juris PraxisReporte

Anmerkung zu:LG Nürnberg-Fürth 12. Strafkammer, Beschluss vom 04.08.2023 - 12 Qs 57/23
Autor:Dr. Mayeul Hiéramente, RA und FA für Strafrecht
Erscheinungsdatum:18.09.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 34 StPO, § 100e StPO, § 114 StPO, § 102 StPO, § 106 StPO, Art 2 GG, Art 1 GG, § 30 AO 1977, § 110 StPO, § 98 StPO, § 105 StPO, § 103 StPO, Art 13 GG, Art 19 GG, Art 103 GG
Fundstelle:jurisPR-StrafR 17/2023 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Mayeul Hiéramente, RA und FA für Strafrecht
Zitiervorschlag:Hiéramente, jurisPR-StrafR 17/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Durchsuchungsbeschluss in Steuerstrafsache



Leitsatz

Zur Rechtmäßigkeit eines auf § 103 StPO gestützten Durchsuchungsbeschlusses in einer Steuerstrafsache, der mit Rücksicht auf das Steuergeheimnis keine Begründung des Tatverdachts enthält.



A.
Problemstellung
Durchsuchungen finden in der wirtschaftsstrafrechtlichen Praxis regelmäßig sowohl beim Beschuldigten (§ 102 StPO) als auch bei Dritten (§ 103 Abs. 1 Satz 1 StPO) statt. Damit geht einher, dass diese Dritten, die teilweise nur mittelbar mit dem Beschuldigten in Verbindung stehen, Kenntnisse über den Tatvorwurf erlangen. Dabei werden u.a. personenbezogene Daten bekannt, die Auskunft über das Privat- und Berufsleben geben. Dies wirft die Frage auf, ob gesetzliche oder verfassungsrechtliche Grenzen bei der Abfassung und/oder Bekanntgabe von Durchsuchungsbeschlüssen zu berücksichtigen sind. In Steuerstrafverfahren, in denen die Beamten nach § 30 Abs. 1 AO grundsätzlich zur Wahrung des Steuergeheimnisses verpflichtet sind, stellt sich die Frage, ob und ggf. wie eine Offenbarung zulässig ist. Dies ist nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO der Fall, soweit die Offenbarung der Durchführung eines Steuerstrafverfahrens dienlich ist.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Entscheidung lag eine Durchsuchung in einer Steuerstrafsache bei einem Dritten (§ 103 StPO) zugrunde. Dieser wendete sich im Rahmen einer Beschwerde gegen den bereits vollzogenen Durchsuchungsbeschluss. Das LG Nürnberg-Fürth rekapituliert insoweit die ständige Rechtsprechung des BVerfG, dass eine Beschwerde zur Feststellung der Rechtswidrigkeit zulässig ist. Es konstatiert dann, dass die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung fordere, dass Durchsuchungsbeschlüsse ausreichend zu begründen seien. Es wirft dann die Frage auf, ob die Begründungspflicht im Hinblick auf § 30 AO eingeschränkt ist. Sofern man die verfassungsgerichtliche Begründungspflicht als zwingend erachte, dürfte § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO greifen. Die Kammer tendiert allerdings zu einer Interpretation, die in Steuerstrafsachen im Hinblick auf das Steuergeheimnis eine knappere Darstellung des Tatvorwurfs oder gar einen Verzicht für zulässig erachtet. Die Kammer hält diesen Weg auch deshalb für gangbar, weil der am Steuerstrafverfahren nicht beteiligte Dritte regelmäßig ohnehin nicht in der Lage sei, der Begründung des Tatverdachts gegen den Beschuldigten entgegenzutreten.
Von einer Klärung des Streitstands sieht die Kammer des LG Nürnberg-Fürth indes ab, da der Beschluss bereits aus anderen Gründen rechtswidrig gewesen sei.


C.
Kontext der Entscheidung
Eine Grundregel der StPO lautet, dass durch ein Rechtsmittel anfechtbare Entscheidungen zu begründen sind (§ 34 StPO). Explizite gesetzliche Vorgaben für Art und Umfang der Begründung sind jedoch rar gesät (vgl. z.B. die §§ 100e Abs. 3, 4, 114 Abs. 2 StPO).
