A. Einleitung
Die Gesetzgebung zum Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) befindet sich in einem komplexen Regelungsgefüge aus Völker-, Unions- und Verfassungsrecht, wobei die Aarhus Konvention (AK) als integrierter Bestandteil der Unionsrechtsordnung den maßgeblichen Einfluss auf die nationale Rechtssetzung ausübt. Entscheidungen des Compliance Komitee bzw. die Beschlüsse der Vertragsstaatenkonferenz der Aarhus Konvention und Judikate des EuGH sowie des BVerwG üben einen steten Anpassungsdruck auf den nationalen Gesetzgeber aus. Dieser beschränkt sich zunehmend auf eine „1:1-Umsetzung“1, die Symptom und Ursache gesetzgebungstechnischer Herausforderungen ist.2 Zweifel an der unions- und völkerrechtskonformen Ausgestaltung des UmwRG gab es bereits bei dessen Erlass; sie ziehen sich durch den gesamten Geltungszeitraum des Gesetzes.3
Am 06.09.2024 hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und weiterer umweltrechtlicher Vorschriften in den Bundestag eingebracht4, die dem Bundesrat als besonders eilbedürftig zugeleitet wurde.5 Am 07.10.2024 hat der federführende Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit unter Beteiligung weiterer Ausschüsse eine Empfehlung zur Stellungnahme des Bundesrats zum Gesetzentwurf abgegeben.6 Der Gesetzentwurf geht auf einen Referentenentwurf7 aus dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) zurück, der als Besonderheit für die Länder- und Verbändeanhörung zusätzlich zu der im Entwurf vorgesehenen Regelung noch einen Alternativvorschlag zur Änderung der Regelungen zum Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes (§ 1 UmwRG) enthielt.8
Mit dem Gesetzesentwurf verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, die Regelungen zum Zugang zu Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten an die Anforderungen der AK und entsprechende unionsrechtliche Vorgaben anzupassen. Primär geht es dem Gesetzgeber darum, den Beschluss VII/8 der 7. Vertragsstaatenkonferenz vom 20.10.2021 zur Unvereinbarkeit von § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 UmwRG mit der AK umzusetzen. Zudem soll den Urteilen des EuGH vom 08.11.2022 (Rs. C-873/19) und des BVerwG vom 26.01.2023 (Az. 10 CN 1/23) Rechnung getragen werden.9 Der Gesetzgeber möchte „mit einer Vereinfachung rechtlicher Vorgaben und ihrer anwenderfreundlicheren Gestaltung ein[en] Beitrag zur Beschleunigung von Verwaltungsverfahren und verwaltungsgerichtlichen Verfahren“10 leisten. Im nachfolgenden Beitrag werden die für die Praxis zentralen Änderungen vorgestellt. Dabei wird berücksichtigt, dass sich der Regierungsentwurf noch inmitten des Gesetzgebungsverfahrens befindet und insbesondere vor dem Hintergrund der Empfehlungen der Ausschüsse Änderungen desselben wahrscheinlich sind.
B. Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes
Die Änderungen des Umweltrechtsbehelfsgesetzes betreffen insbesondere den Anwendungsbereich des Gesetzes (I.). Den Forderungen aus der Literatur, das UmwRG solle die naturschutzrechtliche Verbandsklage aus § 64 BNatSchG abschließend regeln, wurde nun nachgekommen (II.). Auch die Regelung zu den Fristen in § 6 UmwRG wurde ergänzt (III.). Daneben gibt es weitere Änderungen, von denen die wesentlichen hier nur kursorisch behandelt werden (IV.):
I. Anwendungsbereich des UmwRG, § 1 UmwRG-E
Einen wesentlichen Teil der Änderungen nimmt die Erweiterung des Anwendungsbereichs des UmwRG in § 1 ein. Der Regierungsentwurf hält an dem Enumerationsprinzip fest, indem er weiterhin einen abschließenden Katalog an Entscheidungen enthält, bei welchen der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes stets eröffnet ist. Der Katalog wird zur Vereinbarkeit mit den Vorgaben der AK und des Unionsrechts nunmehr erweitert.11 Es soll zum einen den Entwicklungen in der europäischen und nationalen Rechtsprechung Rechnung getragen werden. Danach wurde das UmwRG entweder in unionsrechtskonformer Auslegung oder aber mittels Verweises auf die Anforderungen des Art. 9 Abs. 3 AK i.V.m. Art. 47 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GrCH) unions- und völkerrechtskonform zugunsten eines effektiven Rechtsschutzes hinsichtlich des Anwendungsbereichs weit ausgelegt.12 Zum anderen sieht der Gesetzgeber Anpassungsbedarf durch neue europäische umweltrechtliche Vorgaben. So enthalten verschiedene umweltrechtliche Vorschriften entweder ausdrückliche Rechtsschutzvorgaben oder mindestens in den Erwägungsgründen einen deutlichen Hinweis darauf, dass die Mitgliedstaaten unions- und völkerrechtlich verpflichtet sind, natürlichen und juristischen Personen, die ein hinreichendes Interesse haben und ggf. weiteren Anforderungen der nationalen Rechtsordnung genügen, Zugang zu Gericht zur Überprüfung der Einhaltung der jeweiligen Vorgaben zu ermöglichen.13 Dabei erkennt der Gesetzgeber auch, dass der abschließende Katalog eine Momentaufnahme aus Sicht des Gesetzgebers darstellt, und zukünftige, bisher nicht bedachte Fallkonstellationen und Entwicklungen des nationalen und europäischen Rechts durch einen abschließenden Katalog nicht ausgeschlossen werden können und nach der Rechtsprechung des EuGH14 auch nicht ausgeschlossen werden dürfen. Es bleibe daher der zukünftigen Spruchpraxis der Verwaltungsgerichte vorbehalten, über die Zulässigkeit des umweltrechtlichen Rechtsschutzes bei nicht in den Katalogen aufgeführten Klagegegenständen in Auslegung des UmwRG oder in direkter Anwendung von Art. 47 GrCH i.V.m. Art. 9 Abs. 2 oder 3 AK zu entscheiden.
Der Gesetzgeber differenziert nun ausdrücklich zwischen den besonderen Streitgegenständen, die unter Art. 9 Abs. 2 AK (nun § 1 Abs. 1 UmwRG-E) fallen, und solchen, die dem Auffangtatbestand des Art. 9 Abs. 3 AK (nun § 1 Abs. 1a UmwRG-E) unterfallen. Hierdurch soll bewirkt werden, dass bei den Streitgegenständen nach Art. 9 Abs. 3 AK weiterhin nur eine eingeschränkte Prüfung unter dem Gesichtspunkt der geltend gemachten umweltbezogenen Rechtsverletzung möglich ist.15
Eine gesetzgeberische Klarstellung wurde in § 1 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 UmwRG-E vorgenommen, der dem bisherigen § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UmwRG weitgehend entspricht. Der in der bisherigen Fassung enthaltene Bezug zu Anlage 5 des UVPG entfällt. Hiermit soll nach dem Gesetzgeber klargestellt werden, dass unter die Nr. 2 auch eine SUP-Pflichtigkeit eines Plans oder Programms in bestimmten Plan- oder Programmbereichen oder im Einzelfall nach § 35 UVPG fällt.16 Hierdurch wird auch der Entscheidung des BVerwG (Urt. v. 26.01.2023 - 10 CN 1/23) Rechnung getragen. Nach der Entscheidung zwingt der Anwendungsvorrang des Unionsumweltrechts dazu, die Tatbestandsvoraussetzung des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UmwRG, wonach nach Anlage 5 des UVPG oder landesrechtlichen Vorschriften eine Pflicht zur Durchführung einer Strategischen Umweltprüfung bestehen kann, unangewendet zu lassen.17
Neu ist die Regelung in § 1 Abs. 1a Satz 1 Nr. 5 UmwRG-E, nach der das Gesetz auf Rechtsbehelfe gegen die Entscheidungen durch deutsche Behörden über Typenzulassungen, Bauart- und Baummusterzulassungen oder ähnliche Entscheidungen über die Zulassung von Produktgruppen unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften anzuwenden ist. Hierdurch wird der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 08.11.2022 - C-873/19) Rechnung getragen. Der EuGH hatte festgestellt, dass die Mitgliedstaaten zwar Kriterien zur Bestimmung des Kreises der Anfechtungsberechtigten regeln können, nicht aber zur Bestimmung des Gegenstands einer Klage. Daher durfte die Anfechtungsmöglichkeit einer Umweltvereinigung gegen eine EG-Typengenehmigung durch den Gesetzgeber nicht eingeschränkt werden.
