juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BFH 6. Senat, Urteil vom 23.11.2023 - VI R 24/21
Autor:Dr. Stephan Geserich, RiBFH
Erscheinungsdatum:22.04.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 40 EStG, § 19 EStG, § 23 SGB 5, § 3 EStG, § 20a SGB 5, § 20 SGB 5, § 20b SGB 5
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 16/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Geserich, jurisPR-SteuerR 16/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Keine Steuerfreiheit von Unterkunfts- und Verpflegungsleistungen nach § 3 Nr. 34 EStG



Leitsatz

Mit Präventionsleistungen im Zusammenhang stehende unentgeltliche oder vergünstigte Unterkunfts- und Verpflegungsleistungen des Arbeitgebers sind regelmäßig nicht nach § 3 Nr. 34 des Einkommensteuergesetzes steuerfrei (Anschluss an Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 20.04.2021, BStBl I 2021, 700, Rn. 34).



A.
Problemstellung
Streitig ist, ob unentgeltliche oder vergünstigte Unterkunfts- und Verpflegungsleistungen des Arbeitgebers, die mit Präventionsleistungen im Zusammenhang stehen, nach § 3 Nr. 34 EStG steuerfrei sind.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Im Streitzeitraum (2011 bis 2014) ermöglichte die Klägerin ihren Arbeitnehmern die Teilnahme an sogenannten Gesundheitstagen. Diese begannen jeweils freitags um 12:00 Uhr und endeten sonntags um 13:30 Uhr oder 14:00 Uhr. Untergebracht waren die Teilnehmer in einem Ferienzentrum/Hotel. Das Veranstaltungsangebot bestand zum Beispiel aus der Einführung in Nordic Walking, Rückenschule, progressiver Muskelentspannung oder aus Ernährungskursen.
Der von der Klägerin für die Seminarteilnahme nebst Unterkunft und Verpflegung kalkulierte Preis betrug je Teilnehmer 285 Euro (2011 und 2012) beziehungsweise 280 Euro (2013 und 2014). Die Arbeitnehmer der Klägerin hatten lediglich einen Eigenanteil i.H.v. 99 Euro zu übernehmen. Die darüber hinausgehenden Kosten trug die Klägerin. Die Krankenkassen ordneten den von den Arbeitnehmern gezahlten Eigenanteil als Aufwendungen i.S.d. § 20 SGB V ein und erstatteten den Arbeitnehmern (auf Antrag) Beträge zwischen 75 Euro und 99 Euro. Die Klägerin behandelte die Vorteile aus der vergünstigten Teilnahme an den Gesundheitstagen insgesamt als steuerfreien Arbeitslohn gemäß § 3 Nr. 34 EStG. Das FA war hingegen der Ansicht, die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 34 EStG erstrecke sich nicht auf Neben- oder Zusatzleistungen und damit nicht auf die Kosten für Verpflegung und Unterkunft. Die auf diese geldwerten Vorteile entfallende, nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer forderte das FA von der Klägerin für den Streitzeitraum nach (§ 40 Abs. 1 EStG). Das FG gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage statt (FG Gotha, Urt. v. 14.10.2021 - 1 K 655/17 - EFG 2022, 648). Auf die Revision des FA hat der BFH die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen. Das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die (geldwerten) Vorteile aus der unentgeltlichen oder vergünstigten Gewährung von Unterkunfts- und Verpflegungsleistungen nach § 3 Nr. 34 EStG steuerfrei seien. Es habe daher – von seinem Standpunkt aus zu Recht – keine hinreichenden Feststellungen zur Bewertung der unentgeltlichen oder verbilligten Verpflegungs- und Unterkunftsleistungen getroffen. Dies habe das FG im zweiten Rechtsgang nachzuholen.


