Stellplatzbau vs. RücksichtnahmegebotOrientierungssätze 1. Keine Nachbarrechtsverletzung durch eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines grenzständigen Mehrfamilienwohnhauses mit fünf Wohneinheiten aufgrund gerügter Lage der Fahrrad- und PKW-Stellplätze auf dem Vorhabengrundstück, denn der Eintritt unzumutbarer Lärmimmissionen ist nicht erkennbar. 2. Die geltend gemachte Verletzung von Nachbarrechten nach dem NachbG NW betrifft etwaige zivilrechtliche Rechtspositionen (hier des Antragstellers) und berührt die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Baugenehmigung nicht. - A.
Problemstellung Die zunehmende innerstädtische Verdichtung führt zu immer mehr Konfliktlagen zwischen Bauherren und umliegenden Nachbarn. Dies nicht nur wegen der Errichtung von baulichen Anlagen an sich, sondern auch wegen der Anlage von damit im Zusammenhang stehenden Stellplätzen für PKW und Zweiräder. Auch von diesen können Beeinträchtigen ausgehen, die einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO darstellen. Welche Kriterien die Baugenehmigungsbehörde zu berücksichtigen hat, und welche bei der Erteilung einer Baugenehmigung außer Betracht bleiben können, zeigt die aktuelle Entscheidung des OVG Münster in knapper und prägnanter Form.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Auf die Klage eines betroffenen Nachbarn hatte das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die streitgegenständliche Baugenehmigung zur Errichtung eines grenzständigen Mehrfamilienhauses inkl. diverser Stellplätze angeordnet. Zur Begründung hatte es im Wesentlichen ausgeführt, dass die vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers ausfalle. Zum maßgeblichen Zeitpunkt stelle sich nach summarischer Prüfung die Erfolgsaussicht der Klage jedenfalls als offen dar, und die gebotene Interessenabwägung führe zu einem Überwiegen des Aussetzungsinteresses des Antragstellers. Dem ist das OVG Münster nicht gefolgt. Nach der allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung auf der Grundlage des wechselseitigen Vorbringens der Beteiligten sowie des Inhalts der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge könne nicht erkannt werden, dass die angefochtene Baugenehmigung, sowohl im Hinblick auf das Gebäude selbst, also auch der Stellplätze, sich als nachbarrechtswidrig erweise. 1. Es könne nach summarischer Prüfung nicht davon ausgegangen werden, dass die vorhandene Bebauung, namentlich die Gebäudesituation auf dem Grundstück des Antragstellers, eine Abweichung von der im Bebauungsplan festgesetzten geschlossenen Bauweise erfordere (§ 22 Abs. 3 Halbsatz 2 BauNVO). Dies ergebe sich in Bezug auf die drei vorhandenen Fenster in der südwestlichen Außenwand des Gebäudes des Antragstellers schon aus der zutreffenden Erwägung des Verwaltungsgerichts, dass es sich im Rahmen des Eilverfahrens nicht klären lasse, ob es dem Antragsteller zumutbar sei, durch geeignete Umbaumaßnahmen selbst Abhilfe zu schaffen. Zum ebenfalls thematisierten Bestandschutz, zu einem Außenofen und zu der Reinigung von Dachrinnen führt der Senat aus, dass nach summarischer Prüfung nicht zu erkennen sei, dass die vorhandene Bebauung deswegen eine Abweichung erfordere. 2. Die vom Antragsteller gerügte Lage der Fahrrad- und PKW-Stellplätze auf dem Vorhabengrundstück rechtfertigt nach Auffassung des Senats ebenfalls bei summarischer Prüfung nicht die Feststellung einer Nachbarrechtsverletzung. Weder sei von den zehn Fahrradstellplätzen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze eine rücksichtslose Beeinträchtigung zu erwarten, insbesondere keine unzumutbaren Lärmimmissionen, auch nicht von den vier PKW-Stellplätzen. Diese lägen zwar auf Höhe des rückwärtigen, derzeit als Garten bzw. Erholungsfläche genutzten Teils des Grundstücks des Antragstellers, sie würden aber nicht – das Vorhabengrundstück querend – von der I.-Straße aus angefahren, sondern lägen unmittelbar an der u.a. auch das Grundstück des Antragstellers nordwestlich, mithin rückwärtig, passierenden Stichstraße der Straße J. Umfangreiche Wende- oder Rangiermanöver – so der Senat – seien weder zum Anfahren der Stellplätze noch zum Verlassen notwendig. An dieser Stichstraße lägen zudem nicht nur Garagen- und Stellplatzflächen, solche seien sogar in dem Bebauungsplan ausgewiesen. 3. Dass die erteilte Befreiung zur Überschreitung von Baulinien und der Umstand, dass ein Eingang zu fünf Wohnungen geschaffen werde, zu einer „intensiven Nutzung bzw. Fluktuation“ führe, ließ der Senat ebenso wenig gelten, weil nicht rücksichtslos, wie eine mögliche geringfügige Verschattung.
