juris PraxisReporte

Autor:Dr. Lisa Löffler, RA’in
Erscheinungsdatum:11.04.2024
Quelle:juris Logo
Normen:Anlage 2 EEG 2009, § 4 BImSchG, § 16b BImSchG, § 16 BImSchG, § 6 EEG 2009, § 7 BImSchV 9, § 44a VwGO, § 35 VwVfG, § 42 VwGO
Fundstelle:jurisPR-UmwR 4/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Ferdinand Kuchler, RA
Dr. Martin Spieler, RA
Zitiervorschlag:Löffler, jurisPR-UmwR 4/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Das neue Bürgerenergiegesetz NRW - Stärkung von Akzeptanz und finanzieller Beteiligung für die Windenergie?

I. Einleitung

Der nordrhein-westfälische Landtag hat am 15.12.2023 den Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen zum Gesetz über die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Gemeinden an der Windenergienutzung in Nordrhein-Westfalen (im Folgenden „BürgEnG“) verabschiedet. Das Gesetz ist am 28.12.2023, einen Tag nach Verkündung, in Kraft getreten. Im Folgenden werden die zentralen Regelungen des neuen Beteiligungssystems vorgestellt.

II. Anlass und Zielsetzung des Gesetzes

Anlass für das Gesetzesvorhaben war der gesetzgeberische Befund, dass die Realisierung von Windenergieanlagen an Land (im Folgenden „WEA“) maßgeblich durch die Akzeptanz der ansässigen Bürger:innen bedingt ist. Um diese Akzeptanz zu fördern und zu stärken, ist es aus Sicht des Landesgesetzgebers maßgeblich, die Teilhabe der lokal betroffenen Bürger:innen und Gemeinden an der Wertschöpfung durch die Windenergie auszubauen.1 Dieses gesetzgeberische Ziel wurde in § 1 BürgEnG verankert. Die bereits bestehende bundesrechtliche Beteiligungsregelung des § 6 EEG, wonach Anlagenbetreiber von WEA sowie von Freiflächenphotovoltaikanlagen den betroffenen Gemeinden eine Beteiligung von 0,2 Cent pro kWh eingespeister bzw. fiktiver Strommenge nach Ziff. 7.2 Anlage 2 EEG anbieten dürfen, hält der Landesgesetzgeber aufgrund der Freiwilligkeit und der lediglich mittelbaren Beteiligung der Bürger:innen für unzureichend.2

III. Grundlagen des Gesetzes

1. Sachlicher Anwendungsbereich

Das BürgEnG findet ausschließlich auf die Beteiligung an der Wertschöpfung von Windenergie Anwendung. Anders als § 6 EEG hat sich der Landesgesetzgeber nicht nur für eine freiwillige Beteiligung der ansässigen Gemeinden entschieden, sondern darüber hinaus für eine verpflichtende Beteiligung der ansässigen Gemeinden und Bürger:innen. Konkret erfassen die Regelungen des § 2 Abs. 1 BürgEnG die Errichtung von genehmigungsbedürftigen WEA i.S.d. § 4 Abs. 1 BImSchG und den vollständigen Austausch von WEA im Rahmen des Repowerings nach § 16b Abs. 2 Satz 2 BImSchG. Ausgenommen vom Anwendungsbereich sind solche WEA, die als unselbstständiger Teil eines privilegierten Betriebs im Außenbereich genehmigungsfähig sind, die überwiegend der Eigenversorgung eines oder mehrerer Betriebe dienen und in einem durch den Regionalplan festgelegten Bereich für gewerbliche bzw. industrielle Nutzung liegen oder die weit überwiegend der Entwicklung und Erprobung wesentlicher technischer Neuerungen dienen, vgl. § 2 Abs. 2 bis Abs. 5 BürgEnG. Ferner sind Bürgerenergiegesellschaften von den Regelungen des BürgEnG und damit von der verpflichtenden Beteiligung von Gemeinden und Bürger:innen ausgenommen.

