Kontext der Entscheidung
In seiner bisherigen Rechtsprechung hat der BGH die Frage offengelassen, ob in einer Zwei-Personen-GmbH der den Ausschluss betreibende Gesellschafter selbst auf Ausschließung des jeweils anderen klagen kann oder ob er durch Beschluss eine Prozessführung der Gesellschaft herbeiführen muss; hiernach war grundsätzlich die Ausschließungsklage von der GmbH zu erheben (vgl. BGH, Urt. v. 01.04.1953 - II ZR 235/52 - BGHZ 9, 157, 177; BGH, Urt. v. 17.02.1955 - II ZR 316/53 - BGHZ 16, 317, 322). Die herrschende Meinung in der Literatur und Rechtsprechung hat dabei seit vielen Jahren angenommen, dass in einer Zwei-Personen-GmbH jeder Gesellschafter persönlich eine Ausschließungsklage gegen den Mitgesellschafter erheben kann (vgl. statt vieler Fleischer in: Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 34 GmbHG Rn. 31 sowie Strohn in: MünchKomm GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 34 Rn. 176 m.w.N.; weiter gehend: Fischer in: Festschrift Walter Schmidt, 1959, S. 117, 133 f.; Joost, ZGR 1984, 71, 100 ff.). Als Begründung dienen dabei sowohl der Praktikabilitätsgedanke (Kersting in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, Anhang nach § 34 Rn. 8a; Klingsch in: Saenger/Inhester, GmbHG, 4. Aufl. 2020, Anhang zu § 34 Rn. 16; Battke, GmbHR 2008, 850, 854; Fischer in: Festschrift Walter Schmidt, 1959, S. 117, 133 f.) als auch (überwiegend) die Grundsätze der actio pro socio bzw. deren Rechtsgedanken (vgl. statt vieler Strohn in: MünchKomm GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 34 Rn. 176 m.w.N.).
Vereinzelt wird allerdings auch angenommen, dass kein Bedürfnis für eine vom allgemeinen Grundsatz abweichende unmittelbare Klagebefugnis des ausschließungswilligen Gesellschafters bei einer Zwei- Personen-GmbH bestünde (vgl. OLG Nürnberg, Urt. v. 21.04.1970 - 7 U 130/69; Balz, Die Beendigung der Mitgliedschaft in der GmbH, 1984, S. 47; Goette/Goette, Die GmbH, 3. Aufl. 2019, § 6 Rn. 12; Ganssmüller, GmbHR 1956, 145, 148; Goette, DStR 2001, 533, 534; Seydel, GmbHR 1953, 149, 150), da über die Erhebung der Ausschließungsklage die Gesellschafterversammlung zu befinden habe und der betroffene Gesellschafter dabei nicht stimmberechtigt wäre. So betrachtet wäre diese Frage lediglich dann relevant, wenn der auszuschließende Gesellschafter zugleich der einzige Geschäftsführer der GmbH wäre (vgl. Goette, DStR 2001, 533, 534).
Der BGH schließt sich mit der vorliegenden Entscheidung der herrschenden Meinung an: demnach könne der Gesellschafter einer Zwei-Personen-GmbH unter den Voraussetzungen der actio pro socio die Ausschließungsklage erheben, etwa wenn der Auszuschließende seine zwischen den Gesellschaftern bestehende Treuepflicht verletzt und durch eine damit verbundene Schädigung des Vermögens der Gesellschaft mittelbar auch dasjenige des klagenden Gesellschafters geschädigt habe (actio pro socio). Die Übertragung der – an sich personengesellschaftsrechtlichen – Grundsätze der actio pro socio auf die Ausschließungsklage in der GmbH sieht der BGH dadurch gerechtfertigt, dass das Recht auf Ausschließung seinen materiellen Grund in der Treuepflicht der Gesellschafter habe und die actio pro socio die Gesellschafter auch vor Beeinträchtigungen schützen soll, die die Verletzung der Treuepflicht mit sich bringt, wie etwa bei einer unrechtmäßigen Einflussnahme auf die Geschäftsführung bei der Verfolgung von Ansprüchen, die aus eben jener Treuepflicht erwachsen (vgl. BGH, Urt. v. 08.11.2022 - II ZR 91/21 - BGHZ 235, 57 Rn. 67). Gerade bei Ausschließungsklagen, denen in der Regel ein zerrüttetes Verhältnis zwischen den Gesellschaftern zugrunde liege, bestehe diese Gefahr besonders deutlich, wirke sich doch der Gesellschafterstreit mitunter auch auf die Geschäftsführung und damit auch auf die Durchsetzung eines ggf. gebotenen Ausschließungsanspruchs aus.
