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Anmerkung zu:LG Köln 16. Große Strafkammer, Beschluss vom 17.04.2023 - 116 Qs 2/23
Autor:Dr. Jost Schützeberg, OStA
Erscheinungsdatum:18.09.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 44 StPO, § 152 StPO, § 160 StPO, § 386 AO 1977, § 138 StPO, § 1 StBerG, § 400 AO 1977, § 409 StPO, § 145a StPO, § 392 AO 1977, § 80 AO 1977
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 38/2023 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Schützeberg, jurisPR-SteuerR 38/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Wiedereinsetzung, falls Steuerberater als Verteidiger keine Kenntnis vom Strafbefehl hatte



Orientierungssatz zur Anmerkung

Ein Wiedereinsetzungsantrag hat Aussicht auf Erfolg, wenn der Steuerberater, der den Angeklagten im Ermittlungsverfahren verteidigt hatte, von dem Erlass eines Strafbefehls keine Kenntnis erlangt.



A.
Problemstellung
Der Angeklagte wurde im Ermittlungsverfahren von seinem Steuerberater verteidigt. Gegenstand der Entscheidung sind die verfahrensrechtlichen Folgen, die entstehen können, wenn der Steuerberater von dem Gericht über den Erlass eines Strafbefehls gegen seinen Mandanten in Unkenntnis gelassen wird.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung führte gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung. Gegenüber diesem Finanzamt bestellte sich der Steuerberater M unter Vorlage einer Vollmacht zur Vertretung im Steuer- und Strafverfahren zum Verteidiger des Beschuldigten. Nach Abschluss der Ermittlungen beantragte die Behörde bei dem Amtsgericht, Strafbefehl gegen den Beschuldigten zu erlassen, was auch geschah. Sowohl in dem Antrag der Finanzbehörde als auch in dem durch das AG erlassenen Strafbefehl war der M als Verteidiger aufgeführt. Dennoch wurde der Strafbefehl ausschließlich dem vormals Beschuldigten, nun Angeklagten, zugestellt, ohne dass M hiervon Kenntnis erhielt.
In der Folge bestellte sich für den Angeklagten ein Rechtsanwalt, der Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt und Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist gestellt hat. Das zuständige AG verwarf Einspruch und Antrag. Über die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hatte nun das Landgericht zu entscheiden.
Das LG hob den angefochtenen Beschluss auf und gewährte dem Angeklagten nach Maßgabe des § 44 Satz 1 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Voraussetzung eines erfolgreichen Wiedereinsetzungsantrags ist u.a., dass den Angeklagten an der Fristversäumung kein Verschulden trifft. Diese Voraussetzung bejahte das LG: Der Angeklagte durfte sich darauf verlassen, dass sein Verteidiger von der Zustellung des Strafbefehls Kenntnis erhält und in der Folge auch die Frist für einen möglichen Einspruch selbstständig überwacht (vgl. KG Berlin, Beschl. v. 27.11.2020 - (5) 161 Ss 155/20 (47/20) - StraFo 2021, 69 = OLGSt StPO § 145a Nr 7; OLG Köln, Beschl. v. 10.06.2011 - 2 Ws 308/11; nachgehend LG Köln, Beschl. v. 10.03.2022 - 109 Qs 15/21).
Gesetzlicher Anknüpfungspunkt ist § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO, wonach in den Fällen, in denen dem Beschuldigten eine Entscheidung, wie hier der Strafbefehl, zugestellt wird, der Verteidiger hiervon zugleich zu unterrichten ist. Dies gelte auch in der vorliegenden Konstellation, da der Steuerberater des Angeklagten beim Erlass des Strafbefehls Verteidiger i.S.d. Vorschrift gewesen sei. Gemäß § 138 Abs. 1 StPO i.V.m. § 392 Abs. 1 Halbsatz 1 AO können im selbstständigen Verfahren der Finanzbehörde auch Steuerberater zu Verteidigern gewählt werden. Es handle sich zum Zeitpunkt des Erlasses des Strafbefehls noch um einen Teil dieses selbstständigen Verfahrens der Finanzbehörde.
