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Anmerkung zu:BGH 2. Zivilsenat, Urteil vom 14.10.2025 - II ZR 78/24
Autor:Dr. Richard Backhaus, LL.M. (Edinburgh), RA und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht
Erscheinungsdatum:16.12.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 108 AktG, § 829 ZPO, § 835 ZPO, § 111 AktG, § 116 AktG, § 93 AktG, § 90 AktG, § 52 GmbHG
Fundstelle:jurisPR-HaGesR 11/2025 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Jörn-Christian Schulze, RA und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht
Zitiervorschlag:Backhaus, jurisPR-HaGesR 11/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Quartalsweise Regelberichterstattung unverzichtbarer Mindeststandard für sämtliche Aktiengesellschaften



Leitsätze

1. Die Pflicht des Vorstands, dem Aufsichtsrat gemäß § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 Nr. 3 AktG mindestens vierteljährlich über die Lage der Gesellschaft zu berichten, entfällt nicht dadurch, dass die Aktiengesellschaft keinen Geschäften nachgeht.
2. Die Berichts- und Informationspflichten treffen den Vorstand als dessen Bringschuld. Der Aufsichtsrat muss bei einer unzureichenden Berichterstattung durch geeignete Maßnahmen darauf hinwirken, dass er die Informationen erhält, die er für eine sinnvolle Überwachung der Geschäftsführung benötigt.



A.
Problemstellung
Der BGH stellt klar, dass die vierteljährliche Regelberichterstattung über den Gang der Geschäfte, insbesondere den Umsatz, und die Lage der Gesellschaft (§ 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 AktG) ein unverzichtbarer Mindeststandard ist, der auch dann nicht entfällt, wenn die AG keinen Geschäften nachgeht. Dabei hat er Gelegenheit, sich zu zahlreichen Detailfragen des Informationssystems gemäß § 90 AktG zu äußern.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Beklagte war seit 2011 Gründer und bis 2016 Aufsichtsratsvorsitzender einer AG. Die AG war offenbar eine problematische Gründung. Bereits 2011 und 2012 legten die anderen Mitglieder des dreiköpfigen Aufsichtsrats ihre Mandate nieder. Die AG ging 2013 und 2014 keinen Geschäften nach. Die Überwachung des Vorstands durch den Beklagten beschränkte sich seit 2012 darauf, diesen regelmäßig bzw. öfter bei zufälligen Treffen auf der Straße oder beim örtlichen Bäcker zu fragen, ob alles in Ordnung sei, was jener bejahte.
Satzungsmäßiger Unternehmensgegenstand der AG war der Handel und die Vermittlung mit Versicherungen. Dennoch betrieb sie ab 2015 satzungswidrig Immobiliengeschäfte. Der Kläger hat aus diesen Immobiliengeschäften titulierte Schadensersatzansprüche gegen die AG erwirkt, konnte diese aber nur partiell gegen die AG durchsetzen. Er pfändete daher im Rahmen der Zwangsvollstreckung angebliche Schadensersatzansprüche der AG gegen den Beklagten wegen schuldhafter Pflichtverletzung seiner Sorgfaltspflichten gemäß den §§ 116, 93 AktG und ließ sich diese zur Einziehung überweisen (§§ 829, 835 ZPO). Diese verfolgt er im vorliegenden Verfahren. Landgericht und Kammergericht wiesen die Klage ab, die Revision des Klägers hatte indes Erfolg.
Der BGH bejaht eine Sorgfaltspflichtverletzung des Beklagten gemäß den §§ 116 Satz 1, 93 AktG. Dieser habe gegen seine Überwachungspflicht gemäß § 111 Abs. 1 AktG verstoßen. Der Aufsichtsrat habe u.a. darüber zu wachen, dass der Vorstand den Unternehmensgegenstand nicht überschreitet oder sonst rechtswidrig handle (BGH, Urt. v. 20.09.2010 - II ZR 78/09 - BGHZ 187, 60 Rn. 21 „Doberlug“; Veil in: BeckOGK, Stand: 01.10.2023, § 111 AktG Rn. 17). Hier habe er bereits seine Pflicht verletzt, indem er nicht auf die Erfüllung der quartalsweise Regelberichterstattung über den Gang der Geschäfte, insbesondere den Umsatz, und die Lage der Gesellschaft (§ 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 AktG) durch den Vorstand hingewirkt habe.
