1. Der Erlass eines Grundurteils in einer Arzthaftungssache setzt voraus, dass ein zu ersetzender Schaden mit Wahrscheinlichkeit entstanden ist, alle Tatbestandsmerkmale verwirklicht und alle Einreden und Einwendungen ausgeschlossen sind, von denen die Entstehung des Anspruchs abhängt.
2. Ist mit dem Leistungsantrag ein Feststellungsbegehren verbunden, muss hierüber bei Erlass des Grundurteils abschließend entschieden werden.
3. Zur Abgrenzung von Diagnoseirrtum und Befunderhebungsfehler bei der unterbliebenen hausärztlichen Abklärung unklarer Befunde.
4. Unterlässt der Patient es wider besseren Wissens, einem hausärztlichen Rat zu folgen, sich bei einem Facharzt vorzustellen, ist dies zumindest als Mitverschulden berücksichtigungsfähig.
Verfahrensgang
vorgehend LG Zwickau 01.02.2022 4 O 751/15
Langtext
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 01.02.2022 verkündete Grund- und Teilendurteil des Landgerichts Zwickau - 4 O 751/15 - wie folgt teilweise abgeändert:
1. Der Klageanspruch wird gegenüber den Beklagten dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, mit der Maßgabe, dass eine Mithaftungsquote des Klägers von 30 % zu berücksichtigen ist.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten unter Berücksichtigung einer Mithaftungsquote von 70 % gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche weiteren materiellen und im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, die diesem aus der ärztlichen Behandlung durch den Beklagten zu 1) im Zeitraum vom 30.10.2008 bis zum 19.02.2009 entstanden sind und noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten zu 70 % und der Kläger zu 30 %.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf bis zu 150.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um Schmerzensgeld, Schmerzensgeldrente, Schadensersatz als Aufwendungsersatz und wegen vergangener Erwerbsminderung, Zahlung einer Grundrente wegen geminderter Erwerbsfähigkeit sowie Feststellung der Einstandspflicht für materielle Vergangenheits- und Zukunftsschäden und nicht vorhersehbare immaterielle Zukunftsschäden wegen einer behaupteten fehlerhaften hausärztlichen Behandlung.
Die Beklagten betreiben eine Gemeinschaftspraxis für Allgemeinmedizin. Der 1958 geborene Kläger begab sich am 30.10.2008 wegen aufgetretener Gangbeschwerden in die Behandlung des Beklagten zu 1). Dessen handschriftliche Dokumentation enthält zum Behandlungsablauf unter anderem die folgenden Einträge:
„30.10.08 erschwertes Laufen, Ziehen in den Waden vorerst auf 173.9 Befund: Fußpulse bds. tastbar
13.11.08 idem -> Labor BB... u. AK - Borrelien 1-70
20.11.08 Verd. Spätstadium Borreliose -> (Doxy 200 Nr. 20 1x1/die [Anmerk.: durchgestrichen]) erst neurol. Befund abwarten
27.11.08 Cons. 1 -70
08.12.08 schwere psych-veg. Dysregulation - längeres Gespräch Pat. sehr misstrauisch
02.01.09 1 - länger Attest! weiterhin schwere Dysregulation mit Überforderungssyndrom - gestaffelte Arbeitszeit!
...“
Nachdem bei der Vorstellung am 13.11.2008 keine wesentliche Besserung der Beschwerden eingetreten war, veranlasste der Beklagte zu 1) eine Blutuntersuchung. Die Laborbefunde (vgl. hierzu Tatbestand des Urteils vom 01.02.2022, S. 3) lagen ihm bei der nächsten Konsultation des Klägers am 20.11.2008 vor. Weitere Konsultationen wegen der beim Kläger fortbestehenden Beschwerdesymptomatik erfolgten bis zum 20.02.2009, dabei sind die Einzelheiten des Behandlungsablaufs und die Beschwerden sowie die zwischen den Parteien geführten Gespräche streitig. Nach stationärer Aufnahme am 25.02.2009 wurde ein akuter Vitamin B12- Mangel nebst perniziöser Anämie diagnostiziert. Die Supplementation mit Vitamin B12 begann am 26.02.2009.
Der Kläger behauptet, der Beklagte zu 1) habe behandlungsfehlerhaft den im Zusammenhang mit seiner veganen Ernährung vorliegenden Vitamin B12-Mangelzustand nicht erkannt und sei den von ihm angegebenen Beschwerden nicht ausreichend nachgegangen. Hinsichtlich der unterlassenen Abklärung der Symptome liege ein grober Befunderhebungsfehler vor. Die fehlerhafte Behandlung sei für die beim Kläger aufgetretenen Gesundheitsschäden ursächlich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der zuletzt geltend gemachten Ansprüche wird auf den Tatbestand der erstinstanzlichen Entscheidung ergänzend Bezug genommen.
Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens nebst Ergänzungsgutachten der neurologischen Sachverständigen Prof. Dr. C...... und K...... sowie Anhörung des Gutachters Prof. Dr. C......, des Klägers und des Beklagten zu 1) im Verhandlungstermin. Ferner hat es die Akten des selbständigen Beweisverfahrens (LG Zwickau 1 OH 16/10) zu Beweiszwecken beigezogen.
