juris PraxisReporte

Anmerkung zu:LArbG Hannover 11. Kammer, Urteil vom 09.01.2024 - 11 Sa 476/23
Autoren:Dr. Alexander Bissels, RA und FA für Arbeitsrecht,
Dr. Saskia Pitzer, RA'in und FA'in für Arbeitsrecht
Erscheinungsdatum:22.05.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 14 BetrVG, § 15 KSchG, § 280 BGB, § 823 BGB, § 249 BGB, § 15 AGG, § 7 AGG, § 22 AGG, § 445 ZPO, § 138 ZPO, § 14 TzBfG, § 78 BetrVG, EGRL 14/2002
Fundstelle:jurisPR-ArbR 20/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D.
Zitiervorschlag:Bissels/Pitzer, jurisPR-ArbR 20/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Kein grundsätzlicher Anspruch eines (befristet beschäftigten) Betriebsratsmitglieds auf den Abschluss eines (unbefristeten) Folgearbeitsvertrages



Leitsätze

1. Nach der Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 05.12.2012 - 7 AZR 698/11) ist § 14 Abs. 2 TzBfG in der Anwendung auf amtierende Betriebsratsmitglieder nicht teleologisch zu reduzieren. An dieser Rechtsprechung wird festgehalten.
2. Einzelfallentscheidung zur Darlegungslast nach § 78 Satz 2 BetrVG.



A.
Problemstellung
Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Betriebsratsmitgliedern über individualrechtliche Ansprüche, insbesondere in Zusammenhang mit Vergütungsfragen, sind ein Dauerbrenner in der Beratungspraxis und beschäftigen regelmäßig auch die Arbeitsgerichte.
Eine zentrale Regelung ist dabei die Schutzbestimmung des § 78 Satz 2 BetrVG. Danach dürfen Mitglieder des Betriebsrats wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden. Allerdings stellen sich Fragen einer unzulässigen Begünstigung oder Benachteiligung (§ 78 Satz 2 BetrVG) nicht nur im Zusammenhang mit der (monatlichen) Bruttovergütung von Betriebsratsmitgliedern, etwaigen hypothetischen Karrieren oder der Zurverfügungstellung eines Dienstwagens zur Privatnutzung.
Auch im Befristungsrecht können die in § 78 Satz 2 BetrVG normierten Schutzbestimmungen relevant werden. So hatte das LArbG Hannover darüber zu befinden, ob aufgrund der gesetzlichen Wertung in § 78 Satz 2 BetrVG eine teleologische Reduktion des § 14 Abs. 2 TzBfG, der die Möglichkeit einer sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen zulässt, erfolgen müsse. Dieselbe Frage stellte sich in dem zu entscheidenden Sachverhalt ebenfalls aus europarechtlicher Sicht, nämlich mit Blick auf das in Art. 7 der Richtlinie 2002/14/EG (nachfolgend kurz: „RiLi“) festgeschriebenen Gebot, den Schutz der Arbeitnehmervertreter sicherzustellen.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger war bei der beklagten Arbeitgeberin auf Grundlage eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrages (§ 14 Abs. 2 TzBfG) beschäftigt. Vor Ablauf der Befristung wurde er in den erstmals bei der Beklagten gebildeten Betriebsrat gewählt.
Gerichtlich begehrte der Kläger nunmehr die Feststellung der Unwirksamkeit der Befristung seines Arbeitsvertrags, hilfsweise die Verurteilung der Beklagten zur Abgabe eines auf Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrags gerichteten Angebots zu im Antrag näher bezeichneten Arbeitsbedingungen.
Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, dass die fehlende Entfristung in seiner Betriebsratstätigkeit begründet sei. Als Indiz für diese Behauptung führte er an, dass sein Arbeitsverhältnis nicht fortgeführt worden sei, obwohl es bei der Beklagten üblich sei, befristete Verträge zu entfristen. Lediglich Betriebsratsmitglieder, die – wie er – auf der Gewerkschaftsliste stünden, hätten ein solches Angebot nicht erhalten. Zudem vertrat der Kläger die Auffassung, die Anwendung des § 14 Abs. 2 TzBfG auf Betriebsratsmitglieder verstoße gegen Europarecht. Da der Schutz von befristet beschäftigten Betriebsratsmitgliedern lückenhaft sei, müsse § 14 Abs. 2 TzBfG so ausgelegt werden, dass er auf Betriebsratsmitglieder keine Anwendung finde.
Von dieser Argumentation konnte er erstinstanzlich das ArbG Hannover (Urt. v. 07.06.2023 - 11 Ca 69/23) jedoch nicht überzeugen und unterlag mit seinen Anträgen vollumfänglich. Das LArbG Hannover hat die vom Kläger sodann eingelegte Berufung zurückgewiesen.
§ 14 Abs. 2 TzBfG bedürfe keiner teleologischen Reduktion; die Vorschrift finde vielmehr uneingeschränkt auf Betriebsratsmitglieder Anwendung. § 78 Satz 2 BetrVG verbiete nämlich nicht nur die Benachteiligung, sondern ebenso die Begünstigung von Betriebsratsmitgliedern. Um eine solche würde es sich aber handeln, wenn die Wahl eines befristet eingestellten Arbeitnehmers in den Betriebsrat wegen der Unanwendbarkeit von § 14 Abs. 2 BetrVG – quasi automatisch – zu einer dauerhaften Entfristung des Arbeitsverhältnisses führe.
Art. 7 RiLi gebiete ebenfalls keine teleologische Reduktion des § 14 Abs. 2 BetrVG. Zum einen stehe den Mitgliedstaaten in Bezug auf die zu treffenden Schutzmaßnahmen und zu bietenden Sicherheiten ein weites Ermessen zu. Zum anderen gölten die im nationalen Recht vorgesehenen Schutzmechanismen, z.B. der Entgelt- und der besondere Kündigungsschutz, uneingeschränkt für befristet beschäftigte Betriebsratsmitglieder. Zudem sei der nachwirkende Kündigungsschutz (§ 15 KSchG) im unbefristeten Arbeitsverhältnis eines Betriebsratsmitglieds auf ein Jahr beschränkt, zumal der EuGH bereits erklärt habe, dass Art. 7 RiLi die Gewährleistung eines besonderen Kündigungsschutzes nicht erfordere.
Der Kläger habe aus § 78 Satz 2 BetrVG i.V.m. den §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 2, 249 Abs. 1 BGB auch keinen Anspruch auf Abschluss eines (unbefristeten) Folgevertrags. Zwar sei höchstrichterlich anerkannt, dass einem befristet beschäftigten Betriebsratsmitglied ein solcher zustehen könne, wenn die Entfristung wegen der Betriebsratstätigkeit versagt werde (vgl. BAG, Urt. v. 25.06.2014 - 7 AZR 847/12). Die anspruchsbegründenden Voraussetzungen habe der Kläger allerdings – auch unter Berücksichtigung der abgestuften Darlegungs- und Beweislast – nicht hinreichend dargelegt. Da es sich bei der Entscheidung über die (Nicht-)Verlängerung des Arbeitsverhältnisses um eine innere Tatsache aufseiten des Arbeitgebers handle, sei es zwar ausreichend, dass der Kläger – wie geschehen – zunächst die Behauptung aufstelle, ihm sei gerade wegen seiner Betriebsratstätigkeit der Abschluss eines