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Anmerkung zu:LG Frankfurt 4. Zivilkammer, Beschluss vom 17.02.2023 - , 2-04 O 81/23, LG Frankfurt 4. Zivilkammer, Beschluss vom 17.02.2023 - , 2/04 O 81/23, LG Frankfurt 4. Zivilkammer, Beschluss vom 17.02.2023 - , 2-4 O 81/23, LG Frankfurt 4. Zivilkammer, Beschluss vom 17.02.2023 - 2/4 O 81/23
Autor:Dr. Beate Flatow, Vizepräsidentin AG a.D.
Erscheinungsdatum:25.05.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 549 BGB, § 935 ZPO, § 940 ZPO, § 750 ZPO, § 940a ZPO, § 242 BGB
Fundstelle:jurisPR-MietR 10/2023 Anm. 1
Herausgeber:Norbert Eisenschmid, RA
Zitiervorschlag:Flatow, jurisPR-MietR 10/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Übernahme der Wertungen des § 940a Abs. 2 ZPO in der Gewerbemiete



Leitsatz

§ 940a Abs. 2 ZPO setzt voraus, dass der titulierte Anspruch ein Wohnraummietverhältnis i.S.v. § 549 BGB betrifft. Die Norm ist auf einen Gewerberaummietvertrag, der Wohnraum zum Gegenstand hat, nicht anwendbar (Ergänzung zu OLG Frankfurt, Urt. v. 13.09.2019 - 2 U 61/19).



A.
Problemstellung
Der Vermieter erwirkt gegen seinen Mieter nach wirksamer Kündigung einen Räumungstitel – nur um dann von einem ihm bisher unbekannten Besitzer der Räume zu erfahren. Eine ebenso häufige wie ärgerliche Überraschung. Der Vermieter fragt sich, ob er jedenfalls im Wege der einstweiligen Verfügung eine schnelle Durchsetzung seines Räumungsanspruchs auch gegen den weiteren Besitzer erlangen kann. Die Regelungen sind in der Wohnraum- und der Gewerbemiete unterschiedlich. Dem LG Frankfurt lag ein Fall zur Entscheidung vor, bei dem ein gewerblicher Mieter Wohnraum zur Überlassung an Mitarbeiter anmietete, die Vermieterin von dem konkreten Untermieter aber nichts wusste.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Antragstellerin vermietete einer GmbH Wohnräume. Der Mietvertrag war als Wohnraummietvertrag überschrieben. Dazu hieß es weiter, die Wohnung werde von einem Mitarbeiter der Mieterin, Frau F., genutzt. Außerdem hieß es im Vertrag: „Die Untervermietung des Mietobjekts an die Mitarbeiter des Mieters ist erlaubt.“ Nachdem die Mieterin, also die GmbH, über ein Jahr lang die Miete unbezahlt ließ, erklärte die Antragstellerin ihr die fristlose Kündigung. Die Mieterin wurde durch Versäumnisurteil zur Räumung verurteilt. Erst als die Antragstellerin das Räumungsverfahren betrieb, meldete sich der Antragsgegner und teilte ihr mit, er bewohne die Wohnung schon seit mehreren Jahren und sei dort ordnungsgemäß gemeldet. Von diesem Untermieter hatte die Antragstellerin bis dahin nichts gewusst. Die Antragstellerin beantragte nunmehr, dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Verfügung die Räumung der Wohnung aufzugeben.
Das LG Frankfurt hat den Antrag im Beschlusswege abgewiesen.
