juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BFH 10. Senat, Urteil vom 18.10.2023 - X R 7/20
Autor:Ingo Lutter, Vors. RiFG
Erscheinungsdatum:29.04.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 12 EStG, § 32a EStG, § 33 EStG, § 126 FGO, § 9 EStG, § 2 EStG, § 10 EStG, § 22 EStG
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 17/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Lutter, jurisPR-SteuerR 17/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Kein vorweggenommener Werbungskostenabzug für Prozesskosten zur Erlangung nachehelichen Unterhalts beim Realsplitting



Leitsätze

1. Prozesskosten zur Erlangung nachehelichen Unterhalts sind privat veranlasst und stellen keine (vorweggenommenen) Werbungskosten bei späteren Unterhaltseinkünften i.S.d. § 22 Nr. 1a des Einkommensteuergesetzes (EStG) dar.
2. Erst der mit Zustimmung des Empfängers gestellte Antrag des Gebers gemäß § 10 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 EStG bewirkt eine Umqualifizierung der Unterhaltsleistungen zu Sonderausgaben beim Geber und steuerbaren Einkünften beim Empfänger und überführt sie rechtsgestaltend in den steuerrechtlich relevanten Bereich.
3. Die Umqualifizierung markiert die zeitliche Grenze für das Vorliegen abzugsfähiger Erwerbsaufwendungen; zuvor verursachte Aufwendungen des Unterhaltsempfängers können keine Werbungskosten darstellen.



