juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 9. Zivilsenat, Urteil vom 22.02.2024 - IX ZR 106/21
Autor:Dr. Daniel Brzoza, RiAG
Erscheinungsdatum:17.04.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 138 InsO, § 16 AktG
Fundstelle:jurisPR-InsR 4/2024 Anm. 1
Herausgeber:Ministerialrat Alexander Bornemann
Dr. Daniel Wozniak, RA, FA für Insolvenz- und Sanierungsrecht, FA für Handels- und Gesellschaftsrecht und FA für Steuerrecht
Zitiervorschlag:Brzoza, jurisPR-InsR 4/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

§ 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO: Auch mittelbare Kapitalbeteiligungen sind zu berücksichtigen



Leitsatz

Ist der Schuldner eine juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, so sind nahestehende Personen auch solche, die mittelbar zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligt sind.



A.
Problemstellung
Manchmal überrascht es sehr, mit welchen Fallkonstellationen der BGH sich beschäftigen muss. Im vorliegenden Fall war für die Einordnung als nahestehende Person relevant, ob neben der unmittelbaren auch die mittelbare Beteiligung ausreichend ist. Sowohl im Gesetzgebungsverfahren als auch in der Literatur wird dies eindeutig bejaht. Hingegen haben im vorliegenden Fall die ersten beiden Instanzen eine mittelbare Beteiligung als nicht ausreichend angesehen, so dass der BGH die Gelegenheit erhielt, diese Rechtsfrage nunmehr auch höchstrichterlich zu entscheiden.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Im vorliegenden Gerichtsverfahren begehrte der Insolvenzverwalter im Wege der Insolvenzanfechtung Zahlung von rund 300.000 Euro nebst Zinsen und außergerichtlichen Anwaltskosten von dem Beklagten. Der Beklagte, ein eingetragener Verein, dessen Mitglieder Augenoptiker sind, ist alleiniger Gesellschafter einer GmbH, welche wiederum alleinige Gesellschafterin der Schuldnerin ist.
Sowohl beim erstinstanzlichen Landgericht als auch beim zweitinstanzlichen Oberlandesgericht war der Insolvenzverwalter mit seiner Klage zunächst nicht erfolgreich. Die Revision hingegen hatte in der letzten Instanz beim BGH Erfolg und führte zur teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.


C.
Kontext der Entscheidung
Entscheidender Aspekt für das vorliegende Verfahren war, ob der Beklagte als eine der Schuldnerin nahestehende Person einzuordnen ist. Gemäß § 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO sind nahestehende Personen – wenn der Schuldner eine juristische Person oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit ist – u.a. die Personen, die zu mehr als einem Viertel am Kapital des Schuldners beteiligt sind.
Bei der Berechnung der relevanten Beteiligungsschwelle sind auch mittelbare Beteiligungen zu berücksichtigen (vgl. u.a. Hirte in: Uhlenbruck, InsO, 15. Aufl. 2019, § 138 Rn. 30; Leithaus in: Andres/Leithaus, InsO, 4. Aufl. 2018, § 138 Rn. 5; Rogge/Leptien in: Hamburger Komm. InsO, 10. Aufl. 2024, § 138 Rn. 16; Thole in: Kayser/Thole, InsO, 11. Aufl. 2023, § 138 Rn. 14).
Dies sah auch bereits die InsO in der Fassung des Regierungsentwurfs vor. § 154 Abs. 2 InsO-E regelte entsprechend, dass eine Person auch insoweit am Insolvenzschuldner beteiligt sei, als ein ihm abhängiges Unternehmen oder ein Dritter für Rechnung der Person oder des abhängigen Unternehmens am Schuldner beteiligt sei (vgl. BT-Drs. 12/2443, S. 33 f.). Konsequenterweise differenzierte auch die Begründung zum Regierungsentwurf nicht zwischen einer unmittelbaren oder mittelbaren Kapitalbeteiligung, sondern hielt beide Beteiligungsarten ausdrücklich als relevant fest (vgl. BT-Drs. 12/2443, S. 162). Im nachfolgenden Gesetzgebungsverfahren wurden – wie der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestag zu entnehmen ist – die §§ 153 bis 155 des Regierungsentwurfs „nur“ in redaktionell vereinfachter Form in einem neuen § 153 InsO-E zusammengefasst (vgl. BT-Drs. 12/7302, S. 173). Eine inhaltliche Änderung war damit nicht verbunden, auch wenn mittelbare Beteiligungen normativ nicht mehr ausdrücklich genannt wurden (vgl. u.a. Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 138 Rn. 30).
Mit der Beteiligungsquote von 25 Prozent hat der Gesetzgeber eine starre Grenze gezogen (vgl. u.a. Ganter in: Karsten Schmidt, InsO, 20. Aufl. 2023, § 138 Rn. 22 m.w.N.); aus Gründen der Rechtsklarheit ist nicht entscheidend, in welchem Umfang Rechtsgeschäfte der Geschäftsführer nach dem konkreten Gesellschaftsvertrag der Zustimmung der Gesellschafter bedürfen.
Grund für diese Höhe der Kapitalbeteiligung ist insbesondere die mit einer solchen Beteiligung verbundene Sperrminorität und besondere Informationsmöglichkeit (vgl. u.a. Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 138 Rn. 21). Die insolvenzrechtliche Regelung zur Beteiligungshöhe greift insoweit den Rechtsgedanken des § 16 Abs. 4 AktG auf (BT-Drs. 12/2443, S. 162). Beträgt die Kapitalbeteiligung mehr als ein Viertel, so verfügt eine Person über bloße Auskunftsrechte hinausgehende Möglichkeiten, sich über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners zu unterrichten (BT-Drs. 12/2443, S. 162). Das Bestehen einer solchen Möglichkeit wird bei einer Kapitalbeteiligung von mehr als 25 Prozent unwiderleglich vermutet (vgl. Kirchhof/Gehrlein in: MünchKomm InsO, 4. Aufl. 2019, § 138 Rn. 24). Unerheblich ist hierbei, ob diese Rechte unmittelbar oder durch die Zwischenschaltung einer anderen natürlichen oder juristischen Person oder einer anderen Personenvereinigung erreicht wird (vgl. u.a. Kirchhof/Gehrlein in: MünchKomm InsO, § 138 Rn. 24). Für die Abhängigkeit ausreichend ist der Mehrheitsbesitz der Anteile (§ 16 AktG), auf die Unternehmenseigenschaft des Inhabers kommt es dabei nicht an (BT-Drs. 12/2443, S. 162; Hirte in: Uhlenbruck, InsO, § 138 Rn. 31 m.w.N.).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Höchstrichterlich wurde nunmehr die eigentlich bereits aufgrund des Gesetzgebungsverfahren sowie der Literaturansicht eindeutige Frage noch einmal bestätigt, dass im Rahmen der Einordnung als nahestehende Person auch die mittelbare Beteiligung an der Insolvenzschuldnerin von mehr als 25 Prozent ausreichend ist.



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