In Rechtsprechung und Literatur ist die Frage umstritten, ob ein Angehöriger der steuerberatenden Berufe auch nach Erlass eines Strafbefehls berechtigt ist, als alleiniger Verteidiger aufzutreten (vgl. Randt in: Joecks/Jäger/Randt, AO, 9. Aufl. 2022, § 392 Rn. 24; Jäger in Klein, AO, 16. Aufl. 2022, § 392 Rn. 3), mithin wirksam Einspruch gegen einen von der Finanzbehörde selbstständig beantragten Strafbefehl einlegen kann. Das LG konnte diese Frage offenlassen.
Selbst wenn man mit der engeren Auffassung davon ausgehen würde, dass der Steuerberater nach Erlass eines Strafbefehls nicht mehr berechtigt wäre, allein Einspruch gegen den Strafbefehl einzulegen, wäre er jedenfalls über dessen Erlass zu informieren. Ein im selbstständigen Strafverfahren der Finanzbehörde als Verteidiger zugelassener Steuerberater, der auch als Verteidiger im Rubrum des Strafbefehlsantrags und des Strafbefehls geführt wird, sei jedenfalls bis zum Antrag der Finanzbehörde auf Erlass eines Strafbefehls beim AG schon nach dem Wortlaut des § 400 Var. 2 AO zulässiger Verteidiger. Erhalten Verteidiger und Beschuldigter – wie hier – erstmals Kenntnis von dem Erlass eines Strafbefehls, so müsse selbst unter Zugrundelegung der Auffassung, ein Steuerberater sei nicht berechtigt, alleine Einspruch gegen einen Strafbefehl einzulegen, der Erlass des Strafbefehls jedenfalls als Abschlussakt des selbstständigen Verfahrens der Finanzbehörde gelten, über den der bisherige Verteidiger zu informieren sei. Denn ohne die Kenntnis des Steuerberaters von der Abgabe des Verfahrens von der Finanzbehörde an das Gericht zum Erlass eines Strafbefehls hätte er keine Möglichkeit, einen zur weiteren Verteidigung berechtigten Berufsträger als nunmehr weiteren Verteidiger hinzuzuziehen, um ggf. wirksame Rechtsbehelfe einzulegen.
Auch unter Zugrundelegung der Auffassung, der Steuerberater könne nach Erlass eines Strafbefehls noch alleiniger Verteidiger sein, folge denklogisch, dass ein Steuerberater dann auch bereits im Zeitpunkt des Erlasses alleiniger Verteidiger sein kann. Im Übrigen ergebe sich die jedenfalls notwendige Information des Steuerberaters des Beschuldigten als Verteidiger über den Erlass des Strafbefehls auch aus dem Umstand, dass Angehörige der steuerberatenden Berufe nach alleiniger Befassung der Finanzbehörden mit der Steuerstrafsache ihre Möglichkeit, als Verteidiger aufzutreten, nicht verlieren, sondern diese nur i.V.m. einem zur Verteidigung zugelassenen Berufsträger i.S.v. § 138 Abs. 1 StPO fortführen können. Auch in dieser Stellung wären sie aber über den Erlass eines Strafbefehls zu informieren, da ihre Verteidigerstellung nicht grundsätzlich unzulässig ist. Nichts anderes ergebe sich schließlich aus dem Umstand, dass M im Strafbefehlsantrag und im Strafbefehl im Rubrum ausdrücklich als Verteidiger des Beschuldigten geführt wurde und eine Zurückweisung als Verteidiger nicht erfolgte. In einem solchen Fall könne sich der Beschuldigte darauf verlassen, dass der auf der ersten Seite des Strafbefehls als sein Verteidiger aufgeführte Steuerberater auch tatsächlich vom Gericht als solcher geführt und in dieser Eigenschaft Kenntnis von wesentlichen Rechtsakten erhalte.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des LG zeigt zwei Besonderheiten in steuerstrafrechtlichen Verfahren auf: die Finanzbehörde als ermittelnde Stelle bei dem Verdacht einer Straftat (unter I.) und die Rolle des Steuerberaters als Verteidiger (unter II.).