Mit dem angefochtenen Grund- und Teilendurteil hat das Landgericht den Klageanspruch gegen die Beklagten dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Ersatzpflicht der Beklagten für alle weiteren nicht übergegangenen und derzeit nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden festgestellt. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Kammer sei aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme überzeugt, dass der Kläger aufgrund einer fehlerhaften Behandlung Gesundheitsschäden erlitten habe, die es dem Grunde nach rechtfertigten, ihm die zuletzt geltend gemachten Klageansprüche dem Grunde nach zuzubilligen. Da der Rechtsstreit hinsichtlich des Anspruchsgrundes und des geltend gemachten Feststellungsanspruches entscheidungsreif sei, wohingegen zur Höhe der Leistungsanträge und des zuzugestehenden Schmerzensgeldes noch eine aufwändige Beweisaufnahme erforderlich sei, sei durch Grund- und Teilendurteil zu entscheiden.
Hiergegen wenden sich die Beklagten mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung, mit der sie den erstinstanzlich gestellten Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgen. Sie machen neben tatsächlichen und rechtlichen Einwänden gegen die vom Landgericht zu Haftungsgrund, Schaden und Kausalität getroffenen Feststellungen geltend, das Landgericht habe fehlerhaft den geltend gemachten Verjährungseinwand nicht durchgreifen lassen und keinen Mitverschuldensanteil berücksichtigt.
Die Beklagte beantragen,
das Grund- und Teilendurteil des Landgerichts Zwickau vom 01.02.2022 abzuändern und die Klage abzuweisen, und für den Fall, dass das Gericht weitere Tatsachenfeststellungen für erforderlich erachte,
den Rechtsstreit an eine andere Kammer des Landgerichts Zwickau zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines hausärztlichen Sachverständigengutachtens nebst Erläuterung im Verhandlungstermin am 23.04.2024. Der Kläger wurde zu Informationszwecken angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23.04.2024, wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt nebst den gewechselten Schriftsätzen ergänzend Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere entspricht sie den §§ 517, 519, 520 ZPO. In der Sache hat sie überwiegend keinen Erfolg. Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass die Klage hinsichtlich des Feststellungsantrags begründet und im Übrigen dem Grunde nach gerechtfertigt ist.
1.
Die – vom Berufungsgericht von Amts wegen zu prüfenden (vgl. BGH, Urteil vom 23.11.2010 – XI ZR 82/08, BeckRS 2010, 30444, Rn. 14 m.w.N.) – Voraussetzungen für den Erlass eines Grund- und Teilurteils nach § 301 Abs. 1, § 304 Abs. 1 ZPO sind gegeben.
Der Erlass eines Grundurteils kommt in Betracht, wenn der Rechtsstreit hinsichtlich des Grundes betreffend sämtliche geltend gemachten Teilansprüche zur Entscheidung reif ist (vgl. BGH, Urteil vom 17.09.2015 - IX ZR 263/13, juris). Im Grundverfahren geklärt und durch Grundurteil entschieden werden muss die Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale, von deren Erfüllung der vom Kläger geltend gemachte Anspruch abhängt. Dies bedingt zugleich auch, dass grundsätzlich alle von den Beklagten erhobenen Einreden und Einwendungen ausgeschlossen werden müssen, bevor ein Grundurteil ergeht. Zudem muss vor Erlass des Grundurteils festgestellt werden, dass ein zu ersetzender Schaden mit gewisser Wahrscheinlichkeit entstanden ist (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 14. Februar 2022 – 3 U 121/21 –, Rn. 13ff m.w.N., juris). Unzulässig ist ein Grund- und Teilurteil nur dann, wenn hinsichtlich des verbliebenen Teils die Möglichkeit einer widersprüchlichen Entscheidung nicht auszuschließen ist. Daraus folgt, dass bei einer objektiven Klagehäufung von Leistungsanträgen (Schmerzensgeld und bezifferter Schaden) und Feststellungsanträgen (unbezifferter weiterer materieller und immaterieller Schaden), denen ein einheitlicher Haftungsgrund zugrunde liegt, eine Zwischenentscheidung nur möglich ist, wenn über den Grund umfassend entschieden wird und nur noch Fragen zur Schadenshöhe offen sind. Demnach muss über einen Feststellungsantrag, der stets eine Entscheidung über den Haftungsgrund beinhaltet, immer entschieden werden (vgl. BGH, Urteil vom 06.06.2019 – VII ZR 103/16, NJW-RR 2019, 982 m.w.N.; OLG Köln, Beschluss vom 3. September 2009 – 5 U 47/09 –, Rn. 3, juris; Senat, Urteil vom 18. August 2020 – 4 U 1242/18 –, juris).
Vorliegend sind die durch Grundurteil beschiedenen Ansprüche im Sinne von § 304 Abs. 1 ZPO nach Grund und Betrag streitig, mit dem angefochtenen Urteil wurden alle Fragen, die zum Grund des Anspruchs gehören, erledigt und ist nach dem Sach- und Streitstand zumindest wahrscheinlich, dass Ansprüche in irgendeiner Höhe bestehen. Die Gefahr widersprechender Entscheidungen ist durch die Verbindung mit dem mittels Teilendurteil abschließend entschiedenen Feststellungsausspruch ausgeschlossen. Soweit die materiellen Zukunftsschäden in den Feststellungstenor nicht aufgenommen worden sind, war das Urteil wegen einer offensichtlichen Unrichtigkeit gem. § 319 Abs. 1 ZPO entsprechend zu berichtigen. Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich, dass das Landgericht dem Klageantrag auch insoweit stattgeben wollte (vgl. S. 16, Ziff. 3).
