juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 7. Zivilsenat, Beschluss vom 22.11.2023 - VII ZR 6/23
Autoren:Dr. Philine Fabig, RA'in,
Josephine Toepfer, LL.M., RA'in
Erscheinungsdatum:26.03.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 544 ZPO, Art 103 GG, § 139 ZPO, § 811 BGB, § 44 GKG 2004, § 22 JVEG, § 87c HGB
Fundstelle:jurisPR-HaGesR 3/2024 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Jörn-Christian Schulze, RA und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht
Zitiervorschlag:Fabig/Toepfer, jurisPR-HaGesR 3/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Beschwer bei Bucheinsichtsanspruch



Leitsatz

Zur Bemessung des Wertes des Beschwerdegegenstandes der Berufung einer zur Gewährung von Bucheinsicht verurteilten Partei.



A.
Problemstellung
Der Anspruch auf Erteilung eines Buchauszuges bzw. Bucheinsicht nach § 87c HGB begegnet in der Praxis immer wieder Herausforderungen. Diese liegen nicht nur in der organisatorischen Bewältigung dieses Anspruchs durch den Unternehmer, sondern auch in der Schwierigkeit, die damit verbundenen Kosten zu ermitteln, die sich je nach Unternehmen massiv unterscheiden. Eine entscheidende Variable, die diese Preisunterschiede beeinflusst, ist die Digitalisierung und Simplizität des Zugriffs auf die benötigten Daten. Je nachdem, wie leicht oder kompliziert es ist, auf die zur Auskunft erforderlichen Aufzeichnungen zuzugreifen, variieren die von Unternehmen berechneten Kosten erheblich.
Der BGH hat sich in dem hier besprochenen Beschluss vom 22.11.2023 mit der Beschwer und dem Streitwert der Rechte aus § 87c HGB auseinandergesetzt.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin war als Handels- und Versicherungsvertreterin für die Beklagte tätig. Die Beklagte, eine Handels- und Versicherungsmaklerin, kündigte den Vertrag aus wichtigem Grund. In einer Stufenklage verlangte die Klägerin von der Beklagten zunächst einen Buchauszug, nach übereinstimmender Erledigungserklärungen forderte sie später stattdessen Bucheinsicht nach § 87c Abs. 4 HGB.
Das Landgericht gab der Klage teilweise statt, die Beklagte legte Berufung ein. In der Berufungsverhandlung erging gegen die säumige Beklagte ein unechtes Versäumnisurteil, mit dem ihre Berufung mangels Erreichens einer über 600 Euro hinausgehenden Beschwer als unzulässig verworfen wurde. Das OLG stützte sich bei der Berechnung der Beschwer darauf, dass der Beklagte alle provisionsrelevanten Daten, die für den Buchauszug erforderlich waren, in digitaler Form zur Verfügung standen und die Beklagte nach Ansicht des OLG weder dargelegt noch glaubhaft gemacht hatte, dass die Bucheinsicht für sie mit einem 600 Euro übersteigenden Arbeits- oder technischen Aufwand verbunden wäre.
Die von der Beklagten daraufhin eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das OLG nach § 544 Abs. 9 ZPO.
Der BGH sah in der Entscheidung des OLG einen Verstoß gegen den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG. Die Beklagte hatte argumentiert, dass der Aufwand für die Bucheinsicht die 600-Euro-Grenze überschreite und sich dabei auf Aussagen der Klägerin gestützt. Das OLG hatte dies nicht ausreichend berücksichtigt und falsche Annahmen darüber gemacht, wie einfach die Beklagte die erforderlichen Daten extrahieren könne. Die Klägerin hatte selbst zu dem Aufwand für die Gewährung der Bucheinsicht vorgetragen, was sich die Beklagte stillschweigend zu eigen machte, da dieser für sie günstig war. Auch dieses unstreitige Vorbringen hätte von dem OLG berücksichtigt werden müssen (vgl. BGH, Beschl. v. 06.06.2023 - VI ZR 197/21 Rn. 12 - MDR 2023, 1064; BGH, Beschl. v. 06.09.2022 - VIII ZR 352/21 Rn. 15 - MDR 2022, 1364; BGH, Beschl. v. 17.06.2020 - VII ZR 111/19 - NJW 2020, 3653).
Zudem fehlte dem BGH ein richterlicher Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO darüber, dass sich die Entscheidung des OLG darauf stützte, dass eine Bucheinsicht ohne nennenswerten Aufwand möglich wäre. Das Gericht hätte den geltend gemachten Aufwand für die Bucheinsicht, der den maßgeblichen Wert des Beschwerdegegenstandes von 600 Euro überstieg, sorgfältiger prüfen müssen.


