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Anmerkung zu:BSG 1. Senat, Urteil vom 11.05.2023 - B 1 KR 10/22 R
Autor:Prof. Dr. Hermann Plagemann, RA, FA für Sozialrecht und FA für Medizinrecht
Erscheinungsdatum:07.09.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 1 SGB 5, § 109 SGB 5, § 12 SGB 5, § 17b KHG, § 17 KHG, § 8 KHEntgG, § 39 SGB 5
Fundstelle:jurisPR-SozR 18/2023 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Thomas Voelzke, Vizepräsident des BSG a.D.
Jutta Siefert, Ri'inBSG
Zitiervorschlag:Plagemann, jurisPR-SozR 18/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Krankenhausvergütung nach Fallzusammenführung und Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots bei Entlassung und Wiederaufnahme in dasselbe Krankenhaus



Orientierungssatz zur Anmerkung

Der Vergütungsabschlag wegen einer Fallzusammenführung erfolgt nach § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG ausschließlich nach Maßgabe der von den Vertragsparteien getroffenen Fallpauschalen-Vereinbarung (FPV).
Die Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots im Zusammenhang mit der Entlassung und Wiederaufnahme in dasselbe Krankenhaus ist abschließend dem Gesetzgeber und den Vertragsparteien der FPV zugewiesen.



A.
Problemstellung
„Ambulant vor stationär“ – so lautet ein systemprägender Grundsatz der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Rechtsprechung und Politik verlangen vom Krankenhaus Tag für Tag eine strenge Prüfung, ob die Notwendigkeit der stationären Behandlung i.S.d. § 39 SGB V immer noch gegeben ist oder ob nicht doch der Patient/die Patientin zu entlassen ist. In der Regel zielt solcher Art Verlaufskontrolle auch auf die dem System der GKV ebenfalls immanente Stärkung der Selbstbestimmung des kranken Menschen. Formuliert doch § 1 Satz 2 SGB V ausdrücklich, dass das Recht der GKV auch auf die „Förderung der gesundheitlichen Eigenkompetenz und Eigenverantwortung der Versicherten“ abzielt.
Es liegt auf der Hand, dass solcher Art strenge Prüfung Entlassungen zur Folge hat, die kurz darauf wieder korrigiert werden müssen. Vorliegend geht es um einen schwer krebskranken Patienten, der für die Dauer von fünf Tagen entlassen wurde mit der Perspektive der Wiederaufnahme zum Zwecke einer großen Operation. Der Versicherte, geboren 1939, wurde 2019, also im Alter von 80 Jahren wegen eines Rektumkarzinoms mit Metastasen operiert – leider war das Karzinom nicht (mehr) operabel. Aus dem mitgeteilten Sachverhalt kann man durchaus vermuten, dass der Patient, von schwerer Krankheit gezeichnet, die fünf Tage vor der Operation lieber zuhause verbrachte als im Krankenhaus. Die Entlassung nach der interdisziplinären Tumorkonferenz und der Vereinbarung der Operation eine Woche später erfolgte – so kann man nach dem knappen Tatbestand unterstellen – in der Überzeugung, dass die Versorgung zuhause sichergestellt ist und im wohlverstandenen Interesse des Patienten geschah.
Was medizinisch sachgerecht und damit auch „notwendig“ i.S.d. §§ 12 und 39 SGB V ist, muss nicht unbedingt die „preiswerteste“ Behandlung sein. Es gibt Konstellationen, in denen die ambulante Versorgung (besonders augenfällig 24-Stunden-Pflege zuhause) deutlich höhere Kosten verursacht als die stationäre. Hier kommt es durch die zwischenzeitliche Entlassung zu zwei Kostenrechnungen, nämlich für den ersten Krankenhausaufenthalt und den Aufenthalt wegen der Operation – beide auf Basis der gleichen Diagnose, nämlich der bösartigen Neubildung der Verdauungsorgane. Seit vielen Jahren streiten Krankenhäuser und Kassen darüber, wie solche Art Mehrfachaufenthalte in der Vergütung sachgerecht und zutreffend abgebildet werden. Das Krankenhausentgeltgesetz verweist weitgehend auf die Fallpauschalen (FPV), die gemäß § 8 KHEntgG zwischen Spitzenverband Bund der GKV und der Deutschen Krankenhausgesellschaft (einschließlich Verband der Privaten Krankenversicherung) vereinbart werden. Immer wieder haben die Kassen geltend gemacht, dass diese Fallpauschalen das Geschehen in den Krankenhäusern nicht vollständig abbilden, dass vielmehr ergänzend dazu das Krankenhaus bei der Leistungserbringung und der Rechnungsstellung das Prinzip der Wirtschaftlichkeit gemäß § 12 SGB V zu beachten habe. Der Nachweis der Wirtschaftlichkeit erfordert, dass bei Existenz verschiedener, gleich zweckmäßiger und notwendiger Behandlungsmöglichkeiten die Kosten für den gleichen zu erwartenden Erfolg geringer oder zumindest nicht höher sind. Nur die geringere Vergütung ist nämlich wirtschaftlich (so schon BSG, Urt. v. 01.07.2014 - B 1 KR 62/12 R).
