juris PraxisReporte

Autor:Jens Ferner, RA, FA für Strafrecht und FA für IT-Recht
Erscheinungsdatum:29.04.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 100a StPO, § 100b StPO, § 55 StPO, § 5 KCanG, § 3 KCanG, § 31a BtMG 1981, § 29 BtMG 1981, § 37 KCanG, § 19 KCanG, § 36 KCanG, § 35a KCanG, § 34 KCanG
Fundstelle:jurisPR-StrafR 8/2024 Anm. 2
Herausgeber:Dr. Mayeul Hiéramente, RA und FA für Strafrecht
Zitiervorschlag:Ferner, jurisPR-StrafR 8/2024 Anm. 2 Zitiervorschlag

KCanG: Konsumcannabisgesetz in Kraft getreten

KCanG: Mit Wirkung zum 01.04.2024 ist in weiten Teilen das Konsumcannabisgesetz (Art. 1 des Cannabisgesetzes) in Kraft getreten (BGBl 2024 I Nr. 109 vom 27.03.2024). Die sich erheblich materiell-strafrechtlich auswirkenden Änderungen werden im Folgenden in aller Kürze angerissen – und auf die Problematik der Mengenbegriffe eingegangen.

I. Gesetzessystematik

Unter dem Schlagwort „Teil-Legalisierung“ erfolgt eine umfassende Regulierung mit einem neu geschaffenen Raum der Straflosigkeit konkreter Verhaltensweisen. Die Systematik erschließt sich dem Strafverteidiger am ehesten wie folgt:

1.
Die Begriffsbestimmungen in § 1 sollten beherrscht werden. Besonderes Augenmerk muss darauf gerichtet sein, dass der Begriff „Cannabis“ in Ziffer 8 legal definiert wird und Ausnahmen vorsieht. So sind etwa CBD, Stecklinge aber auch Samen aus dem Begriff „Cannabis“ ausgenommen.
2.
Der Umgang mit Cannabis im Sinne dieser Definition ist dann dem Grunde nach umfassend verboten (§ 2). Dabei werden Ausnahmen von diesem Verbot geschaffen speziell hinsichtlich Besitzes und Eigenanbaus (§ 2 Abs. 3 unter Verweis auf die §§ 3, 9). Der Umgang mit Cannabis ist also in jeder Variante außerhalb des Konsums abschließend verboten (§ 2 Abs. 1). Erst nachdem dieses allgemein und umfassend zu verstehende Verbot (BT-Drs. 20/8704, S. 93) konstatiert ist, wird später klargestellt, dass von diesem Verbot ausgenommen der Besitz von Cannabis nach § 3 ist (§ 2 Abs. 3). Dies führt dann zum erlaubten Besitz von 25 Gramm bzw. 50 Gramm Cannabis (Brutto), abhängig von weiteren Tatbestandsmerkmalen.
3.
Das Gesetz unterscheidet zwischen dem Verbot und der Strafbarkeit! Mit dem KCanG gilt, dass nur weil etwas verboten ist, dies noch lange nicht unter einer Sanktion steht. Wenn eine verbotene Handlung vorgenommen wird, muss als Erstes geprüft werden, ob diese noch einen Bußgeldtatbestand (§ 36) oder schon eine Straftat darstellt (§ 34). Es gibt zahlreiche Ausnahmen, die zwar verboten, aber am Ende beides nicht sind, speziell der Erwerb von Cannabis durch Jugendliche ist ein solches Beispiel. Diese Lücken hat der Gesetzgeber wohl gesehen und gewollt, es handelt sich um kein Versehen.
4.
Legaler Besitz und Erwerb: Man darf bis zu 25 Gramm Cannabis als Bruttomenge mit sich führen, an seinem Wohnsitz dann insgesamt bis zu 50 Gramm besitzen und dort sogar noch drei lebende Cannabispflanzen halten (§ 3). Damit die Cannabispflanze nicht mit der Gesamtmenge kollidiert, stellt sich der Gesetzgeber eine sukzessive Ernte vor (BT-Drs. 20/8704, S. 96) und rechnet ausdrücklich zwar nicht die lebenden Pflanzen, aber wohl geerntetes Material in diese 50 Gramm ein, sofern es getrocknet ist (BT-Drs. 20/10426, S. 130). Dies gilt nicht für frisch geerntetes Material, dies wollte man mit Hinweis auf die Trocknung verdeutlichen (BT-Drs. 20/10426, S. 130). Der Kauf ist bis zu 25 Gramm täglich und 50 Gramm Kalendermonatlich unbestraft, gleich, wer kauft (auch Jugendliche!) und gleich, wo man kauft (§ 34 Abs. 1 Nr. 12).
1.
Eine beachtliche Änderung ergibt sich in den §§ 100a, 100b StPO: Hier wurden zwar Tatbestände des KCanG aufgenommen, allerdings nicht sämtliche. Es muss daher im Einzelfall geprüft werden, ob derartige Maßnahmen heute noch als rechtmäßig zu qualifizieren sind oder ob ein Beweisverwertungsverbot im Raum steht – wobei zu diskutieren ist, ob sich die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen nach früherer oder heutiger Gesetzeslage bestimmt (für ein Beweisverwertungsverbot im Fall gewerbsmäßigen Handeltreibens in einem „Encrochat“-Fall: LG Mannheim, 5 KLs 804 Js 28622/21).