2. Zeitlicher Anwendungsbereich

Das BürgEnG und damit die verpflichtende Beteiligung am Ertrag des Vorhabens findet keine Anwendung auf bestehende und im Zeitpunkt des Inkrafttretens des BürgEnG bereits genehmigte WEA. Alle WEA, die demnach vor dem 28.12.2023 genehmigt wurden, fallen nicht unter den Anwendungsbereich des Gesetzes. Das Gesetz bezieht keine Änderungsgenehmigungen gemäß § 16 BImSchG mit ein. In der Folge findet die verpflichtende Beteiligung auch keine Anwendung auf Änderungsgenehmigungen, die in Bezug auf schon genehmigte bzw. bestehende Anlagen beantragt werden, selbst wenn der Antrag nach dem Inkrafttreten des Gesetzes gestellt wird. Weiter enthält das Gesetz eine Übergangsvorschrift für solche Vorhaben, für die vor dem 28.12.2023 bereits vollständige Antragsunterlagen i.S.d. § 7 der 9. BImSchV eingereicht wurden. Bezweckt wird mit dieser Übergangsregelung, das Vertrauen der Vorhabenträger in die während der vormaligen Rechtslage getätigten Investitionen zu schützen.3

3. Begriffsbestimmungen

Das Gesetz enthält einige Begriffsbestimmungen, die zentral für das Verständnis des Beteiligungssystems sind. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang insbesondere der Vorhabenbegriff nach § 3 Abs. 2 BürgEnG. Das Vorhaben bezeichnet die Gesamtheit aller WEA, für die von einem Vorhabenträger im räumlichen und zeitlichen Zusammenhang eine Genehmigung nach BImSchG zur Errichtung und Betrieb beantragt wird. Der Gesetzgeber hat auch die im Rahmen der Beteiligung betroffenen Akteure gesetzlich bestimmt: Entscheidend ist hierbei zunächst der Begriff der Standortgemeinde; Standortgemeinden i.S.d. § 3 Abs. 6 BürgEnG sind alle Gemeinden, auf deren Gemeindegebiet sich zumindest eine WEA des Vorhabens befindet. Eine weitere wichtige Akteurin ist daneben die zuständige Behörde; zuständige Behörde ist nach § 3 Abs. 7 BürgEnG i.V.m. § 12 Abs. 1 BürgEnG das Ministerium für Wirtschaft, Energie und Klimaschutz (im Folgenden „Wirtschaftsministerium“). Begünstigte des Beteiligungsregimes sind die beteiligungsberechtigten Gemeinden und die beteiligungsberechtigten Personen. Beteiligungsberechtigte Gemeinden sind in Anlehnung an des EEG solche, deren Gemeindegebiet sich zumindest teilweise innerhalb eines Umkreises von 2.500 m um die Turmmitte der WEA befindet, vgl. § 6 BürgEnG i.V.m. § 6 Abs. 2 Satz 2 EEG. Als beteiligungsberechtigte Personen gelten nach § 5 BürgEnG alle natürlichen Personen, die zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung seit mindestens drei Monaten ihren Wohnsitz in einer der beteiligungsberechtigten Gemeinden haben. Juristische und natürliche Personen, die seit mindestens drei Monaten vor Genehmigungserteilung Eigentümer eines auf dem Gemeindegebiet gelegenen Grundstücks sind, dürfen auch in die Beteiligungsvereinbarung miteinbezogen werden; eine Pflicht besteht hierzu jedoch nicht. Nicht zuletzt können für direkte Anwohner:innen Sonderregeln vereinbart werden.