Folgevertrages verwehrt worden. Ein Erfahrungssatz, nach dem die Entscheidung des Arbeitgebers, mit einem befristet beschäftigten Betriebsratsmitglied keinen Folgevertrag zu schließen, auf dessen Betriebsratstätigkeit beruhe, existiere allerdings nicht. Zu der Behauptung des Betriebsratsmitglieds müsse der Arbeitgeber sich im Anschluss wahrheitsgemäß erklären. Zur Beweisführung könne das Betriebsratsmitglied Hilfstatsachen vortragen, die ihrerseits den Schluss auf die zu beweisende Haupttatsache rechtfertigten. Zwar habe der Kläger vorgetragen, die Beklagte entfriste zunächst befristet eingegangenen Arbeitsverhältnisse regelmäßig und habe hierauf nur bei ihr bekannten gewerkschaftsangehörigen Betriebsratsmitgliedern verzichtet. Allerdings sei der Tatbestand der objektiven Benachteiligung wegen der Zugehörigkeit zu einer gewerkschaftlichen Liste nicht schlüssig dargestellt und nicht ausreichend substanziiert worden. Angesichts des Umstandes, dass es sich bei der Liste „Ver.di“ um die Mehrheitsgruppe im Betriebsrat gehandelt habe und zugleich – was unstreitig war – in der jüngsten Vergangenheit diverse Betriebsratsmitglieder einen unbefristeten Folgevertrag erhalten hätten, hätte es deutlich konkreterer Darstellungen seitens des Klägers bedurft, um einen tragenden Anhaltspunkt für eine Benachteiligung darzulegen. So hätte er insbesondere diejenigen gewerkschaftlich organisierten Betriebsratsmitglieder namentlich benennen müssen, die tatsächlichen von einem Arbeitsplatzverlust betroffen gewesen seien. Der Vortrag des Klägers genüge daher den Anforderungen an die Darlegung einer Benachteiligung nicht.


C.
Kontext der Entscheidung
Streitigkeiten in Zusammenhang mit der Auslegung und Anwendung von § 78 Satz 2 BetrVG häufen sich in der jüngeren Vergangenheit – so die Erfahrung aus der Beratungspraxis. Während diese überwiegend Vergütungsfragen zum Gegenstand haben, zeigt die vorliegende Entscheidung, dass der (praktische) Anwendungsbereich des § 78 Satz 2 BetrVG nicht auf klassische Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsratsmitglied über das zu zahlende Entgelt beschränkt ist. Vielmehr erlangt diese Regelung auch im Befristungsrecht Bedeutung. Wird einem befristet beschäftigten Betriebsratsmitglied der Abschluss eines (unbefristeten) Folgevertrags wegen seiner Betriebsratstätigkeit verwehrt, liegt darin eine unzulässige Benachteiligung. Das betroffene Betriebsratsmitglied hat in diesem Fall aus § 78 Satz 2 BetrVG i.V.m. den §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 2, 249 Abs. 1 BGB einen Anspruch darauf (vgl. BAG, Urt. v. 25.06.2014 - 7 AZR 847/12). Diesem steht die Wertung des § 15 Abs. 6 AGG, nach dem ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG u.a. keinen Anspruch auf Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses begründet, nicht entgegen. Aufgrund des zugleich ebenfalls kollektiv gremienbezogene Normzwecks des § 78 Satz 2 BetrVG unterscheidet sich das darin geregelte Benachteiligungsverbot maßgeblich von den personenbezogen ausgestalteten Bestimmungen in § 7 Abs. 1 AGG i.V.m. § 1 AGG. Es besteht mithin eine unterschiedliche Interessenlage.