Die Partner der Fallpauschalen-Vereinbarung haben die Fallzusammenführung in § 2 der FPV 2019 geregelt. Die Voraussetzungen einer gemäß FPV abrechnungstechnisch gebotenen Fallzusammenführung waren im vorliegenden Fall nicht gegeben. Dies war unstreitig und ist auch vom BSG bestätigt worden.
Es bleibt also die Frage, ob auf Basis der bisherigen Rechtsprechung der Vergütungsanspruch dennoch gekürzt werden kann wegen des „unwirtschaftlichen Fallsplittings“. Das verneint der 1. Senat des BSG nun in Abgrenzung zur früheren Rechtsprechung auf der Grundlage des seit dem 01.01.2019 geltenden § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das klagende Krankenhaus behandelte vom 09. bis 18.10.2019 einen Versicherten der beklagten Krankenkasse vollstationär wegen anhaltender Durchfälle. Es wurden ein Rektumkarzinom mit Metastasen unter anderem der Leber und weitere Erkrankungen diagnostiziert. Entsprechend dem Votum der interdisziplinären Tumorkonferenz wurde eine primäre operative Rektumresektion mit intraoperativer Abklärung der Leberläsionen beschlossen. Als Operationstermin wurde der 24.10.2019 vereinbart. Dafür wurde der Versicherte am 23.10.2019 erneut im Krankenhaus aufgenommen. Am 24.10.2019 wurde er operiert. Das Karzinom stellte sich als nicht operabel heraus. Der Versicherte wurde am 05.11.2019 in die hausärztliche Behandlung entlassen.
Für den Aufenthalt vom 09. bis 18.10.201 berechnete die Klägerin 1.909,27 Euro auf Grundlage der Fallpauschale DRG D60B („Bösartige Neubildung der Verdauungsorgane …“), die die Kasse beglich. Für den Aufenthalt vom 23.10. bis 05.11.2019 berechnete das Krankenhaus 8.489,36 Euro auf der Grundlage der Fallpauschale DRG G18C („Bestimmte Eingriffe an Dünn- und Dickdarm …“). Die Kasse beglich diese Rechnung nicht und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Durchführung einer Prüfung. Dieser bestätigte die vom Krankenhaus angesetzte Fallpauschale, führte jedoch aus, es handle sich um die Fortsetzung der im Rahmen des ersten Krankenhausaufenthaltes noch nicht abgeschlossenen Behandlung. Die Wiederaufnahme zur Operation sei bereits im Voraufenthalt geplant gewesen. Die Kasse machte geltend, es liege eine typische Beurlaubung vor und die Fälle seien zusammenzuführen.
Auf die Klage des Krankenhauses verurteilte das Sozialgericht die Kasse zur Zahlung weiterer 2.009,27 Euro nebst Zinsen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Kasse wies das Landessozialgericht zurück. Das Krankenhaus habe beide Behandlungsfälle korrekt abgerechnet. Die Voraussetzungen einer Fallzusammenführung hätten nicht vorgelegen; eine solche sei wegen der entsprechenden Kennzeichnung der DRG G60B im Fallpauschalenkatalog auch nicht zulässig gewesen. Die Kasse könne nicht geltend machen, das Krankenhaus habe den Versicherten unwirtschaftlich behandelt (LSG Mainz, Urt. v. 07.04.2022 - L 5 KR 212/21 - NZS 2022, 669 mit Anm. Prange).
Das BSG hat die Revision der Kasse als unbegründet zurückgewiesen.