4. Pflichten im Vorfeld der Beteiligung

Der Vorhabenträger ist binnen eines Monats ab Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung verpflichtet, die zuständige Behörde, das heißt das Wirtschaftsministerium, über die Genehmigungserteilung unter Angabe der nach der Marktstammdatenregisterverordnung erforderlichen Daten zu informieren, § 4 Abs. 1 Satz 1 BürgEnG. Der Vorhabenträger muss ferner einen Entwurf für eine Beteiligungsvereinbarung erarbeiten. Dieser Arbeit soll ein frühzeitiger Austausch mit den beteiligungsberechtigten Gemeinden vorausgehen. Spätestens einen Monat nach Genehmigungserteilung muss der Vorhabenträger mit der beteiligungsberechtigten Gemeinde in Kontakt treten, § 4 Abs. 3 BürgEnG. Den Beteiligungsentwurf muss er spätestens sechs Monate nach Genehmigungserteilung der Standortgemeinde und weitere zwei Wochen später dem Wirtschaftsministerium vorlegen. Im Anschluss hat die Standortgemeinde drei Monate Zeit, sich zu dem Entwurf zu verhalten, § 4 Abs. 4 BürgEnG.

IV. Beteiligungsregime

Das BürgEnG sieht ein wie folgt abgestuftes Beteiligungsregime vor:

Vorrangig abzuschließende individuelle Beteiligungsvereinbarung
Pflicht zur Ersatzbeteiligung
bei fehlender Pflichterfüllung (eine Ersatzbeteiligung wurde nicht umgesetzt): Ausgleichsabgabe.

1. Individuelle Beteiligungsvereinbarung

Der Vorhabenträger ist zunächst verpflichtet, der Standortgemeinde ein Angebot zur finanziellen Beteiligung der beteiligungsberechtigten Personen und der beteiligungsberechtigten Gemeinden am Ertrag des Vorhabens zu unterbreiten, § 7 Abs. 1 Satz 1 BürgEnG. Über die Beteiligungsvereinbarung soll mit der Standortgemeinde auf der Grundlage des vom Vorhabenträger vorzulegenden Beteiligungsentwurfes verhandelt werden, § 7 Abs. 1 Sätze 1, 2 BürgEnG. Die Standortgemeinde wird schließlich auch am Ende des Verhandlungsprozesses alleinige Vertragspartnerin.4

Inhaltlich verlangt das BürgEnG, dass die Beteiligungsvereinbarung finanzielle Beteiligungsmöglichkeiten für alle Beteiligungsberechtigten vorsieht. Die Art und Weise wie eine Beteiligung gestaltet wird, liegt dabei jedoch in den Händen der Vorhabenträger und Standortgemeinden. § 7 Abs. 3 BürgEnG sieht lediglich einen nicht abschließend zu verstehenden5 Katalog möglicher Beteiligungsinstrumente vor, wie z.B. das Angebot über den Kauf einer oder mehrerer WEA, die Beteiligung an einer Projektgesellschaft des Vorhabens und vergünstigte lokale Stromtarife. Wie in § 1 Satz 4 BürgEnG ausdrücklich benannt, soll sich die individuelle Beteiligungsvereinbarung wertmäßig an der Ersatzbeteiligung nach § 8 BürgEnG orientieren. Der Nachweis über den Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung ist der zuständigen Behörde, das heißt dem Wirtschaftsministerium, spätestens innerhalb eines Jahres nach der Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vorzulegen, § 7 Abs. 1 Satz 3 BürgEnG. Die Frist verlängert sich dabei im Falle der Anfechtung der Genehmigung auf ein Jahr nach der gerichtlichen Entscheidung, § 7 Abs. 5 BürgEnG. Als zeitlichen Horizont sieht § 7 Abs. 1 Satz 4 BürgEnG vor, dass die Beteiligungsvereinbarung ab Inbetriebnahme der ersten WEA des Vorhabens wirksam werden soll.