I. Grundsätzliches zur Begründungspflicht
Für die §§ 102 ff. StPO sind die genauen Vorgaben für Art und Umfang der Begründung nicht gesetzlich normiert worden. Das BVerfG hat allerdings in ständiger Rechtsprechung klargestellt, dass eine Begründungstiefe erforderlich ist, die garantiert, dass Umfang und Grenzen der Durchsuchung vom Richter vorgegeben sind, der zur Entscheidung über einen solch schwerwiegenden Grundrechtseingriff berufen ist (Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO). Eine Begründungspflicht dient insoweit nicht nur der richterlichen (Selbst-)Kontrolle, sondern soll den bei der Durchsuchung eingesetzten – nicht zwangsläufig mit den Verfahrensinhalten vertrauten (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.03.2002 - 2 BvR 1619/00 Rn. 20; BVerfG, Beschl. v. 17.03.2009 - 2 BvR 1940/05 Rn. 22) – Beamten aufzeigen, welche Gegenstände gesucht werden (dürfen) (vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 05.03.2012 - 2 BvR 1345/08 Rn. 16). Darüber hinaus postuliert das BVerfG ein Recht auf Misstrauen und Kontrolle durch den betroffenen Bürger. Dieser hat nach § 106 Abs. 1 Satz 1 StPO ein Anwesenheitsrecht und soll durch die Begründung des Durchsuchungsbeschlusses in die Lage versetzt werden, die Zulässigkeit der Durchsuchungshandlungen vor Ort zu überwachen und Exzessen entgegenzutreten (vgl. BVerfG, Urt. v. 20.02.2001 - 2 BvR 1444/00; BVerfG, Beschl. v. 06.03.2002 - 2 BvR 1619/00 Rn. 16; BVerfG, Beschl. v. 08.03.2004 - 2 BvR 27/04; BVerfG, Beschl. v. 17.03.2009 - 2 BvR 1940/05 Rn. 22; BVerfG, Beschl. v. 05.03.2012 - 2 BvR 1345/08 Rn. 12; BVerfG, Beschl. v. 04.04.2017 - 2 BvR 2551/12 Rn. 20; BVerfG, Beschl. v. 29.07.2020 - 2 BvR 1324/15 Rn. 23).
Grundsätzlich fordert das BVerfG ein, dass Durchsuchungsbeschlüsse Angaben zu den zu suchenden Beweismitteln, dem Abstraktum des Tatvorwurfs sowie eine Darstellung des konkreten Lebenssachverhalts, der die Annahme eines Tatverdachts und – bei Dritten i.S.d. § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO – der Auffindevermutung von Beweismitteln begründet (vgl. u.a. BVerfG, Beschl. v. 05.05.2000 - 2 BvR 2212/99; BVerfG, Urt. v. 20.02.2001 - 2 BvR 1444/00; BVerfG, Beschl. v. 06.03.2002 - 2 BvR 1619/00 Rn. 16; BVerfG, Beschl. v. 08.03.2004 - 2 BvR 27/04; BVerfG, Beschl. v. 08.04.2004 - 2 BvR 1821/03 Rn. 13; BVerfG, Beschl. v. 07.09.2007 - 2 BvR 620/02; BVerfG, Beschl. v. 17.03.2009 - 2 BvR 1940/05 Rn. 22; BVerfG, Beschl. v. 05.03.2012 - 2 BvR 1345/08 Rn. 12; BVerfG, Beschl. v. 16.04.2015 - 2 BvR 440/14 Rn. 14; BVerfG, Beschl. v. 04.04.2017 - 2 BvR 2551/12 Rn. 20; BVerfG, Beschl. v. 29.07.2020 - 2 BvR 1324/15 Rn. 23). Für das Steuerstrafverfahren erinnert das BVerfG daran, dass hierzu in jedem Fall die Nennung der steuerrechtlichen Vorschriften bzw. die Nennung der maßgeblichen Steuerart (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 06.03.2002 - 2 BvR 1619/00 Rn. 18) sowie des Veranlagungszeitraums (vgl. BVerfG, Beschl. v. 04.04.2017 - 2 BvR 2551/12 Rn. 21 ff.) erforderlich ist. Grundsätzlich folge nämlich aus dem Zusammenspiel dieser Angaben die Möglichkeit der bei der Durchsuchung Anwesenden und von dieser Betroffenen, die Grenzen und Rechtmäßigkeit der Durchsuchungshandlungen zu erfassen und ggf. zu überprüfen (vgl. zu diesem Zusammenspiel auch Henrichs/Weingast in: Karlsruher Komm. StPO, 9. Aufl. 2023, § 103 Rn. 4; BGH, Beschl. v. 18.11.2021 - StB 6-7/21 Rn. 14 f.; BGH, Beschl. v. 05.06.2019 - StB 6/19 Rn. 15 ff.).
