A. Einleitung
Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), zuständig für die Überwachung und Durchsetzung der Vorschriften des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG), führt nicht nur Kontrollen durch, sondern bietet gemäß § 20 Abs. 1 LkSG auch Hilfestellungen und Empfehlungen zur Einhaltung des Gesetzes. Diese Unterstützung verpflichteter Unternehmen gehört zu den Kernaufgaben des BAFA.1 Am 16.08.2023 veröffentlichte die Behörde eine Handreichung mit dem Titel „Zusammenarbeit in der Lieferkette zwischen verpflichteten Unternehmen und ihren Zulieferern“ (im Folgenden die „Handreichung“).2 Diese Publikation erläutert die Vorstellung des BAFA zur Umsetzung der Sorgfaltspflichten in der Kooperation zwischen Unternehmen und ihren direkten Zulieferern. Das BAFA vertritt hierbei teils eine strikte Linie und warnt erfasste Unternehmen vor einseitigen, den eigenen Interessen dienenden Maßnahmen, die im Widerspruch zum LkSG stehen könnten. Solche Maßnahmen könnten zu behördlichen Überprüfungen und möglichen Sanktionen führen.3 Diese Ansicht scheint jedoch nicht ganz im Einklang mit dem risikobasierten Ansatz des § 19 Abs. 2 LkSG zu stehen, welcher das BAFA zu Handlungen vor allem im Kontext gravierender Menschenrechtsrisiken anleitet. Trotzdem beabsichtigt das BAFA mit diesen strengen Warnungen, potenziellen Fehlentwicklungen in der Wirtschaft vorzubeugen, insbesondere im Hinblick auf die bevorstehende Erweiterung des Kreises der verpflichteten Unternehmen ab dem 01.01.2024.4 Ungeachtet dessen bietet die Handreichung für verpflichtete Unternehmen wichtige Anhaltspunkte zur Überprüfung bestehender Maßnahmen und gibt Zulieferern Argumente an die Hand, um sich gegen übermäßige Risikoabfragen und Präventionsmaßnahmen zu wehren.
B. Die Handreichung auf einen Blick
I. Sorgfaltspflichten und Grenzen
Die Handreichung beginnt mit einer Kurzdarstellung der wesentlichen Sorgfaltspflichten. Es werden also kurz Risikoanalyse, Präventions- und Abhilfemaßnahmen sowie das Beschwerdeverfahren dargestellt. Hervorzuheben sind hier zwei Punkte: Das BAFA betont erneut, dass die Risikoanalyse zweistufig zu erfolgen hat, und bei den Präventionsmaßnahmen wird auch die Relevanz von Einkaufspreisen und Vertragslaufzeiten neben Trainings und Kontrollmaßnahmen betont. Dieser Kurzdarstellung folgt eine Erläuterung der allgemeinen Grenzen der Sorgfaltspflichten. Diese basieren auf dem Angemessenheitsprinzip des § 3 Abs. 2 LkSG sowie der erforderlichen Wirksamkeit gemäß § 4 Abs. 2 LkSG. Das BAFA verwendet hierbei einen interessanten Ansatz, indem es die Wirksamkeit einer Maßnahme an der Leistungsfähigkeit der Zulieferer misst.5 Demnach gilt eine Maßnahme als unwirksam und unangemessen, wenn sie einen Zulieferer überfordert – sei es aufgrund seiner Größe, finanziellen Ausstattung oder weil die Maßnahme branchenunüblich oder schwer umsetzbar ist. Das BAFA fordert sogar, dass verpflichtete Unternehmen ein eventuelles finanzielles Defizit zwischen der geforderten Maßnahme und den Möglichkeiten des Zulieferers ausgleichen sollten.6 Diese Perspektive, die eher den Zulieferer als die von potenziellen Menschenrechtsrisiken Betroffenen schützt, mag zunächst überraschen. Dieser Ansatz ist jedoch sinnvoll, da er verhindert, dass umfassende Maßnahmen entweder unterbleiben oder von strukturell schwächeren Zulieferern nur als Lippenbekenntnisse akzeptiert werden.