2.
Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
a)
Entgegen der Ansicht der Berufung ist sie nicht bereits wegen des von den Beklagten erhobenen Verjährungseinwands abweisungsreif, wie das Landgericht im Ergebnis zutreffend festgestellt hat.
Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt für Schadensersatzansprüche nach den §§ 630a ff., 823 ff. BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstandenen ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 BGB). Hinsichtlich ärztlicher Behandlungsfehler kann diese nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis allerdings nicht schon dann bejaht werden, wenn dem Patienten oder dem Anspruchsteller lediglich der negative Ausgang der ärztlichen Behandlung bekannt ist. Er muss vielmehr auch auf einen ärztlichen Behandlungsfehler als Ursache dieses Misserfolges schließen können. Dazu muss er nicht nur die wesentlichen Umstände des Behandlungsverlaufs kennen, sondern auch Kenntnis von solchen Tatsachen erlangen, aus denen sich für ihn als medizinischer Laien ergibt, dass der behandelnde Arzt von dem üblichen medizinischen Vorgehen abgewichen ist oder Maßnahmen nicht getroffen hat, die nach dem ärztlichen Standard zur Vermeidung oder Beherrschung von Komplikationen erforderlich waren. Diese Kenntnis ist erst vorhanden, wenn die dem Anspruchsteller bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners und auf die Ursache dieses Verhaltens für den Schaden als naheliegend erscheinen zu lassen (BGH, Urteil vom 8.11.2016 - VI ZR 594/15, juris, Rdn. 13 m. w. Nachw.; OLG Köln, Urteil vom 05. März 2018 – 5 U 98/16 –, Rn. 65, juris).
Von einer solchen Kenntnis des Klägers ist erst aufgrund des von der Sächsischen Landesärztekammer eingeholten allgemeinmedizinischen Gutachtens des Gutachters Dr. M...... vom 02.01.2012 auszugehen, von dem Kläger durch Bescheid vom 18.04.2012 Kenntnis erhielt (Anlage K15). Erstmal in diesem Gutachten wird festgehalten, dass dem Beklagten zu 1) ein Behandlungsfehler in Form einer Unterlassung gebotener Behandlungsmaßnahmen aufgrund des Ergebnisses der Blutuntersuchung/Laborbefundes vom 18.11.2008 vorzuwerfen sei. Die zuvor im Jahr 2011 erfolgte Internetrecherche des Klägers war dagegen nicht ausreichend, ihm diese Kenntnis zu vermitteln. Dass von ihm im Jahre 2010 vor der Schlichtungsstelle der Stadt Plauen (K 32) ein Schlichtungsverfahren mit einem Sühneversuch unternommen wurde, spricht ebenfalls nicht für eine frühere Kenntnis des Klägers, da dort zwar medizinische Fehlbehandlung durch den Beklagten zu 1) behauptet, hierfür jedoch keinerlei medizinische Tatsachen benannt wurden, die seinerzeit auch noch nicht vorlagen. Somit kann offenbleiben, ob – wie in Teilen der Rechtsprechung angenommen wird – die für den Verjährungsbeginn in einer Arzthaftungssache erforderliche Kenntnis des Patienten zwingend eine fachgutachterliche Stellungnahme voraussetzt (vgl. auch Senat, Beschluss vom 4. Mai 2022 – 4 W 251/22 –, Rn. 5, m.w.N. juris). Denn jedenfalls ist nicht ersichtlich, aufgrund welcher Umstände der Kläger vor Zugang dieser gutachterlichen Stellungnahme die nach den dargestellten Maßstäben gebotene Kenntnis hätte haben sollen.
Die Verjährung der darauf beruhenden Ansprüche des Klägers - auch gegenüber der Beklagten zu 2 - begann somit erst mit Schluss des Jahres 2012, so dass die am 27.11.2015 zugestellte Klage den Eintritt der Verjährung verhindert hat, ohne dass es auf das Vorliegen einer Verjährungshemmung durch den Antrag des Klägers auf Durchführung eines Schlichtungsverfahrens bzw. eines Sühneversuchs oder eines Beweissicherungsverfahrens ankäme.
b)
Nach ergänzender Beweisaufnahme steht weiterhin zur Überzeugung des Senates fest, dass dem Beklagten zu 1) bei der streitgegenständlichen Behandlung des Klägers ein grober Befunderhebungsfehler zur Last zu legen ist, mit der Folge, dass die Beklagten dem Grunde nach für aus der grob fehlerhaft unterlassenen Abklärung der beim Kläger Mitte November festgestellten makrozytären Anämie erwachsenen Gesundheitsschäden gemäß §§ 630a, 630b, 278, 280, 249, 253 Abs. 2 BGB bzw. gemäß §§ 823 Abs. 1, 831, 249, 253 Abs. 2 BGB einzustehen haben.
