Aufhebung einer Zuständigkeitsvereinbarung nach § 27 AOLeitsatz Die Aufhebung einer Zuständigkeitsvereinbarung durch die Finanzbehörden bedarf keiner Zustimmung des Steuerpflichtigen. - A.
Problemstellung Streitig ist, ob eine zwischen zwei Finanzämtern getroffenen Zuständigkeitsvereinbarung nur mit Zustimmung des betroffenen Steuerpflichtigen aufgehoben werden darf.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Der Kläger ist mit seiner Betriebsstätte Arbeitgeber im Bezirk des Finanzamts A. Bis zum 31.12.2001 war die Ehefrau (E) des Klägers bei diesem Finanzamt beschäftigt. Aufgrund dessen hatten das Finanzamt A und das Finanzamt B auf Anregung der Eheleute 1994 eine Zuständigkeitsvereinbarung gemäß § 27 AO abgeschlossen. Danach war das Finanzamt B ab sofort für die Personen- und Betriebssteuern der Eheleute zuständig. Im Jahre 2013 teilte das Finanzamt B dem Kläger und der E mit, dass wegen der Beendigung des Angestelltenverhältnisses der E beim Finanzamt A und des zwischenzeitlich eingetretenen Wechsels der mit dem Besteuerungsverfahren betrauten Amtsträger der Grund für die im Jahre 1994 getroffene Zuständigkeitsvereinbarung entfallen und diese nicht mehr anwendbar sei. Der Kläger wurde daraufhin aufgefordert, zukünftig die Lohnsteueranmeldungen (wieder) beim Finanzamt A einzureichen. Dieser Aufforderung folgte er nicht. Vielmehr gab er die monatlichen Lohnsteuer-Anmeldungen weiterhin (formlos) beim Finanzamt B ab. Daraufhin schätzte das Finanzamt A die Lohnsteuern und setzte Verspätungszuschläge fest. Die gegen die Festsetzung der Verspätungszuschläge eingelegten Einsprüche wies das Finanzamt als unbegründet zurück. Die anschließend erhobene Klage blieb erfolglos (FG München, Urt. v. 15.02.2019 - 8 K 142/17 - EFG 2019, 587). Die Revision des Klägers hat der BFH zurückgewiesen. Die Festsetzung der Verspätungszuschläge durch das Finanzamt A sei nicht zu beanstanden. Nach Aufhebung der Zuständigkeitsvereinbarung aus dem Jahr 1994 sei dieses Finanzamt wieder für den Kläger örtlich und damit auch hierfür zuständig. Die Festsetzung der Verspätungszuschläge durch das Finanzamt A sei auch materiell-rechtlich rechtmäßig. Denn der Kläger habe die Lohnsteuer-Anmeldungen nicht in der nach § 41a Abs. 1 Satz 2 EStG gebotenen Form beim zuständigen Finanzamt A, sondern formlos beim unzuständigen Finanzamt B abgegeben. Damit sei der Kläger seiner Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Abgabe der Lohnsteuer-Anmeldungen nicht nachgekommen. Entschuldigungsgründe hierfür seien nicht ersichtlich. Das Finanzamt A habe die Verspätungszuschläge daher nach § 152 Abs. 1 Satz 1 AO zu Recht festgesetzt.
- C.
