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Anmerkung zu:BGH 5. Zivilsenat, Urteil vom 23.03.2023 - V ZR 67/22
Autor:Hans Christian Schwenker, RA und FA für Bau- und Architektenrecht
Erscheinungsdatum:09.06.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 823 BGB, § 275 BGB, § 254 BGB, § 985 BGB, § 280 BGB, § 286 BGB, § 683 BGB, § 670 BGB, § 684 BGB, § 812 BGB, § 818 BGB, § 906 BGB, § 281 BGB, § 1004 BGB, § 788 ZPO, § 637 BGB, § 887 ZPO
Fundstelle:jurisPR-BGHZivilR 12/2023 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Herbert Geisler, RA BGH
Zitiervorschlag:Schwenker, jurisPR-BGHZivilR 12/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch wegen Störungen im Nachbarschaftsverhältnis: Anwendbarkeit des § 281 BGB



Leitsatz

Die Vorschrift des § 281 BGB findet auf die Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche des Eigentümers aus § 1004 Abs. 1 BGB keine Anwendung.



Orientierungssatz zur Anmerkung

Eine Schadensersatzzahlung, die unabhängig von der Beseitigung der Beeinträchtigung geleistet wird und über deren Verwendung der Eigentümer frei entscheiden kann, wäre mit dem Zweck des Beseitigungsanspruchs nicht vereinbar. Dieser hat lediglich zum Ziel, den dem Eigentumsrecht entsprechenden Zustand wiederherzustellen.



A.
Problemstellung
Der V. Zivilsenat hatte zu entscheiden, ob der Eigentümer eines Grundstücks, auf das Wurzeln eines auf dem Nachbargrundstücks stehenden Baumes eingedrungen sind, vom Eigentümer des Nachbargrundstücks die fiktiven Kosten für die Beseitigung der dadurch entstandenen Schäden verlangen kann.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Die Wurzeln einer Pappel, die auf dem Grundstück der Beklagten unweit der gemeinsamen Grundstücksgrenze steht, sind in das Grundstück des Klägers hineingewachsen und haben dort Wurzelbrut gebildet. Dadurch wurden in der Garageneinfahrt des Klägers Pflastersteine angehoben. Die Aufforderung des Klägers, die Pappel zu fällen bzw. die eingedrungenen Wurzeln zu beseitigen und Vorsorge gegen künftige Beeinträchtigungen, etwa durch den Einbau einer Wurzelsperre, zu treffen, lehnten die Beklagten ab. Erst während des Prozesses erklärten sie unter dem Vorbehalt einer behördlichen Genehmigung ihre Bereitschaft zum Einbau einer Wurzelsperre. Dies ist bis heute nicht geschehen; auch die Unebenheit des Pflasters wurde noch nicht beseitigt. Mit der Klage verlangt der Kläger 2.040 Euro netto für die Reparatur des Pflasters und das Einbringen einer Wurzelsperre. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landgericht auf die Berufung der Beklagten abgewiesen.
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht verneint zu Recht einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagten auf Zahlung von 240 Euro netto für die Beseitigung der Unebenheit des Pflasters (durch Aufnahme der Pflastersteine, Entfernung der Wurzeln und Wiederverlegung der Pflastersteine). Zutreffend verneint das Berufungsgericht auch einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagten auf Zahlung von 1.800 Euro netto für das Einbringen einer Wurzelsperre. Für einen Anspruch aus § 683 Satz 1, § 670 BGB, § 684 Satz 1 BGB, § 818 BGB oder § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 BGB, § 818 BGB fehlt es jedenfalls an einer Vornahme der Arbeiten durch den Kläger. Der Eigentümer, der eine Beeinträchtigung seines Eigentums selbst beseitigt hat, kann von dem nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB an sich hierzu verpflichteten Störer Ersatz der zu der Störungsbeseitigung erforderlichen Aufwendungen verlangen, weil er ein Geschäft des Störers besorgt hat, oder, wenn sich die Voraussetzungen einer Geschäftsführung ohne Auftrag nicht feststellen lassen, weil der Störer von seiner Beseitigungspflicht frei geworden und deshalb ungerechtfertigt bereichert ist. Der Kläger hat die Unebenheit des Pflasters aber bislang nicht beseitigt. Das Berufungsgericht geht weiter zutreffend davon aus, dass der Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB nur auf Beseitigung der Störung, nicht aber auf Zahlung eines Kostenvorschusses gerichtet ist. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und der Gesetzessystematik, denn das Bürgerliche Gesetzbuch gewährt Vorschussansprüche nur in Ausnahmefällen, etwa im Werkvertrags- oder Auftragsrecht. Dem Kläger steht gegen die Beklagten auch kein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB zu. Ein solcher auf einen angemessenen Ausgleich in Geld gerichteter Anspruch ist gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen seiner privatwirtschaftlichen Benutzung Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen, sofern der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen gemäß § 1004 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden. Der Kläger war und ist aber nicht an der Durchsetzung seines Abwehr- und Beseitigungsanspruchs gehindert. Ihm steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB zu. Dieser Anspruch umfasst nicht nur die Entfernung der unter dem Pflaster befindlichen Wurzeln, sondern auch die hierfür erforderliche Aufnahme der Pflastersteine und deren anschließende Wiederverlegung. Der Kläger hat gegen die Beklagten auch keinen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB. Ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten in Bezug auf den Wurzelüberwuchs ist weder festgestellt noch sonst ersichtlich.
