Die Grundsätze zum Werkstattrisiko, die der Senat in seinen Urteilen vom 16.01.2024 - VI ZR 253/22 und VI ZR 239/22 für überhöhte Kostenansätze einer Werkstatt für die Reparatur des beschädigten Fahrzeugs fortentwickelt hat, gelten auch für überhöhte Kostenansätze eines Kfz-Sachverständigen, den der Geschädigte mit der Begutachtung seines Fahrzeugs zur Ermittlung des unfallbedingten Schadens beauftragt hat.
- A.
Problemstellung
In dieser Grundsatzentscheidung hatte der BGH die in Massenverfahren streitige Frage zu klären, in welchem Verhältnis der Zessionar einer aus einem Verkehrsunfall resultierenden Forderung berechtigt ist, diese (hier: Kostenrechnung eines Kfz-Sachverständigen) auch dann dem Schädiger gegenüber in voller Höhe abzurechnen, wenn sich der Kostenansatz des Sachverständigen als überhöht erweist. Der BGH bringt die Grundsätze seiner Entscheidungskaskade vom 16.01.2024 (u.a. BGH, Urt. v. 16.01.2024 - VI ZR 253/22; BGH, Urt. v. 16.01.2024 - VI ZR 239/22) im Wesentlichen uneingeschränkt zur Anwendung.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin ist Inhaberin eines Sachverständigenbüros. Der Geschädigte beauftragte bei unstreitigem Haftungsgrund im März 2021 die Klägerin mit der Begutachtung seines verunfallten Pkws. In diesem Zuge hatte er die diesbezüglichen Schadensersatzansprüche gegenüber der beklagten Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung an die Klägerin abgetreten. Die Beklagte erstattete sämtliche für das Gutachten abgerechnete Kosten mit Ausnahme der von der Klägerin in Rechnung gestellten Positionen „Zuschlag Schutzmaßnahme Corona“ i.H.v. 20 Euro. Diese Kostenposition hatte die Klägerin seinerzeit damit begründet, dass sie Material zur Desinfektion des Fahrzeugs (u.a. Desinfektionsmittel, Einwegreinigungstücher und Einmalhandschuhe) habe anschaffen müssen.
Mit der Klage begehrte die Klägerin von der Beklagten aus abgetretenem Recht des Geschädigten die Zahlung von 20 Euro nebst Zinsen.
In erster Instanz hatte das AG Nordhausen (Urt. v. 05.01.2022 - 26 C 357/21) die Klage abgewiesen. Das in der Berufungsinstanz zuständige LG Mühlhausen (Urt. v. 07.09.2022 - 1 S 12/22) wies die zugelassene Berufung der Klägerin zurück und ließ die Revision zu. Nach Auffassung des Berufungsgerichts bestehe bereits keine Kausalität zwischen der Notwendigkeit der medizinischen Schutzmaßnahmen und der Durchführung des Gutachtenauftrags, also der Arbeit zur alleinigen Feststellung der Schadenshöhe. Ferner sei aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Änderung des JVEG zum 21.12.2020 eine Pauschale für solche Schutzmaßnahme trotz bereits in Gange befindlicher Corona-Pandemie nicht vorgesehen habe, zu erkennen, dass derartige Aufwendungen mit der Erhöhung der Stundensätze des Grundhonorars abgegolten sein sollen. Das ergebe sich auch aus der BVSK-Honorarbefragung 2020, die eine derartige Pauschale ebenfalls nicht berücksichtige. Darüber hinaus diene die Desinfektion des Fahrzeugs nicht der Schadensbeseitigung, sondern coronabedingt dem Schutz der Mitarbeiter. Insoweit sei die Desinfektion Teil der pandemiebedingten Arbeitsplatzgestaltung.
In der Revision hat der BGH die Entscheidung des LG Mühlhausen aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Maßgeblich hat der BGH dazu zunächst ausgeführt, dass der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB im Rahmen der sog. Ersetzungsbefugnis den zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands erforderlichen Geldbetrag verlangen könne. Dabei sei der Geschädigte nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei. Er dürfe insoweit grundsätzlich den Weg der Schadensbeseitigung einschlagen, der aus seiner Sicht seine Interessen am besten zu entsprechen scheint. Er sei daher grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung eines Schadensgutachtens zu beauftragen.