II. Besonderheiten unter Berücksichtigung des Steuergeheimnisses?
(Verfassungs-)rechtlich komplex wird es dann, wenn eine genaue Darlegung der Tatvorwürfe dazu führt, dass sensible Informationen aus dem Privatleben des Beschuldigten gegenüber Dritten offenbart werden. Insoweit können die grundrechtlich geschützten Interessen des Beschuldigten (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 GG) den Interessen des Drittbetroffenen (Art. 13, 19 Abs. 4 GG) zuwiderlaufen. Insoweit wird in der Rechtsprechung die Ansicht vertreten, der Schutz der Grundrechte des Beschuldigten, einfachgesetzlich normiert in § 30 Abs. 1 AO, gebiete es, auf eine (detaillierte) Begründung des Tatvorwurfs zu verzichten. Diese Vorgehensweise wird verfassungsrechtlich als ein Fall der praktischen Konkordanz eingestuft; geboten sei eine Abwägung und ein möglichst grundrechtsschonender Ausgleich im Einzelfall.
Der gerichtliche Rekurs auf eine Abwägung im Rahmen der praktischen Konkordanz erscheint indes vorschnell und reflexhaft. Eindeutig dürfte nämlich sein, dass eine praktische Konkordanz überhaupt nur dann in Betracht kommen kann, wenn die gesetzlich vorgesehenen Verfahren und Vorgaben eingehalten sind. So kommt eine Beschränkung der Begründung zum Schutz des Steuergeheimnisses z.B. dann nicht in Betracht, wenn der Dritte, z.B. als Steuerberater, bereits über Kenntnisse hinsichtlich der steuerlichen Sachverhalte verfügt und sogar zur Entgegennahme von steuerlich relevanter Kommunikation befugt ist (vgl. LG Münster, Beschl. v. 07.11.2012 - 7 Qs 68/12 Rn. 15; Burkhard, wistra 2000, 118, 120; Wehnert/Mosiek, StV 2002, 346, 347; Weigell in: Kuhn/Weigell, 3. Aufl. 2019, B. Gang des Verfahrens, Rn. 354; Hilgers-Klautzsch in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, 79. Lfg. 2023, 2. Durchsuchung, Rn. 281; von Frantzki in: Buse/von Frantzki, 2021, 5.5.3.1). Gleiches gilt, wenn sich die Ermittlungen gegen Führungskräfte oder Mitarbeiter eines Unternehmens wegen des Vorwurfs der Hinterziehung von unternehmensbezogenen Steuern (z.B USt) richten und das Unternehmen nach § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO (vgl. zur Abgrenzung Hiéramente, NStZ 2021, 390) durchsucht werden soll. Eindeutig ist, dass für die Darlegung des Tatvorwurfs und die Begrenzung der Durchsuchung nicht erforderliche Ausführungen zu unterlassen sind.
Umstritten dürfte daher nur die Fallkonstellation eines (teilweisen) Verzichts auf eine an sich gebotene Begründung sein. Für die Praxis bedeutend ist daher eine genaue Analyse des Wechselspiels zwischen den Ausführungen zu den gesuchten Gegenständen und der Darstellung des Tatvorwurfs. Hier stellt sich zunächst die Frage, ob eine stärkere Konkretisierung der zu suchenden Gegenstände eine Verkürzung der Begründung rechtfertigt (dazu unter 1.) oder ob zumindest eine Beschränkung bei der Bekanntgabe der Gründe möglich ist (dazu unter 2.).