- C.
Kontext der Entscheidung Die zunehmende innerstädtische Verdichtung – Stichworte sind z.B. Urbane Gebiete gemäß § 6a BauNVO oder Verschattung von Photovoltaikanlagen (vgl. hierzu Prange, jurisPR-ÖffBauR 10/2024 Anm. 4, Anm. zu VG Freiburg, Urt. v. 27.02.2024 - 10 K 1813/22) – wird die von den Baugenehmigungsbehörden und nachfolgend von der Rechtsprechung zu bewältigenden Problemlagen nicht nur ansteigen lassen, sondern auch zu einer immer differenzierteren Betrachtung jedes im Detail unterschiedlichen Einzelfalls nötigen. Je massiver die Verdichtung, um so unterschiedlicher die daraus resultierenden Konfliktsituationen. Andererseits dürfen bei der Beurteilung nicht die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze aus dem Auge verloren werden, anhand derer allzu häufig schon bei erster Draufsicht zu beurteilen ist, ob ein mögliches Klagebegehren gegen eine Nachbarbebauung Erfolg haben wird. So verhält es sich auch im vorliegenden Fall. Der Baukörper an sich stellte sich ausweislich des der Entscheidung zu entnehmenden Sachverhalts als unproblematisch dar. Nicht ganz so eindeutig verhielt es sich hinsichtlich der Stellplätze und deren Wirkungen auf das Nachbargrundstück des Antragstellers. Dies rechtfertigt eine vertiefte Betrachtung der die Entscheidung des OVG Münster tragenden Gründe. 1. Zunächst soll in Erinnerung gerufen werden, dass ein Abstandflächenverstoß durch Stellplätze von vorneherein ausscheidet, weil ein solcher nur von „oberirdischen Gebäuden“ (vgl. § 6 MusterBO) ausgehen kann, bzw. von baulichen Anlagen mit gebäudegleichen Wirkungen (vgl. zu Tiefgaragen OVG Koblenz, Beschl. v. 12.03.2021 - 8 A 11428/20; Dirnberger in: Jäde/Dirnberger/Böhme, SächsBO, 79. AL April 2019, § 6 Rn. 17 m.w.N.). Auch dass die Vorschriften über zu errichtende Stellplätze nicht drittschützend sind, soll in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. 2. Fraglich ist zudem, ob von Stellplätzen überhaupt ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme ausgehen kann, weil eine erdrückende oder einmauernde Wirkung wie von einer baulichen Anlage ausgeschlossen ist. Der Vorstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme kann aber durchaus von anderen Umständen herrühren, insbesondere der zu erwartenden Verkehrssituation des Baugrundstücks, also der dort geplanten Stellplätze und deren Nutzung (vgl. z.B. OVG Bautzen, Urt. v. 28.01.2010 - 1 A 498/08 Rn. 35; OVG Bautzen, Beschl. v. 28.12.2009 - 1 B 400/09; Hirsch, jurisPR-ÖffBauR 8/2019 Anm. 2, Anm. zu OVG Lüneburg, Beschl. v. 06.05.2019 - 1 ME 37/19). Von Bedeutung kann dabei natürlich die Entfernung zum Nachbargebäude sein und wie die Schallsituation, die von den Stellplätzen ausgeht, sich im Hinblick auf eventuelle Fenster im Nachbargebäude darstellt. Sind Fenster den Stellplätzen zugewandt, kann bei einer nur geringen Distanz durchaus eine unzumutbare Lärm- und Geruchsbelästigung in Betracht kommen. Gleiches gilt für die Lage von Terrassen und Balkonen und deren Abschirmung z.B. durch Gehölze oder Mauern (vgl. Handschumacher, jurisPR-ÖffBauR 6/2023 Anm. 1, Anm. zu VGH München, Beschl. v. 09.03.2023 - 15 ZB 23.151). Deshalb sind bei der Beurteilung des Lärms, der von den geplanten Stellplätzen ausgehen wird, die Besonderheiten zu berücksichtigen, die insbesondere von Rangiervorgängen, Türenschlagen und anderen impulshaltigen Geräuschen ausgehen, was der Senat – wenn auch verneinend – im vorliegenden Fall zutreffend mit in Betracht zieht (vgl. auch VG Köln, Urt. v. 08.12.2020 - 2 K 864/19 Rn. 46; für eine Garagenanlage mit über- und unterirdischen Stellplätzen insgesamt OVG Münster, Urt. v. 04.09.2008 - 10 A 1678/07 Rn. 50 ff.). Schließlich ist auch die Beeinträchtigung des nachbarlichen Gartenbereichs von Bedeutung, weil dieser Bereich grundsätzlich als schützenswerter Ruhebereich gilt (Handschumacher, jurisPR-ÖffBauR 6/2023 Anm. 1, Anm. zu VGH München, Beschl. v. 09.03.2023 - 15 ZB 23.151) Die Beeinträchtigung durch die Stellplätze, die durch den Nachbarn zu