Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Entscheidung des BGH zugrunde lag ein Rechtsstreit zwischen Münchener und überregionalen Zeitungsverlagen bzw. den für deren Online-Auftritte verantwortlichen Unternehmen auf der Klägerseite und der Betreibergesellschaft des Internetauftritts muenchen.de, zu der u.a. die bayrische Landeshauptstadt München als Gesellschafter gehört, auf Beklagtenseite. Das Internetangebot der Beklagten umfasste im August 2019 ca. 173.000 Seiten und war nach Darstellung der Beklagten zu diesem Zeitpunkt das mit Abstand meistbesuchte Serviceportal und gleichzeitig eines der erfolgreichsten deutschen Stadtportale. Die Inhalte zu Themen rund um die Stadt München wurden den Nutzern kostenlos zur Verfügung gestellt, gleichzeitig erfolgte eine Anzeigenschaltung.
Die Vorinstanzen sahen in dem Betrieb des Stadtportals einen Verstoß gegen das als Marktverhaltensregelung einzustufende Gebot der Staatsferne der Presse und untersagten, das Portal als Ganzes weiterhin öffentlich zugänglich zu machen (§§ 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1, 3 Abs. 1, 3a UWG i.V.m. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG in der Ausprägung des Gebots der Staatsferne der Presse).
Der BGH hebt die Entscheidung der Vorinstanz auf und verweist die Sache zurück. Dabei geht es im Kern darum, dass die Vorinstanz den vom BGH in aktuellen Entscheidungen aufgestellten Kriterien für eine wertende Gesamtbetrachtung bei der Beurteilung kommunaler Öffentlichkeitsarbeit vor dem Hintergrund des Gebots der Staatsferne der Presse ein Zusätzliches hinzugefügt hatte. Danach sollten auch allgemeine wettbewerbsrechtliche Verstöße in die Gesamtwürdigung einzubeziehen sein. Dem erteilt der I. Zivilsenat des BGH eine eindeutige Absage. Wettbewerbsverstöße dieser Art sind allein nach allgemeinen lauterkeitsrechtlichen Regelungen zu beurteilen und können nur zu einem Verbot des jeweils konkret angegriffenen Beitrags führen.
Interessant ist die höchstrichterliche Entscheidung aber vor allem wegen der darin getroffenen weiteren Aussagen im Zusammenhang mit der Beurteilung kommunaler Öffentlichkeitsarbeit hinsichtlich der Zwecke des Stadtmarketings und der Tourismusförderung sowie in Bezug auf den zulässigen Umfang einer Anzeigenschaltung.
Kontext der Entscheidung
In der Entscheidung „muenchen.de“ führt der BGH seine in den vorangegangenen Entscheidungen „Crailsheimer Stadtblatt II“ und „dortmund.de“ maßgeblich geprägte Rechtsprechung zur zulässigen Öffentlichkeitsarbeit von Kommunen mit Blick auf das Gebot der Staatsferne der Presse fort und schärft diese nach.
I. BGH – Crailsheimer Stadtblatt II
In der Entscheidung „Crailsheimer Stadtblatt II“ hatte der BGH in Bezug auf eine kommunale Printpublikation grundsätzlich geurteilt, dass das der Sicherung der Meinungsvielfalt dienende Gebot der Staatsferne der Presse neben einer unmittelbaren auch der Verhinderung aller mittelbaren und subtilen Einflussnahmen des Staates dient. Der Betätigung staatlicher Stellen auf dem Gebiet der Presse sind daher enge Grenzen gesetzt. Damit regelt das Gebot der Staatsferne gleichzeitig, wie sich Hoheitsträger bei einer Teilnahme am Wettbewerbsgeschehen auf dem Gebiet der Presse zu verhalten haben, weshalb es als Marktverhaltensregelung i.S.v. § 3a UWG zu qualifizieren ist (BGH, Urt. v. 20.12.2018 - I ZR 112/17 Rn. 17 ff. - GRUR 2019, 189, 191 „Crailsheimer Stadtblatt II“).
