juris PraxisReporte

Anmerkung zu:OLG Celle 14. Zivilsenat, Urteil vom 11.10.2023 - 14 U 157/22
Autor:Jan Lukas Kemperdiek, LL.M., RA, FA für Verkehrsrecht, FA für Versicherungsrecht und FA für Medizinrecht
Erscheinungsdatum:22.05.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 26 StVO, § 10 StVO, § 828 BGB, § 1 StVO, § 18 StVG, § 7 StVG, § 3 StVO
Fundstelle:jurisPR-VerkR 10/2024 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Klaus Schneider, RA, FA für Verkehrsrecht, FA für Versicherungsrecht und Notar
Zitiervorschlag:Kemperdiek, jurisPR-VerkR 10/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Kollision zwischen Pkw und zwölfjährigem Radfahrer auf Fußgängerüberweg: Erhöhte Betriebsgefahr ohne Verkehrsverstoß innerhalb der Betriebsgrenzen



Leitsätze

1. Wer von einem Radweg auf die Fahrbahn einfahren will, hat sich dabei gemäß § 10 Satz 1 StVO so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dies gilt auch für denjenigen, der vom Radweg auf einem Fußgängerüberweg auf die Fahrbahn einfährt.
2. Auch gegenüber Kindern gilt der Vertrauensgrundsatz. Der Fahrer eines PKWs muss besondere Vorkehrungen für seine Fahrweise gemäß § 3 Abs. 2a StVO nur dann treffen, wenn das Verhalten der Kinder oder die Situation, in der sie sich befinden, Auffälligkeiten zeigt, die zu einer konkreten Gefährdung führen können, und das Kind nach dem äußeren Erscheinungsbild als solches erkennbar war.
3. Ein Fahrzeugführer muss auch bei Annäherung an einen Fußgängerüberweg ohne erkennbare Umstände nicht damit rechnen, dass ein 12-jähriges Kind, ohne seine Absicht merklich anzuzeigen, auf dem Fahrrad fahrend den Fußgängerüberweg überquert.
4. Bei der Abwägung der Betriebsgefahr eines Fahrzeuges gegenüber dem schuldhaften Verstoß eines 12-jährigen Kindes gegen § 10 Satz 1 StVO tritt die Betriebsgefahr des Kfz unter Berücksichtigung des Alters des geschädigten Kindes einerseits sowie der deutlichen Erhöhung der Betriebsgefahr des Fahrzeugs im Unfallgeschehen andererseits, auch angesichts der weiteren Gesamtumstände des Unfallgeschehens, nicht zurück (hier: Betriebsgefahr mit 1/3 berücksichtigt).



A.
Problemstellung
In der hier besprochenen Entscheidung hatte sich das OLG Celle mit einem Verkehrsunfall zwischen einem zwölfjährigen Fahrradfahrer, der an einem Fußgängerüberweg auf die Fahrbahn fuhr, und einem Pkw auseinanderzusetzen. Das OLG Celle schlüsselt sehr feingliedrig auf, wie in diesen Fällen die Haftungsabwägung insbesondere auch unter Berücksichtigung von § 3 Abs. 2a, 10 StVO vorzunehmen ist und führt zur Frage aus, unter welchen Gesichtspunkten eine sog. gesteigerte Betriebsgefahr angenommen werden muss.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche nach einem im Wesentlichen zum Haftungsgrunde nach streitigen Verkehrsunfall vom 07.03.2017.
Der zum Unfallzeitpunkt 12 Jahre alte Kläger befuhr am späten Mittag mit seinem Mountainbike einen kombinierten Geh- und Radweg, ohne dabei einen Helm zu nutzen. Im Bereich eines Fußgängerüberwegs i.S.d. § 26 StVO beabsichtigte er, die Fahrbahn zu überqueren. Nach den Feststellungen des Sachverständigen fuhr der Kläger mit einer Geschwindigkeit zwischen 15-20 km/h auf den Fußgängerüberweg zu, die spätere Kollisionsgeschwindigkeit betrug noch etwa 10 km/h. Die nicht selbst haltende Beklagte zu 3) näherte sich mit einem Kleinwagen mit der an der Unfallörtlichkeit zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h auf der Fahrbahn. Noch auf dem Fußgängerüberweg erfasste sie den Kläger, der etwa 18,5 m durch die Luft geworfen wurde und insbesondere im Kopfbereich erheblich verletzt zum Liegen kam. Die Beklagte zu 3) kam 17 m nach dem Kollisionsort zum Stehen.