II. Kritische Sicht auf Pauschalmaßnahmen
In der Handreichung wird insbesondere betont, dass das BAFA Pauschalmaßnahmen kritisch sieht.7 Bei der Risikoanalyse sollen weder standardisierte Zusicherungen noch entsprechende Bescheinigungen risikofreier Lieferketten die Durchführung einer eigenständigen Risikoanalyse ersetzen. Vielmehr erfordere eine vollständige Risikoanalyse auch eigenständige Datenerhebungen über andere Quellen. Informationsabfragen bei Zulieferern als Ermittlungsmaßnahmen der konkreten Risikoanalyse müssten zudem die Ergebnisse der abstrakten Risikoanalyse berücksichtigen.8 Das BAFA scheint es daher als notwendig anzusehen, verschiedene Fragebögen für Zulieferer unterschiedlicher Risikoklassen zu verwenden. Diese Ablehnung pauschaler Ansätze setzt sich auch bei den Präventions- und Abhilfemaßnahmen fort. So werden generelle Präventionsmaßnahmen bei allen Zulieferern als unangemessen betrachtet, insbesondere der Verweis auf schriftliche Zusagen oder pauschale vertragliche Zusicherungen. Diese Vorgaben werden viele Unternehmen dazu veranlassen, ihre standardisierten Lieferantenkodexe zu überdenken. Hierbei stellt sich die Frage, ob ein Lieferantenkodex als Präventionsmaßnahme gilt, insbesondere wenn er unabhängig von einer Risikoanalyse erfolgt und das LkSG nicht erwähnt wird. Verpflichtete Unternehmen könnten jedenfalls nach erfolgter Risikoanalyse nur noch bei der verbliebenen Mittel- bis Hochrisikopopulation zusätzliche individuelle Anforderungen stellen und insbesondere hier und nicht im Lieferantenkodex Audit- und ggf. Kündigungsrechte vereinbaren und so von einer höheren Akzeptanz des Lieferantenkodex profitieren. Auch ein pauschaler Verweis auf die Beschwerdekanäle der Zulieferer anstelle der Einrichtung eigener Kanäle wird als unzureichend betrachtet. Trainings und Schulungen als Präventionsmaßnahmen seien zuletzt ebenfalls Aufgabe der verpflichteten Unternehmen.
III. Empfehlungen für die Zusammenarbeit mit unmittelbaren Zulieferern
Die Handreichung enthält zudem konkrete Empfehlungen für die Zusammenarbeit mit Zulieferern. Diese Kooperation sollte als dynamischer Prozess mit kontinuierlichem Austausch und Dialog verstanden werden. Dazu gehören unter anderem die transparente Erläuterung der Risikoanalyse und die Gewährleistung der Informationssicherheit (z.B. durch NDAs).9 Zulieferer sollten ebenfalls auf Transparenz und Informationssicherheit Wert legen, insbesondere um ihre eigenen Interessen zu schützen. Das BAFA stärkt auch das Interesse von Händlern und Importeuren an der Geheimhaltung ihrer Zulieferer, da diese im Gegensatz zu produzierenden Zulieferern eher eine Umgehung durch das verpflichtete Unternehmen nach Preisgabe derlei Daten befürchten müssten.10 Die Grundsatzerklärung sollte den Zulieferern übermittelt werden, bevor Präventionsmaßnahmen, die stets auf der Risikoanalyse basieren müssen, mit den Zulieferern abgestimmt werden. Beim Entwurf vertraglicher Präventionsmaßnahmen sollten verpflichtete Unternehmen eine AGB-Kontrolle durchführen, um deren Angemessenheit und Wirksamkeit sicherzustellen.11 Der Dialog mit Zulieferern ist auch hier entscheidend, um die Umsetzbarkeit der Präventionsmaßnahmen zu erklären und zu gewährleisten.
Sollte ein Zulieferer die Zusammenarbeit verweigern, aber die Geschäftsbeziehung dennoch fortgeführt werden, ist es erforderlich, im Bericht gemäß § 10 Abs. 2 LkSG zu dokumentieren, auf welcher Grundlage die Informationen ursprünglich erhoben werden sollten, warum dies scheiterte und welche alternativen Ermittlungsmethoden stattdessen angewendet wurden.12 Bei der Umsetzung von Abhilfemaßnahmen sollten die verpflichteten Unternehmen ebenfalls gemäß § 3 Abs. 2 LkSG die Leistungsfähigkeit der betroffenen Zulieferer evaluieren und dabei deren Einfluss und Beitrag zur Problematik berücksichtigen. Bei mittelbaren Zulieferern deutet das BAFA an, dass das Wissen um den konkreten Vorlieferanten eine größere Rolle spielt als bei Präventionsmaßnahmen. Das BAFA schlägt jedoch auch hier alternative organisatorische Vorgehensweisen vor, um Abhilfemaßnahmen gegenüber Vorlieferanten zu ergreifen, ohne deren Namen preiszugeben.