2. Ersatzbeteiligung

Als „Rückfalloption“ sieht das Gesetz eine sog. Ersatzbeteiligung in § 8 BürgEnG vor, um die Erreichung des Gesetzeszweckes auch ohne Abschluss einer individuellen Beteiligungsvereinbarung sicherzustellen.6 Erbringt der Vorhabenträger den Nachweis über den Abschluss einer individuellen Beteiligungsvereinbarung nicht binnen eines Jahres nach Genehmigungserteilung, so finden die Regelungen zur Ersatzbeteiligung Anwendung. Die Ersatzbeteiligung umfasst einerseits die Verpflichtung, den beteiligungsberechtigten Gemeinden ein Angebot zur jährlichen Zahlung von 0,2 Cent pro kWh über einen Zeitraum von 20 Jahren anzubieten, sowie andererseits den beteiligungsberechtigten Personen eine Offerte über eine Eigenkapitalbeteiligung durch Nachrangdarlehen zu unterbreiten, vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BürgEnG. Die Anforderungen an das Nachrangdarlehen sind in § 8 Abs. 3 bis Abs. 6 BürgEnG näher ausgeformt. Während im ursprünglichen Gesetzesentwurf7 noch vorgesehen war, dass der Vorhabenträger 20 Prozent der Investitionssumme, d.h. der Höhe der voraussichtlichen Gesamtkosten der Anlage, in Form von Nachrangdarlehen anzubieten hat, berechnet sich das Beteiligungsvolumen nach der nunmehr verabschiedeten Fassung nach der installierten Leistung. Gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 BürgEnG beträgt das Beteiligungsvolumen mindestens 90.000 Euro je Megawatt installierter Leistung je Vorhaben. Die Mindestanlagesumme darf 500 Euro nicht übersteigen, wobei jede beteiligungsberechtigte Person Nachrangdarlehen von maximal 25.000 Euro zeichnen darf. Die Verzinsung der Darlehen erfolgt nach der Festlegung der Kreditanstalt für Wiederaufbau im Rahmen des Programmes Erneuerbare Energien „Standard“ bei einer Laufzeit von zehn Jahren sowie Preisklasse D, § 8 Abs. 3 Satz 4 BürgEnG. Die Laufzeit der Darlehen muss zehn Jahre betragen, § 8 Abs. 3 Satz 5 BürgEnG. Sofern das Volumen der gezeichneten Nachrangdarlehen das offerierte Volumen übersteigt, wird das Volumen unter den beteiligungsberechtigten Personen so verteilt, dass jede beteiligungsberechtigte Person zunächst die Mindestanlage erhält. Diejenigen beteiligungsberechtigten Personen, die einen weiteren Betrag in Höhe der Mindestanlagesumme gezeichnet haben, erhalten dieses zusätzliche Volumen. Dieser Verteilmodus wird angewendet, bis das gesamte gezeichnete Volumen zugewiesen ist. Sofern das Volumen der gezeichneten Nachrangdarlehen das offerierte Volumen unterschreitet, muss der Vorhabenträger das verbleibende Volumen zunächst den beteiligungsberechtigten Gemeinden und den im überwiegenden Eigentum der beteiligungsberechtigten Gemeinden stehenden Unternehmen anbieten, § 8 Abs. 6 BürgEnG.

3. Ausgleichsabgabe

Erfüllt der Vorhabenträger seine Verpflichtungen hinsichtlich der Ersatzbeteiligung nicht oder nicht in vollem Umfang, kann die zuständige Behörde ihn auf Antrag der beteiligungsberechtigten Gemeinden zur Zahlung einer Ausgleichsabgabe verpflichten, § 9 Abs. 1 BürgEnG. Es ergeht folglich ein Bescheid, in dem der Vorhabenträger zur Zahlung der Ausgleichsabgabe verpflichtet wird. Voraussetzung für die volle Pflichterfüllung ist dabei nur die Unterbreitung der entsprechenden Angebote, nicht hingegen der tatsächliche Abschluss einer Vereinbarung.8 Die Ausgleichsabgabe beträgt 0,8 Cent je kWh für die eingespeiste bzw. die fiktive Strommenge nach Ziff. 7.2 der Anlage 2 zum EEG, § 9 Abs. 2 Satz 1 BürgEnG. Sie ist ab dem Monat, in dem den Pflichten hinsichtlich der Ersatzbeteiligung nach § 8 BürgEnG nicht mehr entsprochen wird, zu zahlen. Die Zahlungspflicht endet mit der Pflichterfüllung, spätestens aber 20 Jahre nach Inbetriebnahme der ersten WEA des Vorhabens, § 9 Abs. 2 Sätze 2, 3 BürgEnG.