A.
Problemstellung
Der X. Senat des BFH hatte sich mit der Rechtsfrage zu befassen, ob die zur Geltendmachung des Anspruches auf Zahlung nachehelichen Unterhalts gegen den geschiedenen Ehegatten aufgewendeten anteiligen Prozesskosten als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Sätze 1 u. 2 EStG bei den vereinnahmten steuerpflichtigen Einnahmen aus den Unterhaltszahlungen i.S. des § 22 Nr. 1a EStG zu berücksichtigten sind, obwohl im Zeitpunkt der Verursachung der Prozessführungskosten noch nicht absehbar ist, in welchem Umfang es zu steuerpflichtigen Einkünften kommen wird, da allein der vom Unterhaltsgeber mit Zustimmung des Leistungsempfängers gestellte Antrag den Rechtscharakter des – zuvor steuerlich unbeachtlichen – Aufwands beim Geber ändert und gleichzeitig die Steuerpflicht beim Empfänger bewirkt.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Ehe der Klägerin wurde im Jahr 2014 vom zuständigen AG geschieden und ihr früherer Ehemann (B) verpflichtet, ab Rechtskraft der Scheidung nachehelichen Unterhalt i.H.v. 582,50 Euro monatlich zu zahlen. Das von der Klägerin angestrengte nachfolgende Beschwerdeverfahren vor dem OLG endete mit einem Vergleich, in welchem sich B zur Zahlung eines höheren nachehelichen Unterhalts von 900 Euro monatlich verpflichtete. Die Verfahrenskosten wurden in beiden Verfahren jeweils gegeneinander aufgehoben. Die Klägerin entrichtete die Gerichts- und Anwaltskosten im Streitjahr 2015. Im Einkommensteuerbescheid für 2015 erfasste das beklagte Finanzamt bei der Klägerin die erhaltenen Unterhaltsleistungen als sonstige Einkünfte; die von der Klägerin getragenen Anwalts- und Gerichtskosten ließ es nicht zum Abzug zu. Der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage auf steuerliche Berücksichtigung der auf den nachehelichen Unterhalt entfallenden anteiligen Prozesskosten i.H.v. 4.983,42 Euro gab das FG Münster mit Urteil vom 03.12.2019 (1 K 494/18 E - EFG 2020, 185, mit Anm. Peters) mit der (vereinfacht ausgedrückten) sinngemäßen Begründung statt, dass die Klägerin ohne diese Aufwendungen später keine Unterhaltseinkünfte hätte erzielen können, so dass es sich um (vorweggenommene) Werbungskosten handle.
Der BFH hob die erstinstanzliche Entscheidung mit Urteil vom 18.10.2023 (X R 7/20) auf und verwies die Sache an das FG Münster zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
I. Aus Sicht des BFH stellen die streitigen Prozesskosten der Klägerin zur Erlangung nachehelichen Unterhalts keine Werbungskosten bei ihren sonstigen Einkünften dar. Auch bei den Einkünften aus § 22 Nr. 1a EStG könnten Werbungskosten entstehen, jedoch aus systemimmanenten Gründen nur in begrenztem Rahmen. Prozesskosten betreffend nachehelichen Unterhalt könnten grundsätzlich nicht gemäß § 9 Abs. 1 Sätze 1 u. 2 EStG als (vorweggenommene) Werbungskosten bei den Unterhaltseinkünften i.S. des § 22 Nr. 1a EStG abgezogen werden.
1. Im Ausgangspunkt fehlerfrei (und zwischen den Beteiligten unstreitig) habe das FG zwar erkannt, dass bei wertender Beurteilung das auslösende Moment für die Verausgabung der in Rede stehenden Prozesskosten durch die Klägerin die Erhaltung sowie Erlangung nachehelichen Unterhalts von ihrem geschiedenen Ehemann gewesen sei. Das FG habe allerdings der rechtsgestaltenden Bedeutung des (zustimmungsgebundenen) Antrags des Unterhaltsgebers auf Sonderausgabenabzug eine zu weitreichende Wirkung für die Vergangenheit beigemessen. Antrag und Zustimmung gemäß § 10 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 EStG überführten die Unterhaltsleistungen in den steuerrechtlich relevanten Bereich und bestimmten den Zeitpunkt, an dem die steuerliche Berücksichtigungsfähigkeit von Aufwendungen des Unterhaltsempfängers als Werbungskosten beginne. Der (zustimmungsgebundene) Antrag des Unterhaltsgebers auf Sonderausgabenabzug, der den Rechtscharakter der Unterhaltsleistungen ändere, stelle auch die zeitliche Grenze dar, von der an abzugsfähige Erwerbsaufwendungen überhaupt entstehen könnten. Zuvor verursachte Aufwendungen des Unterhaltsempfängers könnten keine Werbungskosten begründen, da sie zu der Einkünfteebene noch nicht in einem objektiven Veranlassungszusammenhang stünden. Solange der Geber den Antrag nicht gestellt habe, sei der Lebenssachverhalt „Unterhalt“ privater Natur.
