juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BAG 5. Senat, Urteil vom 13.12.2023 - 5 AZR 168/23
Autor:Dr. Jochen Sievers, Vors. RiLArbG
Erscheinungsdatum:08.05.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 9 TzBfG, § 612 BGB, § 4 TzBfG
Fundstelle:jurisPR-ArbR 18/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D.
Zitiervorschlag:Sievers, jurisPR-ArbR 18/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Anpassung der Vergütung bei Aufstockung von Teilzeit auf Vollzeit



Orientierungssätze

1. § 9 TzBfG enthält bei der Verlängerung der Arbeitszeit keine Regelungen zum Schicksal der Gegenleistung. Bei der Verlängerung der Arbeitszeit überlässt das Gesetz die Folgen für die Gegenleistung der Vereinbarung der Vertragsparteien.
2. Können sich die Arbeitsvertragsparteien bei der Aufstockung der Arbeitszeit auf Vollzeit über die dafür geschuldete Vergütung nicht einigen, wird der auf die bisherige Teilzeitarbeit zugeschnittene Arbeitsvertrag insoweit lückenhaft. Es bedarf der Anpassung der Vergütung für den erhöhten zeitlichen der Arbeitsleistung im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung. Entsprechend der im Arbeitsleben herrschenden Anschauung und durchweg geübten Praxis, hätten redliche Vertragspartner bei der Aufstockung von Teilzeit auf Vollzeit zumindest eine quotal dem Umfang der Erhöhung der Arbeitszeit entsprechende Vergütung vereinbart.



A.
Problemstellung
Die Entscheidung befasst sich mit der Frage, wie die Vergütung anzupassen ist, wenn die Arbeitszeit des Arbeitnehmers nach § 9 TzBfG von Teilzeit auf Vollzeit aufgestockt worden ist.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin ist als Diplom-Physikingenieurin in der Strahlentherapie bei dem beklagten Krankenhaus beschäftigt. Zu Beginn des Arbeitsverhältnisses war sie mit der Hälfte der regulären Arbeitszeit teilzeitbeschäftigt. Ihre Vergütung richtete sich nach dem BAT-KF. Zusätzlich erhielt sie seit Beginn des Arbeitsverhältnisses eine monatliche Zahlung i.H.v. 250 Euro brutto, die in den Gehaltsabrechnungen als „Leistungszulage“ ausgewiesen wurde. Die Klägerin hatte bei ihrem vorherigen Arbeitgeber ebenfalls zu 50% in Teilzeit gearbeitet. Allerdings war ihre Vergütung höher als der für das neue Arbeitsverhältnis maßgebliche Tariflohn. Die Parteien verständigten sich formlos auf die Zahlung der Zulage. Ohne einen entsprechenden Ausgleich wäre die Klägerin nicht bereit gewesen, ein Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zu begründen.
Seit dem 01.05.2022 wird die Klägerin auf ihren Antrag nach § 9 TzBfG vollzeitbeschäftigt. Die Beklagte zahlte die Zulage in der bisherigen Höhe weiter. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Zulage sei im Einklang mit der Aufstockung der Arbeitszeit ebenfalls zu verdoppeln.
Das BAG hat angenommen, der Klägerin stehe ab dem 01.05.2022 die Zulage i.H.v. 500 Euro zu.
Der Fünfte Senat nimmt zur Begründung des Ergebnisses zunächst eine Auslegung (keine ergänzende Auslegung) der Abrede der Parteien über die Zulage vor. Er führt aus, dass es sich um einen Entgeltbestandteil handle, der im synallagmatischen Verhältnis von Leistung und Gegenleistung stehe.
In einem zweiten Schritt wendet sich der Fünfte Senat der Frage zu, ob die Zulage als Vergütungsbestandteil ebenso zu verdoppeln ist wie das sich aus dem anwendbaren Tarifvertrag ergebende Entgelt. Wie bereits ausgeführt, bejaht er die Frage.
Zur Begründung hat der Fünfte Senat zunächst darauf verwiesen, dass sich das gefundene Ergebnis nicht aus § 9 TzBfG ergebe, weil § 9 TzBfG keine Regelung zum Schicksal der Gegenleistung bei der Verlängerung der Arbeitszeit enthalte. Diese Aussage ist nicht unumstritten, wird jedoch in der Literatur überwiegend vertreten. Das BAG hat ausgeführt, zur Klärung des Vergütungsanspruchs des Arbeitnehmers sei eine ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen. Der auf die bisherige Teilzeitarbeit zugeschnittene Arbeitsvertrag werde lückenhaft, wenn sich die Arbeitsvertragsparteien bei der Aufstockung von Teilzeit auf Vollzeit über die dafür geschuldete Vergütung nicht einigen könnten. Zur Schließung der Lücke könne nicht auf den in § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG bestimmten Pro-rata-temporis-Grundsatz zurückgegriffen werden, weil der aus der Vorschrift ergebende Anspruch nur für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer gelte. Auch § 612 BGB sei nicht anwendbar. Die Lücke könne schließlich nicht durch dispositives Recht geschlossen werden, weil das Schicksal der Vergütung bei Aufstockung von Teilzeit auf Vollzeit nicht gesetzlich geregelt sei.
Die ergänzende Auslegung des Arbeitsvertrages führt zu dem Ergebnis, dass sich die Zulage in dem Umfang erhöht hat, in dem die Arbeitszeit verlängert worden ist. Konkret wurde die Verdoppelung der Arbeitszeit durch eine Verdoppelung der Zulage nachvollzogen.


