juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 2. Zivilsenat, Urteil vom 09.01.2024 - II ZR 65/23
Autor:Dr. Felix Bergmeister, LL.M. (Univ. of Chicago), Vors. RiLG
Erscheinungsdatum:03.05.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 214 BGB, § 24 GmbHG, § 21 GmbHG, § 273 BGB, § 286 BGB, § 19 GmbHG, § 206 BGB
Fundstelle:jurisPR-BGHZivilR 9/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Markus Würdinger, Universität Passau
Zitiervorschlag:Bergmeister, jurisPR-BGHZivilR 9/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Keine Ausfallhaftung des GmbH-Gesellschafters für verjährte Einlageforderung



Leitsätze

1. Die Verjährung des Anspruchs der Gesellschaft auf Leistung der Einlagen vor Beginn des Kaduzierungsverfahrens schließt die Säumnis des Gesellschafters im Sinn des § 21 GmbHG aus, ohne dass dieser die Verjährungseinrede erheben muss.
2. Eine Einlageforderung, auf die das Kaduzierungsverfahren nicht gestützt werden kann, weil sie bereits vor Einleitung des Kaduzierungsverfahrens verjährt war, wird von der Ausfallhaftung nach § 24 Satz 1 GmbHG nicht erfasst.



A.
Problemstellung
Bevor gegen einen GmbH-Gesellschafter Ansprüche auf Ausfallhaftung geltend gemacht werden können, muss der Geschäftsanteil des säumigen Gesellschafters kaduziert worden sein. Wie ist es, wenn die rückständige Einlageforderung bei Einleitung des Kaduzierungsverfahrens bereits verjährt war, der betroffene Gesellschafter dies aber nicht geltend gemacht hat?


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Der Kläger ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH. Er macht gegen einen ehemaligen Gesellschafter Ansprüche auf Ausfallhaftung nach § 24 GmbHG geltend.
Bei dem Gesellschafter, dessen Einlageverpflichtung nach Auffassung des Klägers rückständig ist, handelt es sich um die E. Holding GmbH. Diese hatte mit der Beklagten zusammen zu den Gründungsgesellschaftern gehört, zwischenzeitlich deren Geschäftsanteile übernommen und ist mittlerweile im Handelsregister wegen Vermögenslosigkeit gelöscht.
Der Kläger führte ein Kaduzierungsverfahren gemäß § 21 GmbHG gegen die E. Holding GmbH durch. Dazu erwirkte er die Bestellung eines Nachtragsliquidators und forderte diesen zur Zahlung der rückständigen Einlage auf. Zu diesem Zeitpunkt war die Einlageforderung bereits seit mehr als zehn Jahren fällig. Nach fruchtlosen Fristablauf erklärte er die E. Holding GmbH ihres Geschäftsanteils für verlustig und forderte jetzt die Beklagte zur Zahlung der Einlage auf. Die Beklagte beruft sich auf Verjährung.
II. Der BGH hat die klageabweisende Entscheidung des Berufungsgerichts bestätigt.
Denn bei Einleitung des Kaduzierungsverfahrens sei der Anspruch der Schuldnerin gegen die E. Holding GmbH auf die Einlageforderung bereits verjährt gewesen. Dies schließe die Säumnis des Gesellschafters i.S.d. § 21 GmbHG aus, ohne dass dieser die Verjährungseinrede erheben müsse. Eine Einlageforderung, auf die das Kaduzierungsverfahren nicht gestützt werden kann, weil sie bereits vor dessen Einleitung verjährt war, werde von der Ausfallhaftung nach § 24 Satz 1 GmbHG nicht erfasst.
Dass der Kläger den Antrag auf Bestellung eines Nachtragsliquidators gegen die bereits im Handelsregister gelöschte E. Holding in unverjährter Zeit gestellt habe, erfülle keinen Hemmungstatbestand; insbesondere scheide eine Hemmung der Verjährung wegen höherer Gewalt gemäß § 206 BGB aus.
Bereits der Eintritt der Verjährung hindere die Säumnis i.S.d. § 21 Abs. 1 Satz 1 GmbHG, ohne dass es auf die Erhebung der Verjährungseinrede ankomme.
Zwar habe der Eintritt der Verjährung für sich genommen weder Auswirkungen auf das Bestehen noch auf die Durchsetzbarkeit einer Forderung. Zudem müsse sich der Schuldner im Rechtsstreit auf die Verjährungseinrede berufen, um seine Verurteilung zur Leistung zu verhindern. Ungeachtet dessen könne aber bereits die Vollendung der Verjährung als solche Rechtswirkung entfalten. So liege es hier. Sei der Anspruch auf Leistung der Einlage verjährt, stehe dem Schuldner ein dauerhaftes Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 214 Abs. 1 BGB zu. Die für eine Kaduzierung erforderliche Säumnis fehle, weil die Nichtleistung auf die verjährte Einlageforderung nicht mehr rechtswidrig sei.
Eine Einlageforderung, auf die das Kaduzierungsverfahren nicht gestützt werden kann, weil sie bereits vor Einleitung des Kaduzierungsverfahrens verjährt war, werde von der Ausfallhaftung nach § 24 Satz 1 GmbHG nicht erfasst. Die nur subsidiäre Haftung des Ausfallschuldners erfasse ausschließlich die Einlagepflichten, für die eine Kaduzierung in Betracht kommt.


