juris PraxisReporte

Anmerkung zu:VGH München 15. Senat, Beschluss vom 09.03.2023 - 15 ZB 23.151
Autor:Prof. Dr. Johannes Handschumacher, RA und FA für Bau- und Architektenrecht
Erscheinungsdatum:01.06.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 86 VwGO, § 124a VwGO, § 124 VwGO, § 139 ZPO
Fundstelle:jurisPR-ÖffBauR 6/2023 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Johannes Handschumacher, RA und FA für Bau- und Architektenrecht
Zitiervorschlag:Handschumacher, jurisPR-ÖffBauR 6/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Anforderungen an das Gebot der Rücksichtnahme bei der Errichtung von PKW-Stellplätzen



Orientierungssatz

Dem Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen dabei wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist.



A.
Problemstellung
Die Entscheidung des VGH München gibt Anlass, zwei Problemkreise näher zu beleuchten, nämlich zum einen die Substantiierungspflichten bezüglich der Zulassungsgründe gemäß § 124a VwGO für eine Berufung und zum anderen die Frage, ob der Bau von Stellplätzen gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen kann. Diese Frage wird in dem zu besprechenden Beschluss des VGH nur kurz abgehandelt, verdient aber im Hinblick auf die zu erwartende innerstädtische Verdichtung in den nächsten Jahren (erneut) eine etwas ausführlichere Betrachtung. Auf die einschlägige Rechtsprechung, die notwendigerweise immer die konkrete Grundstückssituation in den Blick nimmt, sowie die Kommentierungen aus der letzten Zeit wird unter C.II. dieser Besprechung im Einzelnen verwiesen.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger wendet sich im vorliegenden Verfahren gegen die Erteilung einer Baugenehmigung zugunsten seines Nachbarn. Dieser hatte eine Baugenehmigung zur Nutzungsänderung und Errichtung von fünf Wohnungen in einem bestehenden Wohnhaus sowie die Herstellung von sechs Stellplätzen auf dem Nachbargrundstück beantragt. Die Baugenehmigung wurde erteilt.
Die hiergegen gerichtete Klage wurde vom VG Regensburg abgewiesen. Der VGH München hat den Antrag auf Zulassung der Berufung zurückgewiesen.
Ob ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vorliegen, sei – so der VGH – im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger als Rechtsmittelführer innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergäben sich im vorliegenden Fall keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
Der Kläger könne sich bereits nicht auf einen Gebietsprägungserhaltungsanspruch berufen. Das Verwaltungsgericht habe ausgeführt, dass ein Verstoß gegen den Gebietsprägungserhaltungsanspruch nicht nachvollziehbar sei, da die Nutzung von vier Einzimmerapartments und einem Zweizimmerapartment in einem vormals auch schon vorhandenen Wohngebäude, das keine Änderung hinsichtlich Lage und Kubatur erfahre, den gebietsprägenden Rahmen nicht sprenge. Hiergegen sei nichts zu erinnern. Im Hinblick darauf, dass die Zahl der Wohnungen hierbei nicht relevant sei (vgl. VGH München, Beschl. v. 12.07.2022 - 15 CS 22.1437 Rn. 17), sei ein Umschlagen von Qualität in Quantität im Zulassungsvorbringen über die bloße Behauptung hinaus weder dargelegt noch ersichtlich. Unabhängig davon, ob man einen solchen Anspruch überhaupt für denkbar halte, setze sich der Kläger im Übrigen auch nicht damit auseinander, dass für ein behauptetes nachbarrechtswidriges Umschlagen von Qualität in Quantität das Bauvorhaben die Art der baulichen Nutzung derart erfassen und berühren muss, dass bei typisierender Betrachtung im Ergebnis ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets anzunehmen sei. Zu den (strengen) Voraussetzungen oder Fallgruppen, unter denen ein solcher Ausnahmefall angenommen werden könne, lasse sich dem Zulassungsvorbringen nichts entnehmen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.03.1995 - 4 C 3/94 Rn. 17).
Auch eine Rücksichtslosigkeit des Bauvorhabens gegenüber dem Kläger vermochte der VGH nicht zu erkennen. Dem Gebot der Rücksichtnahme komme dann drittschützende Wirkung zu, wenn in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schützenswürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen sei. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hänge dabei wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen sei, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekomme, desto mehr könne er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständiger und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen seien, umso weniger brauche derjenige, der das Vorhaben verwirklichen wolle, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen sei darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten sei (vgl. VGH München, Beschl. v. 13.12.2022 - 15 ZB 22.2149 Rn. 11).
