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Anmerkung zu:LG Nürnberg-Fürth 18. Strafkammer, Beschluss vom 18.03.2024 - 18 KLs 505 Js 1651/21
Autor:Prof. Dr. Carsten Kunkel
Erscheinungsdatum:10.06.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 14 StGB, § 53 StGB, § 73 StGB, § 266a StGB, § 200 InsO, § 217 InsO, § 258 InsO, § 394 FamFG, § 80 InsO, § 73b StGB, § 424 StPO, § 60 GmbHG, § 73c StGB
Fundstelle:jurisPR-StrafR 11/2024 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Mayeul Hiéramente, RA und FA für Strafrecht
Zitiervorschlag:Kunkel, jurisPR-StrafR 11/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Einziehungsbeteiligung einer GmbH im Liquidationsstadium (insbesondere nach Insolvenzeröffnung)



Leitsatz

Eine GmbH, gegen die nach § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB die Anordnung einer Einziehung zu richten wäre, ist auch dann gemäß § 424 Abs. 1 StPO am Strafverfahren zu beteiligen, wenn über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet ist.



A.
Problemstellung
Die Frage, ob im Strafverfahren neben dem Angeklagten auch weitere Personen als Einziehungsbeteiligte i.S.d. § 424 Abs. 1 StPO zu beteiligten sind, stellt sich im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts insbesondere dort, wo juristische Personen Empfänger von Vorteilen aus möglicherweise strafrechtlichen Handlungen sind.
Mit dem vorliegenden Beschluss hat das LG Nürnberg-Fürth entschieden, dass eine GmbH, gegen die nach § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB die Anordnung einer Einziehung zu richten wäre, am Strafverfahren gegen ihren angeklagten (Ex-)Geschäftsführer wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß den §§ 266a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2, 14 Abs. 1 Nr. 1, 53 StGB auch dann gemäß § 424 Abs. 1 StPO zu beteiligen ist, wenn über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet ist.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Vorliegend soll der Geschäftsführer einer GmbH fällige Gesamtsozialversicherungsbeiträge verkürzt haben, indem er in einigen Fällen Beitragsnachweise übermittelt hat, in denen er die geschuldeten Gesamtsozialversicherungsbeiträge zu niedrig angegeben haben soll, und in anderen Fällen es sogar unterlassen haben soll, Beitragsnachweise zu übermitteln, und sich dadurch wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in einer Vielzahl von Fällen gemäß den §§ 266a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2, 14 Abs. 1 Nr. 1, 53 StGB strafbar gemacht haben.
Die Anklage erhebende Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth beantragte, gemäß § 424 Abs. 1 StPO die Beteiligung der GmbH am Strafverfahren anzuordnen.
Zwischenzeitlich eröffnete per Beschluss das zuständige Insolvenzgericht auf Antrag des Finanzamtes und einer Krankenkasse das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH und setzte einen Insolvenzverwalter ein. Die Anklage wurde per Verfügung dem Angeklagten und seinem Verteidiger zugestellt und das Hauptverfahren per Beschluss eröffnet.


