Bestimmtheit der Mängelrüge nach § 377 HGBLeitsatz Zu einer Gehörsverletzung bei fehlender Berücksichtigung des Vortrags zum Verständnis des Verkäufers vom Inhalt einer Mängelrüge i.S.d. § 377 HGB (im Anschluss an BGH, Urt. v. 18.06.1986 - VIII ZR 195/85 - NJW 1986, 3136, unter II 1; BGH, Urt. v. 21.10.1987 - VIII ZR 324/86 Rn. 19; BGH, Urt. v. 14.05.1996 - X ZR 75/94 - NJW 1996, 2228, unter II 2). - A.
Problemstellung Die Frage der hinreichenden Bestimmtheit einer Mängelrüge nach § 377 HGB ist von zentraler Bedeutung für das kaufmännische Mängelrügerecht. Ein jüngster Beschluss des BGH bietet Anlass, die Anforderungen an die Mängelrüge und deren praktische Umsetzung näher zu beleuchten, sowie die Frage, welche Anforderungen an die Bestimmtheit der Mängelrüge gestellt werden müssen, um den Verkäufer in die Lage zu versetzen, den gerügten Mangel zu prüfen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, unter die Lupe zu nehmen.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Klägerin bezog von der beklagten Zwischenhändlerin Rohware zur Herstellung von Fertiglebensmitteln. Die Beklagte lieferte der Klägerin in mehreren Lieferungen insgesamt etwa 15 Tonnen tiefgefrorene, in Scheiben geschnittene Jalapeños. Während der Produktion von Chili-Cheese-Nuggets am 13.10.2017 entdeckte die Klägerin ein scharfkantiges Kunststoffteil zwischen den Jalapeño-Scheiben. Noch am selben Tag informierte sie die Beklagte telefonisch über den Fremdkörper und versandte ergänzend Fotos per E-Mail. Die Klägerin sperrte daraufhin die bereits produzierten Nuggets und rief ausgelieferte Ware zurück. Eine externe Untersuchung der restlichen Rohware bestätigte das Vorhandensein weiterer Fremdkörper. In einer E-Mail vom 16.10.2017 bestätigte die Beklagte den Erhalt der Reklamation. Bei einer Krisensitzung diskutierten die Parteien den Sachverhalt und mögliche Maßnahmen. Am 26.10.2017 teilte die Beklagte mit, dass nach Rücksprache mit ihrem Lieferanten ein Fremdkörperbefund nicht ausgeschlossen werden könne. Die Klägerin forderte mit der Klage Ersatz des Warenwerts der produzierten Nuggets sowie die Kosten für die Untersuchung des Kunststoffteils, die Einlagerung und die Vernichtung der betroffenen Ware. Das Landgericht gab der Klage statt, das Kammergericht wies die Klage jedoch auf Berufung der Beklagten ab und führte zur Begründung aus, dass der Schadensersatzanspruch der Klägerin aufgrund von § 377 Abs. 1, 3 HGB ausgeschlossen sei. Selbst wenn die Rügefrist erst am 13.10.2017 begann und bis zum 17.10.2017 lief, habe die Klägerin keine hinreichend bestimmte Mängelrüge vorgebracht. Eine Mängelrüge müsse Art und Umfang des Mangels so genau darlegen, dass der Verkäufer den Mangel prüfen, Beweise sichern und ggf. Abhilfe schaffen kann. Die Mitteilung der Klägerin vom 13.10.2017, auch unter Berücksichtigung der Fotos, genüge diesen Anforderungen nicht. Der Beklagten sei nicht klar gewesen, ob sich die Beanstandung auf einen einzelnen Karton, alle Kartons mit einer bestimmten Lot-Nummer, eine bestimmte Lieferung oder alle drei Lieferungen beziehe. Die Klägerin verfolgt ihr Klagebegehren weiter mit einer Nichtzulassungsbeschwerde, die der BGH als zulässig und begründet angesehen hat. Das Berufungsgericht habe den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt, indem es deren Vorbringen zur Mängelanzeige gemäß § 377 Abs. 1, 3 HGB nicht ausreichend berücksichtigt habe. Insbesondere habe das Berufungsgericht nicht beachtet, dass die Beklagte aufgrund der Informationen der Klägerin bereits Maßnahmen zur Untersuchung und Klärung ergriffen habe, wie aus einer E-Mail vom 26.10.2017 hervorgehe. Das Berufungsgericht habe sich lediglich auf allgemeine Erwägungen gestützt, ohne den konkreten Vortrag der Klägerin zu berücksichtigen. Diese Gehörsverletzung sei zudem entscheidungserheblich, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des Klägervorbringens zur Annahme einer hinreichenden Bestimmtheit der Mängelrüge gelangt wäre.
- C.