Umfang und Grenzen des Gebots werden durch die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG auf der einen und die Garantie der freien Presse gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auf der anderen Seite abgesteckt. Hoheitsträger dürfen sich nur im Rahmen der ihnen zugewiesenen Aufgaben und insoweit pressemäßig betätigen, als die Garantie des Instituts der freien Presse nicht gefährdet wird (BGH, Urt. v. 20.12.2018 - I ZR 112/17 Rn. 20 ff. - GRUR 2019, 189, 191 „Crailsheimer Stadtblatt II“).
Auf dieser Grundlage erlaubt die staatliche Ermächtigung zur Information der Bürgerinnen und Bürger den Kommunen damit nicht jede pressemäßige Äußerung, die irgendeinen Bezug zur örtlichen Gemeinschaft aufweist. Der BGH zieht für kommunale Publikationen insoweit eine innere und eine äußere Grenze: Die innere Grenze bildet ein spezifischer Orts- und Aufgabenbezug. Die äußere Grenze liegt in der institutionellen Garantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach eine freie, nicht durch die öffentliche Gewalt gelenkte Presse für die Meinungsbildung in einer Demokratie unentbehrlich ist. Bei der hoheitlichen Öffentlichkeitsarbeit muss sich die öffentliche Hand bei Art, Frequenz und Umfang in Zurückhaltung üben. Verwiesen wird dabei insbesondere auf die erhöhte Glaubwürdigkeit und das dadurch zunehmende Beeinflussungspotential (BGH, Urt. v. 20.12.2018 - I ZR 112/17 Rn. 31 ff. - GRUR 2019, 189, 191 „Crailsheimer Stadtblatt II“).
Vor diesem Hintergrund stellt der BGH für die konkrete Beurteilung kommunaler Publikationen mit Blick auf das Gebot der Staatsferne der Presse den Maßstab auf, wonach Art und Inhalt der veröffentlichten Beiträge auf ihre Neutralität sowie Zugehörigkeit zum Aufgabenbereich der Gemeinde zu untersuchen und unter Einbeziehung des äußeren Erscheinungsbilds eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen ist (BGH, Urt. v. 20.12.2018 - I ZR 112/17 Rn. 35 ff. - GRUR 2019, 189, 191 „Crailsheimer Stadtblatt II“). Einzelne, die Grenzen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit überschreitende Beiträge können danach indes noch keinen Verstoß gegen das Gebot der Staatsferne der Presse begründen. Erst wenn eine wertende Betrachtung der Publikation insgesamt ergibt, dass diese bei den angesprochenen Verkehrskreisen als funktionales Äquivalent zu einer privaten Zeitung wirkt, steht eine Verletzung im Raum. Als weitere Kriterien für die wertende Betrachtung werden vom BGH insbesondere auch Elemente der optischen Gestaltung sowie redaktionelle Elemente genannt. Eine Grenze sei jedenfalls überschritten, wenn der staatliche Ursprung der Publikation nicht mehr erkennbar sei. In die Gesamtwürdigung sei zudem eine Anzeigenschaltung einzubeziehen (BGH, Urt. v. 20.12.2018 - I ZR 112/17 Rn. 40 ff. - GRUR 2019, 189, 191 „Crailsheimer Stadtblatt II“). Insbesondere das letztgenannte Kriterium ist in der Entscheidung noch nicht weiter ausdifferenziert.
II. BGH – dortmund.de
In der Entscheidung „dortmund.de“ wurden diese Maßstäbe auf kommunale Telemedienangebote übertragen und teilweise angepasst (BGH, Urt. v. 14.07.2022 - I ZR 97/21 - GRUR 2022, 1336 „dortmund.de“). Gegenstand war das digitale Stadtportal „dortmund.de“, welches neben amtlichen Mitteilungen auch redaktionelle Inhalte veröffentlichte und auch teilweise Anzeigenwerbung enthielt. Ausweislich der Eigenwerbung wollte es umfassend und aktuell über das Geschehen in Stadt, Verwaltung und Stadtbezirken informieren, die neuesten Meldungen veröffentlichen und Veranstaltungen bekannt machen.