2. Die Einkünfte aus Unterhaltsleistungen i.S. des § 22 Nr. 1a EStG unterschieden sich wegen der rechtsgestaltenden Wirkung des – auf einen bestimmten Zeitpunkt bezogenen – zustimmungsgebundenen Antrags des Unterhaltsgebers maßgebend von anderen Einkünften. Das betreffe gerade die Möglichkeit vorab entstehender/vergeblicher Werbungskosten. Letztere seien unzweifelhaft durch eine Einkunftsart veranlasst, indem sie allein im Hinblick auf die Einkünfteerzielung – beispielsweise mit dem Ziel der Begründung eines zukünftigen Arbeitsverhältnisses – getätigt würden. Demgegenüber betreffe im Streitfall die Prozessführung originär den Bereich der privaten Lebensführung der Klägerin (Erlangung nachehelichen Unterhalts), so dass die Prozesskosten als Folgekosten diese einkommensteuerrechtliche Qualifikation teilten. Dieser private Veranlassungszusammenhang sei unabhängig von einer – ggf. – zeitlich nachfolgenden rechtsgestaltenden Antragstellung des Unterhaltsgebers, durch welche die Steuerbarkeit erstmals begründet werde. Aufgrund dieser – mit der Antragstellung verbundenen – zeitlichen Zäsur gebe es in Bezug auf die bereits privat verursachten Prozesskosten keinen weiteren Veranlassungszusammenhang (mit der Erwerbsphäre), der den privaten Veranlassungszusammenhang überlagern könnte. Aus diesen Erwägungen könne es zu keiner rückwirkenden Umqualifizierung der der privaten Lebensführung zugeordneten nicht abzugsfähigen Aufwendungen (§ 12 EStG) in vorweggenommene Werbungskosten kommen.
3. Bei der Prüfung des objektiven Veranlassungszusammenhangs zwischen den Prozessaufwendungen und den durch den Prozess angestrebten Unterhaltsleistungen komme es auf die bisherige Praxis der Unterhaltsbeteiligten nicht an, da der Geber unabhängig von der Behandlung der Sache in der Vergangenheit jedes Jahr neu über die Antragstellung entscheiden könne und ein Rückschluss von einer bisherigen tatsächlichen Übung nicht möglich sei.
II. Für die Nichtabzugsfähigkeit der Prozesskosten führt der BFH ferner in systematischer Hinsicht das Korrespondenzprinzip an.
Bei allen einkommensteuerrechtlichen Tatbeständen, für die das Korrespondenzprinzip gelte, finde ein „Transfer von Einkünften“ statt, nicht aber ein Transfer von Einnahmen. Eine beim Geber im Inland als Sonderausgaben abziehbare Leistung werde beim Empfänger materiell-rechtlich korrespondierend der Besteuerung unterworfen. Ein solches Korrespondenzprinzip sei für den Spezialfall des Realsplittings durch die §§ 22 Nr. 1a, 10 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 EStG ausdrücklich gesetzlich angeordnet worden. Bei dem Transfer von Einkünften gehe es systematisch um eine Verlagerung von Einkünften als Teil der Bemessungsgrundlage. Für die vorliegend relevante Frage der Besteuerung beim Empfänger komme es nicht darauf an, ob es folgerichtig sei, dass der Abzug beim Geber erst auf der Ebene der Sonderausgaben stattfinde. Beim Realsplitting erbringe der Unterhaltsverpflichtete die Unterhaltsleistungen aus eigenen Einkünften, die ihrerseits schon durch Werbungskosten oder Betriebsausgaben des Unterhaltsverpflichteten gemindert seien. Insoweit gehe eine Nettogröße auf den Unterhaltsempfänger über. Der Transfer eines steuerlich zusammengefassten Ergebnisses rechtfertige es, über die durch den zustimmungsgebundenen Antrag auf Sonderausgabenabzug markierte zeitliche Zäsur die Möglichkeit vorweggenommener Werbungskosten einzuschränken.
III. Die steuerliche Berücksichtigung von Prozesskosten zur Erhaltung und Erlangung nachehelichen Unterhalts als Werbungskosten entspräche aus Sicht des BFH darüber hinaus nicht dem Normzweck des „begrenzten Realsplittings“.
Wirtschaftlich betrachtet werde durch das „begrenzte Realsplitting“ das Ehegattensplitting nach § 32a Abs. 5 EStG in begrenztem Umfang fortgesetzt, da durch die Vorschriften des § 10 Abs. 1 Nr. 1 und § 22 Nr. 1a EStG (a.F.) ein Splittingeffekt erreicht werde. Soweit danach mit der lediglich punktuellen steuerrechtlichen Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen allein die steuerrechtlichen Vorteile der Ehe, die sich aus der Unterhaltsgemeinschaft ergeben (Ehegattensplitting), in begrenzter Höhe aufrechterhalten werden, sei festzustellen, dass Prozesskosten zur Erlangung nachehelichen Unterhalts als mit der Auflösung der Ehe im Zusammenhang stehende Kosten von diesem Begünstigungszweck nicht erfasst seien. Deren Anerkennung als Werbungskosten hätte vielmehr eine im Gesetz nicht angelegte Besserstellung gegenüber zusammenveranlagten Eheleuten zur Folge, die die Kosten eines Rechtstreits um die eheliche Unterhaltspflicht nicht abziehen könnten.
IV. Als Argument für die vorgenommene Auslegung sieht der BFH schließlich auch die Vermeidung einer weiteren Komplizierung des Steuerrechts. Denn andernfalls würde unter Umständen eine aufwändige Aufteilung der Prozesskosten nach ihrer Abziehbarkeit erforderlich sein.
V. Da das FG offengelassen hat, ob die streitbetroffenen Prozesskosten der Klägerin ggf. als außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 EStG berücksichtigt werden könnten, und dementsprechend auch keine ausreichenden Feststellungen insbesondere dazu getroffen hat, ob die Voraussetzungen der Ausnahme vom Abzugsverbot betreffend Aufwendungen für die Führung eines Rechtsstreits (Prozesskosten) gemäß § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG vorliegen, konnte der BFH mangels Spruchreife den Rechtsstreit nicht abschließend entscheiden und musste die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FGO) zurückverweisen.


