juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 3. Zivilsenat, Beschluss vom 10.01.2024 - III ZR 57/23
Autor:Dr. Peter Itzel, Vors. RiOLG a.D.
Erscheinungsdatum:23.02.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 107 WpHG, § 108 WpHG, § 522 ZPO, § 4 FinDAG, § 839 BGB
Fundstelle:jurisPR-BGHZivilR 4/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Markus Würdinger, Universität Passau
Zitiervorschlag:Itzel, jurisPR-BGHZivilR 4/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Wirecard-Bilanzskandal: BaFin haftet Anlegern aus mehreren Gründen nicht, allenfalls nur stark eingeschränkt



Leitsätze

1. Zur Haftung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) im Zusammenhang mit dem sog. „Wirecard-Bilanzskandal“.
2. Ob aus der ex-ante-Sicht der BaFin „konkrete Anhaltspunkte“ i.S.d. § 107 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. (bis zum 31.12.2021 geltende Fassung) oder „Zweifel“ i.S.d. § 108 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 WpHG a.F. zu bejahen waren, ist allein anhand des Maßstabs der Vertretbarkeit unter Berücksichtigung der Belange einer effektiven Bilanzkontrolle zu beurteilen.
3. Die Maßnahmen der BaFin im Rahmen der Marktmissbrauchsüberwachung und der Bilanzkontrolle bezüglich der Wirecard AG in dem Zeitraum von April 2015 bis Juni 2020 waren vertretbar.



A.
Problemstellung
Staatliche Kontroll- und Aufsichtsbehörden wie vorliegend die BaFin nehmen regelmäßig öffentliche Aufgaben wahr, die der Allgemeinheit dienen, den Staat und die Gesellschaft mit allen privaten und öffentlichen Aktivitäten im Bestehen und in der Fortentwicklung sichern sollen. Daraus folgt schon, dass ein Ersatzanspruch, der den haftungsbegründenden Drittschutz der Amtspflicht voraussetzt, die gerade gegenüber dem Geschädigten, zu dessen Schutz bestehen muss, in diesen Fällen problematisch ist. Für den vorliegenden Fall hat der nationale Gesetzgeber in § 4 Abs. 4 FinDAG diesen Drittschutz für einzelne Anleger ausgeschlossen. Der BGH hat nun die klageabweisenden Urteile der Instanzgerichte mit einer weiteren Begründung in der Sache bestätigt. Jedoch sind noch weitere Verfahren in diesem Komplex anhängig (u.a. BGH III ZR 18/23).


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger nimmt die BaFin nach Insolvenz der Wirecard AG wegen der bei ihm eingetretenen massiven Aktienverluste auf Schadensersatz in Anspruch und begründet dies mit verschiedenen Pflichtverletzungen.
Nach Klageabweisung (LG) und Berufungszurückweisung nach § 522 Abs. 2 ZPO hat der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde erhoben.
Der BGH hat die Beschwerde zurückgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass die Maßnahmen der BaFin zur Marktüberwachung und Bilanzkontrolle nicht zu beanstanden, zumindest jedenfalls vertretbar gewesen seien. Im Rahmen der Bilanzkontrolle sieht das mehrfach geänderte WpHG eine zweistufige Kontrolle und Kompetenzverteilung vor. Zunächst prüft die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR), und nur in Ausnahmefällen muss die BaFin eigene Prüftätigkeit entfalten. Die BaFin hat für diese Fälle nach der gesetzlichen Festlegung („konkrete Anhaltspunkte“, „erhebliche Zweifel“) einen Beurteilungsspielraum, was nach der Rechtsprechung des Senats dazu führt, dass die Handlungen (wie bei staatsanwaltschaftlichem Vorgehen) nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit zu prüfen sind. Dabei ist die ex-ante-Sicht entscheidend. Und danach lagen Pflichtverletzungen der BaFin nicht vor, wobei der Senat sich eingehend und detailreich mit den unterschiedlich intensiven Hinweisen auf wirtschaftliche Schwierigkeiten und Probleme der Wirecard AG (u.a. in der Presse) in den verschiedenen Zeiträumen der Krise vor der Insolvenz und den eingeleiteten und durchgeführten Aktivitäten der BaFin auseinandersetzt.


C.
Kontext der Entscheidung
Die in diesen Fällen der fraglichen Haftung der BaFin bislang zentral in Rede stehende Frage nach dem Drittschutz deren Aufgabenwahrnehmung für den einzelnen Geschädigten mit der gesetzlichen Ausformung in § 4 Abs. 4 FinDAG – grundsätzlich kein Drittschutz – hat der BGH nicht weiter behandelt, da dies für seine Lösung nicht entscheidungserheblich war und er sich daher auch nicht mit der Vereinbarkeit dieser Norm mit europäischem Recht auseinandersetzen musste. Letztere Frage bleibt damit unbeantwortet.
Auffallend ist in dieser Entscheidung die dogmatische Stringenz: Liegt schon keine Pflichtverletzung (da vertretbares Handeln der BaFin) vor, muss nicht geprüft werden, ob diese Pflicht überhaupt drittschützend ist. Und auch spielte die naheliegende anderweitige Ersatzmöglichkeit (§ 839 Abs. 1 Satz 2 BGB) keine Rolle, da nach der durchgängigen Senatsrechtsprechung alle anderen Tatbestandsmerkmale jenseits der Subsidiarität vollständig zuvor zu prüfen sind.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Durch diese Entscheidung mit der intensiven Aufarbeitung der vertretbaren Handlungen der BaFin dürfte auch eine Vorentscheidung hinsichtlich der weiteren Verfahren des „Wirecard-Komplexes“ getroffen worden sein. Es steht nicht zu erwarten, dass der BGH in anderen Verfahren nun zu einer „Unvertretbarkeit“ und damit zu einer Haftung kommen wird. Die rechtliche Behandlung dieses Komplexes (Haftung der BaFin) dürfte damit sein Ende gefunden haben.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Beachtenswert sind auch die Ausführungen, dass die BaFin durch ihr Vorgehen nicht die Tätigkeiten der Strafverfolgungsbehörden gefährden darf, mithin diese Behörden über ihren Wissensstand zwar informieren muss, aber mit eigenen Handlungen und Ermittlungen insoweit eher zurückhaltend sein sollte, was sich auf Inhalt und Umfang der Amtspflichten der BaFin dann einschränkend auswirkt.



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