C.
Kontext der Entscheidung
Diese Entscheidung wirft ein Schlaglicht darauf, wie weit die Ausfallhaftung des GmbH-Gesellschafters nach § 24 GmbHG geht. Diese ist in ihrem ganzen Ausmaß in der unternehmerischen Praxis oft gar nicht recht bekannt. Tatsächlich haftet der Gesellschafter für rückständige Einlageverpflichtungen seiner Mitgesellschafter; er tut dies auch dann, wenn er aus der Gesellschaft längst ausgeschieden ist, solange nur die Einlageforderung zur Zeit seiner Gesellschafterstellung fällig war (vgl. BGH, Urt. v. 13.05.1996 - II ZR 275/94 - BGHZ 132, 390, 394; BGH, Urt. v. 18.09.2018 - II ZR 312/16 Rn. 13 f. - BGHZ 219, 327), und er kann sich nicht darauf berufen, dass er die Einlage des Mitgesellschafters für geleistet halten durfte. Hier war nämlich die Zahlung auf die Einlageforderung erfolgt, wegen unzulässigen Hin- und Herzahlens (welches der BGH für Zwecke des Revisionsverfahrens zumindest unterstellt) aber ohne Erfüllungswirkung geblieben (vgl. Schwandtner in: MünchKomm GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 19 Rn. 360 m.w.N.).
Der hiesigen Beklagten kam nur zugute, dass die Einlageforderung gegenüber dem anderen Gesellschafter bei Einleitung des Kaduzierungsverfahrens bereits verjährt war. Hierin liegt zugleich der juristische Nachrichtenwert dieser Entscheidung. Der BGH nimmt nämlich an, dass es ausreicht, dass die Forderung verjährt ist, ohne dass es darauf ankommt, ob der betroffene Gesellschafter im Kaduzierungsverfahren die Einrede der Verjährung geltend gemacht hat. Im Ergebnis beschränkt der BGH also den Umfang der Ausfallhaftung nach § 24 Satz 1 GmbHG auf bei Einleitung des Kaduzierungsverfahrens unverjährte Einlageforderungen.
Zugleich spricht er aus, dass auch schon das Kaduzierungsverfahren auf solche Forderungen nicht mehr gestützt werden kann. Denn die Verjährung des Anspruchs der Gesellschaft auf Leistung der Einlagen vor Beginn des Kaduzierungsverfahrens schließe die Säumnis des Gesellschafters i.S.d. § 21 GmbHG aus, ohne dass dieser die Verjährungseinrede erheben müsse.
Dies steht materiell-rechtlich im Einklang mit der wohl einhelligen Auffassung in der Kommentarliteratur, wonach das Bestehen eines Leistungsverweigerungsrechts den Eintritt der Säumnis hindert (vgl. – bezogen stets auf § 273 BGB – Ebbing in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 4. Aufl. 2023, § 21 Rn. 44; Emmerich in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022 ff., § 21 Rn. 18; ausdrücklich zum Fall der Verjährung Altmeppen, DB 2002, 514, 516 Fn. 19).
Zugleich bedeutet es, dass die Verjährung der Einlageforderung auch im Kaduzierungsverfahren selbst von Amts wegen zu berücksichtigen ist. Hiervon war das Schrifttum bislang nicht einhellig ausgegangen (vgl. – bezogen wiederum auf das Leistungsverweigerungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB – Schütz in: MünchKomm GmbHG, § 21 Rn. 37; Altmeppen, GmbHG, 11. Aufl. 2023, § 21 Rn. 6; i.S.d. BGH aber H. Jaeger in: BeckOK GmbHG, 58. Ed. 01.08.2023, § 21 Rn. 12).