I. Aus dem in § 152 Abs. 1 StPO geregelten Offizialprinzip folgt, dass die Strafverfolgung dem Staat obliegt und nicht dem einzelnen Bürger. Zur Erhebung der Anklage ist danach allein die Staatsanwaltschaft befugt, die auch die Ermittlungen durchführt (§ 160 StPO). Nach § 386 Abs. 1 Satz 1 AO besteht von dieser Aufgabenzuweisung jedoch eine Ausnahme: Bei dem Verdacht einer Steuerstraftat ermittelt die Finanzbehörde den Sachverhalt, wenn die Tat ausschließlich eine Steuerstraftat ist, grundsätzlich selbstständig (vgl. zu den Ausnahmen § 386 Abs. 3 AO und Nr. 22 AStBV 2023). Dies hat zur Folge, dass sie nach § 400 Halbsatz 1 AO auch berechtigt ist, bei dem Gericht den Erlass eines Strafbefehls zu beantragen.
II. In Erweiterung von § 138 Abs. 1 StPO können nach § 392 Abs. 1 AO nicht nur Rechtsanwälte, sondern auch Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer zu Verteidigern gewählt werden, wenn die Finanzbehörde das Verfahren selbstständig durchführt (vgl. zur Hilfeleistung in Steuerstrafsachen auch § 1 Abs. 2 Nr. 1 StBerG und § 33 Satz 2 StBerG). Umstritten ist, bis zu welchem Zeitpunkt die Finanzbehörde das Verfahren selbstständig durchführt: Gehört auch der Einspruch gegen einen von der Finanzbehörde beantragten Strafbefehl dazu und kann er folglich von einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe selbstständig eingelegt werden? Das LG brauchte diese Frage nicht zu entscheiden, da ein Rechtsanwalt Einspruch eingelegt hat. Richtigerweise ergibt m.E. eine an dem Wortlaut der §§ 392 Abs. 1 Halbsatz 1, 400 AO orientierte Auslegung, dass die Alleinvertretungsbefugnis der Angehörigen steuerberatender Berufe dann endet, wenn die Staatsanwaltschaft oder ein Gericht mit der Sache befasst ist. Das ist mit Erlass und Zustellung des Strafbefehls an den Angeklagten der Fall.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Ein von der Finanzbehörde beantragter Strafbefehl muss nach § 409 Abs. 1 Nr. 2 StPO (vgl. auch Nr. 87 Abs. 1 Satz 2 AStBV 2023) den Namen des Verteidigers enthalten. Dies gilt auch dann, wenn der Angeklagte im Ermittlungsverfahren der Finanzbehörde durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe verteidigt worden ist. Aus Gründen der prozessualen Fürsorge ist der Strafbefehl bei Zustellung an den Angeklagten diesem Verteidiger nach § 145a Abs. 3 Satz 2 StPO zur Kenntnis zu bringen, damit er – nach § 392 Abs. 1 Halbsatz 2 AO gemeinsam mit einem Rechtsanwalt – Einspruch einlegen kann. Eine unterlassene Mitteilung führt bei einer versäumten Frist zu guten Chancen im Wiedereinsetzungsverfahren. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass sich die dem Steuerberater nach § 80 AO erteilte Vollmacht regelmäßig nur auf das Steuererhebungs-, -festsetzungs- und -vollstreckungsverfahren sowie auf das Rechtsbehelfsverfahren (vgl. § 80 Abs. 1 Satz 2 AO) bezieht, jedoch nicht auf das neben dem Verwaltungsverfahren geführte Steuerstrafverfahren.



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