Nach dem gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten ist der Kläger etwa 0,5 Sekunden vor der Kollision auf die Fahrbahn gefahren. Die Signalposition für die Beklagte zu 3) liegt etwa 1 Sekunde vor der Kollision, als der Kläger in Richtung des Fußgängerüberwegs einschwenkte. Der Sachverständige konnte ausschließen, dass der Kläger vor dem Einfahren auf die Fahrbahn und noch auf dem Gehweg angehalten hat.
Das LG Hannover hatte mit Urteil vom 02.11.2022 (12 O 190/20) in der I. Instanz auf eine Haftungsquote von 60% zu 40% zulasten der Beklagten erkannt. Dazu führte es aus, die Beklagte zu 3) habe den Unfall überwiegend verschuldet. Das Landgericht legte insbesondere einen Verkehrsverstoß der Beklagten zu 3) gegen § 3 Abs. 2a StVO zugrunde, da ab dem Moment der Erkennbarkeit des Klägers für sie besondere Vorkehrungen im Sinne einer Verringerung der Fahrgeschwindigkeit und Einnehmen einer Bremsbereitschaft zu treffen gewesen wären. Der Umstand, dass der Kläger mit dem Fahrrad in Richtung Zebrastreifen gefahren sei, begründe nach Auffassung des Landgerichts bereits die erforderliche konkrete Gefährdungssituation.
In der hiergegen von den Beklagten geführten Berufung hat das OLG Celle mit abweichender Haftungsquote entschieden und zugunsten der Beklagten eine Haftungsquote von 1/3 zu 2/3 zugrunde gelegt.
Dem Kläger falle ein Verkehrsverstoß gegen § 10 Satz 1 StVO zur Last. Die sich aus dieser Norm ergebenden besonders hohen Sorgfaltsanforderungen habe der Kläger aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht beachtet, als er ohne anzuhalten und ohne entsprechende Umschau auf den Fußgängerüberweg und damit auf die Fahrbahn fuhr. Angesichts seines Lebensalters und unter Berücksichtigung der individuellen Verstandesentwicklung des Klägers sei diesem der Verkehrsverstoß auch vorwerfbar. Der Kläger könne sich nicht auf den Schutzbereich der Vorschrift des § 26 Satz 1 StVO berufen, da er als nicht abgestiegener Radfahrer nicht dem Schutzbereich der Norm unterfiele.
Der Beklagten zu 3) falle als Führerin des Fahrzeugs der Beklagten kein Verkehrsverstoß gegen § 3 Abs. 2a StVO zur Last. Zwar gebiete diese Vorschrift eine erhöhte Aufmerksamkeit und Beobachtung auch der angrenzenden Straßenteile, insbesondere bei am Fahrbahnrand stehenden Kindern. Allerdings verlangt das Oberlandesgericht Auffälligkeiten oder Verhaltensweisen des Kindes, die eine erkennbare Gefährdung begründen. Solche seien nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht festzustellen, wobei der Kläger die Beweislast trage. Als Kind im Sinne dieser Vorschrift sei der Kläger aber durchaus erkennbar gewesen. Auch einen Verkehrsverstoß der Beklagten zu 3) gegen § 1 Abs. 2 StVO konnte das Oberlandesgericht nicht feststellen.
Mit den Ausführungen des Sachverständigen ist das OLG Celle zu dem Ergebnis gelangt, dass sich der Unfall für die Beklagte zu 3) in der ihr verbleibenden Reaktionszeit nicht hätte vermeiden lassen.
