juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 6. Zivilsenat, Urteil vom 13.12.2022 - VI ZR 54/21
Autor:Prof. Dr. Michael Hippeli, LL.M., MBA, Ministerialrat
Erscheinungsdatum:31.08.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 29 BDSG 2018, 12016P011, 12016P008, 12016P007, 12016P016, EUV 2016/679
Fundstelle:jurisPR-MedizinR 8/2023 Anm. 1
Herausgeber:Möller und Partner - Kanzlei für Medizinrecht
Zitiervorschlag:Hippeli, jurisPR-MedizinR 8/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Voraussetzungen eines Löschungs- und Unterlassungsanspruchs: Verarbeitung von personenbezogenen Daten auf Internet-Bewertungsportal



Leitsatz

Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Löschung und Unterlassung der Verarbeitung von personenbezogenen Daten in einem Arztsuch- und -bewertungsportal im Internet (www.jameda.de).



A.
Problemstellung
Ein Problem, das sich im digitalen Zeitalter allerorten stellt: Gewerbetreibende/Freiberufler werden auf Portalen im Internet bewertet und verglichen, womöglich auch mit Schmähkritik überzogen. Was, wenn man unfreiwillig in einem solchen Portal gelandet ist und dort ohne Einwilligung ein Profil mit personenbezogenen Daten angelegt wird? Kann man dann ohne Weiteres insbesondere die Löschung dieses Profils verlangen? Vorliegend ging es dabei im Ärztekontext auch um die unterschiedliche Darstellung von nichtzahlenden Ärzten mit unfreiwilligem Basis-Profil und zahlenden Ärzten mit Premium-Profil.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
In der Sache ging es um das recht bekannte, für den sich informierenden Nutzer kostenlose Arztsuch- und Bewertungsportal www.jameda.de. Hier wird in Bezug auf Ärzte oftmals auch ohne deren Wissen/Veranlassung/Einwilligung ein Basis-Profil mit personenbezogenen Daten angelegt. Ärzte können ihr Profil nach Maßgabe eines Premium-Pakets aber auch weiter befüllen. Nutzer des Portals können auf alle Profile zugreifen und dabei auch erkennen, ob der betroffene Arzt Premium-Kunde ist. Für jedes Profil können allgemeine oder detailliertere Bewertungen abgegeben werden.
Die Klägerin, eine Kinder- und Jugendärztin, wollte nun personenbezogene Eintragungen auf ihrem ohne ihre Einwilligung erstellten Basis-Profil löschen lassen, darunter ihre Praxisadresse, ihre dortige Telefonnummer sowie vergebene Bewertungsnoten und Bewertungen. Zudem begehrte die Klägerin die Unterlassung der weiteren Veröffentlichung ihres Basis-Profils wie zum Stand kurz vor der letzten mündlichen Verhandlung.
Das Landgericht wies die Klage zunächst ab. Teilweise anders das Oberlandesgericht, welches auf die Berufung der Klägerin hin ihr unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils zumindest vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten zusprach.
Der BGH hat die Revision der Klägerin gegen das Urteil des OLG zurückgewiesen.
Das Oberlandesgericht habe im Ergebnis zu Recht die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche auf Löschung und Unterlassung verneint.
Zunächst ergebe sich vorliegend kein Löschungsanspruch i.S.d. Art. 17 Abs. 1 DSGVO. Denn es fehle ein Löschungsgrund i.S.d. Art. 17 Abs. 1 Buchst. d DSGVO, da die konkrete Datenverarbeitung im Lichte von Art. 6 Abs. 1 DSGVO rechtmäßig sei. In Ermangelung anderer greifender Alternativen komme es dabei auf die Voraussetzungen aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Buchst. f DSGVO an. Danach sei eine Verarbeitung von personenbezogenen Daten dann rechtmäßig, wenn die Verarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern allerdings nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen.
Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall auch erfüllt. Bei mehreren Angaben im Basis-Profil der Klägerin wie akademischer Grad, Name, Fachrichtung und Praxisanschrift liegen zunächst personenbezogene Daten i.S.d. Art. 4 Nr. 1 DSGVO vor. Die Erhebung, Erfassung, Ordnung, Speichern und Offenlegung gegenüber den Nutzern im Portalbetrieb sei auch als Verarbeitung i.S.d. Art. 4 Nr. 2 DSGVO zu begreifen.