C.
Kontext der Entscheidung
Bei den geldwerten Vorteilen aus der unentgeltlichen oder verbilligten Gewährung von Unterkunfts- und Verpflegungsleistungen anlässlich der Teilnahme an den Gesundheitstagen handelt es sich um Arbeitslohn i.S.v. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Ein ganz überwiegend eigenbetriebliches Interesse der Klägerin als Arbeitgeberin daran, ihren Arbeitnehmern die mit der Teilnahme an den Gesundheitstagen verbundenen Vorteile hinsichtlich Unterkunft und Verpflegung, über die im Streitfall allein zu entscheiden ist, einzuräumen, bestand (unstreitig) nicht (vgl. hierzu auch BFH, Urt. v. 21.11.2018 - VI R 10/17 - BStBl II 2019, 404; Geserich, jurisPR-SteuerR 18/2019 Anm. 4).
Die geldwerten Vorteile aus den Unterkunfts- und Verpflegungsleistungen sind auch nicht gemäß § 3 Nr. 34 EStG in der im Streitzeitraum gültigen Fassung des Jahressteuergesetzes 2009 (JStG 2009) vom 19.12.2008 (BGBl I 2008, 2794) steuerfrei.
Dies ergibt sich zunächst aus dem Wortlaut des § 3 Nr. 34 EStG i.d.F. des JStG 2009. Hiernach sind steuerfrei zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbrachte Leistungen des Arbeitgebers zur Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands und der betrieblichen Gesundheitsförderung, die hinsichtlich Qualität, Zweckbindung und Zielgerichtetheit den Anforderungen der §§ 20 und 20a SGB V genügen, soweit sie 500 Euro im Kalenderjahr nicht übersteigen. Übernachtungs- und Verpflegungsleistungen zählen nicht zu diesen Leistungen, da sie weder den allgemeinen Gesundheitszustand der Arbeitnehmer verbessern noch die Gesundheit fördern (ebenso Schmidt/Levedag, EStG, 42. Aufl., § 3 Rn. 115; BMF v. 20.04.2021 - BStBl I 2021, 700, Rn. 34). Das Sozialversicherungsrecht, auf das die Vorschrift des § 3 Nr. 34 EStG Bezug nimmt, bestätigt dies. Denn es unterscheidet – auch bereits in der im Streitzeitraum maßgeblichen Fassung – unter anderem zwischen den in § 20 SGB V geregelten primären Präventionsleistungen und den in § 23 Abs. 2 Satz 2 SGB V genannten „übrigen Kosten“, die Versicherten im Zusammenhang mit nicht am Wohnort erbrachten allgemeinen Vorsorgeleistungen entstehen. Zu diesen „übrigen Kosten“, die von den Krankenkassen in ihren Satzungen lediglich bis zu 16 Euro täglich bezuschusst werden durften, zählen alle Nebenleistungen zu ambulant erbrachten Vorsorgeleistungen, insbesondere die Kosten für Unterkunft und Verpflegung. An diese Unterscheidung, die sich im Leitfaden Prävention des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen (vgl. Leitfaden Prävention in der Fassung vom 27.08.2010, S. 37) wiederfindet, knüpft § 3 Nr. 34 EStG an, indem er hinsichtlich Qualität, Zweckbindung und Zielgerichtetheit lediglich auf die Anforderungen der §§ 20 und 20a SGB V Bezug nimmt und die Vorschrift des § 23 SGB V unerwähnt lässt.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Steuerfreiheit der Verpflegungs- und Übernachtungsleistungen ergibt sich auch nicht daraus, dass es sich bei den Gesundheitstagen um eine „einheitliche Maßnahme“ handelt. Vielmehr hat die Prüfung der Voraussetzungen einer Steuerbefreiungsvorschrift nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich für jeden gewährten Vorteil einzeln zu erfolgen (vgl. z.B. BFH, Urt. v. 01.09.2021 - VI R 21/19 - BStBl II 2022, 233; Geserich, jurisPR-SteuerR 9/2022 Anm. 2). Für die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 34 EStG in der im Streitzeitraum gültigen Fassung bedeutet dies, dass für jede Zuwendung gesondert zu prüfen ist, ob sie der Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands dient, sie vom Arbeitgeber zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht wird und ob sie hinsichtlich Qualität, Zweckbindung und Zielgerichtetheit den Anforderungen der §§ 20, 20a SGB V genügt. Lediglich für die Einhaltung des Jahreshöchstbetrags von im Streitzeitraum 500 Euro sind sämtliche im Kalenderjahr gewährten entsprechenden Zuwendungen zusammenzurechnen. Dieses Aufteilungsgebot gilt im Übrigen auch, wenn – anders als im Streitfall – eine Aufteilung in Arbeitslohn und Zuwendungen im ganz überwiegenden betrieblichen Eigeninteresse bei gemischt veranlassten Sachzuwendungen an Arbeitnehmer in Rede steht (grundlegend BFH, Urt. v. 18.08.2005 - VI R 32/03 - BStBl II 2006, 30; Bergkemper, jurisPR-SteuerR 47/2005 Anm. 1).
Seit dem 01.01.2019 bedürfen neu begonnene (steuerfrei finanzierte) Maßnahmen zur individuellen verhaltensbezogenen Prävention der Zertifizierung durch eine Krankenkasse oder einen mit der Wahrnehmung dieser Aufgabe beauftragten Dritten (§ 20 Abs. 5 Satz 1 SGB V), auch wenn sie im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung erbracht werden. Für Leistungen zur betrieblichen Gesundheitsförderung nach § 20b SGB V ist eine Zertifizierung grundsätzlich nicht vorgesehen. Diese Maßnahmen sind an den spezifischen betrieblichen Bedarfen ausgerichtet und werden gemäß den Handlungsfeldern und Kriterien des GKV-Leitfadens Prävention zwischen dem Betrieb und der leistenden Krankenkasse individuell vereinbart (zu den Einzelheiten, vgl. BMF v. 20.04.2021 - BStBl I 2021, 700).



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