II. Systematik

Die Systematik des KCanG stellt sich bei näherer Betrachtung nicht als ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt dar: Vielmehr wird ein ausdrückliches Verbot in den Raum gestellt, von dem sodann später eine – im Verbot gar nicht vorgesehene – Ausnahme gemacht wird. Der Gesetzgeber bedient sich hierbei der Methodik einer Privilegierung: Es ist alles Verboten, der Besitz wird im Einzelfall aber unter konkreten Vorgaben privilegiert, einer Erlaubnis unterstellt. Diesem Gedanken folgend würde eine solch konkrete Privilegierung zur Folge haben, dass sie in dem Moment verbraucht ist, in dem ihre Voraussetzungen nicht erfüllt sind: Wer mehr als 25 Gramm bzw. 50 Gramm besitzt, kommt nicht mehr in den Genuss der Privilegierung, sondern unterfällt (weiterhin) dem allgemeinen Verbot. Eine strafrechtliche Relevanz ist damit gleichwohl nicht verbunden, da § 34 Abs. 1 Nr. 1 bekanntlich eine Strafbarkeit erst ab 30 Gramm bzw. 60 Gramm vorsieht (und das Bußgeld greift erst bei 5 Gramm bzw. 10 Gramm darunter, § 36 Abs. 1 Nr. 1). Diese Systematik macht deutlich, dass keineswegs im Bereich bis 25 Gramm von einer „erlaubten Menge“ zu sprechen ist. Vielmehr ist bereits die erste Menge, die man besitzt, gleich wie klein, eine verbotene Menge – deren Besitz bei Einhalten der Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 schlicht privilegiert ist. Hieran würde sich eine Vielzahl weiterer Auswirkungen anschließen, so wäre insbesondere, wenn im Rahmen der Führungsaufsicht der Konsum verbotener Substanzen untersagt ist, zu erkennen, dass Cannabis eine verbotene Substanz in diesem Sinne wäre.

III. Strafbarkeit

1. Gewöhnungsbedürftig wird sein, dass sich die Strafbarkeit allein an § 34 orientiert. Im ersten Absatz finden sich die Vergehen wie bekannt aus dem früheren § 29 BtMG; der dritte Absatz enthält Regelbeispiele mit einem Strafrahmen von drei Monaten bis fünf Jahren bei den klassischen Fällen gewerbsmäßigen Handelns, Gesundheitsgefährdung, bei nicht geringer Menge sowie bei grundlegenden Handlungen gegenüber Kindern/Jugendlichen. Im vierten Absatz dann finden sich die einzigen Verbrechen mit zwei Jahren Mindestfreiheitsstrafe, wenn man im Umfeld nicht geringer Menge als Mitglied einer Bande gehandelt hat oder eine Waffe bzw. sonstigen gefährlichen Gegenstand mit sich führte – oder erschwerte Delikte gegenüber Kindern/Jugendlichen begangen hat. Ein minder schwerer Fall ist vorgesehen. Versuchs- und Fahrlässigkeitsstrafbarkeiten sind vorgesehen, ausgenommen sind hier jeweils der Besitz sowie der Eigenanbau (§ 34 Abs. 2, 5).