Der BGH sah die Institutsgarantie der Presse auch durch ein städtisches Online-Portal grundsätzlich tangiert. Unerheblich ist hierfür die Frage, ob am traditionellen Pressebegriff festzuhalten sei, welcher sich noch auf Druckerzeugnisse bezieht. Vielmehr ist jegliches ausuferndes Informationshandeln des Staates, gleich welcher Art, relevant, welches in Form von mittelbarer und subtiler Einflussnahme die Kommunikationsprozesse der freien Presse gefährdet. Treten sogenannte Substitutionseffekte ein, die dazu führen, dass die private Presse ihre besonderen Aufgaben im demokratischen Gemeinwesen nicht mehr erfüllen kann, ist das Gebot der Staatsferne der Presse auch durch Online-Angebote verletzt (BGH, Urt. v. 14.07.2022 - I ZR 97/21 Rn. 35 ff. - GRUR 2022, 1336 „dortmund.de“). Gegenüber der Entscheidung „Crailsheimer Stadtblatt II“ weist der BGH in Bezug auf die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und die Garantie des Instituts der freien Presse des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG konkretisierend darauf hin, dass diese mit Rücksicht auf die Einheit der Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung zu einem sachgerechten Ausgleich zu bringen sind (dazu Schwarz/Dorsch, NVwZ 2022, 1329, 1331). Die Institutsgarantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG muss dabei indes die größtmögliche Wirksamkeit erhalten (Rn. 38). Auch eine vermeintlich unzureichende Versorgung mit Informationen über das örtliche Geschehen durch die private Presse spricht daher keinesfalls für eine Vereinbarkeit. Eine solche kann grundsätzlich nur dann angenommen werden, wenn sich wegen der Konkurrenz mit einer Fülle unabhängiger Zeitungen und Zeitschriften dadurch am Bild der freien Presse substanziell nichts ändert. Bei kommunalen Telemedienangeboten bedarf es aufgrund der Informationsfülle im Internet hierfür allerdings einer Feststellung im Einzelfall (BGH, Urt. v. 14.07.2022 - I ZR 97/21 Rn. 39 - GRUR 2022, 1336 „dortmund.de“; näher dazu Schwarz/Dorsch, NVwZ 2022, 1329, 1332).
III. BGH – muenchen.de
Die aktuelle Entscheidung muenchen.de schärft diese Grundsätze nach. Zum einen geht der BGH darin ausführlich auf den Umstand ein, dass wiederum – wie in der Entscheidung „dortmund.de“ – ein Internetauftritt und kein Druckerzeugnis beanstandet wird. Der alternative Verbreitungsweg über das Internet ändert danach nichts am Charakter der Presseerzeugnisse. In diesem Zusammenhang betont der BGH den fortschreitenden Übergang von reinen Printerzeugnissen zur (auch) digitalen Ausgabe von Zeitungen (Rn. 36).
Bei der wertenden Gesamtbetrachtung zur Feststellung eines konkreten Verstoßes gegen das Gebot der Staatsferne der Presse stellt der BGH bei der Bestimmung des zulässigen Informationshandelns der Kommunen dezidiert fest, dass Stadtmarketing und die Tourismusförderung zur zulässigen Öffentlichkeitsarbeit zählen (Rn. 40).
Der BGH schärft außerdem die Kriterien für die Berücksichtigung einer Anzeigenschaltung bei der Gesamtbetrachtung in den sogenannten „Segelanweisungen“ für die Vorinstanz deutlich nach. Eine die Grenzen der zulässigen, fiskalisch motivierten Randnutzung überschreitende Werbung birgt existenzielle Gefahren für die private Presse, wenn Unternehmen nicht mehr dort, sondern bei der Kommune im digitalen oder auch Printbereich inserieren. Für die Bestimmung einer danach noch zulässigen Randnutzung ist auf den Umfang der Anzeigenschaltung abzustellen. Die mit der Randnutzung bezeichnete Annextätigkeit muss eine solche bleiben. Die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe darf nicht umgekehrt zum Annex der erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit werden. Nur eine untergeordnete, quantitativ nachgeordnete Tätigkeit in innerem Zusammenhang mit der Hauptnutzung ist danach zulässig (Rn. 65).
Soweit die Vorinstanz zudem den vorgenannten Kriterien für eine wertende Gesamtbetrachtung ein weiteres hinzugefügt hatte, wonach auch bei nicht pressemäßigem Tätigwerden eines Hoheitsträgers eine nach allgemeinen Regeln unzulässige geschäftliche Handlung in die Gesamtwürdigung mit einzubeziehen sei, erteilt der BGH dem eine deutliche Absage. Nicht-pressemäßige geschäftliche Handlungen der öffentlichen Hand sind nach allgemeinen lauterkeitsrechtlichen Regelungen zu beurteilen und sind jeweils einzeln und für sich genommen als Wettbewerbsverstöße zu sanktionieren (Rn. 46 ff.).
