juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 5. Zivilsenat, Urteil vom 09.12.2022 - V ZR 72/21
Autoren:Tobias Dallmayer,
Christine Haumer
Erscheinungsdatum:06.06.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 19 BNotO, § 839 BGB, § 529 ZPO
Fundstelle:jurisPR-PrivBauR 6/2023 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Bernd Siebert, RA und FA für Bau- und Architektenrecht
Zitiervorschlag:Dallmayer/Haumer, jurisPR-PrivBauR 6/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Umfang der Rechtskraftwirkung eines wegen des fehlenden Eintritts von aufschiebenden Bedingungen klageabweisenden Urteils



Leitsatz

Die Rechtskraft eines Urteils, mit dem eine Klage wegen des fehlenden Eintritts von aufschiebenden Bedingungen als derzeit unbegründet abgewiesen wird, umfasst auch die Gründe des Urteils, wenn in ihnen die übrigen Anspruchsvoraussetzungen positiv festgestellt bzw. bejaht worden sind. Ist dies der Fall, kann die Klage im Folgeprozess nicht mit der Begründung abgewiesen werden, der Anspruch habe bereits im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Vorprozess aus anderen Gründen als denen des fehlenden Eintritts der aufschiebenden Bedingungen nicht bestanden (im Anschluss an BGH, Urt. v. 09.06.2022 - III ZR 24/21 - NJW 2022, 2754 Rn. 17 ff.).



A.
Problemstellung
In einem Folgeprozess wird erneut ein Anspruch eingeklagt, der in einem Vorprozess als „derzeit unbegründet“ abgewiesen wurde. In welchem Umfang ist das Gericht des Folgeprozesses an die Vorentscheidung gebunden? Besteht ein Unterschied, ob ein Anspruch als „derzeit unbegründet“ oder als „jedenfalls derzeit unbegründet“ abgewiesen wurde?


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Sachverhalt (stark vereinfacht): Die Klägerin als Inhaberin einer aufschiebend bedingten Vormerkung möchte im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen werden. Das Erstgericht wies im Vorprozess rechtskräftig die Klage als derzeit unbegründet ab: Zwar bestünde der Anspruch dem Grunde nach, er sei aber mangels Eintritts der aufschiebenden Bedingung nicht fällig. Im Folgeprozess macht die Klägerin geltend, die Bedingung sei nunmehr eingetreten. Sie beantragt daher (erneut), die Beklagte zu verurteilen, ihrer Eintragung als Eigentümerin zuzustimmen.
Der BGH hat entschieden, dass das Folgegericht an die Entscheidung des Vorprozesses gebunden war, wonach der Anspruch dem Grunde nach besteht; das Folgegericht durfte/musste allein prüfen, ob die Bedingung inzwischen eingetreten ist. Zur Begründung heißt es:
„Bejaht das Gericht in dem Vorprozess, in dem der Beklagte die unbeschränkte Klageabweisung beantragt, die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs mit Ausnahme des Eintritts von aufschiebenden Bedingungen, handelt es sich bei der Bejahung der Anspruchsvoraussetzungen nicht allein um ein Element der Urteilsbegründung und eine Vorfrage, sondern gemessen an dem Rechtsschutzziel des Beklagten um einen ausschlaggebenden Abweisungsgrund. Der Beklagte, der eine unbeschränkte Klageabweisung beantragt, ist aufgrund seines weiter gehenden Rechtsschutzziels beschwert, soweit (lediglich) eine Abweisung als derzeit unbegründet erfolgt. Er kann daher – jedenfalls mit einem Rechtsmittel – erreichen, dass gerichtlich geprüft wird, inwieweit der geltend gemachte Anspruch unbeschränkt abzuweisen ist, weil er endgültig nicht besteht. (...) Im Hinblick auf das Rechtsschutzziel der unbeschränkten Klageabweisung ist die Bejahung der übrigen Anspruchsvoraussetzungen damit tragender Abweisungsgrund.
(...) Dieses Ergebnis ist auch deswegen überzeugend, weil andernfalls der Kläger in einem Folgeprozess ggf. gezwungen wäre, die bereits geprüften und bejahten Anspruchsvoraussetzungen nochmals zu beweisen...
Hat allerdings das Gericht keine Prüfung des Anspruchs dem Grunde nach vorgenommen, sondern die Klage der Sache nach lediglich als ‚jedenfalls derzeit unbegründet‘ abgewiesen, besteht eine derartige Rechtskraftwirkung nicht. Denn mangels Prüfung des Anspruchs dem Grunde nach liegt insofern schon kein tragender Abweisungsgrund vor.“