Im Rahmen der vorzunehmenden Haftungsabwägung stellt das Oberlandesgericht den Verstoß des Klägers gegen § 10 Satz 1 StVO und eine erhöhte Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs ein, was zu einer Haftungsquote von 1/3 zu 2/3 zulasten des Klägers führe. Bei der Bewertung der Betriebsgefahr seien hier erhebliche gefahrerhöhende Umstände zu berücksichtigen. Solche können sich auch aus einem an sich zulässigen Fahrverhalten ergeben, wenn besondere, die allgemeine Gefahr des Fahrens übersteigende Gefahrmomente oder ein besonders gefahrträchtiger Verkehrsvorgang (z.B. eine schwierige Örtlichkeit) vorliegen. Das sei zum einen das Fahren mit der an der Unfallstelle maximal zugelassenen Höchstgeschwindigkeit und zum anderen die im Vergleich zum Fahrer deutlich höhere Masse des Fahrzeugs sowie die hieraus resultierenden, potenziellen Zerstörungskräfte gegenüber Fußgängern und Fahrradfahrern.


C.
Kontext der Entscheidung
Die durch das OLG Celle ausgeworfene Haftungsquote ist insoweit bemerkenswert, als dass trotz technisch nachgewiesener Unvermeidbarkeit des Unfalls für die Beklagte zu 1) ihre Haftung aus § 18 Abs. 1 StVG ebenso angenommen wurde wie eine erhöhte Betriebsgefahr des von ihr geführten Pkws.
Die Bewertung des Fahrverhaltens des Klägers als Verstoß gegen § 10 Satz 1 StVO überrascht hier zunächst weniger. Nach § 10 Satz 1 StVO hat sich der Verkehrsteilnehmer, der von einem untergeordneten Straßenteil auf die Fahrbahn einfährt (…) so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Das gilt auch für den Radfahrer, der von einem Radweg oder einem kombinierten Geh-/Radweg aus (wie hier) auf die Fahrbahn wechselt (OLG Hamm, Urt. v. 02.03.2018 - 9 U 54/17; OLG München, Urt. v. 16.02.2022 - 10 U 6245/20; OLG Saarbrücken, Urt. v. 13.02.2024 - 4 U 59/13; KG, Urt. v. 12.09.2002 - 12 U 9590/00). Dieses Verhalten steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, ebenso wie der Umstand, dass der zwölfjährige Kläger die nach § 828 Abs. 3 BGB erforderliche Reife besaß, um zu erkennen, dass sein Verhalten gefährlich ist. Die Beweislast für eine etwaig fehlende Reife trägt derjenige, der sich darauf beruft (BGH, Urt. v. 21.12.2004 - VI ZR 276/03; BGH, Urt. v. 29.04.1997 - VI ZR 110/96). Dieser Beweis ist dem Kläger nicht gelungen.
Aufseiten der Beklagten konnte das OLG Celle zunächst ein Verschulden nach § 3 Abs. 2a StVO nicht feststellen. Nach dieser Norm ist der Fahrzeugführer gegenüber Kindern sowie hilfsbedürftigen und/oder älteren Menschen zu besonderer Vorsicht und Rücksicht verpflichtet. Durch ständige Bremsbereitschaft muss eine Gefährdung dieser Personengruppen ausgeschlossen sein. Die Wendung „Gefährdung ausgeschlossen“ ist im Rahmen dieser Norm, nicht im Sinne der in der übrigen StVO aus dieser Formulierung stets abgeleiteten Anscheinsbeweises zu verstehen. Kommt es allerdings zu einer Kollision zwischen einem Kraftfahrzeug und einer dieser Personengruppe zuzurechnenden Person, wird selbst bei Ausfüllen eines Verschuldenstatbestands der besonders geschützten Person – wie bei dem hiesigen Kläger – eine gewisse „Abwägungsmilde“ an den Tag zu legen sein (BGH, Urt. v. 18.11.2003 - VI ZR 31/02; OLG Frankfurt, Urt. v. 27.10.1999 - 9 U 13/99). Voraussetzung ist aber zunächst, dass das Kind äußerlich als solches erkennbar war, von dem Fahrzeugführer also überhaupt eine entsprechende Umsicht hätte erwartet werden können (OLG Hamm, Urt. v. 11.04.2005 - 13 U 133/04). Zudem gilt auch gegenüber Kindern im Allgemeinen der Vertrauensgrundsatz. Bei Kindern ist eine sorgfältige Beobachtung nötig, aber auch ausreichend. Ein Reagieren im Sinne der Sorgfaltsanforderungen des § 3 Abs. 2a StVO wird erst dann erforderlich, wenn sich eine konkrete Gefahrenlage ergibt, die Anlass zu der vom Gesetz geforderten besonderen Umsicht oder gar Reaktion gibt (so z.B. BGH, Urt. v. 01.07.1997 - VI ZR 205/96).