2. Wertungswidersprüche: Das Gesetz bietet eine Vielzahl von Wertungswidersprüchen mit auch praktischer Bedeutung. Besonders auffällig ist, dass Kauf oder Entgegennahme bis zu 25 Gramm täglich und 50 Gramm monatlich straflos sind (§ 34 Abs. 1 Nr. 12), während das sonstige sich verschaffen unter Strafe steht (§ 34 Abs. 1 Nr. 11). Wer also den (weiterhin strafbar agierenden) Verkäufer nicht benennen und auf einen Fund von Cannabis hinweisen möchte, macht sich strafbar. Die Verteidigungstaktik wird wohl aber ohnehin dahin gehen, immer auf die Rechte aus § 55 StPO zu verweisen, da nie ausgeschlossen werden kann, dass die Mengenbegrenzungen durch Käufer überschritten wurden. Auch bleibt fraglich, wie die Gefahren des Schwarzmarkts eingedämmt werden sollen (BT-Drs. 20/8704, S. 68), wenn es keine legalen Bezugsquellen gibt und gerade der Kauf losgelöst von der Quelle legalisiert wird.

3. Strafloser Konsum: Entgegen der früheren Gesetzeslage ist der Konsum nun nicht mehr „straflos“! Anders als früher ist der Konsum reguliert und unterliegt einer Vielzahl von mit einem Bußgeld versehenen Verboten (§§ 5, 36).

IV. Mengenbegriffe

Nach hiesigem Verständnis gibt es mit Blick auf die angenommene Privilegierung keine erlaubte Menge, wohl aber weiterhin eine vom Gesetz ausdrücklich erwähnte geringe Menge sowie eine nicht geringe Menge. Nach hiesigem Verständnis wären Ansätze, mit denen man zwischen einer erlaubten und verbotenen Menge differenziert, etwa indem man von Gesamtmengen die vermeintlich erlaubte Menge subtrahiert, daher verfehlt. Ebenso verfehlt wären Diskussionen über den Trocknungsgrad, auch wenn die gesetzlich relevante Menge sich auf das Gewicht nach dem Trocknen bezieht in den §§ 3, 34 Abs. 1 Nr. 1: Der Gesetzgeber hat ausdrücklich klargestellt, dass er damit allein frisch geerntetes Material ausnehmen wollte, wobei er „feucht“ und „frisch geerntet“ gleichstellt (BT-Drs. 20/10426, S. 130).

1. Geringe Menge

In § 35a Abs. 1 findet sich die „geringe Menge“, der Gesetzgeber möchte dies § 31a BtMG nachempfunden haben (BT-Drs. 20/10426, S. 141) – doch die Formulierung erinnert ebenso stark an § 29 Abs. 5 BtMG. Es wird auf Straftaten nach § 34 Abs. 1 Bezug genommen, wobei hierbei gleichsam der „Besitz“ aufgenommen wurde: Wenn nun in § 34 Abs. 1 Nr. 1 der Besitz von Cannabis erst ab 30 Gramm bzw. 60 Gramm unter Strafe gestellt wird, gleichwohl in § 35a Abs. 1 davon gesprochen wird, dass eben dieser Besitz im Bereich „geringer Menge“ überschritten werden kann, so ist es ein nicht nur zulässiger, sondern sich aufdrängender Rückschluss, dass die geringe Menge ab 30 Gramm bzw. 60 Gramm überhaupt erst beginnt. Denn: Da der Besitz erst ab Überschreitung der 30 Gramm bzw. 60 Gramm ein Vergehen ist, muss dies somit eine Grenze markieren. Unklar ist dabei, ob gemeint ist, dass sich die geringe Menge auf nur den Teil bezieht um den überschritten wird; oder eben auf die dann insgesamt betroffenen Gesamtmengen.

