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Anmerkung zu:BGH 9. Zivilsenat, Beschluss vom 11.09.2025 - IX ZB 45/23
Autor:Dr. Daniel Brzoza, RiAG
Erscheinungsdatum:19.12.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 4 InsO, § 130a ZPO, § 234 ZPO, § 130d ZPO
Fundstelle:jurisPR-InsR 11/2025 Anm. 1
Herausgeber:Ministerialrat Alexander Bornemann
Dr. Daniel Wozniak, RA, FA für Insolvenz- und Sanierungsrecht, FA für Handels- und Gesellschaftsrecht und FA für Steuerrecht
Zitiervorschlag:Brzoza, jurisPR-InsR 11/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde unterliegt im Insolvenzverfahren der Pflicht zur Nutzung elektronischer Kommunikationswege



Leitsatz

Die von der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbeschwerde gegen einen Beschluss des Amtsgerichts als Insolvenzgericht eingelegte sofortige Beschwerde ist seit dem 01.01.2022 als elektronisches Dokument zu übermitteln.



A.
Problemstellung
Die Digitalisierung der Verfahrensabläufe in Gerichtsverfahren ist aktuell ein Dauerthema. Einzelne Abschnitte sind bereits digitalisiert; bei anderen Verfahrensabschnitten steht die Digitalisierung noch bevor. Diese Epoche des Umbruchs im Rahmen der fortschreitenden Digitalisierung kann für Verfahrensbeteiligte erhebliche Herausforderungen mit sich bringen. Insbesondere mit der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs können Kommunikationswege, die seit Jahrzehnten etabliert waren, teilweise nicht mehr genutzt werden. Seit Anfang 2022 haben u.a. sog. professionelle Verfahrensbeteiligte eine Pflicht zur Nutzung der elektronischen Übermittlung. Dies setzt eine Modernisierung bzw. Anpassung der zuvor bestehenden Arbeitsabläufe voraus. Bei einer Vielzahl der professionellen Verfahrensbeteiligten ist in ihren Arbeitsabläufen ein solcher Umstieg auf den elektronischen Rechtsverkehr bereits erfolgt. Höchstrichterlich ergehen derzeit noch Entscheidungen, wer zu der Gruppe der sog. professionellen Verfahrensbeteiligten gehört. Mit der vorliegenden Entscheidung wird dies für die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde erneut bejaht.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Im Oktober 2017 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Schuldnerin eröffnet.
Im Dezember 2022 erging ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss der Staatsanwaltschaft. Gegen diesen legte der Insolvenzverwalter Erinnerung beim Insolvenzgericht ein, woraufhin dieses im Juli 2023 den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufhob.
Gegen diese Aufhebungsentscheidung legte die Staatsanwaltschaft mit Schriftsatz vom 01.08.2023, welchen sie vorab durch Telefax und sodann mit der Post übermittelte, sofortige Beschwerde ein. Auf dieses Rechtsmittel hob das Beschwerdegericht im Oktober 2023 wiederum den Beschluss des Insolvenzgerichts auf.
Gegen diese Aufhebungsentscheidung des Beschwerdegerichts wandte sich der Insolvenzverwalter mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
Der BGH hat mit der vorliegenden Entscheidung im September 2025 die Entscheidung des Beschwerdegerichts aufgehoben und die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft als unzulässig zurückgewiesen.