Ausgehend von diesen Grundsätzen vermochte der VGH aus dem Zulassungsvorbringen keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, das einen Verstoß des Bauvorhabens gegen das Gebot der Rücksichtnahme verneint hatte, zu erkennen.
Der Kläger mache zwar eine besondere Rücksichtnahmeverpflichtung des beigeladenen Bauherrn im Hinblick auf eine mögliche Errichtung eines Ladengeschäfts und eine angrenzende Errichtung eines Neubaus durch den Kläger geltend. Dies werde jedoch weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Zulassungsverfahren näher substantiiert und dargelegt.
Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang einen Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen dessen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend mache und damit ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des Urteils aus diesem Verfahrensfehler ableite, bleibe der Antrag erfolglos. In diesen Fällen sei ein Zulassungsgrund nur dann ausreichend dargelegt, wenn dem Darlegungserfordernis der Zulassungsrüge genügt werde. Entspreche das Vorbringen diesen Anforderungen, komme eine Zulassung nur in Betracht, wenn auch eine entsprechende Verfahrensrüge zu einer Zulassung führen würde. Bei der Geltendmachung eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) müsse substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hätte, welche geeignet und für erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.07.2010 - 8 B 125/09 Rn. 23 m.w.N.; VGH München, Beschl. v. 15.01.2014 - 15 ZB 12.163 Rn. 4).
Daran gemessen ergeben sich aus den Darlegungen des Klägers keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, denn der anwaltlich vertretene Kläger habe auf eine mündliche Verhandlung verzichtet und schon keinen schriftlichen Beweisantrag gestellt. Die Aufklärungsrüge diene jedoch nicht dazu, Versäumnisse eines anwaltlich vertretenen Verfahrensbeteiligten zu kompensieren. Nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts hätte sich diesem auch keine weitere Sachaufklärung aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.07.2019 - 2 B 8/19 Rn. 9; BVerwG, Beschl. v. 15.09.2014 - 4 B 23/14 Rn. 19; VGH München, Beschl. v. 06.05.2022 - 15 ZB 22.732 Rn. 16).
Soweit der Kläger die Missachtung von Abstandsregelungen geltend mache, bleibt der Vortrag unsubstantiiert und genüge nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO, zumal das Wohngebäude im Bestand unverändert bliebe und nicht an das klägerische Grundstück heranrücke. Ein Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Abstandsflächenvorschriften sei weder dargelegt und im Hinblick auf die Beibehaltung des Gebäudebestandes auch nicht ersichtlich. Der vom Kläger angeführte zivilrechtlich dinglich gesicherte Bauabstand sei – worauf das Verwaltungsgericht zutreffend abgestellt habe – nicht relevant (Art. 68 Abs. 5 BayBO). Die vom Kläger hiergegen geäußerte gegenteilige Ansicht genüge nicht den Darlegungsanforderungen.
Das Verwaltungsgericht hatte nach Auffassung des OVG auch zutreffend ausgeführt, dass die Stellplätze für den durch die Wohnbebauung ausgelösten Bedarf grundsätzlich als sozialadäquat zu dulden sind (VGH München, Beschl. v. 05.10.2022 - 15 CS 22.1750 Rn. 28). Besondere Umstände für einer Ausnahme seien weder ersichtlich noch hinreichend vorgetragen. Zur Begründung stelle das Verwaltungsgericht darauf ab, dass der Abstand zwischen den Flächen für den Stellplatzverkehr und dem Wohnhaus auf dem klägerischen Grundstück im Minimum 10 m betrage, aufgrund der Vorbelastung der nahen Straße kein geschützter ruhiger Bereich vorhanden sei und keine häufigen Parkbewegungen bei zu Wohnzwecken genutzten sechs Stellplätzen und nur für einen kurzen Zeitraum zu erwarten seien. Hiermit setze sich das Zulassungsvorbringen schon nicht auseinander, sondern stelle ausschließlich auf ein in Zukunft mögliches, nicht weiter konkretisiertes zusätzlich errichtbares Vorhaben des Klägers auf seinem Grundstück ab. Dies genüge aber den Darlegungsanforderungen des § 124 Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO nicht.