aa)
Allerdings war es geboten, zur Prüfung eines standardgerechten Vorgehens des Beklagten zu 1 ein hausärztliches Sachverständigengutachten einzuholen, da die Begutachtung durch den erstinstanzlich beauftragten Neurologen dem Grundsatz der fachgleichen Begutachtung widerspricht. Prinzipiell ist bei der Auswahl des Sachverständigen auf die Sachkunde in demjenigen medizinischen Fachgebiet abzustellen, in das die Behandlung fällt, was von Amts wegen zu beachten ist (vgl. BGH Urt. v. 18.11.2008 - VI ZR 198/07 m.w.N.; juris). Der Kläger ist durch einen Allgemeinmediziner behandelt worden, die Abklärung unklarer neurologischer Symptome und die ggf. erforderliche Überweisung an einen Facharzt zählt typischerweise zum Aufgabengebiet eines Hausarztes, was auch der Sachverständige Prof. B...... in seiner Anhörung nochmals bestätigt hat. Daher kann die Frage, welchem Standard dabei zu entsprechen war, durch einen neurologischen Sachverständigen nicht hinreichend sicher beurteilt werden, auch wenn dieser angibt, den Facharztstandard eines Allgemeinmediziners zugrunde gelegt zu haben und es um primäre neurologische Schäden dieser Behandlung geht.
bb)
Im Ergebnis der ergänzenden sachverständigen Beurteilung verbleibt es aber dabei, dass der Beklagte zu 1 grob fehlerhaft die weitere Abklärung der auffälligen Laborbefunde vom 13./18.11.2008 unterließ, wie der hausärztliche Sachverständige Prof. Dr. B...... überzeugend ausgeführt hat, der sich damit in Einklang mit dem erstinstanzlich beauftragten neurologischen Sachverständigen Prof. C....../OA Dr. K...... befindet.
(1)
Entgegen der Ansicht der Berufung ist dem Beklagten zu 1 im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Behandlung kein Diagnoseirrtum, sondern vielmehr ein Befunderhebungsfehler anzulasten.
Ein Diagnoseirrtum liegt vor, wenn der Arzt erhobene oder sonst vorliegende Befunde falsch interpretiert und deshalb nicht die aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs gebotenen therapeutischen oder diagnostischen Maßnahmen ergreift (vergleiche BGH, Urteil vom 26. 0 1. 2016, Az. VI ZR 146/14 – juris – mwN., Senat, Urteil vom 14.9.2021, 4 U 1771/20 – juris). Ein Diagnoseirrtum setzt aber voraus, dass der Arzt die medizinisch notwendigen Befunde überhaupt erhoben hat, um sich eine ausreichende Basis für die Einordnung der Krankheitssymptome zu verschaffen. Hat dagegen die unrichtige diagnostische Einstufung einer Erkrankung ihren Grund bereits darin, dass der Arzt die nach dem medizinischen Standard gebotenen Untersuchungen erst gar nicht veranlasst hat, ist er mithin aufgrund unzureichender Untersuchungen vorschnell zu einer Diagnose gelangt, ohne diese durch die medizinisch gebotenen Befunderhebungen abzuklären, dann ist dem Arzt ein Befunderhebungsfehler vorzuwerfen. Denn bei einer solchen Sachlage geht es im Kern nicht um die Fehlinterpretation von Befunden, sondern um deren Nichterhebung (vgl. BGH, a.a.O.; Senat, a.a.O.).
Nach diesen Grundsätzen ist von einem Befunderhebungsfehler des Beklagten zu 1 auszugehen. Der Sachverständige Prof. Dr. B...... hat ausgeführt, dass sich im Blutbild vom 13.11.2008 eine leichtgradige makrozytäre (= megaloblastäre) Anämie gezeigt habe, zu der auch die Erhöhung des mittleren Hämoglobin und die erniedrigte Leukozytenzahl gepasst hätten. Der Beklagte zu 1 habe ausweislich seiner handschriftlichen Notizen auch erkannt, dass eine mäßiggradige Anämie vorgelegen habe, auch wenn er diese für eine „perniziöse Anämie“ als „nicht typisch“ angesehen habe – freilich ohne diese Vermutung näher zu begründen. Entscheidend sei jedoch, dass die anhand des Laborberichts festgestellte Anämie bei dem Kläger nicht bekannt gewesen sei und der Patient Beschwerden unklarer Genese gehabt habe, so dass die Ursache dafür auch bei einer nur leichtgradigen Ausprägung durch den Hausarzt zwingend hätte abgeklärt werden müssen, unbeschadet einer etwaigen Kenntnis des Beklagten zu 1 von der veganen Lebensweise des Klägers. In diesem Zusammenhang sei es in jedem Fall geboten gewesen, u.a. den Vitamin B12-Status zu bestimmen, da dies zeitnah und ohne weiteren Aufwand hätte erfolgen können. Zudem stehe bei einer makrozytären Anämie in den Lehrbüchern an erster Stelle die Abklärung eines Vitamin B12-, Folsäure- und Eisen-Mangels, die hier auch gerade deshalb veranlasst gewesen sei, weil der Kläger insoweit auch typische Beschwerden geschildert habe. Die ebenfalls dem Laborbericht zu entnehmende leichte Erhöhung der Borrelien IgG-Antikörper erkläre nicht das Vorliegen einer makrozytären Anämie und sei darüber hinaus vom Beklagten zu 1 als Diagnose nicht weiterverfolgt worden. Selbst bei einem Übersehen der Anämie und Fehldeutung der darauf hindeutenden Symptome, sei zumindest eine Verlaufskontrolle des Blutbildes zu erwarten gewesen, die der Beklagte zu 1 ebenfalls nicht veranlasst habe.