Die Antragstellerin könne keine Räumungsverfügung nach § 940a Abs. 2 ZPO beanspruchen. Diese Vorschrift betreffe nur die Räumung von Wohnraum. Auch der Gegenstand des Mietverhältnisses müsse ein Wohnraummietvertrag sein. § 940a Abs. 2 ZPO diene speziell dem Schutz des Wohnraumvermieters (Verweis auf Drescher in: MünchKomm ZPO, 6. Aufl. 2020, § 940a Rn. 12; Streyl in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Aufl. 2022, § 940a ZPO Rn. 9; Börstinghaus, NZM 2014, 2225, 2226). Die Vorschrift solle sein berechtigtes Vollstreckungsinteresse an einer Räumung stärken und der Vollstreckungsvereitelung entgegenwirken. Das sei nicht auf das Gewerbemietrecht übertragbar (Verweis auf OLG Frankfurt, Urt. v. 13.09.2019 - 2 U 61/19 - ZMR 2020, 301). Die Vermietung zum Zwecke der Drittüberlassung stelle keinen Wohnraummietvertrag dar (Verweis auf BGH, Urt. v. 13.01.2021 - VIII ZR 66/19 Rn. 30 f. - NJW-RR 2021, 329, 330).
Eine Leistungsverfügung nach den allgemeinen Vorschriften in den §§ 935, 940 ZPO könne ebenfalls nicht ergehen. Zwar könnten hier die Wertungen des § 940a Abs. 2 ZPO berücksichtigt werden. Dessen Voraussetzungen lägen, abgesehen davon, dass kein Wohnraummietvertrag geschlossen worden sei, auch sämtlich vor. Die gleichwohl vorzunehmende Interessenabwägung führe aber zur Abweisung des Antrags. Das von der Antragstellerin angeführte Risiko eines Mietausfallschadens wohne jedem Mietverhältnis inne. In der weiteren Abwägung sei zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin von Anfang an nur ihre Hauptmieterin auf Räumung verklagt habe, obwohl sie nach dem Vertrag mit einem Untermieter fest habe rechnen müssen. Sogar die im Vertrag noch namentlich aufgeführte Untermieterin habe sie nicht mit verklagt. Es bestehe angesichts der Wohndauer des Antragsgegners auch kein Anhaltspunkt für eine Vollstreckungsvereitelung.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Räumungsvollstreckung setzt voraus, dass der Räumungsanspruch gegen jeden Besitzer tituliert ist (BGH, Beschl. v. 25.06.2004 - IXa ZB 29/04 - NJW 2004, 3041; BGH, Beschl. v. 19.03.2008 - I ZB 56/07 - NJW 2008, 1959). § 750 ZPO – Titel, Klausel, Zustellung – kommt eine zentrale Bedeutung zu: Staatlicher Zwang darf nur gegen die Person ausgeübt werden, die im Titel namentlich bezeichnet oder jedenfalls einwandfrei identifizierbar ist (BGH, Beschl. v. 13.07.2017 - I ZB 103/16 - WuM 2018, 48, 49; Zehelein in: BeckOGK, Stand 01.04.2023, § 546 BGB Rn. 221). Das gilt auch bei vertragswidriger oder sogar heimlicher Drittüberlassung der Räume (vgl. Geldmacher in: Guhling/Günter, Gewerberaummiete, 2. Aufl. 2019, 16. Teil, Kap. 3 Rn. 18; BGH, Beschl. v. 13.07.2017 - I ZB 103/16 - WuM 2018, 48, 49 zu Hausbesetzern). Eine heimliche Drittüberlassung durch den Mieter bewirkt deshalb, dass der Vermieter ggf. gegen den jeweils aktuellen Besitzer einen neuen Räumungsprozess führen muss. Dieses „Spiel“ kann wiederholt werden. Im Wohnraummietrecht kann der Vermieter unter den Voraussetzungen des § 940a Abs. 2 ZPO eine einstweilige Verfügung erlangen. Die Rechtslage in der Gewerbemiete ist schwieriger, weil § 940a ZPO eben mit „Räumung von Wohnraum“ überschrieben ist.