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung knüpft an die Grundsatzentscheidung des 3. Senats (BGH, Urt. v. 09.06.2022 - III ZR 24/21) an, entwickelt diese fort und problematisiert, ob die Entscheidung im Widerspruch zur Rechtsprechung des 11. Senats (BGH, Urt. v. 10.11.2020 - XI ZR 426/19; BGH, Urt. v. 30.03.2021 - XI ZR 193/20) steht:
Der 3. Senat hat in der o.g. Entscheidung umfassend den Meinungsstand zum Umfang der Rechtskraft einer als derzeit unbegründeten Klage herausgearbeitet. Gegenstand der Entscheidung war allerdings ein zivilrechtlicher Sonderfall zur Haftung eines Notars gemäß § 19 Abs. 1 BNotO, der Parallelen zum Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 Abs. 1 BGB aufweist. Dieser Anspruch zeichnet sich – nach dem Verständnis der Rechtsprechung – durch die dogmatische Besonderheit aus, dass eine Klageabweisung wegen einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit als derzeit unbegründet nur möglich ist, wenn das Gericht die übrigen Tatbestandsmerkmale des Amtshaftungsanspruchs geprüft und für gegeben erachtet hat. Das Gericht muss folglich vorrangig prüfen, ob die Klage als endgültig unbegründet abzuweisen ist. Hieraus schlussfolgert der 3. Senat überzeugend, dass ein Beklagter durch ein Urteil beschwert ist, wenn er die endgültige Klageabweisung erstrebt, der Klageanspruch jedoch nur als derzeit unbegründet abgewiesen wird.
Die Entscheidungen des 11. Senats betrafen die – prozessual eher unproblematischen – Fallgestaltungen, in denen ein Anspruch als „jedenfalls derzeit unbegründet“ abgewiesen wurde. Da sich die gerichtliche Prüfung im Abweisungsgrund erschöpft, wird keine der Rechtskraft fähige Entscheidung zum Anspruch dem Grunde nach getroffen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Auswirkungen auf die Praxis sind immens und die weitere Entwicklung, vor allem die Positionierung des 7. Senats, wird spannend: Gerade im Baurecht rechnen klageabweisende Entscheidungen als derzeit unbegründet – z.B. im Hinblick auf eine fehlende Abnahme oder eine fehlende Prüfbarkeit der Schlussrechnung – zum gerichtlichen Alltag.
Die Entscheidung des 5. Senats klingt mit dem Argument der Prozessökonomie verführerisch einleuchtend, letztlich wirft die Entscheidung aber mehr Fragen und Folgeprobleme auf als auf den ersten Blick ersichtlich: Der 5. Senat betont mehrfach die „Besonderheit“ der konkreten Entscheidung, wonach die fehlende Fälligkeit darin liegt, dass die aufschiebende Bedingung nicht eingetreten ist und verweist auch im Leitsatz hierauf. Es wird aber keine dogmatische Begründung angeführt, warum dem Nichteintritt einer Bedingung als Fälligkeitshindernis eine vergleichbare Rolle zukommt, wie dem Fehlen einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit im Rahmen von § 839 Abs. 1 BGB bzw. § 19 Abs. 1 BNotO.
Sollte man dieser Entscheidung den allgemeinen Rechtssatz entnehmen, dass die „positiven“ gerichtlichen Entscheidungen zum streitgegenständlichen Anspruch eines Urteils, mit dem ein Anspruch als „derzeit unbegründet“ abgewiesen wurde, der Rechtskraft fähig sind, ergeben sich zahlreiche Fragen und Folgeprobleme, die hier nur skizziert werden können:
1. Es entspricht dem gegenwärtigen Verständnis der Rechtsprechung, dass ein Antrag gerichtet auf Klageabweisung ein Prozess- und kein Sachantrag ist (Bacher in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 47. Edition, Stand: 01.12.2022, § 297 Rn. 2 [str.]), was u.a. relevant für den Umfang der Protokollierungsvorschriften, den Erlasshindernissen zum Säumnisrecht, zur Frage der nicht erforderlichen materiellen Beschwer für das Rechtsmittelverfahren ist. Dieses Verständnis wird in Frage gestellt, wenn der 3. oder der 5. Senat argumentieren, man würde hinter dem „Petitum“ des Beklagten zurückbleiben. So entspricht es auch dem gegenwärtigen Verständnis, dass ein Prozessurteil den Beklagten nicht beschwert, auch wenn die Klage nur als unzulässig und nicht als unbegründet abgewiesen wurde.