C.
Kontext der Entscheidung
Für das Insolvenzverfahren gelten gemäß § 4 Satz 1 InsO die Vorschriften der ZPO entsprechend, soweit die InsO nichts anderes bestimmt. Diese Verweisung umfasst auch § 130d Satz 1 ZPO (vgl. BGH, Beschl. v. 24.11.2022 - IX ZB 11/22 Rn. 8 - NJW 2023, 525). Nach dieser Vorschrift haben Behörden u.a. ihre schriftlich einzureichenden Anträge und Erklärungen, die bei Gericht eingereicht werden sollen, als elektronisches Dokument zu übermitteln (sog. Nutzungspflicht). Diese Vorschrift umfasst grundsätzlich alle schriftlichen Anträge und Erklärungen nach der ZPO in allen Rechtszügen (BT-Drs. 17/12634, S. 28). Nichts anderes gilt, wenn sich das Beschwerdeverfahren aufgrund einer Verweisung auf die Vorschriften der ZPO richtet; auch hier ist die elektronische Übermittlung erforderlich (vgl. BGH, Beschl. v. 31.05.2023 - XII ZB 124/22 Rn. 9 - NJW-RR 2023, 1163 m.w.N.).
Konsequenz der Nichteinhaltung der nach § 130d Satz 1 ZPO vorgeschriebenen Übermittlungsform ist die Unwirksamkeit der beabsichtigten Anträge oder Erklärungen (vgl. u.a. BT-Drs. 17/12634, S. 27; BGH, Beschl. v. 24.11.2022 - IX ZB 11/22 Rn. 7 - NJW 2023, 525, mit umfangreichen weiteren Nachweisen). Die Frage der Einhaltung der erforderlichen Form ist hierbei ein Zulässigkeitsaspekt, der von Amts wegen zu beachten ist (vgl. BT-Drs. 17/12634, S. 27; Stadler in: Musielak/Voit, ZPO, 22. Aufl. 2025, § 130d Rn. 4). Eine Heilung der unwirksamen Prozesshandlung ist zwar möglich, so dass die zuvor unwirksame Prozesshandlung mit der Heilung wirksam wird; erfolgt diese allerdings erst nach Fristablauf, so ist die erfolgte Behebung des Mangels nicht mehr fristwahrend (vgl. BGH, Urt. v. 11.10.2024 - V ZR 261/23 Rn. 27 m.w.N.).
Werden diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall übertragen, so hat das von der Staatsanwaltschaft vorab per Telefax und sodann per Post übermittelte Rechtsmittel die Form des § 130d ZPO nicht gewahrt. Eine elektronische Übermittlung hätte über einen der in § 130a Abs. 4 Satz 1 ZPO beschriebenen Kommunikationswege erfolgen müssen (vgl. u.a. auch Stadler in: Musielak/Voit, ZPO, § 130d Rn. 1). Gründe für die Notwendigkeit einer Ersatzeinreichung nach § 130d Sätze 2 und 3 ZPO sind nicht geltend gemacht worden und auch nicht ersichtlich. Auch wurde durch die Staatsanwaltschaft die versäumte Prozesshandlung nicht in der gebotenen Form nachgeholt. Da bereits das Amtsgericht in seinem Nichtabhilfebeschluss die Nichteinhaltung des § 130d ZPO erörtert hatte, scheidet eine Wiedereinsetzung schon im Hinblick auf die versäumte Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 3 ZPO aus.
Die Staatsanwaltschaft ist auch Adressat der Nutzungspflicht dieser Vorschrift. Sie ist als Vollstreckungsbehörde eine Behörde i.S.v. § 130d ZPO (vgl. u.a. BGH, Beschl. v. 01.06.2023 - I ZB 80/22 Rn. 18 - NJW 2023, 2643 m.w.N.).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Pflicht zur Nutzung der elektronischen Übermittlungswege für sog. professionelle Verfahrensbeteiligte nach § 130d ZPO dürfte fast vier Jahre nach ihrer Einführung nunmehr allen bekannt sein. Dies zeigt sich auch in den insolvenzrechtlichen Quellen, die in diesem Zeitraum entstanden sind und in denen klargestellt wurde, dass hiervon u.a. Finanzämter (AG Hamburg, Beschl. v. 21.02.2022 - 67h IN 29/22 Rn. 5 - NZI 2022, 382), Sozialversicherungsträger (Beth, ZInsO 2021, 2652, 2654; Frind, ZInsO 2022, 579) und auch – zumindest sofern Rechtsmittel eingelegt werden – Rechtsanwälte (BGH, Beschl. v. 27.03.2025 - V ZB 27/24 Rn. 14 - NJW 2025, 1660, mit umfangreichen weiteren Nachweisen) umfasst sind. Die vorliegende Entscheidung hat die Nutzungspflicht nunmehr noch einmal auch für die Staatsanwaltschaft, wenn sie als Vollstreckungsbehörde Beteiligte in einem Insolvenzverfahren wird, höchstrichterlich verdeutlicht.



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