Problemstellung
Ersatz- und Entschädigungsleistungen nach „Corona-Maßnahmen“ beschäftigten und beschäftigen zahlreiche Gerichte, wobei sich die Schwerpunkte so langsam verschieben und der BGH inzwischen wohl konsensfähig für mehrere relevante Problemfelder abschließend entschieden hat. Der BGH hat bereits in drei äußerst intensiv, umfangreich und überzeugend begründeten Entscheidungen in wesentlichen Fallkonstellationen (Gastronomie, Hotelgewerbe, Frisöre und Berufsmusiker) für Klarheit gesorgt (BGH, Urt. v. 17.03.2022 - III ZR 79/21 - BGHZ 233, 107 = MDR 2022, 636, hierzu Itzel, jurisPR-BGHZivilR 10/2022 Anm. 1 und BGH, Urt. v. 11.05.2023 - III ZR 41/22 - MDR 2023, 981; BGH, Urt. v. 03.08.2023 - III ZR 54/22).
Mit vorliegendem Urteil bestätigt er diese Grundsätze und prüft umfassend die Rechtmäßigkeit von Beschränkungsmaßnahmen für das Gaststätten- und Hotelgewerbe auf Grundlage der verschiedenen Corona-Schutzverordnungen sowie entsprechender Allgemeinverfügungen.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerinnen betreiben in Bremen Hotels mit Restaurants sowie Veranstaltungsräume und sind Teil der D.-Gruppe, deren Muttergesellschaft die H.-AG ist. Sie begehren die Feststellung, dass die Beklagte ihnen die infolge der angeordneten Infektionsschutzmaßnahmen (März 2020 bis Oktober 2021) entstandenen Kosten und Gewinneinbußen zu ersetzen hat.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat die Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Der BGH hat die Revision der Klägerinnen zurückgewiesen und dies wie folgt begründet.
Da Ansprüche vorliegend auf Grundlage der Entschädigungsvorschriften des IfSG tatbestandsmäßig nicht vorliegen, eine analoge Anwendung dieser Entschädigungsnormen nach gefestigter Rechtsprechung (vgl.o.) ausscheidet, kamen nur Ansprüche wegen rechtswidrigem Verhalten der Behörden in Betracht.
Der Senat prüft nun umfassend, intensiv, belegt und überzeugend die Rechtmäßigkeit der die gewerbliche Tätigkeit der Klägerinnen beschränkenden infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen.
Er bejaht zunächst das Vorliegen einer verfassungsgemäßen Rechtsgrundlage – infektionsschutzrechtliche Generalklausel – für die Allgemeinverfügungen wie auch für die erlassenen Rechtsverordnungen, wobei er sich hier bereits eingehend mit den verschiedenen Infektionswellen von März 2020 bis Oktober 2021 auseinandersetzt (Neuerkrankungsrate, Todesfälle, Krankenhausbelegung u.a.). Vor allem setzt er sich eingehend und überzeugend mit dem aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG abgeleiteten Bestimmtheitsgebot der Ermächtigungsnorm auseinander und kommt zu dem Ergebnis, dass der Gesetzgeber durchaus Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe gerade bei komplexen Lebenssachverhalten und nicht sicher absehbaren Entwicklungen – wie vorliegend – verwenden kann und darf. Ob der Gesetzgeber zu Konkretisierungen verpflichtet ist, wenn der Erkenntnisstand hinsichtlich der Pandemie, insbesondere deren Ausbreitung, Wellen, Schutz- und Behandlungsmöglichkeiten usw. sich signifikant verbessert hat, lässt der Senat offen. Sodann prüft er ganz konkret anhand des dokumentierten Infektionsgeschehens die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlagen (Sieben-Tage-Inzidenz, Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite, Hospitalisierungsrate) und schließt damit die intensive Prüfung der formellen Rechtmäßigkeit der beschränkenden Maßnahmen, nachdem diese auch von den zuständigen Behörden erlassen bzw. angeordnet wurden, ab. Da auch die erforderliche Begründung der Rechtsverordnungen sowie der Befristung der Maßnahmen vorlagen, kommt der Senat sodann zur Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der angeordneten Beherbergungs- und Veranstaltungsverbote.
Die Eingriffe in den Gewerbebetrieb waren in Anbetracht der konkret drohenden Gefahren für Leib, Leben und Gesundheit der Bevölkerung, der Sicherstellung der medizinischen Versorgung und des Gesundheitssystems auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse und fundierten Einschätzungen des Robert Koch-Instituts verhältnismäßig. Die angeordnete massive Reduzierung der Kontaktmöglichkeiten war auch zur Zweckerreichung – Verhinderung weiterer Infektionen und Erkrankungen – geeignet. Auch waren die angeordneten Maßnahmen erforderlich, da gleich geeignete, mildere Mittel nach Auffassung des BGH nicht zur Verfügung standen, wobei der anordnenden Stelle insoweit ein Beurteilungsspielraum zusteht. In dem fraglichen Zeitraum liefen die Impfungen gerade erst an, Hygienekonzepte waren nicht gleich geeignet zur Verhinderung von Neuinfektionen infolge personaler Kontakte. Dabei stellt der Senat eingehend das Infektionsgeschehen in dem betreffenden Zeitraum dar (Dynamik der Wellen, Ausbreitung neuartiger Virusvarianten u.a.). Unter Berücksichtigung des verfolgten Zwecks und der Zweckerreichung in Verhältnis zur Schwere des Eingriffs in die Rechtsgüter der Klägerinnen stellten sich die Maßnahmen auch als verhältnismäßig im engeren Sinne, damit als angemessen dar (Interessenabwägung). In diesem Zusammenhang waren auch die staatlichen Corona-Hilfen in Höhe von insgesamt mehreren Hundert Milliarden Euro zu berücksichtigen, die die Liquidität und das wirtschaftliche Überleben der Betriebe sicherstellten. Die Klägerinnen mit ihren verbundenen Unternehmen erhielten über 100 Mio. Euro an Zuwendungen und Krediten, was auch als Ausgleich für die Beschränkungen im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung einzustellen war. Damit waren die angeordneten Beherbergungs- und Veranstaltungsverbote sowohl formell wie auch materiell rechtmäßig.
Der Senat führt weiter aus, dass der Gesetzgeber vorliegend auch nicht verpflichtet war, zusammen mit den Beschränkungsmaßnahmen gesetzliche Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche festzulegen. Hilfeleistungen in Pandemiezeiten sind keine Aufgabe der Staatshaftung, sondern leiten sich aus dem Sozialstaatsprinzip ab. In diesem Bereich ist der Gesetzgeber auch nicht gehindert, kleinere und mittlere Betriebe besonders zu schützen; ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt zulasten größerer Wirtschaftseinheiten, hier gegenüber den Klägerinnen, nicht vor.