1. Konkretisierung der Beweismittel
Das BVerfG hat klargestellt, dass das Zusammenspiel aus der Konkretisierung von Beweismitteln und der Darstellung des Tatvorwurfs eine Durchsuchung kontrollierbar macht (vgl. insoweit z.B. BVerfG, Beschl. v. 06.03.2002 - 2 BvR 1619/00 Rn. 18; BVerfG, Beschl. v. 07.09.2007 - 2 BvR 620/02; BVerfG, Beschl. v. 08.04.2004 - 2 BvR 1821/03 Rn. 16; BVerfG, Beschl. v. 05.03.2012 - 2 BvR 1345/08 Rn. 16). Daraus folgt:
a) Benennung konkreter Gegenstände im Durchsuchungsbeschluss
Sind die zu suchenden Gegenstände sehr konkret bestimmt (z.B. Kaufvertrag zwischen A und B vom 01.01.2023 bzgl. Produkt X im gedruckten und unterzeichneten Original), ist für alle Beteiligtne der Durchsuchung eindeutig bestimmbar, welches Dokument gesucht wird. Die eingesetzten Beamten kennen die Grenzen ihrer Durchsuchungsbefugnis und der Durchsuchungsbetroffene kann durch Heraussuchen des Dokuments die Durchsuchung begrenzen und überschießende Durchsuchungshandlungen (z.B. im genannten Fall: Suche nach E-Mails) als rechtswidrig monieren und deren Beendigung fordern (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.04.2015 - 2 BvR 440/14 Rn. 14 zum Schutz vor übermäßigen Maßnahmen im Rahmen einer an sich zulässigen Durchsuchung). In einem solchen Fall ist eine detaillierte Beschreibung des Tatvorwurfs entbehrlich, um die Einhaltung der Grenzen der Durchsuchung in situ zu kontrollieren.
Dennoch ist aus der Perspektive des Durchsuchungsbetroffenen die Begründung und Darstellung des konkreten Tatvorwurfs nicht belanglos. Auch wenn sich der Tatverdacht nicht gegen den Durchsuchungsbetroffenen richtet, ist das Vorliegen eines Anfangsverdachts doch eine rechtliche Voraussetzung für einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff in dessen Rechte. Er hat daher grundsätzlich ein Recht, gerichtlich prüfen zu lassen, ob der Eingriff in seine Rechtsposition in rechtskonformer Weise erfolgte. Fehl geht insoweit die Annahme einiger Landgerichte, ein Drittbetroffener könne dem Tatverdacht nicht entgegentreten (vgl. auch Burkhard, wistra 2000, 118, 120). Dies ist bereits deshalb unzutreffend, weil gerade in Wirtschafts- und Steuerstrafverfahren bereits Rechtsargumente einem Anfangsverdacht entgegenstehen können. Darüber hinaus sind Drittbetroffene nicht stets völlig fremde Dritte. Die Tatsache, dass nach § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO eine Vermutung für das Auffinden von Beweismitteln vorliegen muss, zeigt bereits, dass bei Drittbetroffenen auch Sachverhaltskenntnisse und Beweise vorliegen können, die einem Anfangsverdacht entgegenstehen. Der Durchsuchungsbetroffene hat daher regelmäßig ein berechtigtes Interesse, die Tatvorwürfe nachvollziehen und diesen ggf. sogar entgegentreten zu können. Zudem dürfte ein Verständnis des Tatvorwurfs zum Teil auch deshalb unentbehrlich sein, weil sich die Auffindevermutung häufig nur unter Berücksichtigung der Ausführungen zum Tatvorwurf nachvollziehen lässt. Auch insoweit hat der Durchsuchungsbetroffene ein berechtigtes Interesse an der Kenntnisnahme. Allerdings wird der Durchsuchungsbetroffene mit einem etwaigen Vortrag gegen den Tatverdacht im Rahmen der Durchsuchung nicht gehört werden. Es handelt sich insoweit um Einwände, die im Rahmen der Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss oder bei einer gerichtlichen Entscheidung gegen die Beschlagnahme (§ 98 Abs. 2 Satz 2 StPO) oder vorläufige Sicherstellung (§§ 103 Abs. 1 Satz 1, 110 Abs. 4 StPO i.V.m. § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO) berücksichtigt werden. Insoweit ist es zur Wahrung seiner rechtlichen Interessen regelmäßig ausreichend, wenn der Durchsuchungsbetroffene Kenntnis der vollständigen Gründe im Nachgang zur Durchsuchung erhält. Er muss aber über die Existenz einer ausführlichen Begründung in Kenntnis gesetzt werden (vgl. dazu unter 2.). Ausreichend zum Schutz seiner rechtlichen Interessen dürfte es insoweit auch sein, wenn er die Gründe nur auf Anfrage erhält. Schließlich werden viele Durchsuchungsbetroffene in der Praxis überhaupt nicht an einer gerichtlichen Überprüfung interessiert sein. Angesichts der Tatsache, dass derart konkrete Beschlüsse in der Praxis äußerst rar gesät sind, wird sich diese Fallkonstellation allerdings nur selten ergeben.