Rechtsgrundlage des vom Krankenhaus wegen der stationären Behandlung des Versicherten geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 SGB V i.V.m. § 7 KHEntgG und § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG). Die Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs liegen vor. Die stationäre Behandlung während beider Behandlungsepisoden war medizinisch erforderlich i.S.d. § 39 SGB V. Das Krankenhaus rechnete die Fallpauschalen nach der FPV 2019 korrekt ab. Der weitere Vergütungsanspruch scheitert nicht daran, dass das Krankenhaus gegen das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot verstoßen hat, indem es den Versicherten am 18.10.2019 nach Hause entließ. Der Kürzung des Vergütungsanspruchs steht in der hier vorliegenden Fallkonstellation seit dem 01.01.2019 grundsätzlich § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG entgegen. Die Konkretisierung des Wirtschaftlichkeitsgebots im Zusammenhang mit der Entlassung und Wiederaufnahme in dasselbe Krankenhaus ist seit dem 01.01.2019 abschließend den Vertragsparteien der FPV zugewiesen. Der gerichtlichen Prüfung unterliegt nur noch, ob die Vertragsparteien der FPV bei ihrer grundsätzlich abschließenden Regelung von ihrem Gestaltungsspielraum ermächtigungskonform Gebrauch gemacht haben.
Das BSG betont ausdrücklich, dass das Krankenhaus, wenn es einen Versicherten bei erforderlicher Krankenhausbehandlung in teilweise unwirtschaftlichem Umfang behandelt, wegen Nichterfüllung der Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs eigentlich gar keine Vergütung zu beanspruchen habe. Das Krankenhaus kann aber die Vergütung beanspruchen, die bei fiktivem wirtschaftlichen Alternativverhalten angefallen wäre (st. Rspr., z.B. BSG, Urt. v. 19.11.2019 - B 1 KR 6/19 R; BSG, Urt. v. 26.04.2022 - B 1 KR 5/21 R). In der bisherigen Rechtsprechung hat das BSG entschieden, dass in den nicht von der FPV erfassten Fällen einer Wiederaufnahme eine individuelle Prüfung der Verletzung des Wirtschaftlichkeitsgebots durch § 17b Abs. 2 Satz 1 KHG und § 8 Abs. 5 KHEntgG (in der bis zum 31.12.2018 geltenden Fassung) nicht ausgeschlossen ist und die preisrechtlichen Regelungen der FPV aufgrund ihrer Stellung in der Normenhierarchie und ihrer rechtssystematischen Verortung außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung nicht in der Lage sind, aus eigenem Geltungsgrund das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V einzuschränken.
Seit dem 01.01.2019 bestimmt § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG: „In anderen als den vertraglich oder gesetzlich bestimmten Fällen ist eine Fallzusammenführung insbesondere aus Gründen des Wirtschaftlichkeitsgebots nicht zulässig“. Das bedeutet: Eine Fallzusammenführung bzw. gleichbedeutend eine Vergütungskürzung nach Maßgabe eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens soll nur noch in den entweder vom Gesetzgeber selbst oder von den Vertragsparteien in der FPV festgelegten Fällen stattfinden. Jenseits davon soll die Rechtsprechung nicht aus Anlass der Prüfung eines Einzelfalls weitere Tatbestände der Fallzusammenführung entwickeln. Das folgt jedenfalls aus der Entstehungsgeschichte des § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG und dem systematischen Zusammenhang mit der zeitgleich eingeführten Regelung des § 17b Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 KHG. Danach haben die Vertragsparteien der FPV mit den Abrechnungsbestimmungen darauf hinzuwirken, dass die Voraussetzungen, unter denen bei Wiederaufnahme von Patientinnen und Patienten eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und eine Neueinstufung in eine Fallpauschale vorzunehmen sind, dem Wirtschaftlichkeitsgebot hinreichend Rechnung zu tragen. Den Vertragsparteien ist also abschließend zugewiesen, wie die Anforderungen des Wirtschaftlichkeitsgebots zu konkretisieren sind, soweit der Gesetzgeber keine eigenständigen Regelungen trifft. So formuliert es auch die Gesetzesbegründung zu § 8 Abs. 3 KHEntgG (BT-Drs. 19/5593, S. 110 und 125).