C.
Kontext der Entscheidung
I. Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Sie sind bei der Einkunftsart abziehbar, bei der sie erwachsen sind (§ 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 EStG).
1. Werbungskosten liegen nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung vor, wenn zwischen den Aufwendungen und den steuerpflichtigen Einnahmen ein Veranlassungszusammenhang (objektiver Zusammenhang) besteht. Dabei muss die Frage, ob der Steuerpflichtige Aufwendungen aus Anlass der Einkünfteerzielung erbringt, anhand einer Würdigung alle Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Ein lediglich abstrakter Kausalzusammenhang (Ursache-Folge-Verhältnis im Sinne einer conditio sine qua non) rechtfertigt allein noch nicht die einkommensteuerliche Zuordnung von Aufwendungen zur Erwerbssphäre. Denn nach dem EStG sind Aufwendungen vielmehr nur dann als durch eine Einkunftsart veranlasst anzusehen, wenn sie hierzu in einem steuerrechtlich anzuerkennenden wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Maßgebend dafür, ob ein solcher Zusammenhang besteht, ist zum einen die wertende Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen auslösenden Moments und zum anderen die Zuweisung dieses maßgebenden Besteuerungsgrundes zur einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre (vgl. BFH, Urt. v. 06.05.2010 - VI R 25/09 Rn. 9 m.w.N. - BFHE 229, 297 = BStBl II 2010, 851).
2. Die Aufwendungen können schon zu einem Zeitpunkt anfallen, in dem mit dem Aufwand zusammenhängende Einnahmen noch nicht erzielt werden. Voraussetzung für die Berücksichtigung vorab entstandener Werbungskosten ist, dass ein ausreichend bestimmter wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und der Einkunftsart besteht, in deren Rahmen der Abzug begehrt wird (vgl. BFH, Urt. v. 11.01.2005 - IX R 15/03 Rn. 17 f. m.w.N. - BFHE 209, 77 = BStBl II 2005, 477).
3. Auch Kosten der Rechtsverfolgung (Beratungs-, Vertretungs- und Prozesskosten) können danach Werbungskosten sein, wenn der Gegenstand des Prozesses mit der Einkunftsart zusammenhängt, in deren Rahmen die Aufwendungen geltend gemacht werden (vgl. BFH, Urt. v. 06.05.2010 - VI R 25/09 Rn. 10 - BFHE 229, 297 = BStBl II 2010, 851). Prozesskosten (Gerichtskosten, Rechtsanwaltsgebühren) teilen als Folgekosten die einkommensteuerrechtliche Qualifikation der Aufwendungen, die Gegenstand des Prozesses waren (vgl. BFH, Urt. v. 10.12.2019 - IX R 19/19 Rn. 21 m.w.N. - BFHE 267, 246 = BStBl II 2020, 452; Graw, jurisPR-SteuerR 28/2020 Anm. 2). Der Zusammenhang mit der Einkunftsart richtet sich dabei nach objektiven Gesichtspunkten, nicht nach den Vorstellungen des Steuerpflichtigen (vgl. BFH, Urt. v. 09.02.2012 - VI R 23/10 Rn. 11 - BFHE 237, 43 = BStBl II 2012, 829; Bergkemper, jurisPR-SteuerR 34/2012 Anm. 4).
4. Die Beurteilung, ob Aufwendungen durch die Einkünfteerzielung veranlasst sind, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung des FG. Das FG hat anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls zu bestimmen, welche Indizien hierfür ausreichend sind (vgl. BFH, Urt. v. 14.04.2016 - VI R 61/13 Rn. 9 m.w.N. - BFH/NV 2016, 1268).
II. Entsprechend den vorstehenden Rechtsgrundsätzen können auch bei den Einkünften aus § 22 Nr. 1a EStG Werbungskosten entstehen, jedoch – wie der BFH nunmehr hervorgehoben hat – aus systemimmanenten Gründen nur in begrenztem Rahmen. Prozesskosten betreffend nachehelichen Unterhalt können danach grundsätzlich nicht gemäß § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG als (vorweggenommene) Werbungskosten bei den Unterhaltseinkünften i.S. des § 22 Nr. 1a EStG abgezogen werden.
1. Dieser höchstrichterliche Befund beruht wesentlich darauf, dass bei der Beurteilung, ob die betreffenden Aufwendungen durch die Einkünfteerzielung i.S. des § 22 Nr. 1a EStG veranlasst sind, der rechtsgestaltenden Wirkung des (zustimmungsgebundenen) Antrags des Unterhaltsgebers auf Sonderausgabenabzug und der damit einhergehenden Änderung des Rechtscharakters der (grundsätzlich privaten) Unterhaltsleistungen eine entscheidende Bedeutung zukommt.
2. Sonstige Leistungen i.S. des § 22 Nr. 1a EStG sind Einkünfte aus Leistungen und Zahlungen nach § 10 Abs. 1a EStG, soweit für diese die Voraussetzungen für den Sonderausgabenabzug beim Leistungs- oder Zahlungsverpflichteten nach § 10 Abs. 1a EStG erfüllt sind (sog. Realsplitting). Nach § 10 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 EStG sind Sonderausgaben unter anderem Unterhaltsleistungen an den geschiedenen oder dauernd getrenntlebenden unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Ehegatten bis zu 13.805 Euro im Kalenderjahr, wenn der Geber dies mit Zustimmung des Empfängers beantragt.