Da die vom Sachverständigen geforderte weitere Abklärung der im Blutbild erkennbaren Auffälligkeiten nicht erfolgt ist, liegt der Schwerpunkt des vorwerfbaren Handelns in einem Befunderhebungsfehler.
(2)
Ausgehend von den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B...... ist auch die Würdigung des Landgerichts gerechtfertigt, das dieses Unterlassen als grob behandlungsfehlerhaft bewertet hat.
Ein grober Behandlungsfehler setzt voraus, dass der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstößt und dies aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. BGH Urt. v. 13.01.1998 - VI ZR 242/96, VersR 1998, 457; vgl. zum groben Behandlungsfehler: BGH Urt. v. 11.06.1996 - VI ZR 172/95; VersR 1996, 1148; BGH Urt. v. 03.07.2001 - VI ZR 418/99, NJW 2001, 2795). Gestützt auf die ergänzenden Ausführungen des Sachverständigen ist die unterlassene Befunderhebung ab dem 13./14.11.2008, spätestens aber bei der erneuten Vorstellung des Klägers am 20.11.2008 zur Überzeugung des Senats als ein solcher grober Befunderhebungsfehler in Form der Unterlassung elementar gebotener diagnostischer Maßnahmen anzusehen. Der Sachverständige hat insoweit eindrucksvoll und überzeugend ausgeführt, die Abklärung der Anämie gehöre zu den hausärztlichen Routinetätigkeiten, die Unterlassung der in dieser Konstellation nach den Fachempfehlungen gebotenen Abklärung dürfe nicht nur „einem Facharzt für Allgemeinmedizin schlechterdings nicht unterlaufen“, sondern „würde bereits dazu führen, dass man auch das Staatsexamen nicht bestehe“. Ob der Kläger den Beklagten zu 1 über seine vegane Ernährungsweise informiert habe, spiele für die Würdigung des Vorgehens als grob fehlerhaft keine Rolle. Es seien hier allein die Auffälligkeiten im Blutbild relevant gewesen, die dem Beklagten zu 1 als behandelndem Hausarzt ohnehin Anlass zu einer Abklärung der Ernährungsgewohnheiten des Klägers hätten geben müssen. Hiervon hätte sich der Hausarzt auch nicht dadurch abbringen lassen dürfen, dass der Kläger auch über seine psychischen Probleme oder über seine aus einer Internetrecherche resultierenden Vermutung einer Borrelioseerkrankung gesprochen habe, da diese Krankheitsbilder das Ergebnis des vom Beklagten zu 1) selbst veranlassten Laborbefundes keinesfalls hätten erklären können. Es handele sich vielmehr um die typische Behandlungssituation eines Hausarztes, der von einem Patienten mit mehreren, teilweise verwirrenden Beschwerden aufgesucht werde, gleichwohl hier aber den „roten Faden“ in der Hand zu behalten habe, wobei im konkreten Fall gerade die Anämie als einfach abzuklärender Befund im Fokus hätte stehen müssen. In der Gesamtbewertung lassen damit auch für den Senat die überlagernden Krankheitsschilderungen und -beschwerden des Klägers den Vorwurf eines grob behandlungsfehlerhaften Vorgehens seitens des Beklagten zu 1) nicht entfallen.
(3)
Angesichts dessen bedarf es keiner Entscheidung, ob - unabhängig von der Annahme eines groben Behandlungsfehlers - bereits ab dem 13./14.11.2008 hinsichtlich der Folgen des bereits zu diesem Zeitpunkt vorliegenden einfachen Befunderhebungsfehlers zugunsten des Klägers von einer Beweislastumkehr auszugehen ist.
cc)
Nach der vom Senat ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme ist weiter zugunsten des Klägers davon auszugehen, dass zumindest ein Teil der noch bestehenden Beschwerden auf die von den Beklagten zu vertretende unterlassene Bestimmung des Vitamin-B12 Spiegels mit der Folge einer um rund 3,5 Monate verspätet begonnenen Vitamin B12-Substitution zurückzuführen sind. Da die Unterlassung der Befunderhebung selbst schon als grober Behandlungsfehler zu werten ist, kommt es bezüglich der kausalen (Primär-)Folgen eines solchen Befunderhebungsfehlers zu einer Beweislastumkehr.