C.
Kontext der Entscheidung
Richtet sich eine Einziehung gegen eine Person, die nicht Beschuldigter ist, so wird diese auf Anordnung des Gerichts gemäß § 424 Abs. 1 StPO am Strafverfahren beteiligt, soweit diese die Einziehung betrifft (Einziehungsbeteiligter).
Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, so ordnet das Gericht dessen Einziehung an. Die Anordnung der Einziehung nach § 73 StGB richtet sich gemäß § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB gegen einen anderen, der nicht Täter oder Teilnehmer ist, wenn er durch die Tat etwas erlangt hat und der Täter oder Teilnehmer für ihn gehandelt hat.
Ist die Einziehung eines Gegenstandes wegen der Beschaffenheit des Erlangten oder aus einem anderen Grund nicht möglich, so ordnet das Gericht die Einziehung eines Geldbetrages an, der dem Wert des Erlangten entspricht, § 73c Satz 1 StGB.
Zunächst können hiernach – zutreffend - auch verkürzte Gesamtsozialversicherungsbeiträge „erlangtes Etwas“ i.S.v. § 73 Abs. 1 StGB sein, weil sich der Täter die Aufwendungen für diese beim Delikt des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt i.S.d. § 266a StGB erspart. Maßgeblich bleibt auch hier immer, dass sich ein Vorteil im Vermögen des Täters widerspiegelt. Nur dann hat der Täter durch die ersparten Aufwendungen auch wirtschaftlich etwas erlangt (vgl. BGH, Beschl. v. 25.03.2021 - 1 StR 28/21 m.w.N; BGH, Beschl. v. 23.12.2020 - 1 StR 310/20).
Auch die Anwendung von § 73c Satz 1 StGB sei – zutreffend - unproblematisch zu bejahen. Ergibt sie sich doch daraus, dass sich ersparte Aufwendungen als nichtgegenständliche Vorteile bereits mit ihrer Inanspruchnahme verbrauchen (vgl. BGH, Urt. v. 18.12.2018 - 1 StR 36/17).
Hinsichtlich der Einziehung bei der GmbH und damit der Frage nach der Beteiligung am Verfahren als Einziehungsbeteiligte i.S.v. § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB hatte das LG Nürnberg-Fürth zwei Fragen zu beantworten:
Völlig zutreffend ist vorliegend zunächst die Frage der Beteiligungsfähigkeit der GmbH bejaht worden: Zwar wird die GmbH durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 GmbHG aufgelöst, jedoch nicht beendet. Sie tritt vielmehr mit Verwirklichung des Auflösungstatbestands in das sog. Liquidationsstadium ein, besteht als solche aber unverändert fort. Es ändert sich lediglich ihr Gesellschaftszweck, nämlich vom „wirtschaftlich werbenden“ zum Zweck der Abwicklung (vgl. Altmeppen, 11. Aufl. 2023, § 60 GmbHG Rn. 6). Erst die Beendigung der Gesellschaft führt schließlich zum Wegfall ihrer Existenz als Rechtspersönlichkeit (vgl. Berner in: MünchKomm GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 60 GmbHG Rn. 11, 12). Im Falle des Insolvenzverfahrens wird dieses durch Beschluss des Gerichts nach Vollzug der Schlussverteilung der Masse (§ 200 Abs. 1 InsO) oder durch rechtskräftige Bestätigung des Insolvenzplans (§§ 217 ff., 258 InsO) beendet. Ist das Gesellschaftsvermögen sodann vollständig verteilt und ist die Gesellschaft vermögenslos, hat das Gericht die Gesellschaft nach § 394 FamFG zu löschen (vgl. Knaier in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, 4. Aufl. 2023, § 60 GmbHG Rn. 212). Erst hiernach ist die Gesellschaft dann vollbeendet, anderenfalls bedarf es der Nachtragsliquidation nach § 66 Abs. 5.
Auch stehe die Eröffnung des Privatinsolvenzverfahrens über das Vermögen eines Angeklagten einer Einziehungsanordnung gegen den Angeklagten selbst nicht entgegen, weil es sich bei dem dem Staat zustehenden Einziehungsanspruch um eine strafrechtliche Forderung eigener Art handle, die entsprechend ihrer „quasi-bereicherungsrechtlichen Rechtsnatur“ mit dem Erlangen durch den Betroffenen (originär) entstehe und zugleich fällig werde. Mit der Wertersatzeinziehungsanordnung nach § 73c Satz 1 StGB werde der Zahlungsanspruch des Staates gegen den Betroffenen tituliert. Die Einziehung sei mithin – zutreffend und im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung – ungeachtet der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Betroffenen anzuordnen und führe keinesfalls dazu, dass der Insolvenzverwalter, auf welchen die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis über das Schuldnervermögen gemäß § 80 Abs. 1 InsO übergeht, am Strafverfahren zu beteiligen und die Einziehungsanordnung gegen ihn als Partei kraft Amtes zu richten wäre (vgl. BGH, Beschl. v. 14.11.2018 - 3 StR 447/18). Diese vorstehend für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Angeklagten dargelegte Rechtslage sei – folgerichtig - auf die Konstellation zu übertragen, dass über das Vermögen einer juristischen Person das Insolvenzverfahren eröffnet werde, gegen die auf der Basis des § 73b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB eine Einziehung zu richten wäre, so dass sie – und nicht der Insolvenzverwalter – nach ihrer Auflösung gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 GmbHG im Liquidationsstadium bis zu ihrer Vollbeendigung gemäß § 424 Abs. 1 StPO am Verfahren zu beteiligen ist.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Mit dem vorliegenden Beschluss hat das LG Nürnberg-Fürth über eine für das Wirtschaftsstrafrecht wichtige Frage der Einziehungsbeteiligung entschieden, die für eine effektive Strafverfolgung essenziell ist.
Dass hiernach die GmbH auch nach ihrer Auflösung gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 GmbHG im Liquidationsstadium zu beteiligen ist, ist mit Blick auf das Prinzip der Vollkontinuität (vgl. statt Vieler Berner in: MünchKomm GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 60 Rn. 19 m.w.N.) folgerichtig und konsequent, ebenso wie entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung diese und nicht den Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes zu beteiligen.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Da erst mit der Wertersatzeinziehungsanordnung nach § 73c Satz 1 StGB der Zahlungsanspruch des Staates gegen die juristische Person tituliert wird, hat das Gericht an dieser Stelle (noch) keine Ausführungen zu der Frage getroffen, ob der Staat als Insolvenzgläubiger oder als anderer Gläubiger mit den entsprechenden insolvenzrechtlichen Folgen zu behandeln ist. Vgl. zu dieser Frage weiterführend etwa BGH, Beschl. v. 14.11.2018 - 3 StR 447/18.



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