V. Vorgaben für die Verwaltung

1. Mittelverwendung

§ 10 Abs. 1 Satz 1 BürgEnG schreibt vor, dass die Gemeinden die Mittel aus der Ersatzbeteiligung bzw. den Ausgleichsabgaben zur Steigerung der Akzeptanz der Windenergieanlagen bei den Einwohner:innen einsetzen sollen, beispielsweise zur Aufwertung des Ortsbildes und der ortsgebundeneren Infrastruktur, zur Optimierung der Energiekosten oder des Energieverbrauchs oder für Maßnahmen für Klimaschutz- und Klimaanpassung, § 10 Abs. 1 Satz 1 BürgEnG. Es handelt sich hierbei nicht um eine strikte Mittelbindung, jedoch sei es zielführend, wenn die Gelder in erkennbarer Weise verwendet würden.9 Die allgemeine Förderung von Kultur- oder Sozialeinrichtungen werden dabei vom Gesetzgeber nicht benannt, wobei eine solche Förderung sicherlich dazu beitragen könnte, dass auch in der breiten Bevölkerung, unabhängig von einer Beteiligung am Windenergievorhaben, die Akzeptanz für die Windenergie weiter gestärkt würde. Die Gelder aus den individuellen Beteiligungsvereinbarungen sollen zweckmäßigerweise ebenfalls auf diese Art verwendet werden, vorgeschrieben ist dies jedoch nicht. Es bleibt vielmehr den Vertragsschließenden überlassen, dies ggf. in der Beteiligungsvereinbarung zu regeln.10

2. Transparenzplattform

Zur Veröffentlichung der Informationen im Zusammenhang mit der Gesetzesausführung schreibt § 11 Abs. 1 BürgEnG die Errichtung und den Betrieb einer sog. Transparenzplattform vor, die durch die zuständige Behörde online betrieben wird. Auf der Plattform sollen die Informationen über das Vorhaben und die Genehmigung, die der Vorhabenträger einreichen muss, die angebotenen und vereinbarten Beteiligungsmöglichkeiten, Hinweise und Möglichkeiten der Ersatzbeteiligung in der Form von Nachrangdarlehen, Informationen zu der Mittelverwendung sowie über die abgeschlossenen Beteiligungsvereinbarungen, zu durchgeführten Ersatzbeteiligungen und zu beschiedenen Ausgleichsabgaben veröffentlicht werden. Die Plattform soll über den Anwendungsbereich des Gesetzes hinaus auch für vergleichbare Vorhaben, etwa Bürgerenergieprojekte, zur Verfügung stehen.11 Neben der Schaffung von Transparenz soll mit der Plattform ein Instrument etabliert werden, das den Wettbewerb und Austausch von Beteiligungsmöglichkeiten begünstigt.

VI. Anwendung gerichtlich überprüfbar?

In Anbetracht der Reichweite der neuen Beteiligungsverpflichtung werden verwaltungsgerichtliche Streitigkeiten über die Anwendung und das Beteiligungsregime des BürgEnG nicht lange auf sich warten lassen. Insbesondere dürfte die Frage, ob ein Vorhabenträger zu einer Beteiligung verpflichtet ist oder nicht, da er zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes schon vollständige Antragsunterlagen i.S.d. § 7 Abs. 1 9. BImSchV vorweisen konnte, Gegenstand von Auseinandersetzungen werden. Es stellt sich insofern die Frage, ob und wie die Nichtanwendbarkeit des BürgEnG aufgrund von vollständigen Antragsunterlagen von beteiligungsberechtigten Gemeinden und Personen verwaltungsgerichtlich überprüfbar ist.