IV. Kostenaufteilung zwischen verpflichteten Unternehmen und unmittelbaren Zulieferern
Grundsätzlich sollten die Kosten von Präventions- und Abhilfemaßnahmen stets angemessen zwischen den Parteien aufgeteilt werden. Eine vollständige Übertragung der Kosten auf den Zulieferer wird vom BAFA als unangemessen betrachtet. Jedoch sollen auch die verpflichteten Unternehmen nicht die gesamten Kosten allein tragen müssen. Bezüglich des Beschwerdeverfahrens sieht es anders aus: Die Kosten für die Bekanntmachung des Beschwerdekanals und damit verbundene Schutzmaßnahmen sollten ausschließlich von den verpflichteten Unternehmen übernommen werden.13 Das BAFA erkennt an, dass es hier konfligierende Interessen der Zulieferer geben kann. Es empfiehlt, dass die verpflichteten Unternehmen in Erwägung ziehen sollten, sich an externen Beschwerdeverfahren (z.B. Multi-Stakeholder-Initiativen) zu beteiligen oder sich mit regionalen oder branchenspezifischen Akteuren wie Gewerkschaften zu vernetzen, um die Erreichbarkeit und Transparenz ihres Beschwerdekanals zu verbessern. Die Wahrung der Vertraulichkeit der Hinweisgeber ist dabei von hoher Bedeutung.
V. Tipps zu Sorgfaltsprozessen nicht erfasster Zulieferer und Unterstützungsangebote
Abschließend gibt die Handreichung nicht erfassten Zulieferern, für die das BAFA betont, dass sie keine Kontrollen oder Strafen zu erwarten haben und auf die der Anwendungsbereich des LkSG auch nicht vertraglich erweitert werden darf, „Tipps“ und nennt Vorteile für die freiwillige Einführung von menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten. Die Handreichung endet mit einer Aufzählung weiterer Unterstützungsangebote für verpflichtete Unternehmen und Zulieferer.
C. Bewertung und Kritik
Bereits § 20 Abs. 1 LkSG an sich gibt Anlass zu Kritik. Handreichungen erhöhen zwar auf den ersten Blick die Rechtssicherheit, ermöglichen es aber der ausführenden Behörde, ihre eigene abstrakt-generelle Auslegung zu publizieren, was die zukünftige gerichtliche Auslegung beeinflussen könnte. Die Handreichungen des BAFA haben faktisch oft eine präjudizielle Wirkung. Aus rechtsstaatlicher Perspektive ist es problematisch, wenn eine Aufsichtsbehörde sowohl die Auslegung als auch die Durchsetzung eines Gesetzes übernimmt, da dies zu einseitig aufgelösten Interessenkonflikten führen kann. Eine Trennung dieser Aufgaben oder eine echte Abstimmung mit der Fach- und Rechtsaufsicht wäre daher zu bevorzugen.
Trotz dieser Bedenken bietet die Handreichung nützliche Hinweise für die Umsetzung der Sorgfaltspflichten. Die darin enthaltenen Empfehlungen sollten von den verpflichteten Unternehmen und deren Beratern vor der Umsetzung der Sorgfaltspflichten im Außenverhältnis gegenüber Zulieferern herangezogen werden. Besonders für Zulieferer ist es relevant, dass die weitverbreiteten Lieferantenkodexe, die eine lückenlose Einhaltung aller in § 2 LkSG aufgeführten Rechtspositionen verlangen, nicht als Präventionsmaßnahme angesehen werden. Solche unangemessenen Pauschalmaßnahmen sollten für sich genommen noch keine Kontrolle des BAFA auslösen, doch könnten sie als Indiz gewertet werden, dass keine weiteren individuellen Maßnahmen getroffen wurden oder Fehler bei der Umsetzung der Sorgfaltspflichten vorliegen. Die Handreichung bleibt jedoch Antworten hinsichtlich potenzieller Verstöße gegen die §§ 305 ff. BGB im Falle von Präventionsmaßnahmen schuldig, insbesondere im internationalen Kontext. Deutsches Privatrecht findet eben nicht immer Anwendung. Ob und inwieweit sich die Bewertung des BAFA im Falle einer entsprechenden Rechtswahl oder objektiven Anknüpfung ändert, wird nicht erläutert. Es ist auch unklar, ob das BAFA von einer Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 BGB ausgeht, wenn eine Maßnahme unangemessen i.S.d. § 3 Abs. 2 LkSG oder unwirksam i.S.d. § 4 Abs. 2 LkSG ist. Hiergegen spricht, dass nicht jede Maßnahme, die ein Risiko nicht hinreichend oder angemessen adressiert, zivilrechtlich unwirksam sein sollte. So könnte ein nicht ausreichend wirksam adressiertes Risiko im Ergebnis völlig unangetastet bleiben. Letzten Endes scheint das BAFA mit dem Hinweis auf die AGB-Kontrolle lediglich die Bedeutung für die Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit der Lieferanten hervorheben zu wollen.