Die konkrete Datenverarbeitung betreffe dabei berechtigte Interessen der Beklagten wie auch von Nutzern ihres Portals. Letzteres betreffe passive wie auch aktive (bewertende) Nutzer. Jedenfalls werde ein Überblick über ärztliche Leistungen und deren subjektiv empfundene Qualität vermittelt. Im Hinblick auf die Beklagte selbst gelte die Meinungsfreiheit i.S.d. Art. 11 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh), welcher schon nach seinem Wortlaut nicht nur die Äußerung der eigenen Meinung, sondern auch die Weitergabe fremder Meinungen und Informationen schütze. Zudem stelle die Portaltätigkeit eine von Art. 16 GRCh geschützte gewerbliche Tätigkeit dar. Auch die Bewertung durch Nutzer des Portals unterfalle im Übrigen Art. 11 Abs. 1 GRCh.
Auch sei die Datenverarbeitung vorliegend zur Wahrung der vorgenannten berechtigten Interessen erforderlich. Ohne diese Form der Verarbeitung könne schließlich der Portalbetrieb gar nicht erfolgen.
Letztlich sei es auch so, dass die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der Klägerin die von der Beklagten mit dem Portalbetrieb wahrgenommenen berechtigten Interessen nicht überwiegen. Die insoweit erforderliche Abwägung falle zugunsten der Beklagten aus. Auf Seiten der Klägerin seien ihr Recht auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten i.S.d. Art. 8 GRCh, die nicht unerheblichen Gefahren für ihren sozialen und beruflichen Geltungsanspruch i.S.d. Art. 7 GRCh sowie der wirtschaftliche Erfolg ihrer selbstständigen Tätigkeit i.S.d. Art. 16 GRCh durch den Portalbetrieb betroffen. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Reichweite des Portals und die Möglichkeit realistischer Bewertungen, aber auch von missbräuchlicher Kritik erheblich auf das ärztliche Wirken der Klägerin und den wirtschaftlichen Bestand ihrer Praxis einwirken könne.
Demgegenüber stehe das eigene wirtschaftliche Interesse der Beklagten am Portalbetrieb sowie das Informationsinteresse der Öffentlichkeit mit Blick auf Arztwahl und Leistungstransparenz im Gesundheitswesen. Sofern Ärzte auf den Portalbetrieb (insbesondere die Bewertungen) Einfluss nehmen könnten, wären diese berechtigten Interessen erheblich gestört. Jedenfalls seien die Interessen eines (nichtzahlenden und nicht in die Datenverarbeitung einwilligenden) Arztes dann nachrangig, wenn durch die konkrete Gestaltung des Bewertungsportals kein Nachteil drohe, der über die Verarbeitung seiner für den Portalbetrieb erforderlichen personenbezogenen Daten (Name, Fachrichtung, Praxisanschrift, weitere Kontaktdaten) als solche und die mit der Bewertungsmöglichkeit verbundenen, von jedem Arzt grundsätzlich hinzunehmenden Gefahren nicht nur unerheblich hinausgehe.
Daran gemessen ergebe sich vorliegend, dass die angegriffene unterschiedliche optische Gestaltung des Profils von nichtzahlenden Ärzten und zahlenden Ärzten mit Premium-Paket insoweit nicht von messbarer Relevanz in Bezug auf die Tätigkeit der Klägerin sei. Gleiches gelte im Hinblick auf die unterschiedliche Gestaltung der Arztlisten. Diese vermittle an Nutzer des Portals nicht den Eindruck, dass zahlende Ärzte (Premium-Mitglieder) besser seien als nichtzahlende Ärzte. Auch andere gerügte Unterschiede in Darstellung und Gestaltung der beiden Profilarten greifen im Ergebnis nicht durch und führen zu keiner abweichenden Bewertung.
Zudem sei der Löschungsgrund des Art. 17 Abs. 1 Buchst. c DSGVO nicht gegeben. Denn für die von der Klägerin angegriffene Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten liegen jedenfalls vorrangige berechtigte Gründe i.S.d. Art. 17 Abs. 1 Buchst. c Halbsatz 1 DSGVO vor.
Schließlich bestehe auch kein aus Art. 17 Abs. 1 DSGVO abzuleitender Unterlassungsanspruch. Mangels abweichenden Vortrags der Klägerin gelte letztlich dasselbe wie hinsichtlich des begehrten Löschungsanspruchs.