Die Gerichte haben jedoch zu prüfen, ob die Vertragsparteien ermächtigungskonform von der Regelungsermächtigung Gebrauch gemacht haben. Es ist ihnen nicht versagt, bei dieser Prüfung die bisherige Rechtsprechung des erkennenden Senats und die darin entwickelten Fallgruppen zum Maßstab zu machen. Da es sich bei den FPV um „Normenverträge“ handelt, ist bei dieser Prüfung auch der „normgeberische Gestaltungsspielraum“ zu beachten. Wie weit dieser reicht, richtet sich nach dem Inhalt der gesetzlichen Ermächtigung. Er erstreckt sich insbesondere auch auf die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe. Dies betrifft im Rahmen des § 17 Abs. 2 Satz 2 KHG insbesondere die „wirtschaftlichen Versorgungsstrukturen und Verfahrensweisen“ und das „Wirtschaftlichkeitsgebot“. Vorliegend haben die Vertragsparteien in § 2 FPV Ausnahmen von der Fallzusammenführung vorgesehen. Eine solche Ausnahmeregelung steht auch hier einer Fallzusammenführung entgegen. Die Vertragsparteien haben mit dieser Regelung weder den ihnen zustehenden Gestaltungsspielraum über- oder unterschritten, noch ihre Beobachtungs- und Reaktionspflicht verletzt. § 2 Abs. 1 und 3 FPV 2019 sollen verhindern, dass Patienten aus wirtschaftlichen Gründen (nach Erreichen der unteren Grenzverweildauer) mit dem Risiko einer Wiederaufnahme zu früh entlassen werden. § 2 Abs. 2 FPV soll einem wirtschaftlich motivierten Fallsplitting von Diagnostik und nachfolgender elektiver Operation entgegenwirken. Die für die Entwicklung der Regelungen zu den Wiederaufnahmen seinerzeit eingesetzte Expertengruppe hat aber auch erkannt, dass es sinnvolle Behandlungsketten gibt, die aus medizinischen Gründen oder mit Rücksicht auf die Patienten zu mehreren Krankenhausaufenthalten führen und deshalb nicht der Fallzusammenführung unterworfen werden sollen. Sie hatte dabei insbesondere auch die Behandlung von Krebspatienten im Blick, bei denen eine Therapie nicht unmittelbar im Anschluss an eine Diagnostik durchgeführt werden kann (vgl. amtliche Begründung zum Referentenentwurf zur KFPV 2004, S. 8 und 10). Für solche Fälle ist in § 2 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 FPV 2019 vorgesehen, dass Fallpauschalen im Fallpauschalenkatalog durch eine entsprechende Kennzeichnung von einer Fallzusammenführung ausgenommen werden können.


C.
Kontext der Entscheidung
1. Die Entscheidung überzeugt sowohl in der Begründung als auch im Ergebnis. Der 1. Senat des BSG hatte mit Urteil vom 26.04.2022 (B 1 KR 14/21 R) an seiner langjährigen Rechtsprechung zur Vergütungskürzung bei Fallzusammenführungen auch jenseits der FPV festgehalten, soweit es um Behandlungsfälle vor dem 01.01.2019, also vor Inkrafttreten des § 8 Abs. 5 Satz 3 KHEntgG ging. Der Gesetzgeber hat ab 01.01.2019 die Entscheidungskompetenz, aber auch die Verantwortung der Vertragspartner der FPV gestärkt, so dass es nun ihnen obliegt, Vorgaben darüber zu machen, wie in Fällen einer Wiederaufnahme im Rahmen bestimmter Fristen die Vergütung zu errechnen ist. Die Vertragspartner haben in einer Anlage 1 zu den Klarstellungen Hinweise zur Erläuterung der Regelung des § 3 Abs. 3 Sätze 2 bis 4 FPV veröffentlicht. Man kann wohl vermuten, dass die Vertragspartner in der FPV auch eine strengere Vergütungsregelung hätten aufnehmen können, orientiert an der bisherigen Rechtsprechung über die Anwendung des Wirtschaftlichkeitsgebots in Fällen der Wiederaufnahme, z.B. auch bei schweren Krebserkrankungen. Auch in der aktuellen FPV 2023 haben die Vertragspartner es aber – soweit ersichtlich – bei der bisherigen Regelung belassen, so dass der vorliegende Fall wohl nicht anders zu entscheiden wäre, wenn sich die Krankenhausaufenthalte bei gleicher Erkrankung etc. im Jahre 2023 ereignet hätten.