C.
Kontext der Entscheidung
Der Fall ist durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass sich das Ergebnis einerseits geradezu aufdrängt und kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass der Fünfte Senat zu dem richtigen Ergebnis gekommen ist, aber andererseits drei unterschiedliche Wege (§ 9 TzBfG, § 612 BGB, ergänzende Vertragsauslegung) aufgezeigt worden sind, um zu diesem Ergebnis zu kommen. Der vom BAG eingeschlagene Weg der ergänzenden Vertragsauslegung ermöglicht es sicherlich, zu sachgerechten Ergebnissen zu kommen. Allerdings enthält die Begründung zwei Punkte, bei denen eine weitere Klärung wünschenswert wäre.
Dies betrifft zunächst die Ausführungen des Fünften Senats zu dem Pro-rata-temporis-Grundsatz. Sein Hinweis, dass § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG nicht anwendbar sei, weil die Klägerin nunmehr in Vollzeit arbeite, ist selbstverständlich zutreffend. Er berücksichtigt allerdings nicht, dass die in § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG getroffene Regelung nach der ständigen Rechtsprechung des BAG auf dem allgemeinen Prinzip beruht, dass die Höhe des Entgelts quantitativ vom Umfang der Beschäftigung abhängt (vgl. nur BAG, Urt. v. 23.03.2021 - 3 AZR 24/20 Rn. 11). Zudem muss der Fall nur leicht abgewandelt werden, um in den Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG zu kommen: Dies wäre der Fall, wenn vergleichbare Vollzeitbeschäftigte eine Zulage i.H.v. 500 Euro erhalten würden und die Klägerin ihre Arbeitszeit auf 80 oder 90% der Vollzeitarbeit erhöht hätte. Dann ergäbe sich aus § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG, dass die Zulage entsprechend zu erhöhen wäre. Das Ergebnis kann bei einer Erhöhung der Arbeitszeit auf Vollzeit kaum anders ausfallen.
Weiterer Klärungsbedarf besteht in Bezug auf den Hinweis des Fünften Senats (Rn. 20) zum Vorrang der vertraglichen Festlegung der neuen Vergütungshöhe. Unproblematisch ist eine derartige Vereinbarung, wenn der Arbeitnehmer überproportional begünstigt wird. Dagegen bestehen Bedenken, ob eine relative Verringerung der Arbeitsvergütung zulässig ist. Es erscheint zumindest zweifelhaft, ob im Streitfall eine Vereinbarung zulässig gewesen wäre, dass die Zulage nur i.H.v. 250 Euro weitergezahlt wird.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die überzeugend begründete Entscheidung stellt rechtlich klar, was regelmäßig als gerecht angesehen und entsprechend praktiziert wird: Bei einer Aufstockung der Arbeitszeit erhöht sich die Vergütung entsprechend. Auf diese „im Arbeitsleben herrschende Anschauung und durchweg geübte Praxis“ hat der Fünfte Senat ausdrücklich verwiesen (Rn. 21). Damit besteht für die Praxis eine klare Orientierung. Schwierigkeiten in diesem Bereich kann es allenfalls noch im Einzelfall bei der Anpassung von Naturalleistungen (Dienstwagen oder Lastenfahrrad; zur privaten Nutzung freigegebenes Handy) geben.



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