(1)
Die Beklagten haben im Ergebnis der sachverständigen Begutachtung den ihnen danach obliegenden Beweis nicht geführt, dass bei einer rechtzeitigen, d.h. Mitte November einsetzenden Vitamin B12 Substitution keine Residualsymptomatik verblieben und es zu einer vollständigen Remission der mit der funikulären Myelose einhergehenden Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers gekommen wäre. Zwar wäre dem Sachverständigen zufolge selbst bei einer zeitnahen Abklärung durch den Beklagten zu 1 und einem früheren Therapiebeginn mittels Substitution mit Vitamin B12 vier Monate vor dem tatsächlichen Einsetzen der Therapie der Ausbruch der funikulären Myelose nicht zu verhindern gewesen. Für den Verlauf dieser Erkrankung seien die Dauer und die Schwere der Symptomatik vor Beginn der Behandlung entscheidend. Durch die bereits bei Erstvorstellung des Klägers in der hausärztlichen Praxis der Beklagten vorliegende neurologische Symptomatik und die makrozytäre Anämie sei belegt, dass sich bereits Jahre vor den ersten Beschwerden ein relevanter Vitamin-B12 Mangel aufgebaut und das Krankheitsbild einer funikulären Myelose bei Auftreten der ersten Beschwerden im Oktober 2008 schon vorgelegen habe. Der Sachverständige hat es allerdings als überwiegend wahrscheinlich (>50 %) angesehen, dass Krankheitsschwere und -verlauf durch Diagnosestellung bereits im November 2008 und eine frühere Substitution günstig beeinflusst worden wären. Auch hätte man die damit einhergehenden Beschwerden deutlich reduzieren können, denn je eher die Substitution mit Vitamin B12 eingesetzt hätte, desto weniger Beschwerden wären wahrscheinlich aufgetreten. Die Frage, ob dauerhafte Beschwerden durch ein Vorziehen der Substitution um maximal 4 Monate hätten verhindert werden können, hat er mit dem Verweis auf eine fehlende Studienlage offengelassen. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass zugunsten der Beklagten der Kausalitätsgegenbeweis eingreift. Die somit verbleibenden Zweifel gehen vielmehr zu ihren Lasten.
(2)
Im Rahmen des hier vorliegenden Grundurteils ist eine Entscheidung darüber, welche der vom Kläger behaupteten Gesundheitsschäden als schmerzensgeldrelevant zu berücksichtigen sind und an der Beweislastumkehr teilnehmen, nicht geboten. Hierzu wird das Landgericht im Höhenverfahren ggf. weiteren Beweis zu erheben haben.
dd)
Ohne Erfolg macht die Berufung demgegenüber geltend, eine Beweislastumkehr sei vorliegend aus Rechtsgründen ausgeschlossen, weil der Kläger der Aufforderung des Beklagten zu 1 nicht gefolgt sei, sich zur Abklärung seiner Gangbeschwerden zeitnah bei einem Neurologen vorzustellen. Nach der zum vor Inkrafttreten des Patientrechtsreformgesetzes ergangenen Rechtsprechung ist eine Verlagerung der Beweislast auf die Behandlerseite nur dann ausnahmsweise ausgeschlossen, wenn ein haftungsbegründender Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist, sich nicht das Risiko verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Fehler grob erscheinen lässt oder der Patient durch sein Verhalten eine selbständige Komponente für den Heilungserfolg vereitelt hat und dadurch in gleicher Weise wie der grobe Behandlungsfehler des Arztes dazu beigetragen hat, dass der Behandlungsverlauf nicht mehr aufgeklärt werden kann, was allerdings voraussetzte, dass der Patient über die Folgen einer mangelnden Mitwirkung ordnungsgemäß aufgeklärt worden war (BGH, Urteil vom 19.06.2012 - VI ZR 77/11 - juris Rn. 6; Urteil vom. 06.10.2009 - VI ZR 24/09 - juris Rn. 1; Urteil vom. 08.01.2008 - VI ZR 118/06 - juris Rn. 11; Urteil vom 16.11.2004 - VI ZR 328/03 -, Rn. 12, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 21. März 2024 – 8 U 166/20 –, Rn. 30, juris). Da in § 630c BGB eine Beweislastumkehr bewusst nicht aufgenommen wurde, wird zum Teil die Frage aufgeworfen, ob eine fehlende Compliance auch nach neuem Recht den Ursachenzusammenhang gänzlich ausschließen kann (vgl. etwa Lafontaine/K. Schmidt in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 630h BGB (Stand: 7.11.2022), Rn. 226; Schneider, JuS 2013, 104, 107; Olzen/Kaya, JA 20, 661, 670; Rehborn, GesR 2013, 257, 271; kritisch Schärtl, NJW 2014, 3601, 3604. .offengelassen von. Senat, Beschluss vom 19. März 2021 – 4 W 72/21 –, Rn. 9 - 11, juris). Diese Frage bedarf jedoch auch vorliegend keiner Entscheidung, weil auch die Voraussetzungen, die nach der älteren Rechtsprechung zum Ausschluss der Beweislastumkehr führen, nicht vorliegen.
(1)
Zugunsten der Beklagten ist allerdings davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1 den Kläger im Behandlungstermin am 06.11.2008 zur Abklärung der Gangstörung an einen Neurologen überwiesen hat.
