juris PraxisReporte

Anmerkung zu:LG Lübeck 14. Zivilkammer, Urteil vom 15.02.2024 - 14 S 31/23
Autor:Dr. Beate Flatow, Vizepräsidentin AG a.D.
Erscheinungsdatum:23.05.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 558 BGB, § 4 WoFlV, § 558a BGB
Fundstelle:jurisPR-MietR 10/2024 Anm. 1
Herausgeber:Norbert Eisenschmid, RA
Zitiervorschlag:Flatow, jurisPR-MietR 10/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Stichtag für Feststellung der ortsüblichen Miete im Zustimmungsprozess



Orientierungssatz zur Anmerkung

Maßgebender Stichtag für die Ermittlung der ortsüblichen Miete ist im Zustimmungsprozess der Zugang des Erhöhungsverlangens. Ein danach erschienener neuer Mietspiegel, dessen Datenerhebung aber diesen Stichtag abbildet, ist im Prozess heranzuziehen.



A.
Problemstellung
In Prozessen um die Zustimmung zur Mieterhöhung auf die Vergleichsmiete (§ 558 BGB) ist die ortsübliche Miete durch das Gericht festzustellen. Dabei stellt sich in Gemeinden mit einem Mietspiegel schon aus Kostengründen die Frage, ob der Rechtsstreit allein anhand der Einordnung der Wohnung in diesen Mietspiegel entschieden werden kann oder ob es (auch) eines Sachverständigengutachtens bedarf. Zu beachten ist bei der Anwendung von Mietspiegeln jeweils der Stichtag der Datenerhebung. Einen Fall, in dem es exemplarisch um diese Fragen ging, hatte das LG Lübeck zu entscheiden.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin hatte an die Beklagten eine Wohnung vermietet und verlangte mit Schreiben vom 20.07.2021 die Zustimmung zur Mieterhöhung auf die Vergleichsmiete. Das Erhöhungsverlangen verwies auf den Mietspiegel 2018, obwohl bereits der Mietspiegel 2021 existierte. Dessen Stichtag für die Datenerhebung lag ebenfalls schon vor dem Mieterhöhungsverlangen. Unklar ist, ob der neue Mietspiegel im Zeitpunkt des Erhöhungsverlangens schon gedruckt ausgegeben worden war. Das Begründungsverlangen nannte außerdem eine zu kleine Wohnfläche. Gleichwohl gewann die Klägerin in erster Instanz. Das Amtsgericht stellte die Miete anhand eines eingeholten Sachverständigengutachtens sowie anhand des Mietspiegels 2021 fest und verurteilte die Beklagten zur Zustimmung. Einen Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen lehnte das Amtsgericht ab.
Die Berufung gegen das Urteil wies das LG Lübeck kostenpflichtig zurück.
Das Mieterhöhungsverlangen sei formell wirksam. Ein Mieterhöhungsverlangen sei nicht formell unwirksam, wenn eine zu kleine Wohnfläche angegeben werde (Verweis auf Börstinghaus in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 16. Aufl., § 558a BGB Rn. 29-31a). Die ortsübliche Miete sei auch inhaltlich richtig ermittelt worden. Zwar sei bei Ermittlung der Wohnfläche der Balkon nach § 4 WoFlV nur mit 25% der Fläche zugrunde zu legen. Die sich daraus ergebende (höhere) Quadratmetermiete, die die Klägerin im Ergebnis verlange, liege aber immer noch unter der ortsüblichen Miete.
Zu Recht habe das Amtsgericht dazu auf den zwischenzeitlich veröffentlichten Mietspiegel 2021 abgestellt. Im gerichtlichen Zustimmungsverfahren gehe es nicht darum, zu klären, ob der Vermieter gemessen an seiner Begründung des Mieterhöhungsverlangens einen Anspruch auf Zustimmung hatte. Vielmehr sei im Prozess die ortsübliche Vergleichsmiete möglichst taggenau festzustellen. Maßgebender Zeitpunkt sei der Tag, an dem das Mieterhöhungsverlangen zugegangen sei. Zu diesem Zeitpunkt habe der Mietspiegel 2021 schon gegolten, auch wenn er möglicherweise noch nicht veröffentlicht gewesen sei. Nach dessen Daten liege die verlangte Miete noch unter der ortsüblichen. Das Urteil befasst sich nachfolgend mit einzelnen Wohnwertmerkmalen und der genauen Einordnung der Wohnung in den Mietspiegel.
Die Frage, ob der Sachverständige befangen gewesen sei, lässt das Landgericht dahinstehen, weil sich die ortsübliche Miete allein anhand des Mietspiegels ermitteln lasse, so dass die Einholung des Gutachtens ohnehin entbehrlich gewesen sei.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung arbeitet gleich mehrere Punkte ab, die Anlass für Beanstandungen werden können.
