Konflikt zwischen Kiesabbau und Standort eines LeitungsmastsLeitsatz Die Platzierung einzelner Masten einer Höchstspannungsfreileitung unterliegt grundsätzlich den Maßstäben für die gerichtliche Überprüfung der Auswahl unter verschiedenen Trassenvarianten. Angesichts der Vielzahl bei einem Leitungsvorhaben festzulegender Maststandorte und der davon jeweils betroffenen Belange bedarf es einer näheren Darlegung der Abwägungsentscheidung für einen einzelnen Maststandort jedoch nur im Falle dazu substantiiert erhobener Kritik. - A.
Problemstellung Im Zuge der Energiewende sollen deutschlandweit tausende Kilometer Höchstspannungsleitungen gebaut werden. Derzeit ist für 119 Vorhaben mit ungefähr 14 000 km Gesamtlänge der gesetzliche Bedarf im Gesetz zum Ausbau von Energieleitungen (EnLAG) und dem Gesetz über den Bundesbedarfsplan (BBPlG) festgestellt (Stand: 30.06.2024, Bundesnetzagentur: Monitoring des Stromnetzausbaus, Zweites Quartal 2024, S. 6). Nimmt man an, dass die Abstände zwischen den Masten in der Praxis ca. 300 bis 450 m betragen, so dürften grob geschätzt bis zu 35.000 Masten (abzüglich der Erdkabel-Abschnitte) benötigt werden. Soweit keine gesetzlichen Vorgaben den planerischen Spielraum einschränken, ist die Entscheidung über den jeweiligen konkreten Trassenverlauf eine planerische Abwägungsentscheidung, bei der alle Belange, die nach Lage der Dinge einzustellen sind, zum Ausgleich gebracht werden müssen. Gilt das für jeden einzelnen Maststandort? Ja, sagt das BVerwG. Einer näheren Darlegung der Abwägungsentscheidung bedarf es jedoch nur im Falle dazu substanziiert erhobener Kritik.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung I. Der angegriffene Planfeststellungsbeschluss genehmigte die Errichtung und den Betrieb einer Höchstspannungsfreileitung. Die Leitung sollte durch einen Bereich führen, der im Landesraumordnungsprogramm Niedersachsen als Vorranggebiet Rohstoffgewinnung dargestellt ist. Die Klägerin betreibt dort Kiesabbau. Sie wandte sich gegen den Standort eines bestimmten Leitungsmastes, der im Bereich ihres Abbauvorhabens errichtet werden sollte, und schlug unter anderem die Verschiebung des Maststandorts an den Rand der Abbaufläche auf ihrem Grundstück vor. Die Klage blieb ohne Erfolg. II. 1. Die Maßstäbe für die gerichtliche Kontrolle planerischer Abwägungsentscheidungen sind bekannt: Das Abwägungsgebot verlangt, dass – erstens – eine Abwägung überhaupt stattfindet, dass – zweitens – in die Abwägung an Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, und dass – drittens – weder die Bedeutung der öffentlichen und privaten Belange verkannt noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die zur Planung ermächtigte Stelle in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet (st.Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 14.02.1975 - IV C 21.74 - BVerwGE 48, 56, 63 f.; BVerwG, Urt. v. 14.03.2018 - 4 A 5/17 Rn. 73 - BVerwGE 161, 283). Auch für die Auswahl räumlicher Trassenvarianten sind die Obersätze geklärt: Die Auswahl unter verschiedenen Trassenvarianten ist ungeachtet der rechtlich zwingenden Vorgaben eine fachplanerische Abwägungsentscheidung. Bei der Auswahl zwischen verschiedenen Trassenvarianten ist die Grenze der planerischen Gestaltungsfreiheit erst überschritten, wenn eine andere als die gewählte Linienführung sich unter Berücksichtigung aller abwägungserheblichen Belange eindeutig als die bessere, weil öffentliche und private Belange insgesamt schonendere darstellen würde, wenn sich mit anderen Worten diese Lösung der Behörde hätte aufdrängen müssen, oder wenn der Planungsbehörde infolge einer fehlerhaften Ermittlung, Bewertung oder Gewichtung einzelner Belange ein rechtserheblicher Fehler unterlaufen ist (st.Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 19.05.1998 - 4 A 9/97 - BVerwGE 107, 1, 11; BVerwG, Urt. v. 14.03.2018 - 4 A 5/17 Rn. 82 - BVerwGE 161, 263). Dieser Maßstab gilt grundsätzlich auch für die Platzierung einzelner Masten einer Höchstspannungsfreileitung. Angesichts der Vielzahl bei einem Leitungsvorhaben festzulegender Maststandorte und der davon jeweils betroffenen Belange bedarf es in der Abwägungsentscheidung einer näheren Darlegung für einen einzelnen Maststandort jedoch nur im Falle dazu substanziiert erhobener Kritik (Rn. 28 f.). 