b) Gattungsmäßige Bestimmung der Beweismittel
Das BVerfG hat stets eine Konkretisierung der Beweismittel gefordert (vgl. BVerfG, Beschl. v. 28.04.2003 - 2 BvR 358/03). Es hat es jedoch für verfassungsrechtlich zulässig erachtet, dass die zu suchenden bestimmten Gegenstände i.S.d. § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO nur gattungsmäßig bestimmt werden (vgl. u.a. BVerfG, Beschl. v. 28.04.2003 - 2 BvR 358/03; BVerfG, Beschl. v. 18.03.2009 - 2 BvR 1036/08 Rn. 66; vgl. auch BGH, Beschl. v. 09.02.2021 - StB 9/20).
Diese Rechtsprechung wird in der Praxis häufig rechtsfehlerhaft umgesetzt. So lässt sich immer wieder beobachten, dass die genannten „Gattungen“ in Durchsuchungsbeschlüssen nur sehr generisch beschrieben werden und darüber hinaus immer wieder Öffnungsklauseln („insbesondere“) verwendet werden, die den Ermittlungsbehörden die Suche nach anderen/sämtlichen beweisrelevanten Gegenständen ermöglichen. Zumindest derartige Öffnungsklauseln sind weder mit dem Grundgesetz noch mit § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO vereinbar (vgl. auch LG Koblenz, Beschl. v. 27.10.2014 - 4 Qs 66/14). Das BVerfG hat schließlich wiederholt angemerkt, dass die vom Richter gewählte Formulierung sicherzustellen hat, dass die Grenzen der Durchsuchung nicht im Ermessen der eingesetzten Beamten liegt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.07.2020 - 2 BvR 1324/15 Rn. 28).
Selbst wenn eine verfassungskonforme gattungsmäßige Umschreibung erfolgt, ist die Verfassungskonformität des Beschlusses mithin keineswegs garantiert. Diese ist notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung der Rechtmäßigkeit. So hat das BVerfG darauf hingewiesen, dass bei einer gattungsmäßigen Umschreibung der Beweismittel eine klare Begrenzung der Durchsuchung regelmäßig nur dann möglich sei, wenn der Tatvorwurf dargelegt ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 07.09.2007 - 2 BvR 620/02; BVerfG, Beschl. v. 05.03.2012 - 2 BvR 1345/08 Rn. 17).
Bei Durchsuchungsbeschlüssen mit gattungsmäßiger Umschreibung ist daher ein potentieller Widerstreit zwischen Beschuldigteninteressen und den Interessen des Durchsuchungsbetroffenen vorprogrammiert. Fraglich ist allerdings, ob diesem Interessenwiderstreit – wie das LG Nürnberg-Fürth meint – dadurch Rechnung getragen werden darf, dass der Richter eine verkürzte Begründung des Durchsuchungsbeschlusses vornimmt. Dagegen sprechen gewichtige Gründe:
Zunächst sollte man sich in Erinnerung rufen, dass die Begründungspflicht drei Funktionen erfüllt: Sie dient, erstens, der Selbstkontrolle des Richters durch die Notwendigkeit der Verschriftlichung. Sie gibt, zweitens, den bei der Durchsuchung anwesenden Beamten einen Rahmen für die Durchsuchung vor und erlaubt, drittens, eine Fremdkontrolle durch den Durchsuchungsbetroffenen. All dies streitet für eine andere Lösung als den Verzicht auf eine (detaillierte) Begründung. So kann dem Interesse des Beschuldigten auf Wahrung seines Steuergeheimnisses regelmäßig bereits dadurch Rechnung getragen werden, dass die detaillierte Begründung dem Durchsuchungsbetroffenen nicht (schriftlich) bekannt gegeben wird. Es ist nicht ersichtlich, warum der mit einer Pflicht zur schriftlichen Begründung und Mitteilung an die mit der Durchsuchung betrauten Beamten einhergehende Grundrechtsschutz durch Verfahren in einer solchen Verfahrenskonstellation obsolet sein soll. Vielmehr gebietet der aus Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 StPO resultierende Richtervorbehalt richtigerweise stets, dass der Richter eine ausführliche Begründung fertigt. Es ist zum Schutz des Steuergeheimnisses schlicht nicht erforderlich, dass auf eine Begründung von Durchsuchungsbeschlüssen verzichtet wird.