Zum einen ist schon sprachlich § 35a Abs. 1 gerade nicht so formuliert, dass allein der überschreitende Anteil gemeint ist. Weiterhin ist zu sehen, dass mit § 34 Abs. 1 Nr. 12, Abs. 2 der Versuch des Erwerbs von mehr als 25 Gramm Cannabis pro Tag strafbar ist. Wenn nun jemand versucht, 40 Gramm bei einem Dealer zu erwerben, letztlich aber nur 20 Gramm erhält, verfügt er zwar über eine erlaubte Menge und das Kaufgeschäft war (für den Käufer) legal; gleichwohl liegt in Form des versuchten Erwerbs in unerlaubter Menge eine Straftat vor und mit § 37 KCanG kann der weiterhin privilegierte Besitz sogar eingezogen werden. Der Gesetzgeber macht mit dieser Regelung gerade deutlich, dass Aufteilungen zwischen erlaubten und verbotenen Anteilen nicht gedacht sind, es also auf die Gesamtbetrachtung der Gesamtmenge ankommt. Ein Beispiel zum Kriterium der Gefährlichkeit verdeutlicht zudem, warum ein Subtrahieren erlaubter Mengen zu sinnwidrigen Ergebnissen führt: Würde die nicht geringe Menge bei 100 Gramm definiert werden und man die erlaubten Gramm abziehen, würden de facto die verbleibenden 40 Gramm als „überschreitende Menge“ die nicht geringe Menge markieren. Im Ergebnis wären die als Maßstab herangezogenen 40 Gramm damit in der Bewertung gefährlicher als die bis dahin unbestraft besessenen 60 Gramm. Die kleinere Menge wäre also jedenfalls von der Sanktion her im Gesamtbild gefährlicher eingestuft als die größere Menge. Diese Betrachtung verdeutlicht, warum entweder die Gesamtmenge in den Blick zu nehmen ist – oder die nicht geringe Menge ausgehend von der straffrei besitzbaren Maximalmenge so hochzudefinieren wäre, dass unbillige Wertungen vermieden werden.

2. Nicht geringe Menge

Anhaltspunkte für die Bestimmung der weiterhin relevanten „nicht geringen Menge“ ergeben sich mit dem Gesetz nicht; allein, dass auf die Bruttomenge und nicht den Wirkstoffgehalt in Abhängigkeit von der Wassermenge abzustellen ist (so ausdrücklich Bundesrat, Empfehlungen, 92/1/24, S. 14), wird naheliegend sein. Denn: Die Erlaubnisnormen bzw. Strafgrenzen stellen ausdrücklich auf Bruttomengen ab, wohl auch damit dies leichter nachprüfbar ist.

Nun einen Grenzwert losgelöst hiervon – wie bisher – an Wirkstoffmengen zu orientieren, wäre in einer Gesamtbetrachtung des KCanG-Systems nicht mehr nachvollziehbar, dies würde für Konsumenten zugleich auch zu einem unlösbaren Zustand führen, da Kontrollmöglichkeiten gar nicht zur Verfügung ständen. Hierbei fällt auf, dass der Wirkstoffgehalt im KCanG in Form einer Grenze lediglich bei der Weitergabe aus Anbauvereinigungen an Heranwachsende in § 19 Abs. 3 Satz 3 eine Rolle spielt. In der Gesetzesbegründung geht man dabei nur selbstverständlich davon aus, dass eine Analyse des Wirkstoffgehalts eine Rolle spielen wird (BT-Drs. 20/8704, S. 173) und die nicht geringe Menge auch abhängig vom THC-Gehalt zu bestimmen ist (BT-Drs. 20/8704, S. 132).

Doch auch die Tatsache, dass Haschisch dem Cannabisbegriff unterfällt und trotz deutlich höherer THC-Werte und entgegen geäußerter Kritik (BT-Drs. 20/8704, S.167, 168) den gleichen Bruttomengen unterfällt, spricht dafür, dass dem Wirkstoffgehalt eine allenfalls untergeordnete Rolle zukommt. Insgesamt geht der Gesetzgeber ausdrücklich von deutlich höheren Grenzwerten aus, ohne diese zu konkretisieren (BT-Drs. 20/10426, S. 139; BT-Drs. 20/8704, S. 132). Dabei wird ausdrücklich klargestellt, dass Suchtrisiken über Bruttomengen und eben nicht THC-Gehalt reguliert werden (BT-Drs. 20/8704, S. 116). Soweit in § 19 Abs. 3 zugunsten Heranwachsender eine Ausnahme gemacht und bei Abgabe in Anbauvereinigungen auf den Wirkstoffgehalt abgestellt wird, geschieht dies ausdrücklich unter Hinweis auf die Wirkung von Cannabis mit hohem THC-Gehalt auf noch in der Entwicklung befindliche Gehirne (BT-Drs. 20/8704, S. 116, FN 2). Zu sehen ist dabei, dass man bei Erwachsenen konsequent gerade keine Wirkstoffgrenze in Anbauvereinigungen eingeführt hat.

