juris PraxisReporte

Autor:Helga Nielebock, Ass. Jur., Leiterin der Abteilung Recht im DGB-Bundesvorstand a.D.
Erscheinungsdatum:07.06.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 10 SÜG, § 4d FinDAG, § 3b BörsG, § 34d GewO, § 53 GwG, EUV 2016/679, EURL 2019/1937
Fundstelle:jurisPR-ArbR 23/2023 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D.
Zitiervorschlag:Nielebock, jurisPR-ArbR 23/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Die geplanten Änderungen im Hinweisgeberschutzgesetz

A. Rechtspolitischer Hintergrund des Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG)

Das Europäische Parlament und der Rat haben am 23.10.2019 die EU-Richtlinie 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, beschlossen (ABl Nr. L 305 v. 26.11.2019, S. 17, nachfolgend EU-RL genannt). Diese EU-RL hätte bereits bis zum 17.12.2021 durch den nationalen Gesetzgeber umgesetzt werden müssen. Die fristgemäße Umsetzung scheiterte jedoch daran, dass in der ehemaligen Großen Koalition kein Einvernehmen erzielt werden konnte. Die EU-Kommission hat wegen der fehlenden Umsetzung am 27.01.2022 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet; zwischenzeitlich werden täglich Strafzahlungen entrichtet. Mit Beschluss des Bundestages am 11.05.2023 und des Bundesrates am 12.05.2023 wurden die beiden Gesetzentwürfe (BT-Drs. 20/5992 und 20/5991) eines Hinweisgeberschutzgesetzes nach einem Vermittlungsverfahren beschlossen, nachdem der erste Entwurf (Kabinettsbeschluss v. 27.07.2022, vgl. im Einzelnen und zur Bewertung: Baunack/Nielebock, jurisPR-ArbR 41/2022 Anm. 1) im Bundesrat abgelehnt worden war.

B. Geänderte Inhalte der beiden Gesetzentwürfe (BT-Drs. 20/5992 und 20/5991)

Die Fraktionsentwürfe des erneut eingebrachten HinSchG-E in einer zustimmungspflichtigen und einer nicht zustimmungspflichtigen Fassung (BT-Drs. 20/5992 und 20/5991) sind inhaltsgleich mit dem vorigen Kabinettsbeschluss eines Gesetzentwurfes zu einem Hinweisgeberschutzgesetz vom 27.07.2022 und enthalten zudem die im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages beschlossenen Änderungen zum Kabinettsbeschluss (BT-Drs. 20/4909 v. 14.12.2022), deren wichtigste Punkte im Folgenden aufgezeigt werden:

1. Der Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue von Beamtinnen und Beamten (§ 2 Abs. 1 Nr. 10 HinSchG-E) kann auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle liegen und gemeldet werden, beispielsweise diesbezügliche Äußerungen in Chats sowie mündliche Aussagen oder auf andere Weise (etwa durch Gebärden) getätigte Äußerungen.

2. Die Definition des „Verstoßes“ soll noch enger an den Wortlaut der Begriffsbestimmung in Art. 5 Nr. 1 HinSch-RL angeglichen werden. Daher soll auf das im Regierungsentwurf enthaltene Begriffselement „missbräuchlich“ verzichtet werden (§ 3 Abs. Nr. 1 HinSchG-E). Zur Auslegung kann Erwägungsgrund 42 der HinSch-RL herangezogen werden.

3. Die Herausnahme vom Anwendungsbereich des Gesetzes betrifft noch weitere Informationen von Behörden nach dem SicherheitsüberprüfungsG sowie den Umgang mit Verschlusssachen (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 1 HinSchG-E):

Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 HinSchG-E gilt die Herausnahme bereits insbesondere für Informationen von Nachrichtendiensten, Behörden oder sonstigen öffentlichen Stellen des Bundes, soweit sie Aufgaben i.S.d. § 10 Nr. 3 SÜG wahrnehmen. Nach der Ergänzung gilt das auch für Informationen der Nachrichtendienste des Bundes und der Länder sowie andere Behörden der Länder, die solche Aufgaben wahrnehmen.
§ 5 Abs. 2 Nr. 1 HinSchG-E wird auf Meldungen erweitert, denen eine Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht zum materiellen oder organisatorischen Schutz von Verschlusssachen entgegensteht.

4. Interne Meldestellen sollen Anreize für Beschäftigte schaffen, um zunächst interne Meldeverfahren zu nutzen (§ 7 Abs. 3 HinSchG-E). Sie haben klare und leicht zugängliche Informationen über die Nutzung einer internen Meldestelle anzubieten.

5. Meldestellen dürfen auch sensible Daten nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. g DSGVO verarbeiten (§ 10 HinSchG-E); sie müssen dafür besondere Vorkehrungen zum Schutz der Interessen der Betroffenen treffen.