C.
Kontext der Entscheidung
Wenn ein Unternehmer einen Wirtschaftsprüfer oder einen vereidigten Buchsachverständigen zur Durchführung der Einsicht wählt, hat grundsätzlich zunächst der Handelsvertreter die anfallenden Kosten zu tragen (§ 811 BGB). Diese Regelung steht im Einklang mit der Annahme, dass der Handelsvertreter, der die Bucheinsicht beantragt, auch die finanziellen Aufwendungen für diese Maßnahme tragen sollte. Hat jedoch der Unternehmer den Buchauszug verweigert oder ergibt die Einsicht, dass die Abrechnung oder der Buchauszug fehlerhaft oder unvollständig ist, kann der Handelsvertreter die entstandenen Kosten als Schadensersatz vom Unternehmer fordern (vgl. BGH, Urt. v. 13.07.1959 - II ZR 192/57 - NJW 1959, 1964; Lehmann in: BeckOK HGB, 40. Ed. 01.07.2023, § 87c Rn. 44; Oetker in: ErfKomm, 24. Aufl. 2024, § 87c HGB Rn. 6).
Häufig werden die Ansprüche aus § 87c HGB in einer Stufenklage geltend gemacht, wobei nach § 44 GKG der Streitwert durch den Betrag bestimmt wird, den der Kläger als Ergebnis der erteilten Informationen verlangt (Martinek/Semler/Flohr, Handbuch des Vertriebsrechts, § 77 Der Handelsvertreterprozess Rn. 48, 49). Der isolierte Streitwert eines Buchauszugsantrags bemisst sich nach dem Aufwand des Unternehmers für die Erstellung des Buchauszugs (BGH, Beschl. v. 24.07.2019 - VII ZR 129/18).
Des Weiteren ist die Frage der Beschwer für eine Revision von entscheidender Bedeutung. Hierbei orientiert sich das Interesse des Handelsvertreters an der Durchsetzung seiner Rechte aus § 87c HGB an einem Bruchteil des Werts der Zahlungsforderung, die der Handelsvertreter durchzusetzen hofft. Entsprechend dieser Regelungen wird der Streitwert einer Klage und die Beschwer für die Revision für den Handelsvertreter bestimmt.
Das Abwehrinteresse des Unternehmers gegen eine Verurteilung zur Informationserteilung beruht hingegen maßgeblich auf den tatsächlichen Kosten und dem finanziellen Aufwand, insbesondere durch Einschaltung Dritter wie Sachverständige oder Buchprüfer. Dabei steht dem Unternehmer grundsätzlich frei, mit welchem Aufwand er die ihm treffenden Verpflichtungen erfüllen möchte. Allerdings ist zu beachten, dass bei Eigenleistungen, die der Unternehmer ohne Weiteres selbst erbringen kann, der dafür anzusetzende Stundensatz auf den Höchstsatz gemäß § 22 JVEG von 25 Euro pro Stunde begrenzt ist. Falls der Unternehmer die zu erteilenden Informationen nicht selbst besitzt und auch nicht ohne Weiteres beschaffen kann, werden die Kosten für die notwendige Beschaffung der Daten bei Dritten und die Auswertung bzw. Integration dieser Daten in die zu erteilende Auskunft berücksichtigt (vgl. Semmler in: Ebenroth/Boujong, HGB, 5. Aufl. 2024, § 87c Rn. 114; BGH, Beschl. v. 24.11.2021 - VII ZR 531/21). Die Bemessung der Beschwer für den Unternehmer richtet sich nach dem Aufwand hinsichtlich der Zeit und Kosten, der für die Erfüllung des Anspruchs auf Bucheinsicht anfällt (vgl. BGH, Beschl. v. 21.05.2019 - II ZB 17/18 Rn. 8; BGH, Beschl. v. 24.11.2021 - VII ZR 531/21).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Dass sowohl der Anspruch auf einen Buchauszug nach § 87c Abs. 2 HGB wie auch auf Bucheinsicht nach § 87c Abs. 4 HGB oft mit gewissem Aufwand verbunden ist, zeigt die Praxis. Während einige Unternehmer in der Lage sind, einen Buchauszug auf Knopfdruck zu erstellen, tragen andere vor, durch die Beschäftigung mehrerer Wirtschaftsprüfer nach Anspruchserfüllung Insolvenz anmelden zu müssen. Insofern ist es begrüßenswert, dass der BGH den Aufwand, den die Bucheinsicht beim Unternehmen auslösen kann, angemessen berücksichtigt. In der Praxis bietet es sich für Unternehmer natürlich auch im eigenen Interesse an, die Erstellung eines Buchauszuges (wie auch die Bucheinsicht) zu digitalisieren, bereits in ihrem System abzubilden und damit erheblich zu vereinfachen.



Immer auf dem aktuellen Rechtsstand sein!

IHRE VORTEILE:

  • Unverzichtbare Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften
  • Alle Rechtsinformationen sind untereinander intelligent vernetzt
  • Deutliche Zeitersparnis dank der juris Wissensmanagement-Technologie
  • Online-First-Konzept

Testen Sie das juris Portal 30 Tage kostenfrei!

Produkt auswählen

Sie benötigen Unterstützung?
Mit unserem kostenfreien Online-Beratungstool finden Sie das passende Produkt!