C.
Kontext der Entscheidung
I. Die vorliegende Entscheidung gibt zunächst Anlass darzustellen, welche durchaus hohen Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe für eine Berufung i.S.d. §§ 124, 124a VwGO gestellt werden. Dies hatte der Kläger bzw. sein Anwalt im vorliegenden Verfahren ganz offensichtlich verkannt.
Den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO wird nur dann entsprochen, wenn der Berufungsführer eindeutig einen oder mehrere der in § 124 Abs. 2 VwGO aufgeführten Zulassungsgründe geltend macht und auf den konkreten Einzelfall bezogen darlegt, welcher der geltend gemachten Zulassungsgründe nach seiner Auffassung vorliegt (vgl. z.B. OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.10.2008 - 6 AD 2/08 - NJW 2009, 1990 m.w.N.). Dies muss er im wahrsten Sinne des Wortes „herausarbeiten“, also aus welchen Gründen die Voraussetzungen des jeweiligen von ihm in Anspruch genommenen Zulassungsgrundes erfüllt sein sollen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 29.03.2011 - OVG 5 N 24.08). Es genügt jedenfalls nicht, einen der Zulassungsgründe lediglich zu benennen. Zwar dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden, aber die Darlegung muss ein Mindestmaß an Substantiierung aufweisen (vgl. z.B. BVerfG, Beschl. v. 18.06.2019 - 1 BvR 587/17 Rn. 29; BVerfG, Beschl. v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10; BVerfG, Beschl. v. 08.03.2001 - 1 BvR 1653/99; Roth in: BeckOK VwGO, 64. Ed 01.07.2022, § 124a Rn. 59 ff.). Die zuvor umrissenen Voraussetzungen müssen zudem für jeden einzelnen Zulassungsgrund erfüllt sein. Den Grad der Substantiierung einer Berufungsbegründung muss der Zulassungsantrag hingegen nicht aufweisen.
Erstinstanzliches Vorbringen nur zu wiederholen, stellt auch keine ausreichende Auseinandersetzung mit dem angegriffenen Urteil dar (OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.10.2008 - 6 AD 2/08; VGH Mannheim, Beschl. v. 03.12.2001 - 8 S 2385/01).
Ohne substantiierte Darlegung wenigstens eines Zulassungsgrundes ist der Zulassungsantrag sogar unzulässig (BVerwG, Beschl. v. 14.05.1999 - 4 B 21/99; OVG Bautzen, Beschl. v. 16.12.1997 - 1 S 396/97).
Wird das Vorliegen einer Überraschungsentscheidung mit einer Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht gemäß § 139 Abs. 2 ZPO begründet, so muss die Begründung den Inhalt des Rechtsgesprächs in dem Verhandlungstermin vor dem VG in einer Weise darlegen, dass das OVG beurteilen kann, ob die geltend gemachte Gehörsverletzung vorliegt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.07.2008 - 6 PB 10/08). Außerdem muss substantiiert dargelegt werden, was andernfalls über das bisherige Vorbringen hinaus noch vorgetragen worden wäre bzw. welche Beweisanträge gestellt worden wären (BVerwG, Urt. v. 31.07.2013 - 6 C 9/12) und warum dies entscheidungserheblich hätte sein können, d.h. weshalb die Möglichkeit der Beeinflussung der Entscheidung bestand (BVerwG, Beschl. v. 09.06.2008 - 5 B 204/07; VGH Mannheim, Beschl. v. 06.07.2006 - 9 S 773/06). Die Antragsschrift muss also erkennen lassen, dass für den Fall, dass das erstinstanzliche Gericht rechtliches Gehör in hinreichender Weise gewährt hätte, die Entscheidung möglicherweise anders ausgefallen wäre (BVerfG, Beschl. v. 25.01.2018 - 2 BvR 1362/16). Auch hieran hatte es im vorliegenden Fall ersichtlich gemangelt.
II. Neben der offensichtlich gänzlich unsubstantiierten Behauptung des Verstoßes gegen das Abstandsflächengebot durch das geplante Gebäude hat sich der VGH etwas eingehender mit der Frage beschäftigt, ob durch die geplanten Stellplätze ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vorliegen könnte. Ein Abstandflächenverstoß durch die Stellplätze scheidet von vorneherein aus, weil ein solcher nur von „oberirdischen Gebäuden“ (vgl. § 6 MusterBO) ausgehen kann, bzw. von baulichen Anlagen mit gebäudegleichen Wirkungen (vgl. zu Tiefgaragen OVG Koblenz, Beschl. v. 12.03.2021 - 8 A 11428/20; Dirnberger in: Jäde/Dirnberger/Böhme, SächsBO, 79 AL April 2019, § 6 Rn. 17 m.w.N.). Zudem sind die Vorschriften über zu errichtende Stellplätze nicht drittschützend.
