juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BayObLG München 1. Zivilsenat, Beschluss vom 31.01.2024 - 101 VA 239/23
Autor:Dr. Michael Giers, Direktor AG a.D.
Erscheinungsdatum:16.04.2024
Quelle:juris Logo
Normen:Art 2 GG, § 127 ZPO, § 567 ZPO, § 299 ZPO, § 23 GVGEG, § 117 ZPO
Fundstelle:jurisPR-FamR 8/2024 Anm. 1
Herausgeber:Andrea Volpp, RA'in und FA'in für Familienrecht
Franz Linnartz, RA und FA für Erbrecht und Steuerrecht
Zitiervorschlag:Giers, jurisPR-FamR 8/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Rechtsmittel gegen einem Beteiligten gewährte Akteneinsicht in Unterlagen der Verfahrenskostenhilfe



Leitsätze

1. Die sofortige Beschwerde nach § 127 Abs. 2 Satz 2, § 567 ZPO ist der statthafte Rechtsbehelf der um Verfahrenskostenhilfe nachsuchenden Partei gegen eine Entscheidung des Familiengerichts, dem Gegner nach § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO Einsicht in die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und die entsprechenden Belege zu gewähren.
2. Die Entscheidung über die Gewährung von Einsicht nach § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO für den Gegner ist kein Justizverwaltungsakt i.S.d. §§ 23 ff. EGGVG, sondern ein Akt der Rechtsprechung (Anschluss an BGH, Beschl. v. 17.12.2020 - IX ZA 16/20 Rn. 4).



A.
Problemstellung
Unter welchen Voraussetzungen kann das Gericht dem Antragsgegner Einsicht in die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers im Verfahrenskostenhilfeverfahren gewähren und welches Rechtsmittel steht dem Antragsteller gegen eine stattgebende Entscheidung zu?