Einer der strittigsten Punkte des Gesetzentwurfs ist jedoch das Festhalten des Gesetzgebers am Enumerationsprinzip. Es ist im Rahmen der Länder- und Verbändeanhörung durch eine Vielzahl der beteiligten Akteure kritisiert worden.18 So hatte zum Beispiel der Deutsche Anwaltverein durch den Ausschuss Verwaltungsrecht zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Einengung des Katalogs auf Unionsrechtsakte in § 1 Abs. 1a Satz 1 Nr. 5a bis 5c UmwRG-E verkenne, dass es völkerrechtlich geboten sei, weiter gehende Klagerechte zuzulassen. Denn Art. 9 Abs. 3 AK verlange, Rechtsschutz gegen alle Verletzungen umweltbezogener Rechtsvorschriften zu eröffnen. Es wird außerdem darauf hingewiesen, dass der Katalog schon im Zeitraum der Erstellung aufgrund weiterer Rechtsakte der Europäischen Union überholt und es absehbar sei, dass der nationale Gesetzgeber in einem regelmäßigen Turnus die Kataloge in § 1 Abs. 1 und Abs. 1a UmwRG novellieren müsste.19 Soweit der Gesetzgeber darauf verweist, es werde durch die Gerichte schon jetzt unter Bezugnahme auf die Aarhus Konvention oder Art. 47 GrCH im Wege unionsrechts- oder völkerrechtskonformer Auslegung die Klagebefugnis in Zweifelsfällen bejaht, weist das BVerwG in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf zu Recht darauf hin, dass klärungsbedürftig bliebe, welche Klagen gleichwohl ausgeschlossen bleiben sollen und inwiefern dies den erhöhten Aufwand der Gerichte zur Entscheidung streitiger Auslegungsfragen von § 1 UmwRG rechtfertige.20
Bereits das BMUV hatte daher zum Zwecke der Vereinfachung des Gesetzes und der gerichtlichen Verfahren den oben genannten Alternativvorschlag zum Anwendungsbereich des UmwRG vorgelegt, der in § 1 Abs. 1a Satz 1 Halbsatz 1 UmwRG-E für Entscheidungen nach Art. 9 Abs. 3 AK eine Generalklausel enthält.21 Hiernach wäre das Gesetz anzuwenden auf Rechtsbehelfe gegen sonstige Entscheidungen von Behörden, die gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften verstoßen können. Ergänzend enthält der Regelungsentwurf einen nicht abschließenden („insbesondere“) Regelbeispielkatalog. Diesen Alternativvorschlag haben nunmehr auch die Ausschüsse für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, für Innere Angelegenheiten, für Recht und für Wirtschaft aufgegriffen und sich für die Einführung einer Generalklausel in § 1 Abs. 1a Satz 1 UmwRG-E ausgesprochen.22 Sie verweisen zu Recht darauf, dass die Einführung einer Generalklausel einen ausufernden Gesetzestext vermeidet, der die Rechtsanwendung unnötig erschwert. Eine Generalklausel sei offen für zukünftige Konkretisierungen des Anwendungsbereichs durch die europäische und nationale Rechtsprechung.23
Kritik an der Einführung einer solchen Generalklausel wurde insbesondere vom Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen geäußert, dem die Erweiterung der Klagemöglichkeiten zu weitgehend ausfällt, weil bereits die Möglichkeit („kann“) einer Verletzung umweltbezogener Rechtsvorschriften den Anwendungsbereich des UmwRG eröffne. Allerdings war auch in der bisherigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung die unions- und völkerrechtskonforme Auslegung der enumerativ aufgezählten Entscheidungen erforderlich.24 Die Einführung einer Generalklausel trägt daher wohl in erster Linie den völker- und unionsrechtlichen Erfordernissen Rechnung.