Dabei könne der Geschädigte grundsätzlich nur den erforderlichen Herstellungsaufwand und nur die Kosten ersetzt verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Nach dem sog. Wirtschaftlichkeitsgebot sei der Geschädigte gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren, den wirtschaftlichsten Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er unter Berücksichtigung der subjektbezogenen Schadensbetrachtung die Möglichkeit habe, auf die Höhe der Kosten für die Schadensbeseitigung Einfluss zu nehmen. Der BGH führt aus, dass der Geschädigte grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Markts verpflichtet sei.
Im Kontrast hierzu stehe das sich aus der Ersetzungsbefugnis aber auch ergebende Bereicherungsverbot, wonach der Geschädigte zwar die volle Herstellung verlangen können soll, am Schadensfall aber nicht verdienen dürfe.
Der BGH überträgt in dieser Entscheidung seine in den Senatsurteilen vom 16.01.2024 (BGH, Urt. v. 16.01.2024 - VI ZR 253/22 (führend)) entwickelten Grundsätze zum Werkstattrisiko auch auf überhöhte Kostenansätze eines Kfz-Sachverständigen. Wie auch im Falle der Reparatur des Fahrzeugs in einer Reparaturwerkstatt seien den Erkenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten auch dann Grenzen gesetzt, wenn er den Gutachtenauftrag gegenüber dem Kfz-Sachverständigen erteilt und das Fahrzeug in die Hände des Gutachters gegeben habe. Auch in diesem Rahmen könnten Mehraufwendungen anfallen, deren Entstehung dem Einfluss des Geschädigten entzogen sei und die ihren Grund darin hätten, dass die Schadensermittlung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden müsse. Insoweit seien die vom Sachverständigen abgerechneten Rechnungspositionen auch dann erstattungsfähig, wenn ohne Schuld des Geschädigten etwa überhöhte Material- oder Arbeitszeitansätze, eine unwirtschaftliche Arbeitsweise oder eine – auf die Höhe des Honorars wirkende – überzogene Schadenshöhe vorliege.
Grenzen setzt der BGH dort, wo Kosten der Begutachtung nicht unfallbedingt seien. Auch dürften die an den vom Geschädigten zu führenden Nachweis zu stellenden Anforderungen, dass er bei der Beauftragung des Sachverständigen wirtschaftlich vorgegangen sei, nicht zu gering angesetzt werden. Konkret nimmt der BGH an, dass ein Überwachungsverschulden auch dann in Betracht komme, wenn die Rechnung für den Geschädigten erkennbar von der Honorarvereinbarung abweicht oder wenn der Sachverständige – ebenfalls für den Geschädigten erkennbar – überhöhte Nebenkosten angesetzt hätte.
Da der Geschädigte sich am Schaden nicht bereichern dürfe, sei ein Vorteilsausgleich dergestalt vorzunehmen, dass im Falle unbezahlter Rechnung die Zahlung nicht an den Geschädigten selbst, sondern Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger das sog. „Sachverständigenrisiko“ betreffender Ansprüche des Geschädigten gegen den Sachverständigen direkt an den Sachverständigen zu erfolgen habe. Wähle hingegen der Geschädigte bei unbezahlter Rechnung den Weg, Zahlung an sich selbst zu verlangen, so trage er im Verhältnis zum Schädiger dieses Sachverständigenrisiko voll.
- C.
Kontext der Entscheidung
Die zeitlich zu den Entscheidungen vom 16.01.2024 (BGH, Urt. v. 16.01.2024 - VI ZR 38/22; BGH, Urt. v. 16.01.2024 - VI ZR 239/22; BGH, Urt. v. 16.01.2024 - VI ZR 253/22; BGH, Urt. v. 16.01.2024 - VI ZR 266/22; BGH, Urt. v. 16.01.2024 - VI ZR 51/23) nachgelagerte Entscheidung betrifft ausschließlich die Sachverständigenkosten.
