juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 27.11.2023 - VIa ZR 1425/22
Autoren:Prof. Dr. Ansgar Staudinger,
Luca Alicia Sprick, Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Erscheinungsdatum:22.03.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 2 EG-FGV 2011, § 545 ZPO, § 32 ZPO, § 562 ZPO, § 563 ZPO, § 6 EG-FGV, § 27 EG-FGV, § 823 BGB, EGRL 46/2007, EUV 1215/2012, EGV 864/2007
Fundstelle:jurisPR-IWR 2/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Ansgar Staudinger, Universität Bielefeld
Zitiervorschlag:Staudinger/Sprick, jurisPR-IWR 2/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Haftung des Herstellers des Basisfahrzeugs eines Wohnmobils in einem Dieselverfahren



Leitsätze

1. Auf die deliktische Haftung des Herstellers eines in einem anderen Mitgliedstaat typgenehmigten Basisfahrzeugs, das als Wohnmobil vervollständigt in der Bundesrepublik Deutschland in Verkehr gebracht wird, findet deutsches Sachrecht Anwendung.
2. Für den Differenzschaden kommt es nicht darauf an, welchen Zwecken die beabsichtigte Nutzung eines Kraftfahrzeugs als Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr dienen soll.



A.
Problemstellung
Der BGH befasste sich im vorliegenden Anlassstreit mit der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in Fahrzeugen und der Frage, welches Deliktsrecht einem ausländischen Hersteller gegenüber zur Anwendung gelangt, wenn ein Basisfahrzeug in einem anderen Mitgliedstaat typgenehmigt, jedoch in der Bundesrepublik Deutschland vervollständigt und in den Verkehr gebracht wird. Vor diesem Hintergrund war zu klären, ob die hiesige Justiz international (sowie örtlich) zuständig und wie die Einstandspflicht des Herstellers aus unerlaubter Handlung zu beurteilen ist. Entsprechend der Ausrichtung dieses Praxisreports beschränken sich die Ausführungen weithin auf die Passagen des erkennenden Zivilsenats zum Internationalen Zivilverfahrens- sowie Privatrechts.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger begehrt von der Beklagten, einer Kapitalgesellschaft italienischen Rechts mit Sitz in Italien, Schadensersatz aufgrund der Nutzung unzulässiger Abschalteinrichtungen in dem vom Kläger erworbenen Wohnmobil.
Der Kläger kaufte das Modell Fiat Ducato Sunlight A68 im April 2018 zu einem Preis von 52.300 Euro in Deutschland von einem Dritten. Als Herstellerin des Basisfahrzeugs fungierte die Beklagte. In das Fahrzeug wurde ein Dieselmotor des Typs 2,3-l-MultiJet II mit 96 kW (Schadstoffklasse 6) eines anderen Produzenten eingebaut. Das Fahrzeug ist mit einem Thermofenster versehen, einer unzulässigen Abschalteinrichtung (vgl. EuGH, Urt. v. 14.07.2022 - C-145/20), welche das Abgasverhalten des Fahrzeugs steuerte. Die EG-Typengenehmigung des Basisfahrzeugs wurde durch eine italienische Behörde vorgenommen.
Das Kraftfahrt-Bundesamt eröffnete ein Verfahren gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 der EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung (EG-FGV, BGBI I 2011, 126) sowie Art. 30 Abs. 3 Satz 1 der RL 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.09.2007. Die Richtlinie zielt darauf ab, einen Rahmen für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für die Fahrzeuge zu schaffen. Die italienische Behörde, welche für die EG-Typengenehmigung zuständig war, hat keinen Anlass für das Treffen etwaiger Maßnahmen im September 2016 gesehen und blieb folglich untätig.
Der Erwerber klagte auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich des Werts gezogener Nutzungen nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie auf Ersatz von Finanzierungs- und außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten. Zudem verlangte er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten. Der Kläger – bislang im Instanzenzug erfolglos – verfolgt seine Berufungsanträge mit der zugelassenen Revision weiter.


