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Anmerkung zu:BVerwG 4. Senat, Urteil vom 07.12.2023 - 4 CN 4/22
Autor:Dr. Thomas Lüttgau, RA
Erscheinungsdatum:16.05.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 1 BBauG, § 7 ROG, § 4 ROG, § 27 ROG 2008, § 12 ROG 2008, § 11 ROG, § 1 UmwRG, § 6 UmwRG, EGRL 42/2001
Fundstelle:jurisPR-UmwR 5/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Ferdinand Kuchler, RA
Dr. Martin Spieler, RA
Zitiervorschlag:Lüttgau, jurisPR-UmwR 5/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Alternativenprüfung bei der Änderung eines Regionalplans zur Ausweisung eines Standorts für ein Großkraftwerk



Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Neben der Zulässigkeit der Revision prüft das Revisionsgericht von Amts wegen auch das Vorliegen der vom Vordergericht bejahten Sachurteilsvoraussetzungen des Rechtschutzbegehrens sowie der Prozessfortsetzungsbedingungen. Es ist dabei nicht an die tatsächlichen Feststellungen im angegriffenen Urteil gebunden (Klarstellung der Rechtsprechung des Senats).
2. Zielt die beabsichtigte Änderung des Regionalplans auf ein Vorhaben, dessen Verwirklichung bedeutende umweltrechtliche Konfliktlagen mit sich bringen kann, kann Anlass bestehen, den Untersuchungsraum der alternativen Prüfung über den Geltungsbereich des Regionalplans hinaus zu erstrecken.
3. Der nach § 11 Abs. 5 Satz 2 ROG gebotene Hinweis ist nicht bereits deswegen irreführend, weil darin auch über eine nach dem Gesetz nicht bestehende Rügepflicht belehrt wird; anderes kann nur gelten, wenn dies dazu führen kann, dass der Betroffene die Rüge eines beachtlichen Verfahrensverstoßes unterlässt.



A.
Problemstellung
Im Mittelpunkt der Entscheidungen, die zu Normenkontrollurteilen des OVG Münster vom 26.08.2021 (10 D 106/14.NE, 10 D 43/15.NE und 10 D 40/15.NE) ergingen, steht die Frage der Reichweite und Bedeutung von Zielen der Raumordnung sowie die im Rahmen der Aufstellung von raumordnerischen Zielfestlegungen durchzuführenden Alternativenprüfungen und deren räumliche Reichweite. Schließlich hat sich das BVerwG eingehend mit Fragen der Planerhaltung auch im Rahmen der Inzidentkontrolle von Raumordnungsplänen befasst.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Für das im Gebiet der Stadt Datteln errichtete und betriebene Steinkohlekraftwerk „Datteln 4“, dessen Bau im Jahre 2007 begann und das auf Grundlage einer weiterhin beklagten immissionschutzrechtlichen Genehmigung 2020 in Betrieb genommen wurde, hat die Stadt den vorhabenbezogenen Bebauungsplan Nr. 105a – „Kraftwerk“ aufgestellt, der am 01.09.2014 in Kraft getreten ist. Zuvor wurde ein im Jahre 2007 für das Vorhaben aufgestellter Bebauungsplan vom OVG Münster (Urt. v. 03.09.2009 - 10 D 121/07.NE) wegen fehlender Anpassung an die Ziele der Raumordnung und wegen Mängeln bei der Abwägung für unwirksam erklärt. Parallel zum Verfahren zur Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 105a führte der zuständige Regionalverband das Verfahren zur 7. Änderung des Regionalplans zur Festlegung eines Kraftwerkstandorts im Stadtgebiet durch. In deren Rahmen wurde für ein im Umweltbericht näher definiertes Vorhaben („Musterkraftwerk“) eine auf den Geltungsbereich des Regionalplans als Untersuchungsraum bezogene Alternativenprüfung durchgeführt. Antragsteller in den gegen den vorhabenbezogenen Bebauungsplan gerichteten Normenkontrollverfahren sind eine anerkannte Umweltvereinigung (4 CN 4.22), ein benachbarter Grundstückseigentümer (4 CN 5.22) und eine benachbarte Gemeinde (4 CN 6.22).