2. Die aktuell geplante Reform des Krankenhausrechts signalisiert eine Abkehr von den Fallpauschalen. Tatsächlich werden die leistungsorientierten Vergütungsanteile – gemäß heutiger DRG – nur ergänzt um eine fallzahlunabhängige Finanzierung, vgl. dazu z.B. die Kommentierung der Eckpunkte der Bund-Länder-Arbeitsgruppe für die Krankenhausreform vom 10.07.2023 durch Röder/Fiori, Das Krankenhaus, 8/2023, 693, 697.


D.
Auswirkungen für die Praxis
1. Das Urteil bekräftigt die Verantwortung der Vertragspartner und damit der Selbstverwaltung. Damit entlässt es das Krankenhaus aber nicht aus seiner Verantwortung für die Wirtschaftlichkeit einerseits und die Qualität der Leistung andererseits. Ein Krankenhaus, welches – vergleichbar wie im vorliegenden Fall – schwerkranke Patienten vorübergehend nach Hause entlässt, trägt auch Verantwortung für das Entlassmanagement i.S.d. § 39 Abs. 1a SGB V.
2. Die Zahl der Fälle, in denen nun ab 01.01.2019 eine Kürzung der Vergütung aus Gründen des allgemeinen Prinzips der Wirtschaftlichkeit entfällt, dürfte überschaubar sein, so dass die neue Entscheidung auf die Vergütungssituation der Krankenhäuser insgesamt und die finanziellen Belastungen der Krankenkassen auf der anderen Seite wohl kaum Auswirkungen haben. Wichtiger ist dann das Signal an die Vertragsparteien der FPV einerseits und die mit der geplanten Reform verbundene Konzentration auf wenige Klinikstandorte. Diese Konzentration wird auf die Kliniken den Druck für eine „schnelle Entlassung“ wahrscheinlich verstärken, auch wenn sich der Wohnsitz des Patienten nicht in unmittelbarer Nähe des Krankenhauses befindet. Mittelbar könnte das Urteil des BSG auch als Beitrag zu der Forderung nach „mehr ambulant statt stationär“ verstanden werden.
3. Im Zusammenhang mit der Abrechnung durch Apotheken warnt der Apotheker und Berater Dr. Effertz vor einer „Aushöhlung des Patientenschutzes“. In seinem Beitrag „Entbürokratisierung durch Abrechnungsprüfung light“ führt er aus, dass die Abrechnungsprüfung durch die Krankenkassen nicht nur den finanziellen Interessen der Solidargemeinschaft dient, sondern auch dem Patientenschutz. Als Nebenwirkung weiterer Einschränkungen der Prüfautonomie der GKV drohe eine Absenkung des bisherigen Schutzniveaus. Auch wenn der Senat die kurzfristige Entlassung und Wiederaufnahme eines schwerkranken Patienten als „unwirtschaftlich“ bezeichnet, kann man daraus nicht herleiten, dass die Rechtsprechung des ersten Senats zu diesen Sachverhalten auch eine Kritik an der Qualität der medizinischen Versorgung durch das jeweilige Krankenhaus mit beinhaltet.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Weit über diesen Einzelfall hinaus analysiert der Senat mit größter Sorgfalt die den Vertragsparteien von Gesetzes wegen erteilte Ermächtigung, in den FPV Details über die Abrechnung bei Fallzusammenführungen zu regeln. Hier geht es nicht darum, dass die früheren Überlegungen des Senats zur Vergütungskürzung wegen unwirtschaftlicher Fallzusammenführung übernommen werden oder nicht, sondern um die Normenhierarchie einerseits und die rechtsstaatliche Verantwortung des Gesetzgebers bis hin zum Schutz der GKV vor Überforderung. Die vom 1. Senat des BSG durchgeführte Überprüfung, ob die Vertragsparteien dem Gesetz entsprechend von der Regelungsermächtigung Gebrauch gemacht haben, ist auch ein Gebot der „politischen Vernunft“: Muss man doch den Bürger – als Beitragszahler einerseits und Patient andererseits – davon überzeugen, dass die Kliniken dem Anspruch auf eine bestmögliche Krankenversorgung gerecht werden, und zwar innerhalb des Solidarsystems der GKV.



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