Die vom LG Frankfurt aufgeführten Grundsätze entsprechen der überwiegenden Meinung. § 940a Abs. 2 ZPO ist in der Gewerbemiete weder direkt noch analog anwendbar. Die Norm verlangt einen Wohnraummietvertrag mit dem Mieter (nicht: dem Besitzer). Das folgt zwar nicht schon aus dem Wortlaut, § 940a Abs. 2 ZPO spricht nur von der „Räumung von Wohnraum“ und stellt nicht ausdrücklich auf den Hauptmietvertrag ab. Es folgt aber aus dem Gesetzeszweck. Die Vorschrift soll gezielt den Wohnraumvermieter schützen (Streyl in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Aufl. 2022, § 940a ZPO Rn. 9; LG Köln, Beschl. v. 12.06.2013 - 1 T 147/13 - NJW 2013, 3589, 3590). Das ergibt sich aus der Begründung zum Gesetzesentwurf des Mietrechtsänderungsgesetzes. Dort heißt es, dass gerade in der Wohnraummiete nach neuerer Rechtsprechung schwer zu unterscheiden sei, ob Mitbewohner nur unselbstständige Besitzdiener oder selbstständige Mitbesitzer seien. Zugleich erlange ggf. auch ein heimlich aufgenommener Dritter die Stellung eines selbstständigen Besitzers und müsse dann wiederum in einem regulären Prozess auf Räumung verklagt werden (BT-Drs. 17/10485, S. 34; vgl. dazu OLG Celle, Beschl. v. 24.11.2014 - 2 W 237/14 - NZM 2015, 166). Speziell diesem Risiko will § 940a Abs. 2 ZPO begegnen. Eine Analogie zu § 940a Abs. 2 ZPO scheitert daran, dass keine Regelungslücke vorliegt (OLG München, Beschl. v. 12.12.2017 - 32 W 1939/17 - MDR 2018, 427).
Umgekehrt ist es herrschende Meinung, dass die Wertungen des § 940a Abs. 2 ZPO im Rahmen einer Entscheidung nach § 940 ZPO in der Gewerbemiete heranzuziehen sind (OLG München, Beschl. v. 12.12.2017 - 32 W 1939/17 - MDR 2018, 427; OLG Dresden, Urt. v. 29.11.2017 - 5 U 1337/17 - NZM 2018, 335; LG Krefeld, Beschl. v. 08.03.2016 - 2 S 60/15 - MDR 2016, 580; LG Hamburg, Urt. v. 27.06.2013 - 334 O 104/13 - NJW 2013, 3666). Die Wertung des § 940a Abs. 2 ZPO ist aber nicht mehr betroffen, wenn das Risiko einer heimlichen und vertragswidrigen Drittüberlassung von vornherein nicht besteht, weil der Hauptmietvertrag ein Gewerbemietvertrag ist, der die Drittüberlassung der Räume zu Wohnzwecken ausdrücklich vorsieht. Genau darauf stellt die Entscheidung des LG Frankfurt ab.
Im Gegensatz zu Absatz 2 und 3 ZPO kommt es für die Alternative des § 940a Abs. 1 ZPO nicht auf die Rechtsnatur des Mietvertrags, sondern nur auf die tatsächliche Nutzung an (Streyl in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Aufl. 2022, § 940a ZPO Rn. 9). Bei verbotener Eigenmacht des Bewohners, ebenso bei einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben, kann das Gericht in jedem Fall die Räumung von Wohnraum auch durch einstweilige Verfügung anordnen (Blank/Börstinghaus in: Blank/Börstinghaus, Miete, 6. Aufl. 2020, § 546 BGB Rn. 132).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung kann als Merkposten dafür dienen, dass der Vermieter sich eine einstweilige Verfügung auch selbst „verbauen“ kann, wenn er zunächst nur gegen seinen Mieter vorgeht, obwohl er von weiteren Besitzern weiß oder wissen müsste. Der Vermieter kann von seinem Mieter nach § 242 BGB die Personalien weiterer Besitzer verlangen (OLG Hamburg, Urt. v. 08.04.1988 - 4 U 50/97 - NZM 1998, 758; Lützenkirchen in: Anwaltshandbuch Mietrecht, 6. Aufl. 2018, Abschnitt M Rn. 188; Klotz-Hörlin in: BeckOK Mietrecht, Stand 01.02.2023, § 546 BGB Rn. 78; Krüger in: Guhling/Günter, Gewerberaummiete, 2. Aufl. 2019, § 546 BGB Rn. 63). Wenn er darauf verzichtet, kann er sich auf seine Unkenntnis später nicht berufen.



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