Man kann nun gleichwohl versuchen, ausgehend von einem dann halt durchschnittlichen THC-Gehalt, bezogen auf im KCanG benannte Bruttomengen, diese sodann hochzurechnen. Hier beginnt schon die Frage, welcher Durchschnittswert anzusetzen ist – während manche von üblichen 20% sprechen, kommt die EMCDDA bei „Herbal Cannabis“ auf gerade einmal 7%-13% durchschnittlichen THC-Gehalt (https://www.emcdda.europa.eu/publications/european-drug-report/2023/cannabis_en (zuletzt abgerufen am 17.04.2024)). Und es verbleibt die Frage, wie der Bürger überhaupt sicherstellen soll, den „richtigen“ Wirkstoffgehalt zu bewahren.

Aus hiesiger Sicht wäre der Versuch, pauschal am Wirkstoffgehalt festzuhalten, im Umfeld des KCanG untauglich. Vielmehr mag die Wortwahl in BtMG und KCanG bezüglich der nicht geringen Menge identisch sein – juristisch ist sie aber nicht identisch zu verstehen. Während im BtMG weiterhin Konsumeinheiten und Wirkstoffgehalt das Maß der Dinge sind, muss im KCanG der Wille des Gesetzgebers erkannt und respektiert werden dahin, dass Bruttomengen ausschlaggebend sind. Eine Ausnahme mag allerdings dort angedacht werden, wo der THC-Gehalt derart absurd hoch ist, dass damit gar nicht mehr zu rechnen ist. Insoweit betont der Gesetzgeber selbst die Gefährlichkeit unnatürlich hoher THC-Gehalte und möchte diese unterbinden (BT-Drs. 20/8704, S. 94, 116). Die Wertung des Gesetzes zeigt dabei bereits, dass jedenfalls ein Wirkstoffgehalt von 10% keinerlei Bedenken begegnet (BT-Drs. 20/8704, S. 116 zu § 19 Abs. 3) und die weitere Entwicklung Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen wird. Jedenfalls wird man auf Vorsatzebene zu prüfen haben, ob sich der Vorsatz im Einzelfall auch auf einen derart unüblich hohen THC-Gehalt bezogen hat.

Ein letzter Schritt soll verdeutlichen, wie stark sich der Begriff, der nicht geringen Menge im KCanG von dem im BtMG unterscheidet. Wieder sei der Blick auf § 34 Abs. 3 Nr. 4 gerichtet: Hiernach ist jegliche Handlung nach § 34 Abs. 1 auch in nicht geringer Menge denkbar. Nun gehen die Ziffern 1 und 12 allerdings von jeweils zwar gleichartigen Handlungen Besitz und Erwerb/Entgegennahme in je verschiedenen Variationen aus – aber dafür mit unterschiedlichen Mengen. Ein einfaches Beispiel: Wenn die Bruttomenge von 100 Gramm eine nicht geringe Menge darstellen sollte, so wäre der einmalige Erwerb von dieser Menge nach § 34 Abs. 1 Nr. 12a das Vierfache, nach § 34 Abs. 1 Nr. 12b lediglich das Doppelte der dort benannten Menge. Und mit Blick auf den Handlungsunwert darf gefragt werden, ob das bewusste vielfache Überschreiten einer erlaubten Tagesdosis nicht gravierender ist als das auf den Monat hochgerechnete Überschreiten der Monatsmenge. Wobei der weitere Gedanke zeigt, wie komplex die Thematik ist: Wer dreimal 30 Gramm an drei verschiedenen Tagen kauft, überschreitet nur marginal den täglich erlaubten Betrag, schon spürbar den monatlich erlaubten Erwerb (um fast das doppelte) aber um gerade mal ein Drittel das, was er maximal zu Hause besitzen darf. Das mag man konkurrenztechnisch noch abbilden können; zugleich zeigt es aber, dass der Begriff der nicht geringen Menge neu, und hierbei nicht statisch, zu definieren ist. Dieser Gedanke wird auch durch einen erneuten Blick auf § 35a gestützt, der pauschal von einer geringen Menge bei allen Vergehen ausgeht – während aber § 34 Nr. 1, 12 gerade von unterschiedlichen Mengen ausgehen, somit die geringe Menge durch die Verweisung bereits begrifflich von unterschiedlichen Mengenbegriffen je nach Tatbestand ausgeht.