Zudem wird in der Stellungnahme darauf hingewiesen, dass der Anwendungsbereich der Generalklausel auch dann eröffnet sei, wenn entgegen geltenden Rechtsvorschriften keine behördliche Entscheidung nach § 1 Abs. 1a UmwRG-E getroffen wurden (Verweis in § 1 Abs. 1a Satz 2 UmwRG-E auf § 1 Abs. 1 Satz 2 UmwRG-E). Kann ein behördliches Unterlassen gegen eine umweltbezogene Rechtsvorschrift verstoßen, fände das UmwRG Anwendung. Damit wären relevante Erweiterungen des Rechtsschutzes gegen die gesamte aufsichtliche Tätigkeit der Behörden im Umweltbereich verbunden. Aktuell würden von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 UmwRG nur Überwachungs- und Aufsichtsmaßnahmen zur Umsetzung oder Durchführung von Entscheidungen nach den Nr. 1 bis Nr. 5 erfasst. Erforderlich sei daher eine Genehmigungsakzessorietät, auf die künftig verzichtet würde.25 Allerdings ist § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 UmwRG bereits bislang auch in der Variante des Unterlassens (§ 1 Abs. 1 Satz 2 UmwRG) anwendbar. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung darf es sich bei der Aufsichts- oder Überwachungsmaßnahme nicht um eine selbstständige, von einer Vorhabenzulassung unabhängige Maßnahme handeln.26 Dieses Erfordernis bleibt auch in der Variante des Unterlassens bestehen.27
Die Stellungnahme weist schließlich noch berechtigt darauf hin, dass die Einführung einer Generalklausel zur erheblichen Ausdehnung der Anwendbarkeit der Klagebegründungsfrist des § 6 UmwRG führe und daher Unsicherheiten hinsichtlich der Geltung von § 6 UmwRG bei der Erhebung der Klage mit sich bringe.28 Vor allem für anwaltlich nicht vertretene Kläger sei nicht hinreichend sicher abschätzbar, ob umweltbezogene Rechtsvorschriften verletzt sein könnten.
II. Überführung der naturschutzrechtlichen Verbandsklage, § 1 Abs. 1a Satz 1 Nr. 4 UmwRG-E
§ 1 Abs. 1a Satz 1 Nr. 4 UmwRG-E überführt die bislang in § 64 BNatSchG geregelte naturschutzrechtliche Verbandsklagebefugnis ins UmwRG. Seit jeher gab es in der Literatur die Forderung einer entsprechenden Regelung im UmwRG.29 Denn der Anwendungsbereich der naturschutzrechtlichen Verbandsklage wird schon bislang von der umweltrechtlichen Verbandsklage im Wesentlichen abgedeckt. Dem Gesetzgeber geht es daher um eine Bündelung der umweltrechtlichen Rechtsschutzregelungen in einem Gesetz, die zur Vereinfachung und Vollzugsfreundlichkeit beitragen soll.30 Nach dem Gesetzgeber soll die Überführung nicht mit inhaltlichen Änderungen verbunden sein, sondern ausschließlich der optimierten Systematisierung der bundesrechtlichen Regelungen dienen.