6. Festlegung einer dreijährigen Aufbewahrungsfrist (§ 11 Abs. 5 HinSchG-E).

7. Pflicht zur Einrichtung von internen Meldestellen auch bei kommunalen oder kommunal kontrollierten Unternehmen in öffentlich- oder privatrechtlicher Rechtsform von Gemeinden entsprechend dem Landesrecht (§ 12 Abs. 1 HinSchG-E).

8. Die Meldestellen müssen auch anonyme Meldungen bearbeiten und spezielle Meldekanäle dafür anbieten; das gilt für interne (§ 16 Abs. 1 HinSchG-E) wie externe Meldestellen (§ 27 Abs. 1 HinSchG-E). Wegen der notwendigen technischen Ausstattung soll dies erst ab 01.01.2025 in Kraft treten (§ 42 Abs. 2 HinSchG-E).

9. Externe Meldestellen sollen hinweisgebende Personen auch auf die Möglichkeit einer internen Meldung hinweisen (§§ 24 Abs. 2, 28 Abs. 1 HinSchG-E).

10. Die hinweisgebende Person kann für immaterielle Schäden eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen (§ 37 Abs. 1 Satz 2 HinSchG-E).

C. Änderungen durch die angenommenen Empfehlungen des Vermittlungsausschusses (BT-Drs. 20/6700 vom 09.05.2023):

1. Die Definition des Verstoßes nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 HinSchG-E wird wieder um die zweite Fallkonstellation der „missbräuchlichen“ Handlungen ergänzt, wie es vor den Änderungen des Rechtsausschusses der Regierungsentwurf bereits vorsah (vgl. unter B. 2.).

Bewertung: Da das Gesetz im Lichte der RL ausgelegt werden muss, bleibt deren Wortlaut maßgeblich und die Worte „missbräuchliche Handlung“ dürften keine eigenständige Bedeutung erhalten.

2. Die Definition der Verstöße in § 3 Abs. 3 HinSchG-E wird präzisiert, da Verstöße, die „bei dem Beschäftigungsgeber, bei dem die hinweisgebende Person tätig ist oder war, oder bei einer anderen Stelle, mit der die hinweisgebende Person aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit im Kontakt steht oder stand,“ eingefügt wurden.

Bewertung: Damit findet eine Einengung des Personenkreises, der Verstöße melden kann und geschützt ist, statt und setzt sich in Widerspruch zu § 1 HinSchG-E. Danach können auch im Vorfeld von Vertragsverhandlungen bemerkte Verstöße umfasst sein.

3. Bezüglich des Wahlrechtes zwischen interner und externer Meldestelle hat der Vermittlungsausschuss in § 7 Abs. 1 Satz 2 HinSchG-E folgende Regelung getroffen: „Diese Personen sollten in den Fällen, in denen intern wirksam gegen den Verstoß vorgegangen werden kann und sie keine Repressalien befürchten, die Meldung an eine interne Meldestelle bevorzugen.“

Bewertung: Der Versuch, die Wahlmöglichkeit einzuschränken – auch nur durch eine „Soll“-Vorschrift –, ist europarechtswidrig, da gegen das unionsrechtliche Prinzip der Gleichwertigkeit der Meldeverfahren nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. b EU-RL, der auf Art. 10 EU-RL verweist, verstoßen wird. Darin ist die Meldung über externe Meldekanäle geregelt. Diese Norm lässt den hinweisgebenden Personen explizit die Wahl, ob sie vorher den internen Weg gehen oder direkt über externe Kanäle Meldung erstatten. Zwischen internem und externem Meldeverfahren darf also nach der EU-RL frei gewählt werden. Im Übrigen wird ja wohl jede hinweisgebende Person Angst vor Repressalien haben können.

4. Die Aufbewahrungsfristen können verlängert werden (§ 11 Abs. 5 Satz 2 HinSchG-E).

5. Die Bearbeitung anonymer Meldungen im internen wie externen Meldeverfahren werden – wie bereits im Regierungsentwurf – wieder nur einer Soll-Regelung unterworfen. Ebenso soll – wie im Regierungsentwurf – keine Verpflichtung bestehen, die Meldekanäle so zu gestalten, dass sie die Abgabe anonymer Meldungen ermöglichen (§§ 16 Abs. 1 Satz 4 bis 6, 27 Abs. 1 Sätze 3 bis 6 HinSchG-E).