3. Fazit zu den Mengenbegriffen

Ein dynamisches Anknüpfen an die erlaubten Bruttomengen, je nach Tatbestand, ist der für Bürger nachvollziehbare und rechtssichere Weg. Der Gesetzgeber hat dabei in § 36 Abs. 1 Nr. 1 bereits eine Wertung vorgegeben: Eine Überschreitung des Erlaubten um 20% ist für den Gesetzgeber nur ein Bußgeld wert und wie anhand von § 35a aufgezeigt sogar noch unterhalb der „geringen Menge“. Von diesem Gedanken ausgehend, sollte eine Überschreitung der Grenzen, die in § 34 Abs. 1 Nr. 1, 12 um maximal bis zu 20% noch in den Bereich der dann geringen Menge im Sinne des § 35a KCanG fallen. Anhaltspunkte dafür, welche Überschreitung in welchem Faktor dann die nicht geringe Menge definieren, sind schwer zu erkennen. Allenfalls die Tatsache, dass sich in § 34 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 12 die jeweiligen Mengen um 100% voneinander unterscheiden, mag eine Idee geben, dass möglicherweise schon die Verdopplung der jeweils erlaubten Werte reicht, um die nicht geringe Menge im jeweiligen Tatbestand zu erreichen. Dort wo Bruttomengen im Gesetz nicht vorgesehen sind, wie speziell beim Handeltreiben, verfängt dieser Gedanke nicht. Hier könnte dann etwa, mangels Vertrauensschutzes durch erlaubte Bruttomengen, das bisher bekannte System der Bestimmung der nicht geringen Menge anhand der Wirkstoffmenge angedacht werden. Man kann zusammenfassen:

1.
Der Besitz ist eine Privilegierung, aus dem sich keine Rückschlüsse hinsichtlich Mengenbegriffe erkennen lässt. Schon eine geringe Überschreitung der privilegierten Menge lässt die Privilegierung sofort entfallen, so dass ein Verbotener Umgang mit Cannabis vorliegt – mit entsprechenden Wirkungen im Jugendschutz, Verwaltungsrecht oder auch für die Führungsaufsicht.
2.
Abzustellen ist schon zur Rechtssicherheit bei der Mengenbestimmung hinsichtlich Besitzes und Kaufs auf für die Nutzer erkennbare Bruttomengen, nicht auf den Wirkstoffgehalt.
3.
Teilmengen (oder ein Herausrechnen einer vermeintlich „erlaubten Menge“) kommen nicht in Betracht.
4.
Der Wirkstoffgehalt hat bei der Bestimmung von Mengen eine Relevanz, aber zugleich deutlich untergeordnete Funktion. Eine Ausnahme käme dort in Betracht, wo der Wirkstoffgehalt in einem übertrieben unnatürlichem Maße hoch ist – was aber vom Vorsatz umfasst sein müsste. Die weitere Ausnahme wäre möglicherweise dort zu machen, wo keine „Erlaubnistatbestände“ anhand von Bruttomengen geschaffen wurden, hier könnte auf das bisherige System anhand des Wirkstoffgehalts zurückgegriffen werden.
5.
Es gibt definitorisch eine geringe Menge, die im Vergleich zur bisherigen geringen Menge absurd hoch sein muss, was der Gesetzgeber auch so vorhergesehen und damit gewollt hat. Frühere Größen sind damit keinerlei brauchbare Orientierung.
6.
Eine pauschale, statische Definition der nicht geringen Menge im KCanG scheitert sowohl an den vorgesehenen Bruttomengen in den Erlaubnistatbeständen als auch den abhängig vom Tatbestand variabel verwendeten Mengenbegriffen. Damit bietet sich in den Fällen „erlaubter“ Bruttomengen die Definition der nicht geringen Menge nach dem Maß des Überschreitens an – was zu unterschiedlichen Mengen je nach Tatbestand führt.

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