Richtig sieht das Berufungsgericht schließlich auch, dass dem Kläger gegen die Beklagten kein Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1 und 3 BGB, § 281 BGB zusteht. Die Vorschrift des § 281 BGB findet auf den Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Beseitigung der Beeinträchtigung des Eigentums – hier: auf Entfernung der herübergewachsenen Wurzeln und Wiederherstellung des Pflasters der Garageneinfahrt – keine Anwendung. Dies ist allerdings in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Die Frage, inwieweit die Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts, insbesondere die des allgemeinen Leistungsstörungsrechts, auch auf dingliche Ansprüche Anwendung finden, beschäftigt die Rechtswissenschaft und Rechtspraxis bereits seit den Beratungen über den Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches (Nachweise Rn. 16-18). Höchstrichterlich ist bislang noch nicht geklärt, ob die Vorschrift des § 281 BGB auf den Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB (entsprechend) angewendet werden kann. Der Senat entscheidet die Frage nunmehr dahin, dass die Vorschrift des § 281 BGB auf den Beseitigungsanspruch des Eigentümers aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB keine Anwendung findet.
Aus dem Wortlaut von § 281 BGB und der systematischen Stellung der Norm im das Recht der Schuldverhältnisse regelnden Buch 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ergibt sich nicht eindeutig, ob die Vorschrift auch auf die in Buch 3 geregelten dinglichen Ansprüche Anwendung findet. Zwar weisen dingliche und schuldrechtliche Ansprüche ihrem Rechtscharakter nach Unterschiede auf. So hat der dingliche Anspruch im Gegensatz zum schuldrechtlichen seinen Grund nicht in einer Beziehung des Berechtigten zu einem bestimmten Verpflichteten, sondern in einem Recht unmittelbarer Herrschaft über eine Sache. Er ist mit dem dinglichen Recht insofern untrennbar verbunden, als er die Verwirklichung des diesem Recht entsprechenden Zustandes gegenüber demjenigen ermöglicht, der den gegenteiligen Zustand aufrechterhält. Daher ist er, anders als der schuldrechtliche Anspruch, einerseits nicht selbstständig übertragbar, während er andererseits mit dem Übergang des absoluten Rechts ohne weiteres auf den neuen Rechtsinhaber übergeht. Dies schließt aber die Anwendbarkeit schuldrechtlicher Regelungen auf dingliche Ansprüche nicht generell aus. Der historische Gesetzgeber ging davon aus, dass die Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts auch für dingliche Ansprüche gelten, wenn diese einen obligationsähnlichen Charakter aufweisen, weil sie sich gegen eine bestimmte Person richten und von dieser eine Leistung verlangen. Von der Aufnahme einer Bestimmung über die entsprechende Anwendbarkeit der Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts wurde jedoch mit der Begründung abgesehen, dass es sich „mehr um eine der weiteren Prüfung und Begrenzung durch die Wissenschaft zu überlassende Rechtswahrheit als um einen positiven Rechtssatz“ handele. Es ist daher für jeden dinglichen Anspruch gesondert zu prüfen, ob die Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts auf ihn angewendet werden können. Eine Anwendung kommt nur dann in Betracht, wenn nicht die besondere Natur des dinglichen Anspruchs oder besondere sachenrechtliche Vorschriften eine abweichende Behandlung erfordern. Nach diesem Maßstab hat der Senat sowohl die Anwendbarkeit einzelner Vorschriften aus dem allgemeinen Schuldrecht auf den Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB als auch die Anwendbarkeit der §§ 280, 281 BGB auf einzelne andere dingliche Ansprüche bejaht. Aus dem Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB können sich Leistungspflichten des Schuldners ergeben, auf die Regelungen des allgemeinen