Bewertung: Die Anonymität einer Meldung ermöglicht grundsätzlich den größten Schutz für hinweisgebende Personen und kann zur Verringerung der Hemmschwelle zur Abgabe einer Meldung beitragen. Zahlreiche bestehende externe Meldeverfahren in Deutschland sehen bereits heute diese Möglichkeit vor (vgl. § 4d Abs. 1 Satz 2 FinDAG, § 3b Abs. 1 Satz 2 BörsG, § 34d Abs. 12 Satz 2 GewO, § 53 Abs. 1 Satz 3 GwG). Im Rahmen einer Umfrage im Jahr 2021 gaben über 70% der in Deutschland befragten Unternehmen, die bereits ein Hinweisgebermeldesystem eingerichtet hatten, an, anonyme Meldungen zu ermöglichen (Hauser/Bretti-Rainalter/Blumer, Whistleblowing Report 2021, EQS Group AG, FH Graubünden. Chur 2021 (Abb. 52), S. 51). 16 bis 28% der Hinweise gehen anonym ein. Anonyme Hinweise haben durchschnittlich eine höhere Qualität (ACFE 2022, Stubben und Welch 2020 zit. nach Foliensatz von Oelrich, Vortrag beim DArbGV im April 2023 in Kassel, Folie 21).

6. Die Geltendmachung einer Benachteiligung nach § 36 Abs. 2 Satz 1 HinSchG-E wird sprachlich wie in Art. 21 Abs. 5 EU-RL gefasst.

7. Der durch die Änderungen des Rechtsausschusses ausdrücklich verankerte Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung eines immateriellen Schadens (vgl. unter B.10.) wird gestrichen (§ 37 Abs. 1 Satz 2 HinSchG-E).

Bewertung: Der Anspruch nach Art. 21 Abs. 8 EU-RL i.V.m. Art. 19 Buchst. k (Rufschädigung) EU-RL verlangt eine vollständige Wiedergutmachung, so dass diese Streichung europarechtswidrig ist.

8. Der Bußgeldrahmen wird von bisher 100.000 auf 50.000 Euro reduziert (§ 40 Abs. 6 Satz 1 HinSchG-E).

Bewertung: Die Verbilligung der Sanktionen ist nicht akzeptabel, da nach der EuGH-Rechtsprechung die Sanktionen wirksam, angemessen und abschreckend sein müssen. Art. 23 Abs. 1 EU-RL fordert ausdrücklich diese Art von Sanktionen.

9. Die Anwendung der Vorschriften über die Ordnungswidrigkeiten nach § 40 Abs. 2 HinSchG-E wird nach § 42 Abs. 2 HinSchG-E erst sechs Monate nach der Verkündung des Gesetzes ermöglicht. Die verlängerte Frist für die Einrichtung technischer Anlagen für anonyme Meldungen durch die Regelung des Rechtsausschusses ist entfallen (vgl. B.10.).

Bewertung: Der spätere Beginn der Sanktionierung ist insbesondere angesichts der verspäteten Umsetzung der EU-RL in nationales Recht überhaupt nicht nachvollziehbar und stellt die Ernsthaftigkeit des Vorhabens in Frage.

D. Fazit

Die in der Besprechung des Kabinettsbeschlusses (Baunack/Nielebock, jurisPR-ArbR 41/2022 Anm. 1) genannten Schutzlücken und Probleme wurden weder durch die Neufassung des Gesetzentwurfes mit den Änderungen des Rechtsausschusses noch durch den Vermittlungsausschuss in Gänze aufgegriffen noch in einzelnen Regelungsbereichen letztlich geregelt. Die minimalen Fortschritte durch die Änderungen des Rechtsausschusses wurden durch den Vermittlungsausschuss wieder zurückgenommen, wie etwa die Verpflichtung der Meldestellen, auch anonyme Meldungen zu bearbeiten und spezielle Meldekanäle dafür anzubieten sowie den Entschädigungsanspruch für immateriellen Schaden. Enttäuschend sind die verschiedentlich durch den Vermittlungsausschuss europarechtswidrig getroffenen Regelungen. Ähnliche Entwicklungen gab es 2006 zur Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien. Nachdem sich die damalige rot-grüne Regierungskoalition wegen der überraschend früher beendeten Legislaturperiode nicht abschließend mit dem AGG befassen konnte, kam es zu einer Lösung durch die danach regierende Große Koalition. Diese hatte größere Diskrepanzen in diesen Fragen zu überwinden. Unter dem Druck von angedrohten Strafzahlungen wurden auch damals europarechtswidrige Regelungen getroffen. Diese konnten durch die Rechtsprechung zwischenzeitlich beseitigt werden.

Das Risiko einer Meldung haben deshalb in diesen offenen Fragen nach wie vor die engagierten Hinweisgeber:innen zu tragen: überwiegend Beschäftigte des Unternehmens, die helfen, wirtschaftliche Schäden für das Unternehmen zu minimieren oder zu unterbinden. Ein Dienst am Recht, der mehr Unterstützung und Dank erwarten ließe!


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