Das Oberverwaltungsgericht hat den Bebauungsplan für unwirksam erklärt, weil er auf beachtlichen Fehlern der Abwägung gemäß § 1 Abs. 7 BauGB beruhe. Zwar sei nicht zu beanstanden, dass der kommunale Planungsträger eine regionalplanerische Standortfestlegung ohne Prüfung weiterer Standort- und Ausführungsvarianten in seiner Bauleitplanung übernehme. Allerdings schlügen dann Verfahrensfehler bei der regionalplanerischen Standortfestlegung, die im Rahmen der Inzidentkontrolle zu berücksichtigen seien, auf die jeweils nachfolgende Planungsebene durch. Die im Rahmen der 7. Änderung des Regionalplans durchgeführte und auf den räumlichen Geltungsbereich des Regionalplans beschränkte Prüfung anderweitiger Planungsmöglichkeiten genüge nicht den rechtlichen Anforderungen, da die erheblichen Auswirkungen der beabsichtigten Änderung des Regionalplans auf die Umwelt zu umfassender Prüfung der Alternativen, auch über den Geltungsbereich des konkreten Regionalplans hinaus verpflichte. Außerdem seien die festgestellten Verfahrensfehler im Rahmen der 7. Änderung des Regionalplans nicht unbeachtlich geworden, da die Vorschriften über die Planerhaltung bei der Inzidentprüfung raumordnungsrechtlicher Zielfestlegungen im Rahmen der Normenkontrolle eines Bebauungsplans nicht anwendbar seien; schließlich sei der in der Bekanntmachung der 7. Änderung enthaltene Hinweis fehlerhaft gewesen.
Das BVerwG ist diesen Auffassungen des Oberverwaltungsgerichts entgegengetreten. Zum einen verkenne das Oberverwaltungsgericht, dass ein Fehler einer zielförmigen Festlegung auf regionalplanerischer Ebene nicht auf die Abwägung gemäß § 1 Abs. 7 BauGB in der Bauleitplanung „durchschlage“. Zum anderen sei zwar der vom Oberverwaltungsgericht gewählte Ausgangspunkt, dass der Untersuchungsraum bei der regionalplanerischen Ausweisung von Vorhaben mit erheblichen Auswirkungen über den engeren Umgriff des Gebiets des Regionalplans hinausreiche, zutreffend. Zu Unrecht habe aber das Oberverwaltungsgericht die der Standortalternativenprüfung zugrunde gelegten Kriterien als unzulässig einschränkend gewürdigt. Zu Unrecht habe das Oberverwaltungsgericht schließlich angenommen, dass die Verfahrensfehler bei der Regionalplanänderung weiterhin beachtlich seien, da die Verfahrensfehler bei zutreffender Beurteilung der Planerhaltungsvorschriften zur Unbeachtlichkeit etwaiger Verfahrensfehler geführt hätten.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidungen um das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 halten die Betroffenen seit nunmehr nahezu zwei Jahrzehnten in Atem. Neben der rechtlichen Dimension stehen Investitionsvolumina und damit auch Schäden in Milliardenhöhe im Raum. Immerhin bestätigt das Verfahren den alten Grundsatz „Judex non calculat“, jedenfalls soweit damit die rechtliche Würdigung ohne Ansehen der wirtschaftlichen Folgen gemeint ist. Das Verfahren ist mit den Entscheidungen des BVerwG allerdings nicht zu Ende, denn es wurde zur anderweitigen Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Und: der Ausgang des Verfahrens dürfte am Ende auch noch nicht sicher sein, denn das BVerwG hat zwar ein paar Fragen verbindlich geklärt, nicht aber alle entscheidungserheblichen Aspekte beurteilen können, wie z.B. den abwägungsgerechten Umgang mit den maßgeblichen Belangen bei Anlegung der zutreffenden rechtlichen Maßstäbe durch das Oberverwaltungsgericht. Diese, vom BVerwG definierten rechtlichen Maßstäbe sollen an dieser Stelle näher betrachtet werden.