C.
Kontext der Entscheidung
Der Entscheidung ist von der Begründung sowie im Ergebnis weithin zuzustimmen.
I. Internationale Zuständigkeit
Vorauszuschicken bleibt: Grundsätzlich kann eine Revision gemäß § 545 Abs. 2 ZPO nicht dadurch abgelehnt werden, dass das Gericht der ersten Instanz unzuständig ist, jedoch gilt dieses Prinzip nicht bei der internationalen Zuständigkeit. Diese ist als Sachurteilsvoraussetzung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (vgl. BGH, Urt. v. 07.12.2022 - XII ZR 34/22; BGH, Urt. v. 28.09.2022 - XII ZR 7/22 - NJW 2022, 3644; BGH, Urt. v. 18.01.2011 - X ZR 71/10 - DAR 2011, 201).
Die Revisionsinstanz stellt in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht zutreffend fest, dass die deutschen Gerichte international zuständig sind und verwies dabei auf Art. 7 Nr. 2 i.V.m. Art. 63 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen und nahm insofern Bezug auf das Urteil des EuGH vom 09.07.2020 (C-343/19, dazu Staudinger/Beiderwieden, DAR 2021, 544). Dieser legt Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zutreffend dahin aus, dass sich der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolges in Fällen, in denen der Hersteller unzulässige Abschalteinrichtungen in Fahrzeuge einbaut, in dem Mitgliedstaat befindet, in dem das Fahrzeug erworben wurde und nicht in dem Land, in welchem rechtswidrig die Software eingebaut wurde (vgl. EuGH, Urt. v. 09.07.2020 - C-343/19 Rn. 41; Staudinger/Beiderwieden, DAR 2021, 544, 545). Der Entscheid aus Luxemburg differenziert insofern nicht zwischen Neufahrzeugen oder Gebrauchtwagen. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der Käufer das Fahrzeug als Verbraucher oder als Dienstwagen erwirbt. Im Anlassstreit handelte es sich bei dem Wohnmobil um ein Neufahrzeug.
In einer aktuellen Entscheidung vom 22.02.2024 (C-81/23) bekräftigt der EuGH seinen bisherigen Standpunkt und präzisiert ihn dahin, dass für den Erfolgsort i.S.d. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO der Übergabeort des Fahrzeugs maßgeblich ist. Diese Konkretisierung war deshalb veranlasst, weil in dem weiteren Vorlageverfahren die Unterzeichnung des Kaufvertrags einerseits sowie die Übergabe des Fahrzeugs und sein Gebrauch andererseits in verschiedenen Mitgliedstaaten stattfanden. Nach Auffassung des EuGH geht es vorliegend in Bezug auf die unzulässige Abschaltvorrichtung nicht um einen primären oder reinen Vermögensschaden, sondern einen materiellen Schaden in Form der Minderung des Sachwerts des mit einem Mangel behafteten Fahrzeugs. Folgt man diesem Ansatz, so zieht daraus der Gerichtshof konsequent folgende Schlussfolgerungen:
Es kommt weder auf den womöglich auch eher zufälligen Ort des Abschlusses vom Kaufvertrag noch auf den Gebrauch an. Hiergegen spricht bereits der Grundsatz der Vorhersehbarkeit eines Gerichtsstandes im Sinne des Erwägungsgrundes Nr. 15 Satz 1 Brüssel Ia-VO. Denn gerade mit Blick auf den Einsatz von Fernkommunikationsmitteln lässt sich der Konsens für die schuldrechtliche Ebene schwer lokalisieren, vor allem für den Hersteller als Nichtvertragspartei. Zu bedenken bleibt ferner der Umstand, dass sich der Schaden für den Käufer schon mit dem Erwerb, also der Übergabe des Fahrzeugs manifestiert. Dieser Ansatz des Gerichtshofs überzeugt jedenfalls dann, wenn man den Schaden objektbezogen versteht, mithin auf das Kfz bezieht. Denn dann streitet für den Übergabeort sowohl der Gedanke der Sach- als auch der Beweisnähe, um hierauf den besonderen Wahlgerichtsstand in Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zu stützen.
