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Anmerkung zu:OLG München 33. Zivilsenat, Beschluss vom 21.11.2022 - 33 U 2216/22
Autor:Julia Roglmeier, LL.M., RA'in, FA'in für Erbrecht und Wirtschaftsmediatorin
Erscheinungsdatum:21.03.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 2307 BGB, § 242 BGB, § 2314 BGB, § 1994 BGB
Fundstelle:jurisPR-FamR 6/2023 Anm. 1
Herausgeber:Andrea Volpp, RA'in und FA'in für Familienrecht
Franz Linnartz, RA und FA für Erbrecht und Steuerrecht
Zitiervorschlag:Roglmeier, jurisPR-FamR 6/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Anspruch des Vermächtnisnehmers auf Auskunft- und Wertermittlungsanspruch sowie auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses?



Leitsätze

1. Hat der Pflichtteilsberechtigte, der mit einem Vermächtnis in Höhe seines Pflichtteilsanspruchs bedacht ist, das Vermächtnis angenommen, stehen ihm keine auf § 2314 BGB gestützten Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche zu, da endgültig feststeht, dass ein Pflichtteilsanspruch nicht mehr besteht.
2. In einem derartigen Fall kann ein allgemeiner, aus § 242 BGB resultierender Auskunftsanspruch bestehen. Dieser ist lediglich auf Vorlage eines einfachen Nachlassverzeichnisses gerichtet.
3. Ein Wertermittlungsanspruch auf Kosten des Nachlasses steht dem Vermächtnisnehmer in einem solchen Fall nicht zu.