Zunächst wird eine betroffene Kommune oder natürliche Person gerichtlich nicht isoliert gegen die Vollständigkeitserklärung vorgehen können, da diese eine Verfahrenshandlung darstellt, die nach § 44a Satz 1 VwGO nicht einzelner Gegenstand eines förmlichen Rechtsbehelfs sein kann.

In Anbetracht des Umstandes, dass es sich bei der Vollständigkeitserklärung nicht um einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG handelt,12 kann die Gemeinde/betroffene Person gegen die Vollständigkeitserklärung ebenso wenig mittels Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO vorgehen.

Eine Standortgemeinde könnte jedoch bei der zuständigen Behörde (das Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie NRW) einen Antrag auf Anordnung der Ausgleichsabgabe gegenüber dem Vorhabenträger stellen, vgl. § 9 Abs. 1 BürgEnG.

Sollte das Ministerium dem Antrag stattgeben und gegenüber dem Vorhabenträger die Pflicht zur Zahlung der Ausgleichsabgabe anordnen, wäre dieser gezwungen, hiergegen mittels einer Anfechtungsklage vorzugehen. Im Rahmen dieser „provozierten“ Anfechtungsklage dürfte sich sodann die Frage der Anwendbarkeit des BürgEnG stellen, wodurch ebenfalls die Frage der Vollständigkeit der Antragsunterlagen inzident vom Gericht zu prüfen wäre. Hierin bestünde eine theoretische Konstellation, in der die Anwendbarkeit des BürgEnG gerichtlich überprüft würde.

VII. Fazit

Der Landesgesetzgeber wird dem selbst gesteckten Ziel der Einführung einer verbindlichen Beteiligungspflicht für Vorhabenträger gerecht, indem mit der Ersatzbeteiligung und der Ausgleichsabgabe auch die Fälle aufgefangen werden, in denen keine Beteiligungsvereinbarung zwischen dem Vorhabenträger und der ansässigen Gemeinde geschlossen werden kann. Die hohe Ausgleichsabgabe von 0,8 Cent pro kWh wird vermutlich einen starken Anreiz für den Abschluss der gesetzgeberisch bevorzugten individuellen Beteiligungsvereinbarung erzeugen. Ob die Regelungen langfristig zur Steigerung der Akzeptanz bei der Bevölkerung vor Ort führen wird, muss sich erst herausstellen. Dies dürfte wohl auch maßgeblich davon abhängen, inwieweit die erzielten Einnahmen durch den Einsatz der Ersatzbeteiligung und der Ausgleichsabgabe auch der Gesamtbevölkerung zugutekommen. Ob ein Vorhabenträger unter den Anwendungsbereich des Gesetzes fällt oder nicht, sollte in Anbetracht der spürbaren finanziellen Verpflichtung kritisch überprüft werden.


Fußnoten


1)
2)

Vgl. LT-Drs. 18/5849, S. 1.

3)

Vgl. LT-Drs. 18/5849, S. 27.

4)

Vgl. LT-Drs. 18/7396, S. 9.

5)

Vgl. LT-Drs. 18/5849, S. 22.

6)

Vgl. LT-Drs. 18/5849, S. 21, 23

7)
8)

Vgl. LT-Drs. 18/7396, S. 11.

9)

Vgl. LT-Drs. 18/5849, S. 26.

10)

Vgl. LT-Drs. 18/5849, S. 26.

11)

Vgl. LT-Drs. 18/5849, S. 26.

12)

OVG Magdeburg, Urt. v. 05.12.2018 - 2 L 47/16 Rn. 85; VGH München, Beschl. v. 16.09.2016 - 22 ZB 16.304 Rn. 7.


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