Der BGH hatte sich hier mit der Konstellation eines aus abgetretenem Recht klagenden Sachverständigenbüros auseinanderzusetzen und die Frage zu klären, inwieweit der Sachverständige sich – anders als der Geschädigte – unmittelbaren Einwendungen des Schädigers zur Richtigkeit der Höhe der Rechnung ausgesetzt sieht. In der Sache selbst stritten die Parteien lediglich um einen Betrag i.H.v. 20 Euro, nämlich die sog. „Desinfektionspauschale“.
Mit dieser Entscheidung setzt der BGH seine jüngst zum Werkstattrisiko getroffene Rechtsprechung fort und überträgt diese Grundsätze auf den Werkvertrag hinsichtlich der Erstellung eines Sachverständigengutachtens.
Der BGH versucht mit der vorliegenden Entscheidung ein Gleichgewicht herzustellen zwischen dem Risiko des Geschädigten, auf Teilen des aus seiner Sicht erforderlichen Schadensersatzbetrages sitzen zu bleiben und dem Risiko des Schädigers, durch Zahlung auf eine unter dem Deckmantel der subjektbezogenen Schadensbetrachtung geltend gemachte Forderung eine Bereicherung des Geschädigten herbeizuführen.
Wie auch bereits für die Reparaturkosten (BGH, Urt. v. 16.01.2024 - VI ZR 253/22) lässt der BGH entgegen der bisherigen Rechtsprechung nunmehr zu, dass der Geschädigte den von ihm gegenüber dem Sachverständigen geschuldeten Werklohn als Zahlungsantrag gegenüber dem Schädiger unmittelbar zugunsten des Sachverständigen geltend macht. Im Rahmen der Vorteilsausgleichung hat er die möglicherweise aus einer überhöhten Rechnungsstellung des Sachverständigen resultierenden Schadensersatzansprüche Zug um Zug gegen Zahlung an den Schädiger abzutreten.
In diesem Kontext konstatiert der BGH das in der Tat gegebene rechtliche Interesse des Schädigers daran, vom Geschädigten selbst und nicht vom Sachverständigenbüro auf Zahlung in Anspruch genommen zu werden, da nur im unmittelbaren Verhältnis zum Geschädigten auf der einen Seite die Hauptforderung, auf der anderen Seite aber auch der Vorteilsausgleich bedient werden kann. Das Sachverständigenbüro – bzw. seine Betreibergesellschaft – selbst ist nämlich nicht in der Lage, etwaige gegen das Sachverständigenbüro gerichtete Schadensersatzansprüche aus einer überhöhten Rechnungsstellung an den Schädiger abzutreten, da es diese bereits gar nicht innehat. Hier wurde bislang mit der dolo-petit-Einrede (dolo facit qui petit quod statim redditurus est, „Du kannst nicht verlangen, was du sofort zurückgeben müsstest“) gearbeitet (vgl. Schubert in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2022, § 242 Rn. 560 m.w.N.).
Nach Auffassung des BGH trägt also der Schädiger nur dann das Sachverständigenrisiko und damit das Risiko einer überhöhten Rechnungsstellung, wenn er unmittelbar von dem Geschädigten selbst in Anspruch genommen wird und dieser bei noch unbeglichener Rechnung Zahlung an seinen Dienstleister, den Sachverständigen oder aber bei bereits beglichener Rechnung Zahlung an sich selbst verlangt.
In der hier eigentlich zugrunde liegenden Konstellation eines direkt klagenden Sachverständigenbüros kommen diese Grundsätze somit konsequenterweise nicht zur Anwendung, so dass Beweis über die Erforderlichkeit der im Einzelnen geltend gemachten Rechnungspositionen zu erheben ist. Das gilt nach der jetzt vorliegenden Entscheidung des BGH auch in denjenigen Fällen, in denen der Geschädigte bei noch nicht ausgeglichener Rechnung Zahlung der Sachverständigenkosten an sich selbst verlangt. In diesem Fall bleibt nämlich unsicher, ob der Geschädigte den noch in seiner Person ruhenden Schadensersatzanspruch hinsichtlich einer überhöht gestellten Rechnung des Sachverständigen diesem auch tatsächlich entgegenhält und so die vom Schädiger unter dem Blickwinkel der subjektbezogenen Schadensbetrachtung erhaltenen Geldbetrag auch an den Sachverständigen weiterleitet oder für sich einbehält. Es erweist sich als konsequent, die hier drohende Bereicherung des Geschädigten durch eine klare Vorgabe zum Abrechnungsmodus auszuschalten. Bislang hatte der BGH dieser Abrechnungsmethode eine Absage erteilt, hält hieran aber ausdrücklich nicht fest.