In der hier rezensierten Entscheidung des BGH waren alle drei Orte, Abschluss des Kaufvertrages, Übergabe und Gebrauch des Wohnmobils in Deutschland belegen.
Das Berufungsgericht entschied, dass der Ort des Kaufvertragsabschlusses über das Wohnmobil, welcher sich zugleich als Ort des Schadenseintritts lokalisieren lasse, in Deutschland belegen sei. Hieraus folgt nach Ansicht der Revisionsinstanz die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Im Lichte der aktuellen Entscheidung des EuGH vom 22.02.2024 (C-81/23) ist auf den ebenfalls in Deutschland belegenen Übergabe- als Erfolgsort abzustellen, ohne dass daraus eine abweichende Beurteilung erfolgt.
Zu ergänzen ist jedoch, dass Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO zugleich die örtliche Zuständigkeit mitregelt. Dies folgt bereits aus der grammatikalischen Auslegung („Gericht des Ortes“). Der Rückgriff auf die ZPO verbietet sich auch insoweit.
Die vorangehenden Ausführungen lassen sich auf Art. 5 Nr. 3 des revidierten Lugano-Übereinkommens übertragen. Sofern ein Hersteller in einem Drittstaat (außerhalb von Schweiz, Norwegen und Island) ansässig ist, sei es nach Vollzug des Brexits im Vereinigten Königreich, in den USA oder im asiatischem Rechtsraum, bleibt im Lichte von Art. 6 Abs. 1, Art. 63 Brüssel Ia-VO nur der Rückgriff auf § 32 ZPO. Die Rechtsprechungsgrundsätze des EuGH lassen sich aber im Wege der freiwilligen Harmonisierung in § 32 ZPO hineinlesen und auf das nationale Prozessrecht übertragen (vgl. BGH, Beschl. v. 10.12.2002 - X ARZ 208/02 - NJW 2003, 828; BGH, Urt. v. 01.03.2011 - XI ZR 48/10 - NJW 2011, 2515).
II. Kollisionsrecht
Zudem erklärte die Berufungsinstanz deutsches Sachrecht für maßgeblich. Hierbei stützte das Gericht seine Entscheidung auf Art. 4 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.07.2007 (Rom II-VO). Die Rom II-VO ist gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Rom II-VO heranzuziehen, wenn außervertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen vorliegen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen.
Hier bestand ein Bezug zu einem weiteren Mitgliedstaat. Der räumliche Anwendungsbereich des Sekundärrechtsakts schließt indes ebenso Drittstaatensachverhalte ein, wenn also der Hersteller in der Schweiz, den USA oder in Asien seinen Sitz hat. Gleichermaßen war der intertemporale Regelungsbereich nach den Art. 31 und 32 Rom II-VO eröffnet.
Das Berufungsgericht knüpfte an die allgemeine Kollisionsnorm Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO an. Denn die Sonderregel in Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO war nicht einschlägig. Der Anspruchsgegner hatte seinen Sitz nach Art. 23 Abs. 1 Rom II-VO in Italien, während der Käufer in Deutschland ansässig war.
Nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig von dem Ort des schadensbegründenden Ereignisses oder indirekter Schadensfolgen. Allein maßgeblich erscheint demnach der Erfolgsort. Auf den Handlungsort kommt es demgegenüber als Anknüpfungspunkt in Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO nicht an (Rühl in: BeckOGK, Art. 4 Rom II-VO Rn. 48; vgl. auch Staudinger/Beiderwieden, DAR 2021, 544, 545). In der Gesamtschau ergibt sich dadurch ein Unterschied, dass nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO das Prinzip der Ubiquität zugrunde liegt und mithin ein Geschädigter wahlweise am Handlungs- oder Erfolgsort prozessieren kann, sofern bei einem Distanzdelikt beide Orte auseinanderfallen. Die kollisionsrechtliche Anknüpfung ist hingegen in Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO auf das Element des Erfolgsortes beschränkt.