Der Bericht über den Gang der Geschäfte, insbesondere den Umsatz, und die Lage der Gesellschaft (§ 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 AktG) umfasse die gesamte Tätigkeit der Gesellschaft (Grigoleit/Tomasic in: Grigoleit, AktG, 3. Aufl. 2025, § 90 Rn. 19; Koch, AktG, 19. Aufl. 2025, § 90 Rn. 6). Dabei müsse der Vorstand auch auf die Markt- und Auftragslage sowie außergewöhnliche Risiken und Besonderheiten des Geschäftsverlaufes eingehen (KG, Urt. v. 29.04.2021 - 2 U 108/18 Rn. 55 - NZG 2021, 1358; Fleischer in: BeckOGK, Stand: 01.10.2025, § 90 AktG Rn. 28). Welche Informationen konkret erforderlich sind, um dem Aufsichtsrat die Gesamtsituation des Unternehmens vor Augen zu führen, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Berichtspflichten treffen den Vorstand als Bringschuld.
Allerdings müsse der Aufsichtsrat bei einer unzureichenden Berichterstattung darauf hinwirken, dass er die Informationen erhält, die er für eine sinnvolle Überwachung der Geschäftsführung benötigt (Koch, AktG, § 90 Rn. 21). Erscheinen die erteilten Berichte unklar, unvollständig oder unrichtig, habe der Aufsichtsrat nachzufragen und ggf. eigene Nachforschungen anzustellen (KG, Urt. v. 29.04.2021 - 2 U 108/18 Rn. 55 - NZG 2021, 1358; Habersack in: MünchKomm AktG, 6. Aufl. 2023, § 111 Rn. 55; Kruchen in: Backhaus/Tielmann, Der Aufsichtsrat, 2. Aufl. 2023, § 111 Rn. 227). Diese Verpflichtung treffe nicht nur das Gesamtorgan, sondern jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied. Die durch Niederlegung der anderen Aufsichtsratsmitglieder eingetretene Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats (§ 108 Abs. 2 Satz 3 AktG) lasse diese Verpflichtung nicht entfallen, im Gegenteil, in einem beschlussunfähigen Aufsichtsrat treffen das verbliebene Mitglied erhöhte Aufmerksamkeitspflichten. Die Berichtspflicht müsse auch durch ein einziges verbliebenes Aufsichtsratsmitglied durchgesetzt werden (RG, Urt. v. 02.11.1934 - II 186/34 - RGZ 146, 145, 152; KG, Urt. v. 29.04.2021 - 2 U 108/18 Rn. 75 - NZG 2021, 1358; Habersack in: MünchKomm AktG, § 108 Rn. 47).
Der Bericht nach § 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 AktG müsse regelmäßig, mindestens vierteljährlich erstattet werden, was schon nach dem eindeutigen Wortlaut nur ein Minimum darstelle und zwingendes Recht sei. Daher entfalle die Verpflichtung des Vorstands auch nicht dadurch, dass die AG keinen Geschäften nachgehe. Eine Beschränkung auf aktive AG finde im Gesetz keine Stütze und stünde im Widerspruch zum Sinn und Zweck der Überwachungspflicht gemäß § 111 Abs. 1 AktG und den Mindestanforderungen aus § 90 AktG. Bei einer AG ohne Geschäftstätigkeit müsse sich der Aufsichtsrat zumindest berichten lassen, ob die Geschäftstätigkeit weiterhin eingestellt sei, wieder aufgenommen werde oder es dahin gehende konkrete Pläne gebe.
Die pauschale Auskunft bei zufälligen Begegnungen reiche bereits deshalb nicht, weil dem Vorstand nicht klargemacht werde, dass der Bericht den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft entsprechen müsse und haftungsrelevant sein könne.