Kontext der Entscheidung Nach § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG hat der Arbeitgeber spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums dem Finanzamt, in dessen Bezirk sich die Betriebsstätte (§ 41 Abs. 2 EStG) befindet (Betriebsstättenfinanzamt), eine Steuererklärung einzureichen, in der er die Summen der im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer, getrennt nach den Kalenderjahren in denen der Arbeitslohn bezogen wird oder als bezogen gilt, angibt (Lohnsteuer-Anmeldung). Gemäß § 41a Abs. 1 Satz 2 EStG ist die Lohnsteuer-Anmeldung nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung zu übermitteln. Kommt der Arbeitgeber dieser Verpflichtung unentschuldigt nicht nach, weil er etwa die Lohnsteueranmeldungen (formlos) bei einem unzuständigen Finanzamt einreicht, kann gegen ihn gemäß § 152 Abs. 1 AO ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden. Durch Vereinbarung zwischen den Finanzbehörden kann auch außer in den Fällen des § 26 Satz 2 AO die Zuständigkeit einer an sich nicht zuständigen Finanzbehörde begründet werden; Voraussetzung für diese Zuständigkeitsbegründung ist die (formlose, aber unbedingte) Zustimmung des Betroffenen. Das Zustimmungserfordernis in § 27 Abs. 2 AO trägt Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf, Rechnung. Denn an die Zuständigkeit der Finanzbehörde knüpft die Zuständigkeit des Finanzgerichts an. Den Umkehrschluss, dass auch die Aufhebung einer Zuständigkeitsvereinbarung der Zustimmung des Steuerpflichtigen bedarf, hat der BFH nicht gezogen. Denn der Steuerpflichtige ist bei diesem „actus contrarius“ nämlich nicht schutzbedürftig wie beim „actus primus“. Zwar kann nach § 27 Abs. 1 Satz 1 AO – wie zwischen dem Finanzamt A und dem Finanzamt B mit Zustimmung des Klägers im Jahr 1994 erfolgt – eine andere Finanzbehörde im Einvernehmen mit der Finanzbehörde, die nach den Vorschriften der Steuergesetze örtlich zuständig ist, die Besteuerung übernehmen, wenn der Betroffene zustimmt. Allerdings können die beteiligten Finanzbehörden eine vorhandene Zuständigkeitsvereinbarung auch wieder aufheben, wenn der rechtliche Grund für die abweichende Zuständigkeitsregelung wie vorliegend entfallen ist. Der (erneuten) Zustimmung des Steuerpflichtigen bedarf die einvernehmliche Aufhebung einer Zuständigkeitsvereinbarung durch die Finanzbehörden nicht.
- D.
Auswirkungen für die Praxis I. Die Aufhebung der Zuständigkeitsvereinbarung führt lediglich zur Rückkehr zur gesetzlich vorgesehenen Zuständigkeit. Verstöße hiergegen sind ohnehin nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Denn die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 125 AO nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können (§ 127 AO). Die Vorschrift bezieht sich jedoch nur auf gebundene Verwaltungsakte. Denn bei Ermessensentscheidungen kann grundsätzlich nicht angenommen werden, dass keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können (z.B. BFH, Urt. v. 19.04.2012 - III R 85/11 - BFH/NV 2012, 1411 m.w.N.). Um eine solche Ermessensentscheidung handelt es sich beispielsweise bei einem Billigkeitserlass nach § 227 AO oder – wie im Streitfall – der Festsetzung eines Verspätungszuschlags (dem Grunde und/oder der Höhe nach) gemäß § 152 AO. II. Zuständigkeitsvereinbarungen finden sich vor allem, wenn die Zuständigkeit für die Umsatzsteuer einerseits und die Einkommensteuer/Körperschaftsteuer andererseits auseinanderfallen. Eine Zuständigkeitsvereinbarung, nach der das für die Ertragsbesteuerung zuständige Finanzamt auch für die Umsatzsteuer zuständig wird, suchen die Finanzbehörden regelmäßig - •
bei Steuerpflichtigen, die ihr Unternehmen als Einzelunternehmer ausschließlich oder überwiegend im Inland betreiben und sowohl im Inland als auch im Ausland einen Wohnsitz haben; - •
bei Kapitalgesellschaften mit statutarischem Sitz im Ausland und Geschäftsleitung im Inland, die allein oder überwiegend im Inland unternehmerisch tätig sind (AEAO zu § 27; zur Zuständigkeitsvereinbarung bei Unternehmen, die Bauleistungen i.S.v. § 48 Abs. 1 Satz 3 EStG erbringen, vgl. AEAO zu § 20a, Nr. 2)
herbeizuführen.
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