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Anmerkung zu:LG Lübeck 6. Große Strafkammer, Beschluss vom 27.03.2023 - 6 Qs 33/22 - 720 Js 4897/20
Autor:Dr. Daniel Brzoza, RiAG
Erscheinungsdatum:31.05.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 203 StPO, § 207 StPO, § 27 StGB, § 14 BNotO, § 823 BGB, § 830 BGB, § 15a InsO
Fundstelle:jurisPR-InsR 8/2023 Anm. 1
Herausgeber:Ministerialrat Alexander Bornemann
Dr. Daniel Wozniak, RA, FA für Insolvenz- und Sanierungsrecht, FA für Handels- und Gesellschaftsrecht und FA für Steuerrecht
Zitiervorschlag:Brzoza, jurisPR-InsR 8/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Bei Firmenbestattungen auch Haftungsansprüche gegen Notar prüfen



Orientierungssatz zur Anmerkung

Die notarielle Beurkundung von unredlichen Zwecken dienenden Firmenbestattungen kann als Beihilfe zur Insolvenzverschleppung eingeordnet werden.



A.
Problemstellung
Firmenbestattungen sind für einen insolvenzrechtlichen Sachverständigen bzw. (vorläufigen) Insolvenzverwalter oft ein „undankbares Geschäft“. Einerseits ist der Ermittlungsaufwand erheblich. Andererseits wird oft – wenn überhaupt – nur eine geringe Insolvenzmasse und somit auch nur eine geringe Insolvenzverwaltervergütung realisiert. Einer der Gründe hierfür ist, dass die im Rahmen der Firmenbestattung eingetragene Geschäftsführung oft nicht auffindbar und/oder nicht solvent ist. Die vorliegende Entscheidung verdeutlicht jedoch, dass in diesen Konstellationen die letzte(n) notarielle(n) Beurkundung(en) insoweit zu überprüfen ist/sind, ob aufgrund erheblicher Indizien die beabsichtige Firmenbestattung offensichtlich war. Falls ja, lässt sich hieraus unter Umständen noch ein werthaltiger Anspruch gegen den beurkundenden Notar begründen. Zugleich bedeutet dies für den Notar jedoch auch, dass er bei Beurkundungen im Rahmen vermeintlicher Restrukturierungen eine deutlich erhöhte Vorsicht walten lassen sollte und die wahren Absichten der beteiligten Personen so weit wie möglich aufklären und dokumentieren sollte.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das LG Lübeck hatte als zweitinstanzliches Strafgericht darüber zu entscheiden, ob die von der Staatsanwaltschaft erhobene Anklage zur Hauptverhandlung zuzulassen ist. Hierbei legte es den nachfolgenden Sachverhalt zugrunde:
Am 20.09.2017 beurkundete ein Notar einen Vertrag über den Verkauf und die Abtretung von Gesellschaftsanteilen, die Geschäftsführerabberufung und -neubestellung sowie eine Sitzverlegung. Zuvor hatte dieser Notar in der Zeit von Februar 2013 bis September 2017 Gesellschaftsanteilsübertragungen, Geschäftsführerwechsel und Sitzverlegungen für sechs unterschiedliche Unternehmen beurkundet, bei denen jeweils die gleiche Personengruppe wie bei der Beurkundung am 20.09.2017 beteiligt war. Bei vier dieser Beurkundungen traten die in Südamerika lebenden Personen als neue Gesellschafter in Erscheinung und wurden dabei vor Ort von anderen Personen vertreten, wobei die sich auf diesen Vollmachtschreiben befindlichen Unterschriften in ihrem Schriftbild nicht unerheblich voneinander abweichen. Dem Notar war im Zeitpunkt der Beurkundung am 20.09.2017 bekannt, dass die bei den vorangegangenen Beurkundungen im Zusammenhang mit der Personengruppe beteiligten Personen nach den Beurkundungen nur schwer oder nicht mehr erreichbar gewesen waren. Dies ergibt sich u.a. aus den diversen Versuchen des Notars, bei den beteiligten Personen seine Zahlungsforderungen einzutreiben, sowie aus der Mitteilung des Registergerichts, nach der dieses dem neu eingetragenen Geschäftsführer die Vorschussrechnung nicht habe übermitteln können und Anzeichen für eine wirtschaftliche Neugründung der Gesellschaft bestünden. Zudem informierte die Verkäuferin der Geschäftsanteile, in deren Auftrag der Notar im Jahr 2016 Beurkundungen vorgenommen hatte, den Notar am 30.12.2016 darüber, dass die auf der Käuferseite beteiligten Personen noch vor dem Abschluss des Beurkundungsverfahrens im Namen der zu erwerbenden Gesellschaft Warenbestellungen in Höhe von ca. 83.000 Euro getätigt, jedoch nicht bezahlt hätten.
Zahlungsunfähigkeit der schuldnerischen Gesellschaft lag seit dem 31.10.2017 vor. Auch drei Wochen nach diesem Zeitpunkt hatte die Geschäftsführung noch keinen Insolvenzantrag über das Vermögen dieser Gesellschaft gestellt.
Als zweitinstanzliches Beschwerdegericht ließ das LG Lübeck – nachdem das erstinstanzliche AG Lübeck die Verfahrenseröffnung noch abgelehnt hatte – die Anklage der Staatsanwaltschaft zu und eröffnete das Hauptverfahren.