2. Beschränkung der Bekanntgabe
Fraglich kann daher nur sein, ob der Schutz des Steuergeheimnisses es rechtfertigen kann, auf eine (teilweise) Bekanntgabe der Gründe zu verzichten, wenn und soweit nur die Begründung des Tatvorwurfs dem Durchsuchungsbetroffenen eine Bestimmung der zu suchenden (bestimmten) Gegenstände ermöglicht (vgl. allg. zur eingeschränkten Bekanntgabe BGH, Beschl. v. 28.06.2017 - 1 BGs 148/17 Rn. 18; Wiepjes, StV 2019, 286; Park, Durchsuchung und Beschlagnahme, 5. Aufl. 2022, § 2 Rn. 187 ff.; Hauschild in: MünchKomm StPO, 2. Aufl. 2023, § 103 Rn. 3a; Jäger/Wohler in: SK-StPO, 6. Aufl. 2023, § 103 Rn. 8).
Zur Beantwortung dieser Frage darf auch insoweit nicht vorschnell auf einen angemessenen Ausgleich der Grundrechtspositionen von Beschuldigten und Durchsuchungsbetroffenen abgestellt werden. Eine solche Vorgehensweise würde vernachlässigen, dass dieser Interessengegensatz regelmäßig nur dann und deshalb virulent wird, wenn und weil die Ermittlungsbehörden in extensiver Auslegung des § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO eine äußerst weitgehende Eingriffsbefugnis für sich in Anspruch nehmen. Es liegt also ein dreipoliges Verhältnis vor, so dass ein Interessenausgleich auch zur Beschränkung der staatlichen Ermittlungsbefugnis führen kann. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann mithin dazu führen, dass eine Durchsuchung in Gänze zu unterlassen ist, wenn eine ausreichende Konkretisierung der Beweismittel nicht möglich ist und eine Begrenzung der Durchsuchungsbefugnis durch ausführliche Darlegung des Tatverdachts mit unangemessenen Nachteilen für den Beschuldigten verbunden wäre. Das BVerfG hat bislang allerdings noch nicht abschließend geklärt, welche Mindeststandards in einer solchen Fallkonstellation zu wahren sind (vgl. dazu bereits Wehnert/Mosiek, StV 2002, 346, 347).
Nimmt man mit der Rechtsprechung an, dass trotz fehlender Konkretisierung von Beweismitteln auch in dieser grundrechtlichen Gemengelage eine Durchsuchung nach § 103 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht per se unzulässig ist, so entbindet dies den Richter nicht davon, für eine Begrenzung der Durchsuchungsbefugnis im Einzelfall Sorge zu tragen.
Nach der wohl h.M. ist insoweit eine Einschränkung der Begründung zugunsten des Steuergeheimnisses zulässig (vgl. z.B. LG Konstanz, wistra 2000, 118; tendenziell aber nicht tragend BVerfG, Beschl. v. 06.03.2002 - 2 BvR 1619/00 Rn. 21; Wehnert/Mosiek, StV 2002, 346, 347; Drüsen in: Tipke/Kruse, 176. Lfg., 2023, d) Offenbarung zur Durchführung eines Steuerstrafverfahrens oder eines Bußgeldverfahrens wegen einer Steuerordnungswidrigkeit, Rn. 70; Peters in: Schaumburg/Peters, Internationales Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2021, Rn. 6.125; Peters in: Kohlmann, Steuerstrafrecht, 79. Lfg. 2023, 3. Durchsuchung beim Unverdächtigen, Rn. 157; Pflaum in: MünchKomm StPO, 1. Aufl. 2018, § 30 AO Rn. 22; von Frantzki in: Buse/von Frantzki, 2021, 5.5.3.3; Henrichs/Weingast in: Karlsruher Komm. StPO, 9. Aufl. 2023, § 103 Rn. 6; Tsambikakis in: Löwe-Rosenberg, 27. Aufl. 2019, § 105 Rn. 50; a.A. LG Koblenz, Beschl. v. 01.03.2004 - 10 Qs 61/03 - wistra 2004, 438, 439; tendenziell ebenfalls ablehnend LG Bielefeld, Beschl. v. 22.11.2007 - I Qs 587/07 Rn. 14 ff.; Burkhard, wistra 2000, 118, 120; Joecks in: Joecks/Jäger/Randt, 8. Aufl. 2015, § 399 AO Rn. 90; Webel in: Joecks/Jäger/Randt, 9. Aufl. 2023, § 399 AO Rn. 178; Rüping, DStR 2006, 1249, 1252 f.; Matthes, wistra 2008, 10, 12).