Das Landgericht hat nach Anhörung der Parteien im Termin am 10.1.2018 seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass der Beklagte zu 1 dem Kläger den Rat gegeben habe, sich in neurologische (Mit-)behandlung zu begeben; dies allerdings - unter anderem gestützt auf die sachverständige neurologische Begutachtung - wegen fehlender Erläuterung der Notwendigkeit und Dringlichkeit der Vorstellung als nicht entscheidungserheblich angesehen. Ausweislich des Verhandlungsprotokolls hat der Beklagte zu 1 geschildert, dass die Vorstellung bei einem Neurologen im Behandlungstermin am 06.11.2008 Gesprächsgegenstand gewesen sei und hierzu auf seine Dokumentation verwiesen. Hintergrund sei gewesen, dass initial bei dem Kläger eine für den Beklagten unklare Gangstörung bzw. Beschwerdesymptomatik vorhanden gewesen sei, die sich in diesem Termin als nicht wesentlich gebessert gezeigt habe, so dass er dem Kläger zu einer Vorstellung bei einem Neurologen geraten habe. Der von ihm im Blutbild später festgestellten leichten Blutarmut sei er dann auch nicht mehr weiter nachgegangen und habe wohl auch im weiteren Verlauf nicht mehr nachgefragt, ob der Kläger beim Neurologen gewesen sei. Die ursprünglich vorgesehene Verabreichung eines Medikaments gegen Borreliose habe er aber gestrichen, weil die Frage erst neurologisch abgeklärt werden sollte. Der Kläger hat dies zwar in Abrede gestellt und behauptet, der Beklagte zu 1 habe ihn bereits im ersten Termin (nur) an die Gefäßsprechstunde verwiesen, bei der er sich dann auch umgehend vorgestellt habe. Die Angaben des Beklagten zu 1 werden aber durch seine handschriftliche Patientenakte, in der entsprechende Eintragungen zu finden sind, indiziell belegt. Grundsätzlich kommt einer ordnungsgemäßen, zeitnah erstellten Dokumentation in Papierform, die keinen Anhalt für Veränderungen, Verfälschungen oder Widersprüchlichkeiten bietet, zugunsten der Behandlungsseite Indizwirkung zu, die im Rahmen der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO zu berücksichtigen ist (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2023 – VI ZR 108/21 –, BGHZ 239, 150-162). Die handschriftliche Dokumentation in der lediglich drei Blätter umfassenden, äußerst knappen und übersichtlichen Patientenakte ist in sich stimmig – wie auch durch den Sachverständigen Prof. Dr. B...... bestätigt wird. Sie passt ferner zu den Angaben des Beklagten zu 1 und lässt keine offensichtlichen Ergänzungen oder Änderungen erkennen. Der Kläger hat demgegenüber keine Umstände aufgezeigt, die deutliche Zweifel daran begründen, dass die Dokumentation der Wahrheit entspricht (vgl. BGH, a.a.O.). Da der Kläger Privatpatient war, belegt das Fehlen eines Überweisungsscheins auch nicht, dass keine Überweisung erfolgt ist, weil diese für die Abrechnung der fachärztlichen Leistung nicht erforderlich ist. Überdies findet sich auch zu unstreitig erfolgten Vorstellung in der Gefäßsprechstunde der Helios-Klinik kein derartiges Dokument in der Patientenakte. Angesichts dessen sind die vom Kläger behaupteten Unstimmigkeiten bspw. in zu Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen usw. enthaltenen Diagnoseschlüssel, sowie in Abrechnungsunterlagen nicht geeignet, die Indizwirkung in Zweifel zu ziehen.
(2)
Allerdings ändert dies nichts daran, dass der Beklagte zu 1) auch nach Einschätzung des Sachverständigen Prof. B...... in medizinischer Sicht bis zur tatsächlichen Übernahme der Behandlung durch einen nachbehandelnden Neurologen als Hausarzt die Verantwortung trug und unverzüglich weiter erforderliche Maßnahmen bei dem Patienten sicherzustellen hatte (vergleiche BGH, Urteil vom 26. Juni 2018 – VI ZR 285/17 –, juris). Zudem ist der Kläger seitens des Beklagten zu 1 unstreitig nicht über Dringlichkeit und die Folgen einer fehlenden Mitwirkung informiert worden, so dass auch nach der alten Rechtslage die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls nicht vorgelegen haben.