Die hier gefundene Lösung ist jedenfalls systematisch stimmig. Auch im Rahmen von § 286 BGB entspricht es nämlich der Auffassung des BGH und der herrschenden Meinung im Schrifttum, dass der Schuldner nicht in Verzug kommt, wenn die Forderung verjährt ist, unabhängig davon, ob er sich auf die Einrede der Verjährung beruft (vgl. BGH, Urt. v. 24.01.1961 - VIII ZR 98/59 - BGHZ 34, 191, 197; BGH, Urt. v. 12.07.1967 - VIII ZR 180/65 - BGHZ 48, 249, 250; aber offen gelassen in BGH, Urt. v. 16.03.1988 - VIII ZR 184/87 - BGHZ 104, 6, 11 f. und in BGH, Urt. v. 18.01.1991 - V ZR 11/90 - BGHZ 113, 232, 236; Ernst in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2022, § 286 Rn. 32; Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, § 286 Rn. 10; a.A. Dornis in: BeckOGK BGB, Stand: 01.10.2022, § 286 Rn. 117 ff.).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Der Fall zeigt anschaulich nicht nur, wie groß die Risiken aus der Ausfallhaftung des GmbH-Gesellschafters sind, sondern auch, welchen Schwierigkeiten und Haftungsrisiken der Geschäftsführer (bzw. in der Praxis regelmäßig: der Insolvenzverwalter) ausgesetzt ist, wenn er die Haftungsansprüche realisieren will.
Bereits mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 29.06.2016 hatte hier ein Wettlauf gegen die Zeit begonnen. Denn die GmbH war am 13.07.2007 gegründet worden. Bei den mit Gesellschaftsgründung fällig gewordenen Einlageverpflichtungen handelte es sich also um Forderungen, bei denen der Ablauf der zehnjährigen Verjährungsfrist (§ 19 Abs. 6 Satz 1 GmbHG) kurz bevorstand. Die Einlagen waren auf dem Papier außerdem geleistet worden. Nur aus einer Zahlung durch die Gesellschaft an den Gesellschafter konnte sich ergeben, dass die Einlageforderung wegen unzulässigen Hin- und Herzahlens (ohne Einhaltung der Voraussetzungen von § 19 Abs. 5 Satz 1 GmbHG) als nicht erfüllt gilt (zur widerleglichen Vermutungswirkung für eine Vorabsprache bei engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen Einlageleistung und Rückgewähr Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbH, 21. Aufl. 2023, § 19 Rn. 108 m.w.N.).
Da es sich bei dem betreffenden Gesellschafter um eine wegen Vermögenslosigkeit gelöschte juristische Person handelte, musste für diese zunächst ein Nachtragsliquidator bestellt werden. Von diesem Gesellschafter war natürlich nichts mehr zu erlangen. Doch gilt für die Ausfallhaftung das Subsidiaritätsprinzip: Der Geschäftsanteil muss kaduziert worden sein, die Rechtsvorgänger des Kaduzierten müssen in Anspruch genommen worden sein, der Verkauf des Anteils muss versucht worden oder aussichtslos sein und auch vom Ausgeschlossenen darf der Fehlbetrag nicht zu erlangen sein (vgl. Altmeppen, GmbHG, § 24 Rn. 5 ff.). Als die Bestellung des Nachtragsliquidators am 19.07.2017 erfolgt war, war bereits seit sechs Tagen Verjährung eingetreten. Dass der Kläger den Antrag auf Bestellung am 17.02.2017 und damit in unverjährter Zeit gestellt hatte, half ihm nicht. Der BGH bestätigt in diesem Zusammenhang nämlich en passant seine strenge Rechtsprechung, wonach das Fehlen eines Vertretungsorgans nicht unter dem Gesichtspunkt höherer Gewalt (§ 206 BGB) zur Hemmung der Verjährung führt.



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