Auswirkungen für die Praxis
Mit Spannung war die Entscheidung des BGH vor allem zu der Frage erwartet worden, ob es sich beim Stadtmarketing und der Tourismusförderung um zulässige kommunale Öffentlichkeitsarbeit in einem Online-Portal handelt. Dies hat der BGH nun ausdrücklich bejaht. Damit hat er die strengen Kriterien für die wertende Gesamtbetrachtung, die in der Entscheidung „Crailsheimer Stadtblatt II“ aufgestellt wurden (Schwarz/Dorsch, NVwZ 2022, 1329, 1334) gelockert. Dies wird den Kommunen in Zukunft größere Spielräume bei der Gestaltung ihrer Internetauftritte einräumen (vgl. dazu Peter, GRUR 2022, 624, 629).
Demgegenüber hat der BGH die Berücksichtigung einer Anzeigenschaltung (vgl. dazu auch Peter, GRUR 2022, 624, 629 f.) nun nachgeschärft und besser konturiert. Es wird deutlich, dass der BGH hier strenge Maßstäbe angelegt wissen will. Die Anforderung einer untergeordneten, quantitativ nachgeordneten Tätigkeit im inneren Zusammenhang mit der Hauptnutzung ist handhabbar, da sie jedweder auch nur im Ansatz ähnlich umfangreichen Anzeigenwerbung wie in privaten Zeitungen oder auf privaten Online-Portalen erkennbar einen Riegel vorschieben will. Diesbezüglich stellt der BGH ausdrücklich klar, dass die öffentliche Aufgabe nicht zum Annex einer erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit der Kommune werden darf.
Abgesehen davon dürfte aber die im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung einer kommunalen Online-Publikation erforderliche Prüfung, ob die Informationsfülle im Internet möglicherweise dazu führt, dass sich trotz der Tätigkeit des Staates am Meinungsmarkt am Bild der freien Presse nichts ändert, aufgrund ihrer Unschärfe weiterhin schwierig zu bewerkstelligen sein.
Jedenfalls sollten Kommunen insgesamt weiterhin darauf achten, dass die Bereitstellung von „pressemäßigen“ oder im weitesten Sinne journalistischen Inhalten eines von vielen Elementen in einem Portal darstellt (Schwarz/Dorsch, NVwZ 2022, 1329, 1334). Auch sollte die Anzeigenschaltung keinesfalls ausufern.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Der BGH geht in der Entscheidung zudem vertieft auf die allgemeinen lauterkeitsrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen der geschäftlichen Handlung und der Mitbewerberstellung ein. In der Entscheidung „Crailsheimer Stadtblatt II“ erfolgte die Prüfung nur mehr oder weniger kursorisch, in der Entscheidung „dortmund.de“ wurden diese Anspruchsvoraussetzungen nicht relevant.
Eine geschäftliche Handlung i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG nimmt der BGH wegen der auf dem Stadtportal veröffentlichten Anzeigenwerbung an und folgt damit einer verbreiteten Literaturauffassung (vgl. dazu etwa Fabi/Struß, GRUR 2020, 144, 145).
Die für die Mitbewerbereigenschaft erforderliche Wechselwirkung der Förderung eigenen und Beeinträchtigung fremden Wettbewerbs sieht der BGH darin gegeben, dass beide Parteien des Rechtsstreits jeweils inhaltlich ähnliche Zeitungen bzw. Online-Nachrichtenportale betreiben, die auch jeweils kommerzielle Anzeigen enthalten. Der BGH verdeutlicht jedoch, dass der erforderliche wettbewerbliche Bezug nicht nur aufgrund der Anzeigenschaltung, sondern auch aufgrund der redaktionellen Inhalte des Stadtportals besteht, die typischerweise von der Presse besetzte Themen behandeln. Für die Beurteilung stellt er zudem in der Zusammenschau darauf ab, ob und in welchem Umfang die einzelnen Rubriken des Stadtportals mit redaktionellen Inhalten auch von einer Anzeigenwerbung begleitet sind.