Kontext der Entscheidung Gemäß § 377 HGB ist der Käufer verpflichtet, die Ware nach Ablieferung unverzüglich zu untersuchen und etwaige Mängel dem Verkäufer anzuzeigen. Die Rüge muss so beschaffen sein, dass der Verkäufer den Mangel prüfen, Beweise sichern und Abhilfemaßnahmen einleiten kann. Eine pauschale Beanstandung, dass die Ware „schlecht“ oder „unbrauchbar“ sei, genügt nicht. Es muss zumindest in allgemeiner Form ersichtlich sein, welcher Mangel geltend gemacht wird. Die Rechtsprechung fordert, dass die Mängelrüge den Verkäufer in die Lage versetzen muss, sich ein klares Bild über die behauptete Vertragswidrigkeit der Ware zu machen. Der BGH hat wiederholt betont, dass eine genaue Bezeichnung des Mangels nicht erforderlich ist, solange die Art des Mangels beschrieben wird. Beispielsweise genügt die Angabe, dass eine Ware instabil oder bruchanfällig sei. Technische Details oder Ursachen des Mangels müssen hingegen nicht genannt werden (BGH, Urt. v. 14.05.1996 - X ZR 75/94). Die Anforderungen an die Substanziierung der Mängelrüge dürfen nicht überspannt werden. Der Käufer muss keine Ursachenforschung betreiben oder technische Details nennen. Es genügt, wenn er die Symptome des Mangels beschreibt, so dass der Verkäufer entsprechende Nachforschungen anstellen kann (Oetker/Koch, HGB, 8. Aufl. 2024, § 377 Rn. 98). Nicht ausreichend sind jedoch pauschale Aussagen des Käufers, die Ware sei „schlecht“, „nicht vertragsgemäß“, „unbrauchbar“ oder „entspreche nicht der Probe“. Der Verkäufer kann dann nicht feststellen, ob die Rüge berechtigt ist und worauf sie sich genau bezieht (vgl. Grunewald in: MünchKomm HGB, 5. Aufl. 2021, § 377 Rn. 66). Umstritten sind die Anforderungen an die Mängelrüge, wenn wie im vorliegenden Fall nur ein Teil der Ware mangelhaft ist. Teilweise wird vertreten, im Falle einer bloß teilweisen Mangelhaftigkeit müsse der Käufer deutlich angeben, welcher und ein wie großer Teil der Ware beanstandet wird, wobei eine schätzungsweise Bezeichnung der Menge nicht ausreichen soll (vgl. OLG Nürnberg, Urt. v. 19.03.1974 - 7 U 166/73; OLG Köln, Urt. v. 20.08.1997 - 6 U 49/97 - BB 1998, 396; Schwartze in: BeckOK HGB, 42. Ed. 01.04.2024, § 377 Rn. 56). Dafür spricht zumindest, dass eine präzise Angabe in jedem Fall für Klarheit und Eindeutigkeit der Mängelrüge sorgt und die Beweisführung erleichtert. Für den Verkäufer erleichtert sich so die Reaktionsmöglichkeit und damit die Effizienz der Mangelbeseitigung. Nach der gegenteiligen Ansicht muss bei einer teilweisen Mangelhaftigkeit der Ware nicht exakt mitgeteilt werden, um welchen Teil der Ware es sich genau handelt oder wie groß der mangelhafte Teil der Ware ist, da sich der Verkäufer auch dann auf die Mangelhaftigkeit der Ware einstellen kann, wenn ihm diese Information vorenthalten bleibt (vgl. Grunewald in: MünchKomm HGB, § 377 Rn. 66; Oetker/Koch, HGB, § 377 Rn. 100). Für diese käuferfreundlichere Ansicht spricht, dass sich der Käufer regelmäßig unter Zeitdruck befindet und – wie auch in dem vom BGH zu entscheidenden Fall – bei verderblichen Lebensmitteln oder umfangreichen Lieferungen eine schnelle Mängelrüge, die allgemeiner gehalten ist, vorzugswürdig sein kann, um eine schnelle Klärung zu ermöglichen. Zudem soll der Käufer durch die Regelung zur Mängelrüge nach § 377 HGB in keine schwache Position gedrängt werden. Zu strenge Anforderungen an die Mängelrüge können den Schutz untergraben. Letztlich wird es eine Frage des Einzelfalls sein, ob die Mängelrüge in dem bestimmten Fall ausreichend ist. Das betont auch der BGH. Wenn, wie hier, bereits konkrete Maßnahmen zur Klärung aufgrund der Mängelrüge ergriffen wurden, kann davon ausgegangen werden, dass diese zumindest ausreichend bestimmt war.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Der Beschluss verdeutlicht die Bewertung des Einzelfalls bei der Frage zur Klarheit und Bestimmtheit einer Mängelrüge im kaufmännischen Geschäftsverkehr. Käufer sollten darauf achten, ihre Beanstandungen so zu formulieren, dass der Verkäufer den Mangel ohne weiteres identifizieren und entsprechende Maßnahmen ergreifen kann. Dabei genügt es, die Art des Mangels und die betroffenen Teile der Lieferung in allgemeiner Form zu benennen, ohne in technische Details zu gehen. Durch eine präzise und hinreichend bestimmte Mängelrüge können Käufer Rechtsverluste vermeiden, die durch eine unzureichende Rüge entstehen könnten. Eine ordnungsgemäße Mängelrüge ist entscheidend, um die Gewährleistungsrechte zu sichern und den Anspruch auf Nachbesserung, Ersatzlieferung oder Minderung des Kaufpreises geltend machen zu können.
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