Sofern man mit der h.M. eine Einschränkung zulasten des Durchsuchungsbetroffen für zulässig erachtet, darf dies nach der hier vertretenen Auffassung nicht im Rahmen der Begründung erfolgen, sondern nur zu einer eingeschränkten Bekanntgabe der Gründe führen. Der Ermittlungsrichter darf es dabei nicht der Staatsanwaltschaft überlassen, ob und inwieweit auf eine teilweise Bekanntgabe der Gründe verzichtet werden kann (vgl. dazu allg. auch BGH, Beschl. v. 28.06.2017 - 1 BGs 148/17 Rn. 15). Darüber hinaus ist der Durchsuchungsbetroffene darauf hinzuweisen, dass die Gründe verkürzt sind (vgl. dazu allg. Webel in: Joecks/Jäger/Randt, 9. Aufl. 2023, § 399 AO Rn. 58). Zudem ist ihm in jedem Fall ein Durchsuchungsbeschluss auszuhändigen, der die zu suchenden Gegenstände benennt (vgl. BGH, Beschl. v. 28.06.2017 - 1 BGs 148/17 Rn. 20). Auch die Begründung der Auffindevermutung ist regelmäßig mitzuteilen (BGH, Beschl. v. 28.06.2017 - 1 BGs 148/17 Rn. 21). Dies ermöglicht diesem u.a. im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens, um Mitteilung der vollständigen Gründe zu ersuchen, um ein etwaiges Beschwerdevorbringen substantiieren zu können. Hier wird der Ermittlungsrichter bzw. das Beschwerdegericht ebenfalls zu prüfen haben, ob die Art. 19 Abs. 4, 103 Abs. 1 GG eine Mitteilung der vollständigen Gründe gebieten. Dies dürfte jedenfalls dann der Fall sein, wenn der Beschuldigte einer Weitergabe zustimmt.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Fragestellung ist vor allem für die ermittlungsrichterliche Praxis von Bedeutung. Folgende Punkte sollten im Rahmen der Prüfung nach § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO in Erwägung gezogen werden:
1. Prüfung der Verhältnismäßigkeit: Eine Durchsuchung beim Dritten kann unverhältnismäßig sein, wenn eine Begrenzung der Durchsuchung nur mittels detaillierter Ausführungen zum Sachverhalt und Preisgabe sensibler Steuerdaten des Beschuldigten möglich ist.
2. Begründung des § 103 -Beschlusses: Dieser ist vollständig zu begründen. Dabei ist zu prüfen, ob steuerlich relevante Informationen, die für die Darstellung des Sachverhalts und die Begrenzung der Durchsuchung nicht erforderlich sind, aus der Begründung ausgenommen werden können.
3. Prüfung einer eingeschränkten Bekanntgabe: Prüfung, ob es mit Art. 13 Abs. 2 GG im Einklang steht, eine nur teilweise Bekanntgabe der Gründe an den Dritten anzuordnen. Sofern dies bejaht wird, hat eine konkrete richterliche Anordnung der Einschränkung zu erfolgen. Die Staatsanwaltschaft sollte darauf hingewiesen werden, dass der Durchsuchungsbetroffene auf eine etwaige eingeschränkte Bekanntgabe hinzuweisen ist.
4. Prüfung im Beschwerdeverfahren: Prüfung, ob Art. 19 Abs. 4, 103 Abs. 1 GG eine Einsicht des Durchsuchungsbetroffenen in die vollständige Begründung gebietet.



Immer auf dem aktuellen Rechtsstand sein!

IHRE VORTEILE:

  • Unverzichtbare Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften
  • Alle Rechtsinformationen sind untereinander intelligent vernetzt
  • Deutliche Zeitersparnis dank der juris Wissensmanagement-Technologie
  • Online-First-Konzept

Testen Sie das juris Portal 30 Tage kostenfrei!

Produkt auswählen

Sie benötigen Unterstützung?
Mit unserem kostenfreien Online-Beratungstool finden Sie das passende Produkt!