1. Am Beginn der rechtlichen Prüfung der Frage, ob die Bauleitplanung den Anforderungen an die hierarchisch übergeordnete Ebene der Raumordnung entspricht, steht die richtige Einordnung des rechtlichen Anknüpfungspunkts.
a) Diese ergibt sich aus § 4 Abs. 1 Satz 1 ROG, wonach Ziele der Raumordnung zu beachten und Grundsätze und sonstige Erfordernisse der Raumordnung zu berücksichtigen sind. In der Bauleitplanung wird dies über die Anpassungspflicht des § 1 Abs. 4 BauGB und das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB verankert. Das BVerwG hatte bereits in seinem Beschluss vom 20.08.1992 (4 NB 20/91) dargelegt, dass das Raumplanungsrecht eine Abfolge von Planungsentscheidungen auf Bundes- und auf Landesebene mit fortschreitender Verdichtung bis hin zu konkreten Festlegungen auf Gemeindeebene umfasst. In dieses mehrstufige System räumlicher Gesamtplanung ist die gemeindliche Bauleitplanung als nachgeordnete unterste Ebene der Planungshierarchie eingebunden. In vertikaler Hinsicht wird dadurch sichergestellt, dass die jeweilige Planungsebene die auf der vorgelagerten Stufe ebenen spezifisch aggregierten Belange in ihre eigene Planung aufzunehmen hat. Die Bindungen, die sich aus den Zielen der Raumordnung ergeben, sind „gleichsam vor die Klammer des Abwägungsprozesses gezogen“. „Anpassen“ i.S.v. § 1 Abs. 4 BauGB bedeutet, dass die Ziele der Raumordnung in der Bauleitplanung je nach dem Grad ihrer Aussageschärfe zwar konkretisierungsfähig sind, nicht aber im Wege der Abwägung überwunden werden können. Die relative Offenheit einer zielförmigen Vorgabe ändert nichts daran, dass die Gemeinde an die Zielvorgabe strikt gebunden ist. Anders ist das Verhältnis von Raumordnung zu Fachplanung, auf die das Regelungsmuster vertikaler „Arbeitsteilung“ nicht übertragen werden kann, weil das Fachplanungsrecht eine § 1 Abs. 4 BauGB vergleichbare Regelung nicht enthält. Das Verhältnis zwischen Raumordnung und Fachplanung ist nicht das einer vertikalen Planungshierarchie, sondern das einer arbeitsteiligen Aufgabenstruktur mehrerer Planungsträger, deren aufgabenspezifische Kompetenzen und Gestaltungsspielräume durch rechtliche Bindungen, Abstimmungsgebote und Beteiligungsverfahren miteinander verschränkt sind (BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 - 4 A 1075/04).
b) Das BVerwG sah sich in dem entschiedenen Fall berechtigt, über die Frage der Zielqualität der Standortausweisung zu entscheiden, obwohl sie dem irrevisiblen Landesrecht zuzuordnenden regionalen Raumordnungsplan zu entnehmen war, weil es das Oberverwaltungsgericht unterlassen habe, die im Regionalplan enthaltene Standortausweisung auszulegen und einer der Kategorien des § 4 Abs. 1 Satz 1 ROG zuzuordnen. Das BVerwG hat die im Regionalplan enthaltene Festlegung eines Gewerbe- und Industrieansiedlungsbereichs (GIB) mit der Zweckbestimmung „Kraftwerke mit einschlägigen Nebenbetrieben“ als Ausweisung eines Vorranggebiets gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ROG gewertet, dem mangels außergebietlicher Ausschlusswirkung keine zielförmige Festlegung zu entnehmen sei. Zwar „sollen“ Kraftwerke entsprechend dem Grundsatz des Regionalplans nur in den mit der entsprechenden Zweckbestimmung dargestellten Bereichen errichtet werden. Zwar seht eine derartige „Soll-Festsetzung“ der Annahme einer zielförmigen Festlegung nicht entgegen; die Einordnung als Ziel setzt in diesem Fall allerdings voraus, dass der Adressat an die strikte Beachtung eines vorgegebenen Regel-Ausnahme-Verhältnisses gebunden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.11.2022 - 4 A 15/20). Mangels subsumtionsfähiger Regel-Ausnahme-Struktur fehlte es an hinreichender Verbindlichkeit des Plansatzes. Damit war im zu entscheidenden Fall nicht von einem „Durchschlagen“ auszugehen, sondern vielmehr von der Abwägungsbeachtlichkeit der regionalplanerischen Aussage.