Im Ergebnis ergibt sich damit für den Anlassstreit indes ein Gleichlaufprinzip des Übergabe- als Erfolgsort für Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO sowie Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO. Dies entspricht auch dem Petitum der harmonischen und übergreifenden systematischen Auslegung laut Erwägungsgrund Nr. 7 Rom II-VO i.V.m. Art. 80 Satz 2 Brüssel Ia-VO.
Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO beruft damit im Ergebnis das deutsche Deliktsrecht zur Anwendung. Dabei handelt es sich kraft Art. 24 Rom II-VO, worauf der BGH nicht eingeht, um einen Sachnormverweis.
Der erkennende Zivilsenat greift dann noch die Auflockerung in Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO auf. Zu beachten ist, dass es im vorliegenden Fall um einen individuellen Anspruchsteller als einzelnen Kläger und nicht um das Phänomen der kollektiven Geltendmachung von Verbraucheransprüchen aus international eingetretenen Masseschäden wie im Dieselskandal ging (hierzu Wais, IPRax 2022, 141; Dörner in: Hk-BGB, 12. Aufl. 2024, Art. 4 Rom II-VO Rn. 8). Eine Abkehr von dem kraft Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO für einschlägig erachteten Deliktsstatut kommt in Betracht, sollte sich im Lichte einer Gesamtschau sämtlicher Einzelfallumstände ergeben, dass die unerlaubte Handlung eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat aufweist. Schon die Formulierung „offensichtlich engere Verbindung“ in Art. 4 Abs. 3 Satz 1 Rom II-VO sowie das Regel-Ausnahme-Verhältnis zu Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO machen deutlich, dass eine Auflockerung nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen eingreift.
Das Berufungsgericht hatte eine derartige Korrektur mit der Folge der etwaigen Anwendbarkeit des italienischen Deliktsrechts abgelehnt, weil sich in Deutschland nicht nur der Erfolgs-, sondern auch der Handlungsort befand. Denn dort war das komplettierte Fahrzeug mit dem Ziel seiner Zulassung erstmals in den Verkehr gebracht worden. Dem schließt sich der BGH an.
Ausgespart hat die Revisionsinstanz in der Gesamtschau nach Art. 4 Abs. 3 Satz 1 Rom II-VO den Kaufvertrag. Hierbei handelt es sich allerdings um ein relatives Schuldverhältnis, welches nicht zwischen Kläger und Beklagtem, sondern einem Dritten zustande gekommen war. Zwar wird in Art. 4 Abs. 3 Satz 2 Rom II-VO als Paradefall einer Auflockerung die vertragsakzessorische Anknüpfung genannt. Dies erfordert aber das Bestehen eines Vertrages zwischen dem Schädiger und dem Opfer.
Die Revisionsinstanz geht davon aus, dass keine vorrangigen Sonderkollisionsnormen zu prüfen sind. Eine Anknüpfung an Art. 5 Rom II-VO erscheint jedoch naheliegend, sollte im Anlassstreit ein Fall der Produkthaftung vorliegen. Dies setzt im autonomen Sinne voraus, dass ein Produkt einen Schaden verursacht, welcher in der vorliegenden Konstellation unmittelbar bei dem Nutzer selbst und nicht einem bloßen Bystander auftrat. So ist aufgrund des unzulässig verbauten Thermofensters dem Kläger als Produktnutzer ein Schaden im Inland entstanden. Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a Rom II-VO ist der gewöhnliche Aufenthalt der geschädigten Person als Anknüpfungspunkt maßgeblich, sofern das Produkt zugleich in diesem Staat in den Verkehr gebracht wurde (vgl. Staudinger/Beiderwieden, DAR 2021, 544, 545). Im vorliegenden Fall ist sowohl der gewöhnliche Aufenthalt des Geschädigten als auch der Ort des Erwerbs sowie Schadenseintritts in Deutschland belegen. Im Ergebnis kann demzufolge dahinstehen, ob Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a Rom II-VO sich als lex specialis erweist. Denn dieser Ansatz führt wiederum nach Art. 24 Rom II-VO zum hiesigen Deliktsrecht. Auch Art. 5 Abs. 2 Rom II-VO lässt sich nicht dafür instrumentalisieren, qua Auflockerung italienisches Deliktsrecht in Stellung zu bringen.