Ein weiterer Aspekt, der in der Handreichung nur am Rande behandelt wird, ist die Tatsache, dass Zulieferer oft mehrere verpflichtete Unternehmen beliefern. Es wäre hilfreich gewesen, wenn das BAFA darauf eingegangen wäre, inwiefern Zulieferer bereits mit anderen Unternehmen vereinbarte Präventionsmaßnahmen geltend machen können. Dies könnte verhindern, dass Zulieferer einer Vielzahl von Kontrollen und Audits ausgesetzt werden. Ebenso könnten verpflichtete Unternehmen davon profitieren, wenn ein Zulieferer plausibel darlegt, dass bereits mit anderen Unternehmen vereinbarte Maßnahmen umgesetzt wurden. Diese Punkte werden in der Handreichung leider nicht ausführlich behandelt. Die Handreichung verweist hingegen darauf, dass verpflichtete Unternehmen bereits ausgefüllte Fragebögen von Zulieferern prüfen und akzeptieren sollten, um den Aufwand zu minimieren.14 Die Betonung von Multi-Stakeholder-Initiativen bei der Risikoanalyse und im Beschwerdeverfahren könnte ebenfalls Effizienzvorteile für die verpflichteten Unternehmen bringen.
Des Weiteren ist anzumerken, dass nicht alle Hinweise der Handreichung konsistent mit früheren Veröffentlichungen des BAFA sind. So möchte das BAFA im Rahmen der Berichtspflicht prüfen, warum die Informationsgewinnung im Rahmen der Risikoanalyse gescheitert ist und welche alternativen Quellen genutzt wurden. In dem Musterbericht, den das BAFA hierzu veröffentlicht hat,15 findet sich jedenfalls an der relevanten Stelle (S. 6) keine Frage, die diesen Aspekt abbildet. Dies zeigt exemplarisch, dass die Handreichungen des BAFA einen dynamischen Prozess darstellen, der eine fortlaufende Anpassung und Überprüfung erfordert.
Abschließend sollte das BAFA bei der Frage der Kostentragung nicht starr auf einer Kostenteilung bestehen, sondern eher berücksichtigen, ob vor allem der Zulieferer langfristig von effektiven und nachhaltigen Maßnahmen profitiert. So lässt sich sicherstellen, dass das LkSG nicht indirekt zu einem Instrument internationaler Entwicklungshilfe durch deutsche Unternehmen wird.
D. Auswirkungen auf die Praxis
Die umfangreichen Empfehlungen und Hinweise des BAFA für die Zusammenarbeit zwischen Zulieferern und den erfassten Unternehmen werden zu tiefgreifenden Lernprozessen führen. Es ist zu erwarten, dass die Verhandlungen zwischen diesen beiden Gruppen zukünftig intensiver und möglicherweise konfrontativer geführt werden als bisher. Die Handreichung stärkt klar die Position der Zulieferer, die nun verstärkt Informationsanfragen hinterfragen, die Bereitstellung von Risikoeinschätzungen und „Tools“ fordern, übergriffige Supplier Codes of Conduct ablehnen und in Preisverhandlungen verstärkt auf die negativen Auswirkungen des einseitigen Preisdrucks auf die Lieferkette hinweisen werden. Diese Entwicklung wird den Implementierungsprozess erforderlicher Maßnahmen aufwendiger und zeitintensiver gestalten. Verpflichtete Unternehmen können jedoch proaktiv auf diese Veränderungen reagieren, indem sie ihre bestehenden Dokumente und Prozesse überprüfen und ggf. anpassen, um den Rückfragen informierter Zulieferer zuvorzukommen. Insbesondere sollten sie ihre Fragebögen und Lieferantenkodexe einer kritischen Prüfung unterziehen. Unternehmen, die auf externe Dienstleister zurückgreifen, sollten sich genau erkundigen, wie diese mit der Handreichung umgehen, und sich nicht mit oberflächlichen Ausführungen zufriedengeben. Beiden Parteien ist zu empfehlen, einen kooperativen Ansatz zu wählen und – insbesondere aus Sicht der Zulieferer – nicht vorschnell auf eine Kontrolle durch das BAFA hinzuweisen. Folgt man der Auffassung des BAFA, ist auch kein Raum mehr für eine gegenseitige Anerkennung von Verhaltenskodizes als Kompromiss zwischen den Parteien, wenn dies gleichzeitig eine Präventionsmaßnahme i.S.d. LkSG darstellen soll. In solchen Fällen sind zusätzliche individuelle Maßnahmen und möglicherweise Kontrollrechte unumgänglich.
Abschließend lässt sich sagen, dass die Handreichung des BAFA zwar Herausforderungen für die kooperative Zusammenarbeit mit sich bringt, sie aber auch eine Chance darstellt, bestehende Prozesse zu überdenken und nachhaltige Beziehungen in der Lieferkette zu fördern.