A.
Problemstellung
Das OLG München hatte sich in seiner Entscheidung mit der Frage nach dem Bestehen von Auskunfts- und Wertermittlungsansprüchen eines Vermächtnisnehmers zu beschäftigen. Insbesondere war Gegenstand der Entscheidung die Frage, ob ein Vermächtnisnehmer, dessen Vermächtnisanspruch sich auf die Höhe seines (fiktiven) Pflichtteilsanspruch beläuft, Anspruch auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses hat und ob ihm ein Wertermittlungsanspruch auf Kosten des Nachlasses zusteht.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger ist der Sohn der im Jahre 2021 verstorbenen Erblasserin. Der Beklagte ist ihr Ehemann. Im Rahmen eines notariellen Ehe- und Erbvertrags aus dem Jahr 1958 hatten sich die Erblasserin und der Beklagte für den ersten Erbfall gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Zugunsten des Klägers (als deren Abkömmling) war ein Vermächtnis ausgelobt, das „eine Summe auszeigen (sollte), die gleich ist dem Werte des diesen Abkömmlingen gesetzlich gebührenden Pflichtteils“. Der Kläger hatte das Vermächtnis angenommen und im Nachgang vom alleinerbenden Vater Auskunft in Form eines notariellen Nachlassverzeichnisses sowie Wertermittlung auf Kosten des Nachlasses verlangt.
Das LG Landshut hatte die Stufenklage des Klägers insgesamt abgewiesen. Insbesondere der Auskunftsanspruch war nach Ansicht des Gerichts erfüllt, nachdem der Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung ein privatschriftliches Nachlassverzeichnis übergeben hatte. Hiergegen hatte der Kläger Berufung eingelegt.
Das OLG München hat die Entscheidung des Landgerichts jedenfalls im Hinblick auf den Auskunfts- und den Wertermittlungsantrag bestätigt. Lediglich was die Zahlungsstufe betraf, hat es der Berufung stattgegeben.
Das Oberlandesgericht hat hinsichtlich des Auskunftsbegehrens nach folgenden Kriterien unterschieden:
1. Vermächtnisweise Zuwendung im Rahmen der letztwilligen Verfügung?
Ein Auskunftsanspruch kann ausdrücklich oder konkludent im Rahmen der letztwilligen Verfügung zusammen mit dem Vermächtnisanspruch mitvermacht worden sein. Nachdem im vorliegenden Fall eine ausdrückliche Erblasseranordnung fehlte, waren die Grundsätze zunächst der erläuternden und sodann der ergänzenden Testamentsauslegung heranzuziehen. Nach beiden Verfahren war ein entsprechender Erblasserwille allerdings nicht ermittelbar. Auch ein unabhängig vom Erblasserwillen als „notwendiges und selbstverständliches Korrelat zum Vermächtnis“ stets mitvermachter Auskunftsanspruch (Otte in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2018, § 2174 Rn. 15; Horn in: Nomos Kommentar BGB, 6. Aufl. 2022, § 2174 Rn. 22) liege nicht vor, da sich dieser Anspruch lediglich auf die Vorlage eines privaten Nachlassverzeichnisses beschränke, nicht aber auch die Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses umfasse. Ein privates Nachlassverzeichnis hatte der Beklagte allerdings bereits vorgelegt, weswegen der Anspruch ohnehin bereits erloschen war.
2. Anspruch nach § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB?
Eine Bezugnahme auf die Anspruchsgrundlage nach § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB scheide aus, da die Norm grundsätzlich lediglich einem Pflichtteilsberechtigten zustehe. Auch wenn die Vorschrift nicht darauf abstelle, ob ein Pflichtteilsberechtigter das Vermächtnis nach § 2307 BGB annehme oder ausschlage, so sei doch stets Voraussetzung, dass ein Pflichtteilsanspruch dem Grunde nach überhaupt noch bestehen könne. Sei dies aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr denkbar, bestehe für den Pflichtteilsberechtigten auch kein Informationsbedürfnis mehr (BGH, Urt. v. 01.10.1958 - V ZR 53/58 - NJW 1958, 1964; Herzog in: Staudinger, BGB, 2021, § 2314 Rn. 20; Lange in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2022, § 2314 Rn. 66). Im vorliegenden Fall hatte der Kläger einen Vermächtnisanspruch geltend gemacht, der der Höhe nach seinem Pflichtteilsanspruch entsprach. Damit sei der Pflichtteilsanspruch vollständig erloschen und die Geltendmachung eines Auskunftsanspruchs rechtsmissbräuchlich.
3. Anspruch nach § 242 BGB (Treu und Glauben)?