1. Formelle Wirksamkeit
Für die formelle Wirksamkeit eines Erhöhungsverlangens ist nach h.M. ein Fehler unerheblich, wenn er sich zugunsten des Mieters auswirkt (AG Pinneberg, Beschl.. v. 24.09.2003 - 66 C 355/02 - ZMR 2004, 122; Börstinghaus in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 16. Aufl. 2024, § 558a BGB Rn. 31). Geringere Fehler in der Wohnfläche sind auch deswegen unerheblich, weil sich die Zustimmung des Mieters auf den Endbetrag, nicht auf die Quadratmetermiete bezieht (LG Karlsruhe, Urt. v. 13.09.2013 - 9 S 572/11; Börstinghaus in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 16. Aufl. 2024, § 558a BGB Rn. 31; offengelassen für eine zu hoch angegebene Fläche von BGH, Urt. v. 07.07.2004 - VIII ZR 192/03 - WuM 2004, 485 = NZM 2004, 699). In jedem Fall kommt es für die Begründetheit des Verlangens auf die wahre Wohnfläche an (BGH, Urt. v. 18.11.2015 - VIII ZR 266/14 - NJW 2016, 239; Börstinghaus in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 16. Aufl. 2024, § 558 BGB Rn. 59; Fleindl in: BeckOGK BGB, Stand 01.04.2024, § 558 Rn. 31.1.; Derleder, WuM 2010, 202). Sie hat das Landgericht hier auch ermittelt.
Die Entscheidung geht nicht auf die Problematik ein, dass das Erhöhungsverlangen sich auf den Mietspiegel 2018 stützte, obwohl der neue Mietspiegel 2021 schon „galt“. Hier könnte § 558a Abs. 4 Satz 2 BGB eine Rolle spielen. Danach kann in der Begründung ein veralteter Mietspiegel verwandt werden, wenn noch kein aktueller Mietspiegel vorhanden ist.
Der Entscheidung ist aber zuzustimmen. Die Norm erlaubt keinen Gegenschluss. Begründet der Vermieter mit einem veralteten Mietspiegel, obwohl ein aktuellerer vorliegt, führt auch das nicht zur Unwirksamkeit des Verlangens, sondern stellt nur einen inhaltlichen Fehler dar (BGH, Urt. v. 06.07.2011 - VIII ZR 337/10 - WuM 2011, 517 = NZM 2011, 743; Schultz in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 5. Aufl. 2019, Kap. III Rn. 1245). Das gilt jedenfalls dann, wenn der neue Mietspiegel erst kurz zuvor veröffentlicht worden ist (BGH, Urt. v. 06.07.2011 - VIII ZR 337/10 - WuM 2011, 517 = NZM 2011, 743; Börstinghaus in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 16. Aufl. 2024, § 558a BGB Rn. 37). In dem hier betroffen Fall konnte die Überschneidung allenfalls zwei Monate betragen haben. Es blieb im Rechtsstreit sogar offen, ob der neue Mietspiegel schon gedruckt war.
2. Materielle Richtigkeit
Wie das LG Lübeck stellt auch der BGH auf den Zugang des Mieterhöhungsverlangens als maßgebenden Zeitpunkt für die Ermittlung der Vergleichsmiete ab (BGH, Urt. v. 28.04.2021 - VIII ZR 22/20 Rn. 29 - WuM 2021, 442, 445; BGH, Urt. v. 29.02.2012 - VIII ZR 346/10 Rn. 30 - WuM 2012, 281, 283; Emmerich in: Staudinger, BGB, 2021, § 558 Rn. 29). Dem entspricht es, wenn im Prozess der aktuelle Mietspiegel zu verwenden ist, der den Stichtag „Zugang des Erhöhungsverlangens“ abbildet (Börstinghaus in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 16. Aufl. 2024, §§ 558c, 558d BGB Rn. 63; LG Berlin, Urt. v. 14.02.2018 - 64 S 74/17 - WuM 2018, 209; LG Aachen, Urt. v. 22.12.2016 - 2 S 30/16 - Grundeigentum 2017, 177; a.A. noch KG, Urt. v. 12.11.2009 - 8 U 106/09 - WuM 2009, 748). Dass auch der BGH nicht den veralteten Mietspiegelwert festschreiben will, ergibt sich schon daraus, dass er sogar Stichtagszuschläge zulässt (BGH, Urt. v. 15.03.2017 - VIII ZR 295/15 - NZM 2017, 321).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Bedeutung für die Praxis ist insoweit gering, als dass die Entscheidung sich vollständig im Rahmen der herrschenden Meinung und der Rechtsprechung des BGH hält. Sowohl Mieter- als auch Vermieteranwälte könnten die Entscheidung allerdings heranziehen, um das Gericht von der Einholung eines teuren Gutachtens abzuhalten, wenn der Mietspiegel alle Fragen beantwortet. Insbesondere sollte kein Gutachten eingeholt werden, wenn der Gutachter nur die Wohnwertmerkmale ermitteln soll, die der Richter in einem Ortstermin auch selbst feststellen könnte.



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