Das OLG Celle konnte eine solche Besonderheit im Verhalten des Klägers nicht feststellen. Er habe nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts weder ein Handzeichen gegeben noch eine deutlich sichtbare Umschau durchgeführt, die die Beklagte zu 3) hätte „vorwarnen“ können. Allein das In-der-Nähe-Befinden genügte dem Oberlandesgericht ohne weitere Gefahrenanzeichen nicht, was vertretbar ist (ähnlich BGH, Urt. v. 10.10.2000 - VI ZR 268/99; zu einem knieenden Kind am Straßenrand vgl. OLG Hamm, Urt. v. 15.06.2007 - 9 U 183/06).
Weitere Umstände, die einen Verstoß der Beklagten zu 3) gegen § 1 Abs. 2 StVO hätten begründen können, konnte das OLG Celle ebenfalls nicht feststellen. Aufseiten der Beklagten blieb insoweit eigentlich nur Raum für die Betriebsgefahr. Beachtenswert ist in diesem Kontext, dass das Oberlandesgericht auch eine Haftung der Beklagten zu 3) angenommen hat. Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 StVG haftet in den Fällen des § 7 Abs. 1 StVG auch der Führer des Fahrzeugs. Das gilt nach Satz 2 der Vorschrift aber dann nicht, wenn der Schaden nicht durch ein Verschulden des Führers verursacht ist. Die Beweislast für das Fehlen eines Verschuldens trägt insoweit derjenige, der die Fiktion (des Verschuldens) widerlegen will: der Fahrzeugführer (OLG Saarbrücken, Urt. v. 03.08.2017 - 4 U 156/16; OLG Hamm, Urt. v. 27.05.1998 - 13 U 29/98). An dieser Stelle schwächelt die Begründung des OLG Celle: Zunächst stellt es fest, „dass der Beklagten zu 3) ein unfallursächliches Verschulden nicht nachzuweisen ist“. Den Entlastungsbeweis habe die Beklagte zu 3) gleichwohl nicht geführt, da „sie mit der höchsten gerade noch zulässigen Geschwindigkeit auf einen Fußgängerüberweg zugefahren ist, während ein Fahrradfahrer parallel neben ihr auch auf diesen zufuhr“. Dazu führt das Oberlandesgericht im weiteren Verlauf noch aus: „Dies begründet (…) kein Verschulden.“
Hier gelingt eine saubere Trennung zwischen den die Betriebsgefahr erhöhenden und ein Verschulden begründenden Umständen nicht hinreichend. Am ehesten wäre mit Blick auf das in der Entscheidung wiedergegebene Ergebnis des eingeholten Gutachtens eine Enthaftung der Beklagten zu 3) zu erwarten gewesen (ähnlich OLG Saarbrücken, Urt. v. 03.08.2017 - 4 U 156/16; OLG Hamm, Urt. v. 27.05.1998 - 13 U 29/98, Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, § 18 StVG Rn. 3 f.).
Im Rahmen der Betriebsgefahr geht das OLG Celle von einer Steigerung deshalb aus, da der Pkw der Gefährdungshaftung unterworfen ist, das Fahrrad des Klägers aber nicht, die Beklagte zu 3) mit der (maximal) zulässigen Höchstgeschwindigkeit gefahren ist und die Folgen des Unfalls besonders schwer seien. Auch hier kann die Entscheidung nicht vollends überzeugen.
Als ein die allgemeine Betriebsgefahr erhöhender Umstand kommt eine fehlerhafte oder verkehrswidrige Fahrweise des Fahrers in Betracht (BGH, Urt. v. 11.01.2005 - VI ZR 352/03; BGH, Urt. v. 27.06.2000 - VI ZR 126/99; OLG Saarbrücken, Urt. v. 28.04.2016 - 4 U 106/15).
Anerkannt ist, dass gegenüber Kindern (vgl.o.) eine gewisse Milde an den Tag zu legen ist, kommt es selbst bei gravierenden Verkehrsverstößen des Kindes zu einer Kollision mit dem Pkw (BGH, Urt. v. 13.02.1990 - VI ZR 128/89). Diese Milde verhindert bereits den Wegfall der Betriebsgefahr in der Haftungsabwägung zugunsten des Kindes, rechtfertigt aber aus sich heraus die zusätzliche Steigerung der Betriebsgefahr nicht (OLG Saarbrücken, Urt. v. 28.04.2016 - 4 U 106/15).