Schuldrechts zur Anwendung kommen können. So kann sich der Schuldner gegenüber dem Beseitigungsanspruch etwa auf das Leistungsverweigerungsrecht des § 275 Abs. 2 BGB berufen. Auch eine Mitverantwortung des Gläubigers ist bei diesem Anspruch in entsprechender Anwendung des § 254 BGB zu berücksichtigen. Befindet sich der Schuldner mit der Erfüllung des Beseitigungsanspruchs in Verzug, haftet er gemäß § 280 Abs. 1 und 2 BGB, § 286 BGB für dadurch verursachte Schäden. Auch die Anwendbarkeit von § 281 BGB auf dingliche Ansprüche ist nicht von vornherein ausgeschlossen. So hat der Senat für den Herausgabeanspruch aus § 985 BGB auch einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung gemäß § 280 Abs. 1 und 3 BGB, § 281 BGB bejaht (BGH, Urt. v. 18.03.2016 - V ZR 89/15 Rn. 11 ff.). Die Anwendung von § 281 BGB auf den Beseitigungsanspruch des Eigentümers aus § 1004 Abs. 1 BGB kommt hingegen nach der dinglichen Natur dieses Anspruchs und seiner sachenrechtlichen Zielrichtung nicht in Betracht. Dies gilt zunächst für den Fall, dass der Eigentümer – wie hier – die Beeinträchtigung seines Eigentums nicht nach Fristsetzung gegenüber dem Störer selbst beseitigt hat, sondern entweder bereit ist, die Beeinträchtigung im Sinne eines „dulde und liquidiere“ hinzunehmen, oder aber den Schadensersatz wie einen Vorschuss dazu verwenden will, die Beeinträchtigung selbst zu beseitigen. Eine Schadensersatzzahlung, die unabhängig von der Beseitigung der Beeinträchtigung geleistet wird und über deren Verwendung der Eigentümer frei entscheiden kann, wäre mit dem Zweck des Beseitigungsanspruchs nicht vereinbar. Dieser hat lediglich zum Ziel, den dem Eigentumsrecht entsprechenden Zustand wiederherzustellen (sog. Rechtsverwirklichungsfunktion). Er dient also nur der Verteidigung eines bereits vorhandenen Vermögensgegenstandes (sog. Integritätsinteresse), während mit einem schuldrechtlichen Anspruch das Vermögen des Gläubigers zu Lasten des Vermögens des Schuldners gemehrt werden soll (sog. Leistungsinteresse). Der Beseitigungsanspruch umfasst zwar nicht nur die Beseitigung der Störungsursache im engeren Sinne, sondern auch die Beseitigung der dabei zwangsläufig eintretenden weiteren Eigentumsbeeinträchtigungen – wie hier die Wiederverlegung der Pflastersteine nach Entfernung der Wurzeln. Dass er dadurch dem Umfang nach einer Verpflichtung zum Schadensersatz angenähert ist und ihm teilweise schadensersetzende Wirkung zukommt, ändert aber nichts daran, dass sich das Bürgerliche Gesetzbuch mit dem Beseitigungsanspruch grundsätzlich gegen das Prinzip „dulde und liquidiere“ entschieden hat. Eine Zahlung, die unabhängig von der Beseitigung der Beeinträchtigung geleistet wird, wäre hiermit nicht vereinbar, da nicht gewährleistet wäre, dass der dem Eigentumsrecht entsprechende Zustand tatsächlich wiederhergestellt wird. Insbesondere stünde die in § 281 Abs. 4 BGB vorgesehene Rechtsfolge, der Ausschluss des Leistungsanspruchs, mit diesem Zweck in Widerspruch. Der Beseitigungsanspruch müsste nach dieser Regelung auch dann erlöschen, wenn die Beeinträchtigung – wie hier – tatsächlich noch fortbesteht. Dies ist indes nicht möglich, da der Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB bei fortbestehender Beeinträchtigung sofort wieder neu entstünde. Selbst wenn er, was dogmatisch schon nicht zu begründen wäre, in der Person des derzeitigen Eigentümers mit dessen Schadensersatzverlangen dauerhaft erlösche, entstünde er jedenfalls in der Person eines Einzelrechtsnachfolgers sofort wieder neu und könnte dieser den Störer ungeachtet des von diesem bereits an den Voreigentümer geleisteten Schadensersatzes erneut auf Beseitigung in Anspruch nehmen. Vor einer solchen doppelten Inanspruchnahme kann der Störer – anders als der Schuldner eines Herausgabeanspruchs aus § 985 BGB – auch nicht effektiv geschützt werden. Selbst wenn im Verhältnis zwischen Störer und ursprünglichem Eigentümer mit dem Schadensersatzverlangen eine Duldungspflicht begründet würde, hätte diese rein schuldrechtlichen Charakter und wäre der Rechtsnachfolger hieran nicht gebunden. Zudem gibt es bei dem Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB – anders als bei dem Herausgabeanspruch aus § 985 BGB – kein dringendes praktisches Bedürfnis für die (analoge) Anwendung des § 281 BGB. Das Kosteninteresse des Eigentümers ist auch ohne die Anwendung von § 281 BGB hinreichend geschützt. Fehlen ihm die finanziellen Mittel, um die Beeinträchtigung selbst zu beseitigen, kann er den Störer – notfalls unter Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe – gerichtlich auf Beseitigung in Anspruch nehmen und im Wege der Zwangsvollstreckung gemäß § 887 Abs. 2 ZPO einen Vorschuss verlangen. Für Verzögerungsschäden haftet der Störer gemäß § 280 Abs. 1 und 2 BGB, § 286 BGB. Schließlich würde durch die Anwendung des § 281 BGB das Recht des Schuldners, zwischen verschiedenen Beseitigungsmöglichkeiten zu wählen, beeinträchtigt. Es würde nicht erst im Rahmen der Zwangsvollstreckung eines Titels über die Beseitigung der Beeinträchtigung, sondern bereits nach erfolglosem Ablauf der gesetzten Frist und Äußerung des Schadensersatzverlangens durch den Eigentümer entfallen. Auch wäre unklar, nach welcher der wahlweise zur Verfügung stehenden Beseitigungsmaßnahmen der Schadensersatz zu berechnen wäre. Dass der Gläubiger des dinglichen Anspruchs aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB mit der Nichtanwendung des § 281 BGB schlechter steht als ein schuldrechtlicher Gläubiger, ändert an diesem Ergebnis nichts. Es gibt keinen Grundsatz des Inhalts, dass der dingliche Gläubiger stets dem schuldrechtlichen Gläubiger (mindestens) gleichzustellen sei; der dingliche Gläubiger steht anders als der schuldrechtliche Gläubiger und nicht notwendig ebenso gut oder besser.
Wegen der vorgenannten Unterschiede zwischen dem Beseitigungsanspruch aus § 1004 BGB und dem Herausgabeanspruch aus § 985 BGB kann trotz der mit diesem Anspruch bestehenden Wesensgleichheit kein Gleichlauf bei der Anwendbarkeit von § 281 BGB hergestellt werden. § 281 BGB findet auf den Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB aber auch dann keine Anwendung, wenn der Eigentümer die Beeinträchtigung – anders als im vorliegenden Fall – selbst beseitigt (sog. Selbstvornahme). Zwar bestünde insoweit kein Konflikt mit dem in § 281 Abs. 4 BGB geregelten Erlöschen des Erfüllungsanspruchs, da der Anspruch aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB bereits mit der Beseitigung der Beeinträchtigung durch den Eigentümer entfiele. Auch wäre es nicht schwierig, den erloschenen Anspruch von neu entstehenden Ansprüchen abzugrenzen. In diesen Fällen besteht aber erst recht kein Bedürfnis für die Anwendung des § 281 BGB, weil der Eigentümer, der eine Beeinträchtigung seines Eigentums selbst beseitigt hat, von dem nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB an sich hierzu verpflichteten Störer aus § 683 Satz 1 BGB, § 670 BGB, § 684 Satz 1 BGB, § 818 BGB oder § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 BGB, § 818 BGB den Ersatz der zu der Störungsbeseitigung erforderlichen Aufwendungen verlangen kann. Bei letzterem Anspruch entsteht im Regelfall keine größere Schutzlücke auf Rechtsfolgenseite, da der nach § 818 Abs. 2 BGB geschuldete Wertersatz objektiv zu bestimmen ist und sich der Schuldner nur ausnahmsweise auf den Wegfall der Bereicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB wird berufen können. Wenn der Eigentümer keinen Primärrechtsschutz erlangen kann, steht ihm ggf. analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB eine Entschädigung zu.
