrates bei Stilllegung vermeintlicher Betriebsabteilungen mit der hiesigen Entscheidung auseinandersetzen müssen. Die Anforderungen an eine Betriebsabteilung waren bereits nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG hoch. Unternehmensbereiche, die nur aus einer Person bestehen, werden – zumindest auf Grundlage der Entscheidung des LArbG Hannover – allerdings kaum als eigene Betriebsabteilung i.S.d. § 15 Abs. 5 KSchG qualifiziert werden können. Das Gericht hat die Revision nicht zugelassen, so dass sich das BAG nicht – zumindest in diesem Verfahren – mit den Anforderungen nach § 15 Abs. 4, 5 KSchG in einer Matrixstruktur befassen können wird. Die Folgen des Urteils des LArbG Hannover für die Praxis sollten aber nicht überschätzt werden. Schließlich ist der Begriff der Betriebsabteilung i.S.d. § 15 Abs. 5 KSchG nicht gleichzusetzen mit den praxisrelevanteren Begriffen des Betriebsteils i.S.d. § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB bzw. § 4 Abs. 1 Satz 1 BetrVG, § 111 Satz 3 Nr. 1, 2 BetrVG (vgl. Hergenröder in: MünchKomm BGB, § 15 KSchG Rn. 192). Selbst wenn ein bestimmter Bereich in kündigungsschutzrechtlicher Hinsicht nicht als Betriebsabteilung anzusehen ist, kann er – trotz oder aufgrund einer Matrixstruktur – unter Umständen einen Betriebsteil im Sinne der o.g. Normen darstellen. Dies hilft in einem Kündigungsschutzprozess, in dem auch um die Anwendung von § 15 Abs. 4, 5 KSchG gestritten wird, bedauerlicherweise nicht weiter.
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Bei der auf § 15 Abs. 5 KSchG gestützten Kündigung muss der Betriebsrat nach § 102 BetrVG angehört werden. In diesem Zusammenhang hat sich das LArbG Hannover mit der Frage befasst, ob das Fehlen bestimmter Informationen bei der Anhörung zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. In der Betriebsratsanhörung wurde vorliegend nicht mitgeteilt, dass die Klägerin Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen war und deshalb (zusätzlich) Sonderkündigungsschutz nach § 179 Abs. 3 SGB IX genoss. Dieser Information bedurfte es im Rahmen der Anhörung nach § 102 BetrVG aber nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht, da die Klägerin selbst die Vorsitzende des Betriebsrates war, diesem mithin ihre Tätigkeit als Vertrauensperson bekannt gewesen ist und das Amt der Vertrauensperson ohnehin keinen weiter gehenden Kündigungsschutz als das Amt des Betriebsrates vermittelt (vgl. § 179 Abs. 3 SGB IX). Daher war die Betriebsratsanhörung ordnungsgemäß und die ordentliche Kündigung nach Ansicht des LArbG Hannover nicht bereits gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Dieses Ergebnis ist richtig, da dieses sich am Sinn und Zweck der Betriebsratsanhörung orientiert, der darin besteht, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sachgerecht, d.h. ggf. auch zugunsten des Arbeitnehmers, auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers einzuwirken (vgl. BAG, Urt. v. 22.09.2016 - 2 AZR 700/15 - NZA 2017, 304, 305 Rn. 25). Arbeitgeber werden also vor – für die Entscheidung des Betriebsrats unnötigem – Aufwand bei der Durchführung der Anhörung bewahrt. Dem Betriebsrat offensichtlich bekannte Informationen müssen nicht mehr nach § 102 BetrVG mitgeteilt werden. Freilich sollte der Arbeitgeber in diesem Zusammenhang keine (arbeitsrechtliche) Flanke eröffnen und im Zweifel eine Information mehr mit dem Betriebsrat teilen als eine zu wenig. Ansonsten könnte den Arbeitgeber seine „informative Zurückhaltung“ im Rahmen eines Kündigungsschutzstreits im Nachgang teuer zu stehen kommen.
|