Gleiches gilt betreffend die zwar eingehaltene, aber ausgereizte zulässige Höchstgeschwindigkeit. Das Fahren mit der am Unfallort zulässigen Höchstgeschwindigkeit stellt zunächst keinen Verkehrsverstoß dar und ist damit auch nicht verkehrswidrig. Wäre aus besonderen Gründen eine Herabsetzung der Geschwindigkeit geboten gewesen, käme dies nur aufgrund der Vorschriften des § 3 Abs. 2a StVO oder § 1 Abs. 2 StVO in Betracht. Beide Vorschriften hatte das OLG Celle geprüft und war zu dem – überzeugenden – Ergebnis gelangt, dass der jeweilige Tatbestand nicht erfüllt ist. Maßgeblich dürfte nämlich der Umstand sein, dass nach dem Ergebnis des gerichtlichen Gutachtens die Beklagte zu 3) schon in der Annäherungsphase auf 30 km/h und damit um 20 km/h hätte abbremsen müssen, um den späteren Unfall zu vermeiden. Dafür gab es aber keinen Anlass. Diese Form des Betriebs weicht nicht von dem Regelbetrieb des Kraftfahrzeugs ab, so dass eine Aufstockung der Betriebsgefahr deshalb geboten wäre. Aus diesem Grund verbietet sich eine Berücksichtigung der Ausreizung der Geschwindigkeitsbegrenzung bei der Bemessung der Betriebsgefahr im Sinne eines „Verkehrsverstoßes durch die Hintertür“. Die auch hier vorgenommene, aber im Ergebnis unzulässige Vermischung von Betriebsgefahr und Verschuldenstatbeständen wird vor genau diesem Hintergrund zu Recht kritisiert (Engel in: MünchKomm StVR, § 17 StVG Rn. 22).
Schlussendlich überzeugt auch die Bewertung der schweren Folge als betriebsgefahrerhöhend nicht. Im Rahmen der Abwägung der Verursachungsbeiträge, zu denen auch die Frage des Gewichts einer Betriebsgefahr gehört (Engel in: MünchKomm StVR, § 17 StVG Rn. 17 f.), spielen nur solche Umstände eine Rolle, die für den Unfall selbst und damit für den Haftungsgrund kausal geworden sind (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, § 17 StVG Rn. 14 f.). Das ist aber im Bereich der hier allein betroffenen haftungsausfüllenden Kausalität nicht der Fall.
Im Ergebnis spricht daher einiges dafür, dass hier zwar in der Tat eine Betriebsgefahr des Pkws in die Haftungsabwägung einzustellen war, diese aber mit dem „üblichen Satz“ von 20-25% des Haftungsanteils, insbesondere in Ansehung des erheblichen Eigenverschuldens des Klägers. Gegen die Beklagte zu 3) dürfte als Fahrerin mangels Verschuldens kein Anspruch bestehen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Bemessung des Umfangs der in die Quote einzustellenden Betriebsgefahr bereitet häufig Schwierigkeiten. Meist wird ein nachzuweisendes Verschulden des Fahrers auf dieser Ebene diskutiert, um ein noch verträgliches Quotenergebnis zu rechtfertigen. Hier ist sowohl aus Sicht des Geschädigten als auch des Schädigers darauf zu achten, dass die Feststellungen zum Unfallhergang nicht in unzulässiger Weise die Grenze zwischen Verschulden und Betriebsgefahr verwischen.
Die Entscheidung des OLG Celle fügt sich hinsichtlich der Anforderungen an den Verschuldensvorwurf des § 3 Abs. 2a StVO ein in eine Linie gefestigter Rechtsprechung (vgl.o.). Solange keine Gefahrensituation erkennbar ist, greifen die besonderen Sorgfaltsanforderungen der Norm nicht ein. Gefordert ist dann lediglich eine gesteigerte Beobachtung des Kindes, um im Falle des Eintretens der konkreten Gefahrensituation die Reaktionsanforderungen des § 3 Abs. 2a StVO erfüllen zu können.



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