a. Der Antrag des Gebers und die Zustimmung des Empfängers sind rechtsgestaltend. Sie überführen die – an sich privaten – Unterhaltsleistungen in den steuerrechtlich relevanten Bereich und ändern so ihren Rechtscharakter. Bei dem Geber werden die Unterhaltsleistungen in Sonderausgaben umqualifiziert, die gemäß § 2 Abs. 4, 5 EStG den Gesamtbetrag der Einkünfte und damit im Ergebnis auch sein zu versteuerndes Einkommen mindern. Bei dem Empfänger werden die sonst nicht steuerbaren Unterhaltsleistungen (erst) durch die in § 22 Nr. 1a EStG enthaltene Bezugnahme in steuerbare Einkünfte umqualifiziert (vgl. u.a. BFH, Urt. v. 09.12.2009 - X R 49/07 Rn. 13 f. - BFH/NV 2010, 1790).
b. Der Antrag hat eine Doppelfunktion: Er ist nicht nur Verfahrensvoraussetzung für die steuerliche Berücksichtigung der Unterhaltsleistungen, sondern gleichzeitig materiell-rechtliche Voraussetzung für die Abzugsmöglichkeit dem Grunde nach. Die Steuerpflicht dieser Leistungen bei dem Empfänger hängt somit nicht davon ab, ob und inwieweit der Sonderausgabenabzug beim Geber tatsächlich zu einer Steuerminderung geführt hat. Bereits mit der Einreichung der Einkommensteuererklärung des Gebers samt Anlage U und Zustimmung des Empfängers tritt das Ereignis einer rechtsgestaltenden Umqualifizierung ein, welches zur Steuerbarkeit der Unterhaltsleistungen nach § 22 Nr. 1a EStG führt (vgl. BFH, Urt. v. 28.07.2021 - X R 15/19 Rn. 18 f. - BFHE 274, 388 = BStBl II 2023, 31; Steinhauff, jurisPR-SteuerR 14/2022 Anm. 2).
III. Vor diesem Hintergrund kommt der BFH zu Recht zu dem Schluss, dass der (zustimmungsgebundene) Antrag des Unterhaltsgebers auf Sonderausgabenabzug, der den Rechtscharakter der Unterhaltsleistungen ändert, auch die zeitliche Grenze darstellt, von der an abzugsfähige Erwerbsaufwendungen überhaupt entstehen können. Dementsprechend können zuvor verursachte Aufwendungen des Unterhaltsempfängers keine Werbungskosten begründen, da sie zu der Einkünfteebene noch nicht in einem objektiven Veranlassungszusammenhang stehen. Denn solange der Geber den Antrag nicht gestellt hat, ist der Lebenssachverhalt „Unterhalt“ privater Natur.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die vorliegende höchstrichterliche Entscheidung hat erhebliche Breitenwirkung, denn einerseits kommt es zwischen Ex-Eheleuten im Bereich des nachehelichen Unterhalts oftmals zu gerichtlichen Auseinandersetzungen und damit verbunden zu nicht unerheblichen Prozesskosten. Andererseits wird durchaus häufig das sogenannte Realsplitting gewählt, d.h. durch den rechtsgestaltenden Antrag des Gebers (Unterhaltsverpflichteten) gemäß § 10 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 EStG werden die Unterhaltsleistungen bei ihm mit Zustimmung des Empfängers in Sonderausgaben und beim Empfänger in steuerbare Einkünfte (§ 22 Nr.1a EStG) umqualifiziert. Dabei ist der Geber grundsätzlich zivilrechtlich verpflichtet, dem Empfänger die aus der Versteuerung der Unterhaltsleistungen entstehenden steuerlichen Belastungen zu ersetzen, um so den Nettounterhalt zu gewährleisten. In einer Gesamtbetrachtung ist das sogenannte Realsplitting oft steuerlich günstiger, denn der Geber verfügt meist über höhere steuerpflichtige Einkünfte. Der Betrag, um den der Sonderausgabenabzug die Einkommensteuer des Gebers mindert, ist regelmäßig höher als die Steuer, die er beim Empfänger ersetzen muss. Hinsichtlich der konkreten steuerlichen Auswirkung beim Empfänger sollte in der Praxis die nunmehr vom BFH erfolgte Klarstellung bezüglich der Nichtabzugsfähigkeit (vorweggenommener) Werbungskosten für Prozesskosten zur Erlangung nachehelichen Unterhalts beim Realsplitting beachtet werden.



Immer auf dem aktuellen Rechtsstand sein!

IHRE VORTEILE:

  • Unverzichtbare Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften
  • Alle Rechtsinformationen sind untereinander intelligent vernetzt
  • Deutliche Zeitersparnis dank der juris Wissensmanagement-Technologie
  • Online-First-Konzept

Testen Sie das juris Portal 30 Tage kostenfrei!

Produkt auswählen

Sie benötigen Unterstützung?
Mit unserem kostenfreien Online-Beratungstool finden Sie das passende Produkt!