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Antragstellerin dieses Verfahrens ist Antragsgegnerin in einem vom weiteren Beteiligten, ihrem durch den Vater vertretenen minderjährigen Sohn (im Folgenden als Sohn bezeichnet) eingeleiteten Unterhaltsverfahren. Der Sohn ging im Wege des Stufenantrages vor und beantragte zunächst die Verpflichtung der Antragstellerin zur Auskunft über ihre Einkommensverhältnisse. Die Antragstellerin reichte nach Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens eine Verteidigungsanzeige ein und beantragte, ihr Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen. Dem Antrag legte sie eine Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen bei. Ihr Sohn beantragte daraufhin, ihm die eingereichten Unterlagen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin zur Einsicht und Stellungnahme zu übermitteln. Dem stimmte die Antragstellerin nicht zu. Das Amtsgericht - Familiengericht - entschied durch richterlichen Beschluss, dass dem Sohn Einsicht in das Verfahrenskostenhilfeheft der Antragstellerin gewährt wird. Der dem Beschluss beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung zufolge findet gegen die Entscheidung die sofortige Beschwerde statt, welche von der Antragstellerin frist- und formgerecht eingelegt wurde.
Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem OLG München vorgelegt. Zugleich reichte die Antragstellerin die Antragserwiderung ein, erteilte Auskünfte zu ihrem Einkommen und legte entsprechende Belege vor. Das Oberlandesgericht hat nach Anhörung der Beteiligten die Sache von Amts wegen rechtskräftig an das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) verwiesen, weil es sich um eine Justizverwaltungssache handelt und das Oberlandesgericht für die Entscheidung über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG nicht zuständig ist.
Das BayObLG hat den Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben, weil spätestens mit dem Eingang der Antragserwiderung beim Amtsgericht die Einsicht des Sohnes in die Unterlagen der Verfahrenskostenhilfe nicht mehr benötigt wird, um die Richtigkeit der Angaben der Antragstellerin i.S.d. § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO aufzuklären.
Zwar sei nicht der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG der richtige Rechtsbehelf, sondern die sofortige Beschwerde. Der Verweisungsbeschluss des Oberlandesgerichts sei jedoch bindend. In der Sache hat das BayObLG damit über eine sofortige Beschwerde zu entscheiden, denn die als Beschluss erlassene Entscheidung des Amtsgerichts über das Einsichtsgesuch ist kein Justizverwaltungsakt, sondern ein Akt der Rechtsprechung (BGH, Beschl. v. 17.12.2020 - IX ZA 16/20 Rn. 4). Aus dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch, der Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips i.V.m. den Grundrechten, insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG, sei, folge, dass gegen einen Beschluss, mit welchem dem Gegner Einsicht in das Verfahrenskostenhilfeheft gewährt werde, die sofortige Beschwerde gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO, § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft sei. Dagegen spreche nicht, dass es sich bei der Entscheidung um eine Zwischen- bzw. Nebenentscheidung handle, die grundsätzlich einer isolierten Anfechtbarkeit entzogen sei.
Die sofortige Beschwerde habe Erfolg, weil es jedenfalls im Hinblick auf die mit der Antragserwiderung der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren erfolgte Auskunft nebst Vorlage von Belegen nicht mehr gerechtfertigt sei, dem Gegner aus Gründen der Verfahrensökonomie und im Sinne einer Richtigkeitsgewähr Einsicht in die Unterlagen der Verfahrenskostenhilfe zu gewähren. § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO begründe kein Anhörungs- und auch kein Akteneinsichtsrecht des Gegners, sondern beschreibe nur die Modalitäten, unter denen die Erklärung und die Belege zugänglich gemacht werden können. Wenn zwischen den Beteiligten ein materiell-rechtlicher Auskunftsanspruch bestehe, erscheine es verfahrensökonomisch, den Gegner sogleich in das Verfahren einzubeziehen, um etwaige Unrichtigkeiten in der Erklärung so früh wie möglich korrigieren zu können. Die Regelung habe aber nur objektiv-rechtlichen Charakter und bezwecke nicht die Verbesserung der subjektiven Rechtsstellung des Verfahrensgegners.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung betrifft zunächst die Frage, mit welchem Rechtsmittel sich der Antragsteller gegen die Gewährung von Einsicht in seine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wenden kann. Insoweit kommt es darauf an, ob es sich um ein laufendes oder ein abgeschlossenes Verfahren handelt. In diesem Fall ist das Verfahren noch nicht abgeschlossen. Dann stellt die Entscheidungsbefugnis über das Einsichtsgesuch eine Annexzuständigkeit dar, die sich aus der Zuständigkeit für die Entscheidung über das Verfahrenskostenhilfebegehren ergibt (BGH, Beschl. v. 17.12.2020 - IX ZA 16/20 Rn. 4). Wird Einsicht gewährt, so kann der Antragsteller gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde einlegen (OLG Frankfurt, Beschl. v. 24.11.2017 - 2 WF 311/17 - FamRZ 2018, 608; OLG Naumburg, Beschl. v. 20.09.2013 - 8 WF 140/13 (VKH) - FuR 2014, 432; OLG Koblenz, Beschl. v. 04.11.2010 - 7 WF 872/10 - FamRZ 2011, 389; a.A. OLG Schleswig, Beschl. v. 09.06.2016 - 10 VA 3/16; OLG Schleswig, Beschl. v. 09.06.2016 - 10 VA 3/16, wonach es sich um einen gemäß den §§ 23 ff. EGGVG anfechtbaren Verwaltungsakt handelt). Sofern das Verfahren bereits abgeschlossen ist, richtet sich die Einsichtnahme nach § 299 Abs. 2 ZPO. Zuständig ist also die Gerichtsverwaltung, die darüber durch Justizverwaltungsakt zu entscheiden hat. Dagegen ist dann der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG gegeben (BGH, Beschl. v. 29.04.2015 - XII ZB 214/14 Rn. 13 - FamRZ 2015, 1176).
Wenn wie im vorliegenden Fall während des laufenden Verfahrens die Einsichtnahme in die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse verlangt wird, so gilt nach § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO, dass diese dem Gegner nur mit Zustimmung des Antragstellers zugänglich gemacht werden darf; es sei denn, der Gegner hat gegen den Antragsteller nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts einen Anspruch auf Auskunft über Einkünfte und Vermögen des Antragstellers. Doch auch wenn ein derartiger Anspruch gegeben ist, besteht kein Recht auf Einsicht.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die ganz herrschende Meinung geht nunmehr davon aus, dass im laufenden Verfahren das Gericht, welches das Verfahren führt, und nicht die Justizverwaltung über ein Gesuch des Gegners auf Einsicht in die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers zu entscheiden hat. Wird die Einsicht gewährt, so steht dem Antragsteller dagegen die sofortige Beschwerde zu. Für den Gegner begründet § 117 Abs. 2 Satz 2 ZPO kein Einsichtsrecht.



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