Der Auskunftsanspruch des Vermächtnisnehmers lässt sich nach Auffassung des OLG München an sich mit § 242 BGB begründen. Ein allgemeiner gesetzlicher Auskunftsanspruch stehe dem Vermächtnisnehmer zwar nicht zu (Reymann in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. § 2174 BGB, Stand: 03.04.2020, Rn. 176). Allerdings sei das Auskunftsverlangen gerechtfertigt, soweit der Berechtigte „entschuldbar über das Bestehen und den Umfang des Rechts im Unklaren und deshalb auf die Auskunft des Verpflichteten angewiesen sei, der durch sie nicht unbillig belastet würde“ (BGH, Urt. v. 27.06.1973 - IV ZR 50/72 - NJW 1973, 1876; Lange in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2022, § 2314 Rn. 71). Der Anspruch nach § 242 BGB umfasse allerdings lediglich die Vorlage eines privaten, nicht aber die eines notariellen Nachlassverzeichnisses. Schließlich komme dem Vermächtnisnehmer schon keine dem Pflichtteilsberechtigten vergleichbare herausgehobene Rechtsposition zu. Sofern sich der Vermächtnisnehmer im Rahmen des § 2307 Abs. 1 BGB für die Annahme des Vermächtnisses entscheide, gingen die Pflichtteilsansprüche und mit ihnen der Anspruch auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses endgültig verloren. Es verbliebe in diesem Fall lediglich bei den allgemeinen Informationsrechten auf der Grundlage von Treu und Glauben, mithin einem privaten Nachlassverzeichnis. Dieser Anspruch sei aber im vorliegenden Fall bereits erfüllt worden und daher erloschen.
Was den vom Kläger geltend gemachten Wertermittlungsanspruch betreffe, stellt das OLG München fest, dass dieser ein vom Auskunftsanspruch unabhängiger und daher in eigener Stufe zu verfolgender Anspruch sei (OLG Koblenz, Urt. v. 08.11.2012 - 2 U 834/11; Fleischer/Horn in: Münchener Anwaltshandbuch Erbrecht, 5. Aufl. 2018, § 63 Rn. 14). Der Wertermittlungsanspruch bestehe im vorliegenden Fall zudem mit gleicher Argumentation wie schon beim Auskunftsanspruch nicht. Darüber hinaus könne mangels Vergleichbarkeit der Rechtspositionen auch nicht die Rechtsprechung des BGH zum Wertermittlungsanspruch auf Basis von Treu und Glauben des pflichtteilsberechtigten Erben (BGH, Urt. v. 02.06.1993 - IV ZR 259/92 - NJW 1993, 2737) herangezogen werden. Zudem belaufe sich der Wertermittlungsanspruch selbst in diesem Fall lediglich auf Kosten des Gläubigers, nicht aber wie im zu entscheidenden Fall beantragt auf Kosten des Nachlasses.
Die Berufung des Klägers hatte nur im Hinblick auf den Zahlungsanspruch Erfolg. Das OLG München hat klargestellt, dass über die angekündigten Anträge im Rahmen einer Stufenklage grundsätzlich getrennt und nacheinander zu verhandeln sei. Ein Ausnahmefall der zulässigen Gesamtentscheidung in Fällen, in denen sich schon bei Prüfung des Auskunftsanspruchs ergebe, dass dem Leistungsanspruch die materiell-rechtliche Grundlage fehle (BGH, Urt. v. 28.11.2001 - VIII ZR 37/01 - NJW 2002, 1042), liege nicht vor.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des OLG München steht im Einklang mit der zum Thema „Auskunftsanspruch des pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmers“ ergangenen Rechtsprechung (vgl. insbesondere BGH, Urt. v. 01.10.1958 - V ZR 53/58 - NJW 1958, 1964; BGH, Urt. v. 27.06.1973 - IV ZR 50/72 - NJW 1973, 1876; BGH, Urt. v. 04.12.1980 - IVa ZR 46/80 - NJW 1981, 2051; OLG Oldenburg, Urt. v. 26.01.1993 - 5 U 126/92 - NJW-RR 1993, 782; LG Bonn, Urt. v. 24.09.2004 - 1 O 299/04) und Literatur (vgl. z.B. Müller-Engels in: BeckOK, § 2314 BGB Rn. 4; Herzog in: Staudinger, BGB, 2021, § 2314 BGB Rn. 92; Lange in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2022, § 2314 Rn. 66 u. 71).
Die Besonderheit des Falles liegt darin, dass das Vermächtnis exakt der Höhe des Pflichtteils entsprach. Aus diesem Grund kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass Ansprüche nach § 2314 BGB nicht mehr bestehen. Damit fallen auch die pflichtteilstypischen Ansprüche auf Erteilung eines notariellen Nachlassverzeichnisses und auf Wertermittlung auf Kosten des Nachlasses weg. Das ist folgerichtig und konsequent. Es verbleibt in diesem Fall lediglich bei einem einzelfallbezogenen Anspruch auf Auskunft nach Treu und Glauben (§ 242 BGB).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Auskunfts- und Wertermittlungsansprüche sollten im Rahmen der letztwilligen Verfügung idealerweise stets mitvermacht werden. Hierauf haben anwaltlicher Berater wie Notare zu achten und hinzuweisen. Bei der Geltendmachung der Ansprüche nach dem Erbfall ist darauf zu achten, wie das Vermächtnis formuliert ist: Handelt es sich um ein Vermächtnis in Höhe des Pflichtteils, wie in dem Fall, den das OLG München zu entscheiden hatte, sollte der Anspruchsinhaber im Zweifel zunächst als Pflichtteilsberechtigter Auskunft und ggf. Wertermittlung nach § 2314 BGB geltend machen, ehe er das Vermächtnis annimmt oder ausschlägt. Nur dann behält er auch die Möglichkeit, ein notarielles Nachlassverzeichnis einzuholen. Solange der Erbe die Auskunft nicht erteilt oder das Inventar (§ 1994 BGB) nicht errichtet hat, muss sich der Pflichtteilsberechtigte nicht für eine Variante – Annahme oder Ausschlagung – entscheiden (Hammann in: Krug/Horn, Pflichtteilsprozess, § 4 Rn. 263).


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung sind die Kriterien und die Anspruchsabgrenzung bei einer Stufenklage.



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