Andererseits stünde der Prozessführungsbefugnis des Klägers auch der Vorrang der inneren Zuständigkeitsordnung der Gesellschaft nicht entgegen: dieser entfalle nämlich dann, wenn – wie vorliegend – eine Klage der Gesellschaft undurchführbar, durch den Schädiger selbst vereitelt oder infolge der Machtverhältnisse der Gesellschaft unzumutbar wäre (BGH, Urt. v. 05.06.1975 - II ZR 23/74 - BGHZ 65, 15, 21; BGH, Urt. v. 28.06.1982 - II ZR 199/81; BGH, Urt. v. 29.11.2004 - II ZR 14/03).
Daneben hat der BGH auch hinsichtlich der Frage der Abfindung des auszuschließenden Gesellschafters mit der vorliegenden Entscheidung seine sog. Bedingungslösung bei der Ausschließung eines Gesellschafters nach ca. 70 Jahren aufgegeben und sich auch hier der herrschenden Meinung in der Literatur (vgl. hierzu statt vieler zum Meinungsstand Strohn in: MünchKomm GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 34 Rn. 184 ff. m.w.N.) angeschlossen.
Zwar hatte sich der BGH bereits im Hinblick auf die Zwangseinziehung durch Gesellschafterbeschluss zugunsten der von der herrschenden Meinung vertretenen sog. Haftungslösung positioniert (BGH, Urt. v. 24.01.2012 - II ZR 109/11 - BGHZ 192, 236-245), erstreckt diese nunmehr auch auf den Gesellschafterausschluss durch Gestaltungsurteil. Mithin ist die Ausschließung eines Gesellschafters durch Gestaltungsurteil hiernach nicht mehr an die Bedingung geknüpft, dass der betroffene Gesellschafter binnen einer im Urteil festzusetzenden angemessenen Frist den ebenfalls im Urteil zu bestimmenden Gegenwert für seinen Geschäftsanteil erhält. Nach der vorliegenden Entscheidung gilt vielmehr, dass wenn ein Gesellschafter wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes ohne statutarische Regelung durch Urteil aus der GmbH ausgeschlossen wird, die Ausschließung des betroffenen Gesellschafters bereits mit Rechtskraft des Urteils wirksam ist und nicht durch die Leistung der Abfindung bedingt wird. Der Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil eingezogen wird, muss allerdings davor geschützt werden, dass die verbleibenden Gesellschafter sich mit der Fortsetzung der Gesellschaft den wirtschaftlichen Wert seines Anteils aneignen und ihn aufgrund der gläubigerschützenden Kapitalerhaltungspflicht mit seinem Abfindungsanspruch leer ausgehen lassen. Die Gesellschafter haften daher dem ausgeschiedenen Gesellschafter anteilig auf Zahlung der Abfindung, wenn die Fortsetzung der Gesellschaft unter Verzicht auf Maßnahmen zur Befriedigung des Abfindungsanspruchs des ausgeschiedenen Gesellschafters als treuwidrig anzusehen ist.
Diese vom BGH nunmehr auch auf diese Fälle erstreckte sog. Haftungslösung vermeidet die mit der bisherigen Bedingungslösung verbundenen erheblichen Nachteile der Schwebelage – allein schon den (häufig wohl nicht zumutbaren) Verbleib des ausgeschlossenen Gesellschafters in der Gesellschaft. Nach der vorliegenden Entscheidung wird auch der Abfindungsanspruch des Gesellschafters bei einem mit Rechtskraft des Ausschließungsurteils wirksamen Ausscheiden ausreichend gesichert, nämlich zum einen durch das Gebot der Kapitalerhaltung, und zum anderen durch die persönliche Haftung der verbliebenen Gesellschafter ab dem Zeitpunkt, in dem die Fortsetzung der Gesellschaft unter Verzicht auf Maßnahmen zur Befriedigung des Abfindungsanspruchs des ausgeschiedenen Gesellschafters als treuwidrig anzusehen ist.