Grundsätzlich trägt das Betriebsratsmitglied, das den Arbeitgeber auf Abschluss eines Folgevertrags in Anspruch nimmt, die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer unzulässigen Benachteiligung nach § 78 Satz 2 BetrVG. Es existiert dabei kein Erfahrungssatz, nach dem die Entscheidung eines Arbeitgebers, mit einem befristet beschäftigten Betriebsratsmitglied keinen Folgevertrag zu schließen, auf dessen Betriebsratstätigkeit beruht. Aus diesem Grund ist weder Raum für eine entsprechende tatsächliche Vermutung noch für die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises oder der Beweislastregel des § 22 AGG (BAG, Urt. v. 25.06.2014 - 7 AZR 847/12). Da es sich bei der Frage, ob der Abschluss eines Folgevertrags vom Arbeitgeber wegen der Betriebsratstätigkeit abgelehnt wird, um eine in der Sphäre des Arbeitgebers liegende „innere Tatsache“ handelt, die einer unmittelbaren Wahrnehmung durch den Arbeitnehmer oder Dritte nicht zugänglich ist, darf der klagende Arbeitnehmer – trotz fehlender genauer Kenntnis – ohne Verstoß gegen seine zivilprozessuale Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) zunächst die Behauptung aufstellen, ihm sei gerade wegen seiner Betriebsratstätigkeit der Abschluss eines Folgevertrags verwehrt worden. Dazu muss sich der Arbeitgeber sodann einlassen. Ein Bestreiten mit Nichtwissen scheidet aus, denn dem Arbeitgeber sind seine eigenen Motive bekannt (§ 138 Abs. 4 ZPO). Für das Betriebsratsmitglied können sich allerdings mit Blick auf das Vorliegen einer „inneren Tatsache“ Beweisschwierigkeiten ergeben. Es bleibt als unmittelbarer Beweis nur ein Antrag nach § 445 Abs. 1 ZPO auf Vernehmung des Arbeitgebers als Partei. Das Betriebsratsmitglied kann zur Beweisführung jedoch Hilfstatsachen vortragen, die ihrerseits den Schluss auf die zu beweisende Haupttatsache rechtfertigen. So kann das Betriebsratsmitglied etwa darlegen, dass der Arbeitgeber allen anderen Arbeitnehmern Folgeverträge angeboten hat, oder es kann Äußerungen des Arbeitgebers im Zusammenhang mit der Betriebsratstätigkeit des Arbeitnehmers schildern, die darauf schließen lassen, dass der Arbeitgeber einen Folgevertrag gerade wegen der Betriebsratstätigkeit abgelehnt hat. Auch zu diesen Hilfstatsachen muss sich der Arbeitgeber nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen konkret erklären (BAG, Urt. v. 25.06.2014 - 7 AZR 847/12; vgl. zum Beweismaß bei der Durchsetzung von Vergütungsansprüchen auch: BAG, Urt. v. 20.01.2021 - 7 AZR 52/20).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung steht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BAG zu der Frage, ob sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse von Betriebsratsmitgliedern – wie solche mit anderen Arbeitnehmern – grundsätzlich mit Ablauf der vereinbarten Befristung enden. Die in diesem Zusammenhang relevanten Rechtsfragen, nämlich nach der Notwendigkeit einer teleologischen Reduktion des Anwendungsbereichs des § 14 Abs. 2 TzBfG nach Maßgabe des nationalen Rechts und/oder aus unionsrechtlichen Gründen sowie zu Darlegungs- und Beweisfragen, sind höchstrichterlich bereits geklärt (BAG, Urt. v. 25.06.2014 - 7 AZR 847/12; BAG, Urt. v. 05.12.2012 - 7 AZR 698/11; BAG, Urt. v. 20.01.2021 - 7 AZR 52/20). In diesem Zusammenhang ergeben sich aus dem Urteil des LArbG Hannover keine Besonderheiten oder neue Erkenntnisse.
Die Entscheidung verdeutlicht allerdings einmal mehr, wie wichtig eine sorgfältige Dokumentation im Anwendungsbereich des § 78 Satz 2 BetrVG in der Praxis sein kann. Bei befristet beschäftigten Betriebsratsmitgliedern gilt dies insbesondere im Hinblick auf die Gründe für eine Ablehnung der Entfristung. Diese sollte der Arbeitgeber sorgfältig erfassen, um im Streitfall nachweisen zu können, dass die Entfristung gerade nicht wegen der Betriebsratstätigkeit versagt wurde.
Gegen das Urteil des LArbG Hannover ist von dem Kläger inzwischen Revision eingelegt worden, die beim BAG unter dem Az. 7 AZR 50/24 geführt wird. Das LArbG Hannover hatte diese mit der Begründung zugelassen, dass die grundlegenden Entscheidungen des BAG zu den streitgegenständlichen Fragen bereits rund zehn Jahre zurücklägen.



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