C.
Kontext der Entscheidung
Das Geschäftsmodell von jameda scheint dauerhaft gesichert. Erneut hat der BGH zulasten klagender Ärzte entschieden. Wie schon zuvor wurde klargestellt, dass es keinen generellen Anspruch auf Gleichbehandlung zwischen Zahlern und Nichtzahlern gibt, auch in der Vergangenheit wurde auf die Prüfung des Einzelfalls hingewiesen (BGH, Urt. v. 12.10.2021 - VI ZR 488/19 - NJW 2022, 1098; BGH, Urt. v. 12.10.2021 - VI ZR 489/19 - GRUR 2022, 258; BGH, Urt. v. 15.02.2022 - VI ZR 692/20 - GRUR 2022, 585).
Die Streitigkeiten von Ärzten mit unfreiwilligem Basis-Profil mit jameda gibt es seit 2012. Schon nach damaliger Rechtslage vor Inkrafttreten der DSGVO am 25.05.2018 unterlagen die Ärzte regelmäßig und konnten keine Löschungs- und Unterlassungsansprüche durchsetzen. In der Folge hatte der BGH stets darauf verwiesen, dass auch ein unfreiwilliges Listing eines Arztes auf dem Portal samt der Speicherung von personenbezogenen Daten hinzunehmen ist, da ein besonderes Informationsinteresse der Öffentlichkeit besteht (vgl. BGH, Urt. v. 23.09.2014 - VI ZR 358/13 - ZUM-RD 2015, 154, 157; BGH, Urt. v. 01.03.2016 - VI ZR 34/15 - NJW 2016, 2106, 2108; BGH, Urt. v. 20.02.2018 - VI ZR 30/17 - NJW 2018, 1884, 1886). Seinerzeit war die Zulässigkeit der Speicherung personenbezogener Daten im Portal noch an § 29 BDSG a.F. zu messen.
Bei Lichte besehen hält die Entscheidung keinerlei Überraschungen bereit. Denn sie liegt vollends auf der Linie der anderen drei Senats-Judikate zu jameda aus 2021/2022. Erforderlich ist insoweit eine dreistufige Prüfung, wessen Rechte überwiegen: Einerseits die des Arztes oder andererseits die des Portalbetreibers und der Nutzer des Portals (vgl. Güngör, GRUR-Prax 2022, 91; Reif, NJW 2022, 1107; Müller, MMR 2022, 209, 211).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Auswirkungen sind im Verbund mit den anderen jameda-Judikaten des BGH für Ärzte erheblich. Auch wenn der BGH diesen Aspekt recht schnell abtut bzw. mit dem Argument des Informationsinteresses der Öffentlichkeit überflügelt, so wird kaum zu bestreiten sein, dass Premium-Profile mit geschickten Marketingdarstellungen des betreffenden Arztes auf den Nutzer wesentlich attraktiver wirken als ein eher ungelenkes Basis-Profil. Dies übt einen gewissen Druck auf Ärzte aus, für 99-159 Euro im Monat ein Abo abzuschließen. Denn bei einer Reichweite von laut Wikipedia 6,3 Mio. Nutzern im Monat besteht eine nicht zu unterschätzende Marktrelevanz. Dies wird allerdings nur solche Ärzte betreffen, deren Praxis ohnehin nicht gut ausgelastet ist.



Immer auf dem aktuellen Rechtsstand sein!

IHRE VORTEILE:

  • Unverzichtbare Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften
  • Alle Rechtsinformationen sind untereinander intelligent vernetzt
  • Deutliche Zeitersparnis dank der juris Wissensmanagement-Technologie
  • Online-First-Konzept

Testen Sie das juris Portal 30 Tage kostenfrei!

Produkt auswählen

Sie benötigen Unterstützung?
Mit unserem kostenfreien Online-Beratungstool finden Sie das passende Produkt!