Abschließend verweist der Senat auf die Beweislastverteilung gemäß den §§ 116, 93 Abs. 2 Satz 2 AktG: Das Aufsichtsratsmitglied müsse darlegen und beweisen, dass es seine Pflichten nicht verletzt habe oder es kein Verschulden treffe (BGH, Urt. v. 16.03.2009 - II ZR 280/07 Rn. 42 „Doberlug“; BGH, Urt. v. 14.05.2013 - II ZR 76/12 Rn. 15 - ZIP 2013, 1642). Das umfasse das Vorhandensein eines Informationssystems und dessen sachgerechte Ausgestaltung (BGH, Urt. v. 01.12.2008 - II ZR 102/07 Rn. 20 - BGHZ 179, 71 „MPS“).


C.
Kontext der Entscheidung
§ 90 AktG ist die zentrale Informationsnorm des Aufsichtsrats in der AG. In ihr liegt ein natürliches Spannungsfeld, weil das Überwachungsobjekt Vorstand primäre Informationsquelle des Überwachers Aufsichtsrat ist (Backhaus in: Backhaus/Tielmann, Der Aufsichtsrat, 2. Aufl. 2023, § 90 Rn. 1). Rechtsprechung zu § 90 AktG existiert trotzdem kaum. Denn eine in der gerichtlichen Durchsetzung von Rechten und Pflichten liegende Eskalation zwischen Aufsichtsrat und Vorstand wird in praxi tunlichst vermieden. Zudem ist er als Intraorganstreit mit zahlreichen Unsicherheiten verbunden (dazu Backhaus in: Backhaus/Tielmann, Der Aufsichtsrat, § 90 Rn. 84 ff.; Koch, AktG, § 90 Rn. 17). Insofern ist die Entscheidung ein bemerkenswerter Solitär, der auf der Geltendmachung der Innenhaftung durch einen Gläubiger der Gesellschaft nach Pfändung und Überweisung (§§ 829, 835 ZPO) beruht.
Die Entscheidung ist im Ergebnis nicht überraschend und bewegt sich auf den von der einschlägigen Literatur erschlossenen Pfaden. Der Vorstand hat satzungswidrige Geschäfte vorgenommen. Die Einhaltung der Satzung und des geltenden Rechts ist Kernverpflichtung des Vorstands und Kerngegenstand der Überwachung durch den Aufsichtsrat gemäß § 111 Abs. 1 AktG (vgl. zusätzlich noch Hopt/Roth in: Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 111 Rn. 291; Kruchen in: Backhaus/Tielmann, Der Aufsichtsrat, § 111 Rn. 246). Das beklagte Aufsichtsratsmitglied hat sich darauf beschränkt, den Vorstand bei zufälligen Begegnungen zu fragen, ob alles in Ordnung sei.
Überzeugend nimmt der Senat an, dass die Berichtspflicht nach § 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 AktG nicht entfällt, wenn die AG nicht mehr operativ tätig ist. Über das Wortlaut- und Zweckargument des Senats hinaus lässt sich noch ergänzen, dass auch bei Einstellung des operativen Geschäftsbetriebs nicht sämtliche Verpflichtungen der AG erlöschen. Verpflichtungen wie z.B. Buchführung und Rechnungslegung sind weiterhin vom Vorstand zu erfüllen und vom Aufsichtsrat zu überwachen.
Die Entscheidung macht deutlich, dass das Informationssystem des § 90 AktG das Fundament für die Überwachung des Vorstands bildet. Ohne die Information durch den Vorstand ist eine (effiziente, vorbeugende) Überwachung gar nicht möglich (Backhaus in: Backhaus/Tielmann, Der Aufsichtsrat, § 90 Rn. 84 ff.; Koch, AktG, § 90 Rn. 1). Sie ist zwar, wie der Senat feststellt, zunächst Bringschuld des Vorstands, wie sich auch aus der gesetzlichen Stellung im Abschnitt über den Vorstand ergibt. Sie führt aber zu einer sekundären Holschuld des Aufsichtsrats, sofern er diese für eine sinnvolle Überwachung der Geschäftsführung benötigt (zusätzlich noch Backhaus in: Backhaus/Tielmann, Der Aufsichtsrat, § 90 Rn. 1, 21; Koch, AktG, § 90 Rn. 1a).