Der EuGH hatte sich in seiner Entscheidung vom 09.07.2020 (C-343/19) sogar auf die Sonderkollisionsnorm Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO gestützt. Nach Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO ist auf außervertragliche Schuldverhältnisse das Recht desjenigen Staates anzuwenden, in dessen Gebiet die Wettbewerbsbeziehungen oder kollektiven Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sind oder wahrscheinlich beeinträchtigt werden. Der Gerichtshof entschied, dass das Verwenden unzulässiger Abschalteinrichtungen ein unlauteres Wettbewerbsverhalten darstelle. Damit würden in jedem Mitgliedstaat, in welchem der Hersteller das Produkt in den Markt gelangen lasse, die kollektiven Interessen der Verbraucher an diesem Ort beeinträchtigt. Allerdings erscheint die Qualifikation des EuGH eher fernliegend und Art. 6 Rom II-VO nicht als die einschlägige Kollisionsnorm (Staudinger/Beiderwieden, DAR 2021, 544, 545; argumentativ ähnlich Lehmann, NJW 2020, 2872; im Ergebnis ebenfalls Armbrüster, EWiR 2020, 573, 574; Thode, jurisPR-IWR 6/2020 Anm. 2; R. Wagner, EuZW 2020, 727, 728). Dies gilt umso mehr, wenn man den Schaden objektbezogen am Auto und somit konkret-individuell am Übergabeort festmacht. Letztlich erweist sich die Einordnung aber ein weiteres Mal als eine solche ohne Ergebnisrelevanz, da ebenfalls die Art. 6 Abs. 1, 24, 15 Rom II-VO zum deutschen Deliktsrecht führen.
Als Zwischenergebnis bleibt festzuhalten: Unabhängig davon, ob Art. 6 Abs. 1 Rom II-VO oder Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a Rom II-VO als Sonderkollisionsnormen herangezogen werden oder subsidiär Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO, die Haftung des Herstellers aus Italien ergibt sich stets aus dem hiesigen Recht der unerlaubten Handlung als Sachnormverweis gemäß Art. 24 Rom II-VO. Eine Durchbrechung lässt sich insofern nicht auf eine Gesamtschau der Einzelfallumstände und mithin den Ausnahmefall einer Auflockerung stützen, sei es nach Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO oder Art. 5 Abs. 2 Rom II-VO.
Der Umfang der Verweisung ist dem Art. 15 Rom II-VO als einem nicht abschließenden Beispielskatalog zu entnehmen. Der BGH führt dabei mit Blick auf Art. 15 Buchst. a Rom II-VO überzeugend aus, das Deliktstatut lege entsprechend dem Prinzip der einheitlichen Anknüpfung jedenfalls den Grund der Haftung fest. Dies bezieht nicht nur § 823 Abs. 2 BGB, sondern entsprechende Schutzgesetze wie die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV mit ein. Aus Art. 17 Rom II-VO (vgl. Staudinger/Nitkowski, DAR 2020, 471, 476) ergibt sich schließlich die Maßgeblichkeit hiesiger Sicherheits- und Verhaltensregeln als Local Data, weil das haftungsbegründende Ereignis, das Inverkehrbringen des Wohnmobils, in Deutschland und nicht in Italien erfolgte. Ob mithin das Verhalten eines ausländischen Herstellers dem Grunde nach sanktionsbewehrt ist, folgt aus § 823 Abs. 2 BGB im Zusammenspiel mit inländischen Schutzgesetzen. Und auch die Frage der Rechtswidrigkeit ist aus deutschem Blickwinkel zu beurteilen.
III. Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB
Der BGH sah sich veranlasst, das Berufungsurteil nach § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen gemäß § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Nach der vom EuGH (Urt. v. 21.03.2023 - C-100/21) erzwungenen neuen Leitlinie war nicht ausgeschlossen, dass dem Kläger nicht doch ein Differenzschaden gestützt auf § 823 Abs. 2 BGB und die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zustehen könnte. Insofern verweist die Revisionsinstanz auf die vom Gerichtshof erzwungene Kehrtwende am 26.06.2023 und seine drei Entscheidungen (VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21, VIa ZR 1031/22). Nun begegnet die Lösung des BGH bei § 823 Abs. 2 BGB dogmatischen und vor allem europarechtlich erheblichen Bedenken (Staudinger, DAR 2023, 481). So eröffnet der erkennende Zivilsenat das Schlupfloch des unvermeidbaren Verbotsirrtums zugunsten des Herstellers, begrenzt den Umfang der Ersatzpflicht auf den „kleinen“ Differenzschaden, der überdies noch pauschaliert und limitiert wird, auf maximal 15% des Kaufpreises und erlaubt jenem überdies, gezogene Nutzungen (gefahrene Kilometer) und den Restwert des Fahrzeuges ggf. schadensmindernd anzurechnen. Dies alles führt gerade nicht zu der vom EuGH geforderten verhältnismäßigen, effektiven und abschreckenden Sanktion des Produzenten, sondern dürfte eher die Geschädigten abschrecken, ihre Ansprüche mit hohem Kostenrisiko geltend zu machen. Es bleibt abzuwarten, welche Schlussfolgerungen der EuGH aus der weiteren Vorlage des LG Ravensburg (Beschl. v. 27.10.2023 - 2 O 331/19, 2 O 190/20, 2 O 425/20, 2 O 16/21, 2 O 57/21) zieht. Der Ansatz des VIa. Zivilsenats steht angesichts dessen wohl auf sehr tönernen Füßen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Zu beachten ist, dass Geschädigte gemäß Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO die Wahl haben, ob sie den Hersteller am Handlungs- oder Erwerbsort in Anspruch nehmen möchten (hierzu Staudinger/Beiderwieden, DAR 2021, 544). Ist der Produzent im Ausland ansässig und trifft ihn dort der Vorwurf mit Blick auf das Thermofenster, europarechtswidrig und mithin unerlaubt gehandelt zu haben, steht dem Käufer mit inländischem Wohnsitz eine Prozessführung ebenso im anderen Mitgliedstaat offen. Angesichts dessen stellt sich die Frage, inwiefern es sich für den Geschädigten nicht doch gelohnt hätte, Klage in Italien zu erheben. Dass das Deliktsrecht in seiner Handhabung nämlich zu gravierenden Unterschieden führen kann, zeigt der Entscheid des Obersten Gerichtshofs (Urt. v. 25.04.2023 - 10 Ob 2/23a) zur österreichischen Rechtslage. Ein hypothetischer Prozess gegen den italienischen Hersteller müsste nun aber ebenso aus der Perspektive der italienischen Justiz nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO bzw. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a Rom II-VO „lege artis“ eigentlich zum deutschen Deliktsrecht führen. Ein Einfallstor bieten jedoch die Art. 4 Abs. 3 sowie 5 Abs. 2 Rom II-VO, der den Gerichten einen gewissen Beurteilungsspielraum erlaubt. Ab und an besteht dabei die Tendenz in der Justiz, diesen Spielraum dahin zu nutzen, in das bekannte Heimatrecht zu gelangen.



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