2. Eine zielförmige landesplanerische Standortentscheidung, deren Zielbindung sich kraft der gesetzlichen Grundentscheidung in § 4 Abs. 1 und 3 ROG nicht auf private Betroffene erstreckt und inhaltlich in einen Satzungsbeschluss eingeht, muss daher aus Rechtsschutzgründen mit diesem zum Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung (Inzidentkontrolle) gemacht werden können (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.03.2006 - 4 A 1075/04, und BVerwG, Urt. v. 19.07.2001 - 4 C 4/00). Dies gilt gleichermaßen für fachplanerische wie für städtebaulich-planerische Entscheidungen (vgl. hierzu auch Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger/Runkel/Edenharter, BauGB, § 1 Rn. 96).
Im Rahmen dieser Kontrolle ist nicht nur bei der erstmaligen Aufstellung eines Regionalplans, sondern auch in Zusammenhang mit seiner Änderung zu prüfen, ob eine über seinen Geltungsbereich hinausgehende Prüfung von Vorhabenalternativen zu erfolgen hat. Rechtlicher Ansatzpunkt hierfür ist Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/42/EG (SUP-RL), die dazu verpflichtet, im Rahmen der Umweltprüfung „vernünftige Alternativen“, die die Ziele und den geographischen Anwendungsbereich des Plans oder Programms berücksichtigen, zu ermitteln, zu beschreiben und zu bewerten. Damit soll verhindert werden, dass insbesondere der Standort von Großvorhaben mit erheblichen Umweltauswirkungen auf Grundlage einer räumlich unangemessen verengten Perspektive festgelegt wird. Die Grenze der Ermittlungspflicht orientiert sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, nach dem Aufwand und möglicher Ertrag bei der Ermittlung und Bewertung von Umweltauswirkungen eingestellt werden müssen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch die Abgrenzung der einen Teil eines Landesgebiets betreffenden Regionalpläne als räumliche Teilpläne Ausdruck einer planerischen Grundentscheidung sind und daher die Prüfung, ob die Grenzen des Gebiets eines Regionalplans zu überschreiten sind, in verschiedenen Fallgestaltungen und in Abhängigkeit von den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten möglich ist.
3. Anders als vom Oberverwaltungsgericht angenommen, sind die geltend gemachten Verfahrensfehler nicht mehr beachtlich, denn aufgrund der Sonderregelung in § 27 Abs. 2 ROG ist die Neufassung der Regelungen zur Planerhaltung in § 11 ROG auch auf die vor der Gesetzesänderung in Kraft getretenen Raumordnungspläne anwendbar. Mit dieser Regelung wird der Grundsatz durchbrochen, dass es für die Wirksamkeit einer Rechtsnorm auf die im Zeitpunkt ihres Zustandekommens geltende Rechtslage ankommt. Das BVerwG sieht in dieser Regelung keine Rechtsprobleme, da es ein schutzwürdiges Vertrauen in die Ungültigkeit von Rechtsnormen nicht gebe. § 11 ROG ist nach Auffassung des BVerwG auch im Rahmen der Inzidentkontrolle anwendbar und gilt auch in den Fällen – wie hier –, dass im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Regionalplanänderung eine Normenkontrolle nach Landesrecht – noch – nicht zulässig war. Die Einschätzung der Betroffenen, wegen Fehlens der Statthaftigkeit einer Normenkontrolle auch nicht die Vorschriften über die Planerhaltung beachten zu müssen, ist ein unbeachtlicher Rechtsirrtum. Schließlich sei der der Bekanntmachung beigefügte Hinweis auch nicht unzureichend gewesen. Die Bekanntmachung enthielt einen Hinweis auf die in § 12 Abs. 5 ROG 2008 geregelte Rügepflicht innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten der Regionalplanänderung. Es sei Betroffenen zumutbar, die Norm selbst zu lesen, sie enthalte auch keine irreführenden Hinweise, die Anlass dazu gäben, dass Betroffene von einer Rüge absehen könnten. Das BVerwG hält die Regelungen der Planerhaltung auch für mit Unionsrecht vereinbar. § 11 ROG habe die dem nationalen Gesetzgeber bei den Regelungen über die Planerhaltung durch die SUP-RL und Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention (AK) eingeräumten Entscheidungsspielräume nicht überschritten (vgl. hierzu auch BVerwG, Beschl. v. 24.03.2021 - 4 VR 2/20). Offengelassen hat das BVerwG die Frage, ob im Rahmen der Inzidentprüfung bei bestimmten der UVP-RL unterliegenden Vorhaben die Planerhaltungsvorschriften unionsrechtswidrig sind, da die Entscheidungserheblichkeit aufgrund der Zurückverweisung nicht feststeht.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung steht in einer ganzen Reihe jüngerer Entscheidungen des BVerwG zu Fragen des Raumordnungsrechts. Mit seiner Entscheidung vom 28.09.2023 (4 C 6/21) hat es die Antragsbefugnis von Umweltverbänden gegen raumordnungsrechtliche Zielabweichungsentscheidungen begründet. Vergleichbar der hier besprochenen Entscheidung dürfte diese Entscheidung Auswirkungen auf die Frage haben, ob inzident zu überprüfenden Zielabweichungsentscheidungen Planerhaltungsvorschriften entgegengehalten werden dürfen; denn die Nichtgeltendmachung von Rechtsmitteln gegen Zielabweichungsentscheidungen dürfte demgemäß auf einem – nicht beachtlichen – Rechtsirrtum beruhen. Mit seiner hier besprochenen Entscheidung vom 09.11.2023 hat sich das BVerwG zur Zielqualität von raumordnerischen Festlegungen als räumlich oder funktional und mit der Entscheidung vom 23.05.2023 (4 CN 10/21) zum Beeinträchtigungsverbot und Nahversorgung geäußert und damit nochmals die Anforderungen an ein raumordnungsrechtliches Ziel geschärft.
In der Praxis wird der Einstufung von raumordnungsrechtlichen Vorgaben als Ziele oder Grundsätze – unabhängig von ihrer Bezeichnung – weiterhin entscheidende Bedeutung zukommen, wobei es der Ausnahmefall bleiben dürfte, dass sich das BVerwG mit dieser grundsätzlich irrevisiblen Frage des Landesrechts beschäftigen wird. Ebenso relevant bleibt die Frage der Reichweite von Alternativenprüfungen von Großvorhaben. Diese Frage ist nicht nur mit ihren raumordnungsrechtlichen Bezügen von großer Relevanz, sondern in allen Planvorhaben mit umweltrelevanten Auswirkungen. Angesichts der umfänglichen Anfechtungsbefugnisse von Umweltvereinigungen, die infolge der noch nicht veröffentlichten Entscheidung des 4. Senats zur Frage, ob Angebotsbebauungspläne Vorhabenzulassungen i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a UmwRG sind (4 BN 3/23 (4 CN 2/23)), weiter gestärkt werden dürften, kommt den Alternativenprüfungen erhebliches Gewicht zu. Umso mehr spielt die Frage der Präklusion (§ 6 UmwRG) und der Planerhaltung eine große Rolle; insoweit ist mit weiteren Entscheidungen auch des EuGH zu rechnen.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Das BVerwG hat die Entscheidung zum Anlass genommen, seine Rechtsprechung zur Prüfung der Sachurteilsvoraussetzungen im Revisionsverfahren klarzustellen. Sowohl bei der Prüfung der Sachurteilsvoraussetzungen des Rechtsschutzbegehrens als auch der Prozessfortsetzungsbedingungen ist das Revisionsgericht nicht an die tatsächlichen Feststellungen im angegriffenen Urteil gebunden.



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