2. Sieht man den Beklagten durch eine solche Entscheidung „beschwert“, muss – konsequent – eine entsprechende Kostenquote ausgeworfen werden. Das wiederum würde es erfordern, dass die einzelnen positiven Anspruchsvoraussetzungen wirtschaftlich zu vergleichen sind mit der fehlenden Fälligkeit. Auch müsste der Beklagte kritisch prüfen, ob er durch einen modifizierten Abweisungsantrag sein Kostenrisiko minimiert.
3. Die Entscheidung wirkt sich auf die Dispositionsmaxime aus: Nach der Wertung des 5. Senats steht es im beliebigen Ermessen des Gerichts, ob eine Entscheidung als „derzeit unbegründet“ oder als „jedenfalls derzeit unbegründet“ abgewiesen wird, was einen immensen Unterschied für den Umfang der Rechtskraft bedeutet. Hierauf kann der Kläger, der aber die Hoheit über den Entscheidungsstoff hat, keinen Einfluss nehmen.
4. Auch im Rechtsmittel der Berufung ergeben sich Probleme. Wird eine Entscheidung als „derzeit unbegründet“ abgewiesen und legt der Kläger hiergegen Berufung ein, dürfte das Berufungsgericht – entgegen der Bestimmung des § 529 Abs. 2 Satz 1 ZPO – allein die fehlende Fälligkeit prüfen, da der Kläger nur im Hinblick auf die fehlende Fälligkeit unterlegen war; dass der Anspruch dem Grunde nach besteht, würde dann in Rechtskraft erwachsen, wenn nicht der Beklagte Anschlussberufung einlegt! Läge eine solche Anschlussberufung vor: Darf dann das Berufungsgericht die Klage als „jedenfalls derzeit unbegründet“ abweisen, was man wohl verneinen müsste; dann hätte die zweite Instanz aber nicht mehr die gleiche Prüfungskompetenz wie die erste Instanz.
5. Der Beklagte sollte jedenfalls seine Verteidigung auf die Entscheidung ausrichten und sich nicht auf die Verteidigung der fehlenden Fälligkeit beschränken. Es scheint taktisch erwägenswert, zu beantragen, die Klage als jedenfalls derzeit unbegründet abzuweisen (ggf. hilfsweise als unbegründet). Dies sollte mit dem Hinweis verbunden werden, dass Ausführungen zum klägerischen Vortrag zum Anspruch dem Grunde nach entbehrlich sind, diese aber nicht unstreitig sind, sowie der Bitte um Erteilung eines richterlichen Hinweises, sollte das Gericht eine Sachentscheidung beabsichtigen.
6. Letztlich „repariert“ das Urteil des BGH die Folgen der überflüssigen Entscheidung der Vorinstanz zum Anspruch dem Grunde nach, die vermutlich mit erheblichen Kosten verbunden waren, die nicht angefallen wären, wäre die Klage sofort als jedenfalls derzeit unbegründet abgewiesen worden. Die zutreffenden prozessökonomischen Motive des 5. Senats sollten aber nach hiesiger Auffassung den Parteien vorbehalten bleiben: Auch wenn ein Zwischenfeststellungsantrag nicht möglich ist, da die gerichtliche Entscheidung, ob ein Anspruch dem Grunde nach besteht, nicht präjudiziell für die Klageabweisung als (jedenfalls) derzeit unbegründet ist, kann der Kläger hierauf mit einem Hilfsantrag reagieren: Sollte die Klage als derzeit unbegründet abgewiesen werden, möge festgestellt werden, ob der Antrag dem Grunde nach besteht. Das würde dem Dispositionsgrundsatz Rechnung tragen, der Beklagte kann seine Verteidigung einschließlich der Prüfung, ob der Hilfsantrag anzuerkennen ist, hierauf ausrichten und es verbleiben keine Zweifel am Ausmaß des gerichtlichen Aufklärungsauftrags.



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