(c)
Dass der Kläger der Empfehlung des Beklagten zu 1, sich bei einem Neurologen vorzustellen, nicht nachgekommen ist, ist vielmehr nur als Mitverschulden im Sinne des § 254 BGB berücksichtigungsfähig (ebenso OLG München, Urteil vom 25. März 2021 – 1 U 1831/18 –, juris Rn 77ff) . Voraussetzung für die Annahme eines solchen Mitverschuldens des Patienten bei Nichtbefolgung ärztlicher Anweisungen oder Empfehlungen ist nach der Rechtsprechung allerdings mit Rücksicht auf den Wissens- und Informationsvorsprung des Arztes gegenüber dem medizinischen Laien dass der Patient diese Anweisungen oder Empfehlungen auch verstanden hat (BGH, Urteile vom Urteil vom 16. Juni 2009 – VI ZR 157/08 –, Rn. 14, juris, vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 133/95 und vom 24. Juni 1997 - VI ZR 94/96 juris). Hiervon ist der Senat jedoch im Anschluss an die mehrfache Anhörung des Klägers, der sich zwischenzeitlich umfassend auch in komplexe medizinische Wirkzusammenhänge eingearbeitet und die hierdurch erlangten Kenntnisse auch bei der Anhörung des Sachverständigen wiederholt hat einfließen lassen, auch bezogen auf dessen Verständnishorizont im Jahr 2008 überzeugt, zumal der Kläger selbst angegeben hat, die mit seiner veganen Ernährung einhergehenden Risiken seien ihm bereits 2008 bewusst gewesen. Vorliegend rechtfertigt dies nach Überzeugung des Senats die Anrechnung einer Mitverschuldensquote zu seinen Lasten in Höhe von 30 %. Durch die fehlende Bereitschaft, der Empfehlung des Beklagten zu 1 zu folgen und seine Gangbeschwerden zeitnah durch eine neurologische Untersuchung abzuklären, hat er einen eigenständigen Verursachungsbeitrag an der verzögerten Behandlungsaufnahme gesetzt. Bei einer zeitnahen Vorstellung des Klägers bei einem Neurologen hätte sich dem Sachverständigen Prof. Dr. B...... zufolge zwar der Ausbruch der Krankheit selbst nicht vermeiden lassen, da der Mangel bereits zu lange bestanden habe. Der Sachverständige hat aber einen Kausalzusammenhang bestätigt, da bei einer frühzeitigeren Vorstellung des Klägers bei einem Neurologen es nicht zu der erheblichen Zustandsverschlechterung Ende Februar 2009 gekommen wäre und sich die Heilungschancen zudem dann deutlich verbessert hätten. Ein Neurologe hätte die für die Krankheit typischen Symptome erkannt, die daher gebotenen Untersuchungen vorgenommen und eine umgehende Substitution mit Vitamin B12 veranlasst, die dann zu einer raschen Besserung der Beschwerdesymptomatik geführt hätte, wie es dann auch im Februar 2009 geschehen sei. Zudem hat nach den Feststellungen des Sachverständigen der Vitamin-B12 Mangelzustand schon über einen sehr langen Zeitraum bestanden. Entscheidend kommt daher hinzu, dass der Kläger, der seinen eigenen Angaben entsprechend über die Risiken seiner veganen Ernährung und insbesondere der Gefahr eines Vitamin B12 Mangels informiert gewesen ist, der er - allerdings nur unzureichend - durch die gelegentliche Einnahme von Bierhefe begegnete, selbst in einem nicht unerheblichen Umfang für den Ausbruch der Krankheit mitverantwortlich ist. Er hat diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt, da er sich erst bei einem Hausarzt vorstellte, als die Krankheit infolge einer Mangelversorgung schon vorbestehend war und der Empfehlung zur neurologischen Kontrolle erst gefolgt ist, als sich die Beschwerdesymptomatik ganz erheblich verschlechterte.
Zu Lasten des Beklagten zu 1 ist zu berücksichtigen, dass er den Kläger weder darauf hingewiesen hat, dass die neurologische Untersuchung dringlich ist, noch nachgefragt hat, ob der Kläger seiner Empfehlung gefolgt ist, oder auf die Folgen einer unterlassenen Abklärung bzw. bleibende mögliche Schäden hingewiesen hat. Der Sachverständige hat in diesem Zusammenhang eingeschätzt, dass ein Hausarzt, der wie hier im Ergebnis die Passivität des Patienten akzeptiert, auch eine Mitverantwortung dafür trägt, dass etwaige Folgen nicht abgeklärt werden, zumal er durch die fehlende Überweisung auch die Möglichkeit zur Informationsübermittlung an den Facharzt nicht genutzt hat.
Bei der Abwägung der beiderseitigen Verschuldensanteile überwiegt daher in einem erheblichen Umfang das Fehlverhalten des Beklagten zu 1, der als Hausarzt letztlich über überlegendes Wissen verfügte, den Kläger auf die Notwendigkeit einer neurologischen Kontrolle nicht deutlich genug hinwies und allgemein seinen Sorgfaltspflichten bei der Behandlung des Klägers nicht nachgekommen ist. Für den demgegenüber deutlich geringeren Verursachungsbeitrag des Klägers sieht der Senat eine Quote von 30 % als angemessen an.
4.
Das Landgericht hat auch dem Feststellungsantrag im Ergebnis zu Recht stattgegeben, wobei auch insoweit entsprechend den obigen Ausführungen ein Abschlag wegen Mitverschuldens des Klägers gerechtfertigt ist.
Der immaterielle Vorbehalt ist zu Recht ausgesprochen worden. Es genügt, dass heute noch nicht vorhersehbare weitere Schäden an der Gesundheit denkbar sind.
Der Feststellungsantrag bezüglich materieller Schäden ist ebenfalls begründet. Dass dem Kläger mit einiger Wahrscheinlichkeit für die Zukunft materielle Schäden entstehen und für die Vergangenheit entstanden sein können, ist nicht zweifelhaft. Inwieweit die bislang geltend konkret gemachten materiellen Schäden begründet sind, ist im Betragsverfahren, das noch vor dem Landgericht anhängig ist, zu entscheiden.
5.
Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zur Fortsetzung der Beweisaufnahme ist mangels Entscheidungserheblichkeit der vom Kläger als klärungsbedürftig angesehenen Frage im Rahmen der schriftlichen Antwort des Sachverständigen vom 21.04.2024 nicht geboten.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Festsetzung des Streitwertes folgt § 3 ZPO.