2. Der Planfeststellungsbeschluss durfte dem Standortvorschlag der Vorhabenträgerin für den umstrittenen Mast folgen. Die Vorschläge der Klägerin trugen zwar dem Interesse am Erhalt eines größeren Rohstoffabbauvolumens besser Rechnung als der planfestgestellte Standort. Der Abwägungsspielraum war aber gewahrt: Die Planfeststellungsbehörde durfte den Nachteilen der Alternativstandorte für die Beigeladene und für den öffentlichen Belang der Energieversorgung größeres Gewicht gegenüber den Vorteilen für die Klägerin und dem öffentlichen Belang der Rohstoffgewinnung zumessen. Bei den Alternativstandorten hätten die Wind- und Phasenspannweiten zwischen benachbarten Masten überschritten werden müssen, was einen Verlust an Sicherheit bedeutet hätte. Zudem hätten benachbarte Masten deutlich höher und in stärkerer Bauweise ausgeführt werden müssen (Mehrkosten: mindestens 360.000 Euro bzw. 460.000 Euro). Im gerichtlichen Verfahren wurde außerdem deutlich, dass die für die Alternativstandorte notwendigen Masten zur Gewährleistung hinreichender Sicherheit die Entwicklung einer Sonderkonstruktion erforderten und nicht mit den Standardkonstruktionen des Gestängekatalogs ausgeführt hätten werden können. Sonderkonstruktionen dürfen jedoch auf Ausnahmefälle beschränkt werden.
- C.
Kontext der Entscheidung Die Auswahl von Trassenvarianten ist häufig Gegenstand der gerichtlichen Auseinandersetzung um Energieleitungsvorhaben. In der Regel werden Vorschläge für einen alternativen Trassenverlauf bereits im Verwaltungsverfahren gemacht. Vorschläge von Dritten, die ernsthaft in Betracht kommen, muss die Behörde – auch wenn der Vorhabenträger sie nicht selbst beantragt hat – prüfen und abwägen (st.Rspr., vgl. BVerwG, Urt. v. 12.12.1996 - 4 C 29/94 - BVerwGE 102, 331 Rn. 39; BVerwG, Urt. v. 21.01.2016 - 4 A 5/14 Rn. 168 - BVerwGE 154, 73; BVerwG, Urt. v. 15.12.2016 - 4 A 4/15 Rn. 32 - BVerwGE 157, 73; BVerwG, Urt. v. 23.05.2023 - 4 C 1/22 Rn. 34 - BVerwGE 178, 371). Die Entscheidung stellt klar, dass die in der Rechtsprechung für die Kontrolle der Variantenauswahl entwickelten Maßstäbe auch für „kleinsträumige“ Varianten bis hin zu einem einzelnen Maststandort gelten (vgl. bereits BVerwG, Beschl. v. 26.04.2023 - 4 VR 6/22 Rn. 23).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die Entscheidung trägt den Erfordernissen des Rechtsschutzes und den Anforderungen der Planungspraxis Rechnung. Aus der Perspektive der Betroffenen kann ein einzelner Maststandort eine gewichtige Beeinträchtigung sein. Ein Betroffener darf deshalb eine belastbare Antwort auf die Frage erwarten, warum gerade er in Anspruch genommen wird. Angesichts der Vielzahl zu planender Masten muss der Planfeststellungsbeschluss aber nicht jeden einzelnen Maststandort gesondert begründen – sofern der Standort nicht bereits im Verwaltungsverfahren konkret und substanziiert kritisiert wurde. Die Entscheidung verdeutlicht außerdem in der Sache, dass im Normalfall keine Sonderkonstruktionen erforderlich sind, z.B. um den technisch möglichen Abstand zwischen Masten zu vergrößern.
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Die Entscheidung befasst sich auch mit dem Problem zweier sich überlagernder Ziele der Raumordnung. Der Bereich lag einerseits in einem Vorranggebiet für die Rohstoffgewinnung. Andererseits waren die Trassen hier zugleich als Vorranggebiet Leitungstrasse als Ziel der Raumordnung gesichert. Das BVerwG sah darin zwar im Ausgangspunkt einen Konflikt (Rn. 18), legte die Regelungen aber dahin gehend aus, dass die Raumordnung diesen bewusst zugunsten der Leitungstrassen entschieden hat, soweit es um die Frage geht, ob im Vorranggebiet „Rohstoffgewinnung“ Maststandorte zulässig sind (Rn. 14). Ein echter Widerspruch zwischen den Zielen lag damit nicht vor.
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