Wenn wie hier der vom Gesetz als Mindeststandard quartalsweise Bericht über den Gang der Geschäfte, insbesondere den Umsatz, und die Lage der Gesellschaft (§ 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3 AktG) nicht erfolgt und nicht energisch durch den Aufsichtsrat nachverfolgt wird, steht der Aufsichtsrat schlussendlich einem fast unverteidigbaren Haftungsanspruch gegenüber. Mangels Mindestinformation konnte schon keine Überwachung stattfinden, die Überwachung konnte dann auch das satzungs- oder gesetzwidrige Handeln des Vorstands nicht verhindern. §§ 116, 93 AktG bürden dem Aufsichtsratsmitglied auf, darzulegen und zu beweisen, dass es keine Pflicht verletzt hat oder es kein Verschulden trifft (statt vieler Koch, AktG, § 93 Rn. 105 f. m.w.N.). Damit und mit dem dann noch verbleibenden Rettungsanker des rechtmäßigen Alternativverhaltens wird das so in Anspruch genommene Aufsichtsratsmitglied kaum jemals Erfolg haben können. Hier tritt nämlich erschwerend hinzu, dass Informationspflicht und Überwachungspflicht in Wechselwirkung zueinanderstehen (Backhaus in: Backhaus/Tielmann, Der Aufsichtsrat, § 90 Rn. 1, 21): Je mäßiger die Information, desto größer die Überwachungspflicht.
Ähnliches gilt für die Dysfunktionalität des Überwachungsgremiums nach Amtsniederlegung der anderen Gremienmitglieder. Der Senat betont zu Recht erhöhte Aufmerksamkeitspflichten der verbliebenen Mitglieder (so auch Habersack in: MünchKomm AktG, § 111 Rn. 48; Hopt/Roth in: Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 108 Rn. 113).
Aber auch ohne diese Verstärkung besteht eine originäre, durch § 90 Abs. 2 Satz 3 AktG gesetzlich abgesicherte Pflicht zur Selbstinformation (dazu Theusinger/Dolff in: Backhaus/Tielmann, Der Aufsichtsrat, § 116 Rn. 151 ff.; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 7. Aufl. 2020, Rn. 890). In deren Rahmen ist auch der Verweis auf ein sachgerechtes Informationssystem zutreffend; der Verweis des Senats auf die „MPS“-Entscheidung passt nur sinngemäß, weil diese das Informationssystem bei konzerninternen Darlehen bzw. einem Cashpool zwischen Konzerngesellschaften betraf und nicht die Information zwischen Organen desselben Rechtsträgers (BGH, Urt. v. 01.12.2008 - II ZR 102/07 Rn. 14, 20 - BGHZ 179, 71 „MPS“).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Praxisauswirkungen sind überschaubar. Die Entscheidung bietet aber gutes Anschauungsmaterial, um die Bedeutung der Informationsbeschaffung für den Aufsichtsrat und seine Haftung zu unterstreichen. Die Informationsobliegenheit des Aufsichtsrats ist seine Achillesferse im Streit um seine Überwachungsverantwortung (so Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT, 2014, S. 68 f.; vgl. Koch, AktG, § 116 Rn. 15: Hauptstreitpunkt). Fehlt bereits die Mindestinformation, so fehlt ihm das Fundament für seine Überwachung, und er wird Haftungsansprüchen gemäß den §§ 116, 93 AktG wegen der Verletzung seiner Überwachungspflicht schwerlich entgehen können. Das gilt entsprechend in anderen Rechtsformen, wobei der Aufsichtsrat der GmbH mangels Verweises auf § 90 Abs. 1, 2 AktG in § 52 Abs. 1 GmbHG bzw. § 25 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG keine so strenge Mindestberichtspflicht sicherzustellen hat. Sie ist zudem ein mahnendes Beispiel, die eigenen Organpflichten in nicht mehr operativen Gesellschaften weiterhin ernst zu nehmen und nicht schleifen zu lassen.



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