In Betracht kommt aber ein möglicher Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Im Ergebnis hat der VGH dies im vorliegenden Fall zwar verneint, aber ein solcher Verstoß ist gleichwohl denkbar, auch wenn von Stellplätzen schlechterdings keine erdrückenden oder einmauernden Wirkungen wie von einer baulichen Anlage ausgehen können. Das OVG Bautzen hat z.B. (auch wenn im damaligen Fall verneinend) in einer Entscheidung aus dem Jahre 2010 herausgearbeitet, welche Kriterien für die Beurteilung maßgeblich sein können (OVG Bautzen, Urt. v. 28.01.2010 - 1 A 498/08 Rn. 35; vgl. auch OVG Bautzen, Beschl. v. 28.12.2009 - 1 B 400/09; Hirsch, jurisPR-ÖffBauR 8/2019 Anm. 2, Anm. zu OVG Lüneburg, Beschl. v. 06.05.2019 - 1 ME 37/19). Dies ist zuvorderst die Entfernung der Stellplätze zum Nachbargebäude. Eine Entfernung von ca. 10 m in einem Wohngebiet dürfte in der Regel ausreichend sein, um einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme zu verneinen, eine Entfernung von nur wenigen Metern aber möglicherweise nicht. Von Bedeutung ist zudem die Situation der Fenster des Nachbargebäudes. Sind diese den Stellplätzen zugewandt, kann durchaus eine unzumutbare Lärm- und Geruchsbelästigung in Betracht kommen. Gleiches gilt für die Lage von Terrassen und Balkonen und deren Abschirmung z.B. durch Gehölze oder Mauern. Deshalb sind bei der Beurteilung des Lärms, der von den geplanten Stellplätzen ausgehen wird, die Besonderheiten zu berücksichtigen, die von Rangiervorgängen, Türenschlagen und anderen impulshaltigen Geräuschen ausgehen (VG Köln, Urt. v. 08.12.2020 - 2 K 864/19 Rn. 46; für eine Garagenanlage mit über- und unterirdischen Stellplätzen insgesamt OVG Münster, Urt. v. 04.09.2008 - 10 A 1678/07 Rn. 50 ff.) Schließlich ist insbesondere die Beeinträchtigung des nachbarlichen Gartenbereichs von Bedeutung, weil dieser Bereich grundsätzlich als schützenswerter Ruhebereich gilt.
Liegt eine Vorprägung durch Straßenverkehr für diesen Bereich nicht vor, so kann auch dies zulasten des Stellplatzerstellers gehen. Die Beeinträchtigung durch die Stellplätze, die durch den Nachbarn zu dulden ist, richtet sich also zusammengefasst danach, wie empfindlich und schützenswert der betroffene nachbarliche Bereich ist (VG München, Urt. v. 02.05.2018 - M 9 K 17.325 Rn. 17 ff.; BVerwG, Beschl. v. 20.03.2003 - 4 B 59/02). In einem faktischen Misch- und Dorfgebiet bzw. einer Gemengelage kann vom betroffenen Nachbarn grundsätzlich aber nicht erwartet werden, das der straßenabgewandte Bereich seines Grundstücks von den von den Stellplätzen ausgehenden „Belästigungen“ verschont bleibt (Fricke, jurisPR-ÖffBauR 1/2023 Anm. 1 m.w.N., Anm. zu OVG Lüneburg, Beschl. v. 18.10.2022 - 1 ME 100/22; vgl. auch Thiel, jurisPR-ÖffBauR 4/2022 Anm. 4, Anm. zu OVG Lüneburg, Beschl. v. 24.02.2022 - 1 ME 186/21; Blasberg, jurisPR-ÖffBauR 10/2020 Anm. 4, Anm. zu OVG Münster, Beschl. v. 26.08.2020 - 10 B 1010/20).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Auswirkungen der Entscheidung des VGH München liegen auf der Hand. Für den potentiellen Bauherren besteht die Notwendigkeit, die Planung von Stellplätzen kritisch dahingehend zu überprüfen, ob von deren Benutzung in der Zukunft Belästigungen ausgehen, die einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme darstellen könnten. Dabei ist neben dem ausreichenden Abstand insbesondere die konkrete Grundstücks- und Gebäudesituation der Nachbargrundstücke zu berücksichtigen. Liegt eine Vorprägung der Nachbargrundstücke durch Fahrzeugverkehr bereits vor, so ist die Errichtung von Stellplätzen in der Regel unproblematisch. Dies sollte auch dem betroffenen Nachbarn bewusst sein, bevor er sich auf eine Rechtstreit einlässt, der von vorherein nicht zu gewinnen ist. Die Behauptung einer nicht hinnehmbaren Belastungssituation erfordert jedenfalls eine gut nachvollziehbare Darstellung der von den Stellplätzen ausgehenden Beeinträchtigungen.



Immer auf dem aktuellen Rechtsstand sein!

IHRE VORTEILE:

  • Unverzichtbare Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften
  • Alle Rechtsinformationen sind untereinander intelligent vernetzt
  • Deutliche Zeitersparnis dank der juris Wissensmanagement-Technologie
  • Online-First-Konzept

Testen Sie das juris Portal 30 Tage kostenfrei!

Produkt auswählen

Sie benötigen Unterstützung?
Mit unserem kostenfreien Online-Beratungstool finden Sie das passende Produkt!