Es kommt damit darauf an, dass es sich um eine anerkannte Umweltvereinigung i.S.d. § 63 BNatSchG handelt. Andere anerkannte Umweltvereinigungen haben keine Anerkennung nach § 3 UmwRG für Klagegegenstände nach § 1 Abs. 1a Satz 1 Nr. 4 UmwRG-E.31 Eine Übernahme von § 64 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG ist nicht erfolgt, da es sich um eine nach der Rechtsprechung des EuGH unzulässige Regelung zur materiellen Präklusion handelt.32 Weil sich mit der Überführung keine inhaltlichen Veränderungen ergeben sollen, erfasst der Begriff der umweltbezogenen Rechtsvorschriften nach dem Gesetzgeber auch die Inhalte, die bisher Gegenstand der rügefähigen Inhalte des § 64 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG waren.
III. Fristen, § 6 UmwRG-E
§ 6 UmwRG wird durch zwei Absätze um weitere gerichtliche Fristen ergänzt. § 6 Abs. 1 UmwRG-E entspricht dem derzeitigen § 6 UmwRG, und knüpft damit weiterhin an einen einheitlichen Fristbeginn ab Klageerhebung an. Teilweise wurde gefordert, hierbei auf den Zeitpunkt ab Akteneinsicht bzw. Zurverfügungstellung des Verwaltungsvorgangs abzustellen.33 Denn die Zehnwochenfrist ab Klageerhebung beginnt auch zu laufen, wenn die Akten noch nicht oder unvollständig übersandt worden sind. Auch in diesem Fall muss die Klage – soweit möglich – begründet werden.34 Ein Abstellen auf die Übersendung des (im Wesentlichen vollständigen) Verwaltungsvorgangs würde sicherstellen, dass den Klägern die volle Klagebegründungsfrist von zehn Wochen in Kenntnis aller Umstände zur Verfügung steht, die sie zur Begründung ihrer Klage und zur geforderten Abgabe der Tatsachen und Beweismittel benötigen.35
Das BVerwG hat die Anknüpfung an die Klageerhebung im Gesetzgebungsverfahren unter Hinweis auf seine Rechtsprechung unterstützt.36 Von einem Kläger könne erwartet werden, dass er innerhalb der Klagebegründungsfrist zumindest das vorträgt, was ihm auch ohne Einsicht in die Verwaltungsvorgänge auf der Grundlage seiner Beteiligung am Verwaltungsverfahren und der Behandlung seiner Einwendungen in der Entscheidung bekannt sei, und auf diese Weise den Prozessstoff in den Grundzügen fixiert, anstatt das Gericht und die übrigen Beteiligten über die Klagegründe vollständig im Unklaren zu lassen.37 Dies sei auch geeignet, Verzögerungen infolge nicht zeitnah erfüllter Akteneinsichtsgesuche – etwa, wenn mehreren Klägern nacheinander die gewünschte Akteneinsicht zu gewähren ist – oder aufgrund von verspäteten Einsichtnahmen durch die Kläger zu verringern.
§ 6 Abs. 2 Satz 1 UmwRG-E enthält nunmehr eine Soll-Bestimmung, nach der das Gericht im Interesse der Verfahrensbeschleunigung den übrigen Beteiligten mit der Zustellung der Klagebegründung eine angemessene Frist zur Äußerung setzen soll. Die Frist soll nach dem Gesetzgeber darauf hinwirken, dass die Behörden der Erstellung der Klageerwiderung in ihrer internen Arbeitsorganisation die nötige Priorität einräumen.38 Damit soll aber ausdrücklich keine innerprozessuale Präklusion verbunden sein. Die Einführung einer solchen Fristsetzung ist zielführend, dürfte aber – vor allem in Großvorhaben – schon der bisherigen Praxis der Spruchkörper entsprechen. Die Gesetzesbegründung zu § 6 Abs. 2 Satz 1 UmwRG-E ist allerdings widersprüchlich, wenn es dort heißt, dass die „Fristsetzung in das Ermessen des Gerichts gestellt“ wird.39 Mit der „Soll“- Regelung gibt der Gesetzgeber gerade die Ausübung des Ermessens in eine bestimmte Richtung vor (intendiertes Ermessen), deren Ausübung in diese Richtung nur in atypischen Fällen durchbrochen werden kann.