C.
Kontext der Entscheidung
Das LG Lübeck hat die Anklage der Staatsanwaltschaft gemäß den §§ 203, 207 StPO zur Hauptverhandlung zugelassen, weil nach dem Ergebnis des vorbereitenden Verfahrens der angeklagte Notar der Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Hinreichender Tatverdacht besteht, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch.
Im vorliegenden Fall war der angeklagte Notar nach diesen Grundsätzen wegen Beihilfe zu einer begangenen Insolvenzverschleppung gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Nr. 1 InsO, § 27 StGB hinreichend verdächtig, mit der am 20.09.2017 vorgenommenen Beurkundung des Geschäftsanteilskaufvertrags die zu begehende Insolvenzverschleppung gefördert zu haben, obwohl er wusste, dass das Handeln der von Gesellschaftsseite beteiligten Personen auf die Begehung einer solchen Straftat abzielte.
Strafbar ist gemäß § 15a Abs. 4 Nr. 1 InsO die nicht rechtzeitige Stellung eines Insolvenzantrags. Wird eine juristische Person zahlungsunfähig, so ist nach § 15a Abs. 1 Satz 2 InsO spätestens nach drei Wochen ein solcher Antrag zu stellen. Beihilfehandlung ist das Fördern einer vorsätzlich und rechtswidrig begangenen Straftat. Die Beihilfe muss nicht zur unmittelbaren Tatausführung geleistet werden. Ausreichend ist das Hilfeleisten zu einer vorbereitenden Handlung. Der Haupttäter muss in diesem Zeitpunkt noch nicht zur Tat entschlossen sein (BGH, Beschl. v. 08.11.2011 - 3 StR 310/11 - NStZ 2012, 264 m.w.N.). Im Fall einer „neutralen“ bzw. „berufstypischen“ Handlung, also einer Handlung, die äußerlich betrachtet keinen oder zumindest nicht ausschließlich einen deliktischen Bezug hat, liegt im konkreten Einzelfall nur dann eine Beihilfehandlung vor, wenn der Handelnde weiß, dass das Handeln des Haupttäters ausschließlich auf die Begehung einer Straftat abzielt oder wenn das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten derart hoch war, dass er sich „die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein“ ließ (BGH, Urt. v. 19.12.2017 - 1 StR 56/17 - NStZ 2018, 329). Ob diese Handlung strafbar ist, hängt jedoch von der im jeweiligen Einzelfall zu prüfenden Kenntnis des handelnden Berufsträgers ab. Diese Grundsätze gelten auch für Notare (so auch BGH, Urt. v. 14.07.2000 - 3 StR 454/99 - DNotZ 2001, 566). Denn Handlungen von Notaren sind in der Regel objektiv „neutral“, können jedoch Straftaten i.S.d. § 27 StGB fördern. Daher sind auch sie anhand der für diese Fallgruppe geltenden Grundsätze zu bewerten. Die im jeweiligen Einzelfall bestehende Kenntnis des Notars kann durch Feststellung von Indizien belegt werden. Hierbei kommen insbesondere in Betracht (vgl. hierzu auch: BGH, Beschl. v. 08.04.2019 - NotSt (Brfg) 5/18 - NZG 2019, 877; BGH, Beschl. v. 23.11.2015 - NotSt (Brfg) 4/15 - NZI 2016, 147):
Übertragung sämtlicher Geschäftsanteile an einen Dritten,
Änderung der Firmierung,
wiederholter Wechsel in der Person des Geschäftsführers,
(mehrere) Sitzverlegung(en) der Gesellschaft an einen entfernt gelegenen Ort oder ins Ausland,
wiederholte Vereinbarung von Beurkundungsterminen durch eine nicht unmittelbar an der jeweiligen Beurkundung beteiligte Person, bei der erkennbar unerfahrene oder ungeeignete Personen zum Geschäftsführer bestellt werden,
Einstellung der werbenden Tätigkeit im Zusammenhang mit der Übertragung der Anteile und/oder Sitzverlegung,
Unerreichbarkeit des neuen Geschäftsführers und/oder Verweis auf eine „Wirtschaftsberatungsgesellschaft“,
mangelnde Kooperation des neuen Geschäftsführers,
Geschäftsführerstellung der als Geschäftsführer zu bestellenden Person bei einer Vielzahl weiterer Gesellschaften,
Fehlen von Geschäftsunterlagen und Aktiva.
Werden diese Grundsätze auf den vorliegenden Einzelfall übertragen, so kann festgestellt werden, dass der angeklagte Notar aufgrund diverser Umstände den eigentlich verfolgten Zweck der Beurkundungen erkannt haben muss und auch seine Amtspflichten unter Verstoß gegen § 14 Abs. 2 BNotO und § 4 BeurkG schuldhaft verletzte, indem er es unterließ, sich sorgfältig über die Hintergründe der zu beurkundenden Verträge zu vergewissern und notfalls die Beurkundung abzulehnen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Praxisrelevant ist die Entscheidung in zweierlei Hinsicht. Einerseits verdeutlicht diese Entscheidung noch einmal sehr genau, dass eine ordnungsgemäße Prüfung der Gesamtumstände durch die Notare zwingend erforderlich ist. Andererseits sollten auch Insolvenzverwalter und/oder ggf. auch Neugläubiger in Fällen einer Firmenbestattung genau die letzten Beurkundungen der Notare überprüfen. Denn wenn hier – wie im vorliegenden Fall – eine strafbare Handlung vorhanden ist, so mag der Haftungsanspruch aus den §§ 823 Abs. 2, 830 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO (vgl. BGH, Urt. v. 19.11.2019 - II ZR 53/18 - NZI 2020, 167 Rn. 15) ggf. eine werthaltige Alternative zu den ggf. nicht werthaltigen Haftungsansprüchen gegen die – ggf. auch nicht auffindbare – Geschäftsführung der „bestatteten Firma“ sein.



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