Gegen die Anwendung von § 281 BGB im Fall der Selbstvornahme sprechen zudem systematische Gründe. Die Regelung ist nämlich darauf angelegt, dass der Eigentümer zwischen Erfüllungs- und Schadensersatzanspruch wählen kann; erst mit der Erklärung des Schadensersatzverlangens soll der Anspruch auf die Primärleistung nach § 281 Abs. 4 BGB ausgeschlossen sein (sog. elektive Konkurrenz). Ein solches Wahlrecht kann der Eigentümer aber nach Beseitigung der Beeinträchtigung nicht haben, denn die Ansprüche können nicht gleichzeitig bestehen: Bevor der Eigentümer die Beeinträchtigung beseitigt hat, hat er keinen Schadensersatzanspruch, und mit der Beseitigung der Beeinträchtigung entfällt sein Erfüllungsanspruch. Soweit dem entgegengehalten wird, § 281 Abs. 4 BGB regele nur den Ausschluss des Primäranspruchs, nicht das Entstehen des Schadensersatzanspruchs, greift dies zu kurz, weil nur Abs. 4 der Norm in den Blick genommen wird, sich die in § 281 BGB angelegte elektive Konkurrenz aber aus dem Zusammenspiel von Abs. 1 und Abs. 4 ergibt.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung führt die Rechtsprechung des Senats zu in der Praxis bedeutsamen Fragen der Störerhaftung von Grundstücksnachbarn fort. So muss der Eigentümer eines Baums dafür Sorge tragen, dass dessen Wurzeln nicht in das Nachbargrundstück hinüberwachsen; verletzt er diese Pflicht, ist er hinsichtlich der dadurch hervorgerufenen Beeinträchtigungen des Nachbargrundstücks „Störer“ i.S.v. § 1004 Abs. 1 BGB. Das Selbsthilferecht nach § 910 Abs. 1 Satz 1 BGB schließt den Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht aus. Der durch von dem Nachbargrundstück hinübergewachsene Baumwurzeln gestörte Grundstückseigentümer kann die von dem Störer geschuldete Beseitigung der Eigentumsbeeinträchtigung selbst vornehmen und die dadurch entstehenden Kosten nach Bereicherungsgrundsätzen erstattet verlangen (BGH, Urt. v. 28.11.2003 - V ZR 99/03). Die in dieser Entscheidung noch offen gebliebene Frage, ob der Eigentümer die fiktiven Kosten der an sich erforderlichen, tatsächlich aber nicht durchgeführten Beseitigungsmaßnahme ersetzt verlangen kann, nachdem er die Beeinträchtigung zum Anlass umfassender Erneuerungs- und Verbesserungsarbeiten genommen hatte (Scheuch, jurisPR-BGHZivilR 6/2004 Anm. 4), ist mit der besprochenen Entscheidung geklärt.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Der geschädigte Nachbar, der einen auf Beseitigung lautenden Titel erwirkt hat, kann die auf Kosten des Schuldners erfolgende Ersatzvornahme vorfinanzieren und anschließend (ohne besonderen Titel) deren Ersatz über § 788 ZPO beitreiben. Wenn dem geschädigten Nachbarn die finanziellen Mittel zur Beseitigung der Beeinträchtigung fehlen, kann er den Störer gerichtlich auf Beseitigung in Anspruch nehmen und im Wege der Zwangsvollstreckung gemäß § 887 Abs. 2 ZPO einen Vorschuss verlangen (BGH, Urt. v. 23.03.2023 - V ZR 67/22 Rn. 30). Der Gläubiger kann zusammen mit dem Antrag nach § 887 Abs. 1 ZPO einen Antrag auf Kostenvorauszahlung stellen. Höchstrichterlich noch nicht entschieden ist, welche Frist dem geschädigten Nachbarn zur Beseitigung der Schädigungen unter Einsatz des Kostenvorschusses zuzubilligen ist. Die von der Rechtsprechung für die Rückforderung eines materiell-rechtlichen Vorschussanspruchs aus § 637 BGB entwickelten Grundsätze (BGH, Urt. v. 14.01.2010 - VII ZR 108/08) sind auf die Rückforderung eines prozessualen Vorschussanspruches gemäß § 887 Abs. 2 ZPO nicht ohne jede Einschränkung anwendbar (OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.05.2009 - I-23 U 118/08 Rn. 16). Soweit der gezahlte Vorschuss für die Ersatzvornahme nicht verbraucht wird, kann der Schuldner nach Bereicherungsrecht Rückerstattung verlangen; es bedarf hierzu aber notfalls einer gesonderten Leistungsklage (Gruber in: MünchKomm ZPO, 6. Aufl. 2020, ZPO § 887 Rn. 39).



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