- D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Auswirkungen dieser Entscheidung auf die tägliche Praxis der Unfallregulierung sind erheblich.
Zunächst wird es ohne Frage so sein, dass in unzähligen noch laufenden Klageverfahren die Umstellung des Klageantrags hinsichtlich der Zahlung der Sachverständigenkosten erfolgen wird/muss. Die häufig anzutreffende Formulierung, wonach der Geschädigte von der Forderung freigestellt werden will, dürfte nach der aktuellen Entscheidung des BGH in dieser Form nicht mehr sinnstiftend sein. Vielmehr ist der Antrag nunmehr direkt auf Zahlung an den Sachverständigen zu richten, damit der Geschädigte von den Grundsätzen des „Sachverständigenrisikos“ Gebrauch machen kann.
Die eigentliche Reichweite der Entscheidung geht über diese Thematik aber signifikant hinaus:
Die Entscheidung hat zur Folge, dass der Kraftfahrzeug-Sachverständige künftig von einer im Rahmen der Auftragserteilung standardmäßig vorgenommenen Abtretung des Schadensersatzanspruchs zu seinen Gunsten absehen und stattdessen den um jedes Prozessrisiko befreiten Geschädigten dazu anhalten wird, die Forderung zur Zahlung an den Sachverständigen geltend zu machen. In diesem Kontext greifen die Grundsätze der subjektbezogenen Schadensbetrachtung auf Basis der geschlossenen Vergütungsvereinbarung ein, so dass Raum für pauschal abzurechnende Zusatzbeiträge besteht, die es jetzt schon in Form der „EDV-Kostenpauschale“, der Kopierkosten, der Fotokosten, der Fahrtkosten, der Corona-Pauschale und vielem mehr gibt. Es steht durchaus zu erwarten, dass das Schadensvolumen im Bereich der Sachverständigenkosten nicht unerheblich ansteigen wird.
Diese zusätzlichen Schadensaufwendungen belasten zwar in ihrer direkten Auswirkung zunächst den Haftpflichtversicherer, müssen aber schon aus versicherungsaufsichtsrechtlichen Gründen im Rahmen der Prämien auf die Gesamtheit aller Versicherungsnehmer umgelegt werden. Schließlich handelt es sich bei den Schadensaufwendungen nicht um Geld des Schädigers, sondern letztlich um Geld der Versichertengemeinschaft. Der offensichtlich bestehende Wunsch des BGH, den Geschädigten vor einer überbordenden Inanspruchnahme mit möglicherweise unberechtigten Forderungen zu schützen, wird auf diesem Wege nur vordergründig erreicht. Die Abrechnung des Sachverständigen belastet nunmehr die Gemeinschaft aller Versicherten und wirkt sich unmittelbar auf die Prämiengestaltung der Versicherungswirtschaft aus.
Insoweit werden die betroffenen Versicherungsunternehmen gar nicht umhinkommen, aus den dann an sie abzutretenden Schadensersatzansprüchen heraus Regressprozesse gegen die beteiligten Sachverständigen zu führen. Nur auf diesem Wege lässt sich die ohnehin schon im Markt zu beobachtende Ausuferung der Sachverständigenkosten noch einigermaßen rational limitieren.
Es bleibt mit Spannung abzuwarten, wie der Markt auf die geänderte Rechtslage reagieren wird. Die Entscheidung eröffnet im Umkehrschluss allerdings mit Blick auf die vom BGH noch einmal verdeutlichte Beweislast die Möglichkeit, Provisionszahlungen und vergleichbare nicht schadensbedingte Aufwendungen aus den Rechnungen der Sachverständigen dauerhaft fernzuhalten. Das war allerdings auch im Vorfeld schon über die Regresslösung möglich.