IV. Weitere Änderungen
§ 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 UmwRG wird aufgehoben. Hierdurch wird dem Beschluss der Vertragsstaatenkonferenz der AK vom 20.10.2021 zur Unvereinbarkeit des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 UmwRG mit der AK entsprochen. Hiermit einher geht eine Reihe an Folgeänderungen im UmwRG.
Hinzuweisen ist außerdem noch auf eine ergänzende Regelung in § 5 UmwRG. Nach dem neuen § 5 Satz 2 UmwRG-E ist die erstmalige Geltendmachung einer Einwendung im Rechtsbehelfsverfahren missbräuchlich oder unredlich, wenn dem Rechtsbehelfsführer die Einwendung bereits im Verwaltungsverfahren bekannt war und er sie in vorwerfbarer Weise mit Verzögerungsabsicht erst im Rechtsbehelfsverfahren geltend macht. Hierdurch wird der Entschließung des Deutschen Bundestages Rechnung getragen, nach der die Bundesregierung aufgefordert wurde, eine Formulierungshilfe in Form von Regelbeispielen zu erarbeiten, um im Einklang mit unionsrechtlichen Vorgaben die Missbrauchsklausel des § 5 UmwRG betreffend missbräuchliche und unredliche Rechtsbehelfe zu konkretisieren und so deren Anwendbarkeit zu erleichtern.40 Ob dies beabsichtigte Erleichterung der Anwendbarkeit allerdings eintritt, dürfte zu bezweifeln sein.41 Denn die genannten Voraussetzungen erhöhen eher die Anforderungen an die Darlegung eines Rechtsmissbrauchs, zudem entspricht die Regelung schon der bisherigen durch die Rechtsprechung erfolgten Konkretisierung.42 Zudem wird das Instrument schon bislang äußert selten in Anspruch genommen.43
C. Fazit
Anlass der Überarbeitung des UmwRG waren (wieder einmal) veränderte bzw. konkretisierte völker- und unionsrechtliche Anforderungen. Der Gesetzgeber hat seine bisherige Linie einer „1:1“- und damit einer Minimalumsetzung bestätigt. Für den Gesetzgeber sind solche Änderungen regelmäßig schwer zu prognostizieren und in seine Gesetzgebung einzustellen. Dabei ist gerade das europäische Umweltrecht durch eine hohe Dynamik geprägt, die es dem nationalen Gesetzgeber nahezu unmöglich macht, alle denkbaren Anwendungsfälle des UmwRG über die Regelung in § 1 zu erfassen.
Die Einführung einer Generalklausel in § 1 Abs. 1a Satz 1 UmwRG für die Fälle des Art. 9 Abs. 3 AK erscheint daher konsequent und nach hier vertretener Auffassung vor dem Hintergrund eines völker- und unionskonformen Gesetzes auch erforderlich. Gleichwohl dürfte dies nicht zu einer Entlastung der Gerichte führen, denen sodann weiterhin die Ausfüllung der Generalklausel unter Berücksichtigung der vorrangigen rechtlichen Vorgaben obliegt. Das weitere Gesetzgebungsverfahren wird zeigen, ob sich der Gesetzgeber von diesen Erwägungen, die in weiten Teilen der im Rahmen der Anhörung beteiligten Akteure geteilt werden, tragen lässt, oder an seinem Enumerationsprinzip festhält. Jedenfalls die Empfehlungen der befassten Ausschüsse deuten in die Richtung einer Veränderung des derzeitigen Regierungsentwurfs.