dulden ist, richtet sich also danach, wie empfindlich und schützenswert der betroffene nachbarliche Bereich ist (vgl. VG München, Urt. v. 02.05.2018 - M 9 K 17.325 Rn. 17 ff.; BVerwG, Beschl. v. 20.03.2003 - 4 B 59/02). Somit können die besonderen örtlichen Verhältnisse durchaus zu dem Ergebnis führen, dass die Errichtung von Stellplätzen auf dem Baugrundstück nicht oder nur mit Einschränkungen genehmigt werden kann. In einem faktischen Misch- und Dorfgebiet bzw. einer Gemengelage kann – allein schon wegen der Vorprägung – vom betroffenen Nachbarn aber grundsätzlich nicht erwartet werden, das der straßenabgewandte Bereich seines Grundstücks von den von den Stellplätzen ausgehenden „Belästigungen“ verschont bleibt (Fricke, jurisPR-ÖffBauR 1/2023 Anm. 1 m.w.N., Anm. zu OVG Lüneburg, Beschl. v. 18.10.2022 - 1 ME 100/22; vgl. auch Thiel, jurisPR-ÖffBauR 4/2022 Anm. 4, Anm. zu OVG Lüneburg, Beschl. v. 24.02.2022 - 1 ME 186/21; Blasberg, jurisPR-ÖffBauR 10/2020 Anm. 4, Anm. zu OVG Münster, Beschl. v. 26.08.2020 - 10 B 1010/20).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die Auswirkungen für die Praxis liegen auf der Hand. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme ist bei Stellplätzen in der Regel nicht anzunehmen, allein schon wegen der fehlenden einmauernden oder erdrückenden Wirkung. Zudem muss die Lärmbelästigung derart gravierend sein, dass auf den ersten Blick sich die Situation als unzumutbar geradezu aufdrängt. Dies dürfte in aller Regel nicht der Fall sein, erst recht nicht, wenn das in den Blick zu nehmende Areal bereits vorgeprägt ist. Bei der anwaltlichen Beratung sollte dies berücksichtigt werden und der Mandant auf die in der Regel mangelnden Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels gegen die Baugenehmigung, inkl. der aufzuwendenden Kosten, hingewiesen werden. Nur in ganz besonderen Ausnahmesituationen sollten im Lichte der zitierten Rechtsprechung gute Erfolgsaussichten prognostiziert werden. Schließlich sollte auch der Hinweis erfolgen, dass ggf. auch selbst durch bauliche Maßnahmen am eigenen Haus Vorsorge gegen eine Beeinträchtigung ergriffen werden muss. Schließlich sollte auch dahin gehend beraten werden, dass ggf. frühzeitig die Möglichkeit einer Grunddienstbarkeit in Betracht gezogen wird, um sich vor einer Beeinträchtigung durch eine Nachbarbebauung zu schützen.
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Der Senat weist am Ende der Entscheidung noch darauf hin, dass die geltend gemachte Verletzung von Nachbarrechten nach dem NachbG NRW nur die zivilrechtliche Rechtspositionen des Antragstellers betreffe und somit die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Baugenehmigung nicht berühre. Solche behaupteten Rechtsverstöße sind also im öffentlich-rechtlichen Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen. Die Baugenehmigung wird nach § 74 Abs. 4 BauO NRW und den entsprechenden Regelungen der übrigen Landesbauordnungen unbeschadet der Rechte Dritter erteilt (vgl. für alle OVG Münster, Beschl. v. 02.07.2024 - 10 A 2224/22 Rn. 7 f.; OVG Münster, Beschl. v. 10.09.2018 - 10 B 1228/18 Rn. 4.). Zur ebenfalls vom Senat thematisierten Frage, ob der Nachbar im Hinblick auf seine Fenster nicht selbst in der Verpflichtung sei, bauliche Vorsorge gegen eine unzumutbare Beeinträchtigung zu treffen, sei ergänzend darauf hingewiesen, dass bei nicht genehmigten Fenstern, z.B. in einer Brandwand, ohnehin keine Rechtsposition vermittelt wird, die vor einer Beeinträchtigung schützt. Solche Fenster können in einer Giebelwand bei einer geschlossenen Bauweise sogar „überbaut“ werden, bzw. sind durch den Nachbar selbst zu schließen (OVG Münster, Beschl. v. 31.01.1991 - 7 B 241/91 Rn. 7; OVG Saarlouis, Urt. v. 23.06.1992 - 2 R 50/91 Rn. 38; OVG Saarlouis, Beschl. v. 23.07.2012 - 1 MB 24/12; OVG Schleswig, Beschl. v. 26.03.2021 - 1 MB 7/21 Rn. 14; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 15.07.2016 - OVG 10 S 12.16).
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