juris PraxisReporte

Anmerkung zu:OLG Karlsruhe 12. Zivilsenat, Urteil vom 07.03.2023 - 12 U 268/22
Autor:Prof. Dr. Michael Fortmann
Erscheinungsdatum:14.09.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 63 VVG, § 254 BGB, § 60 VVG, § 61 VVG
Fundstelle:jurisPR-VersR 9/2023 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Schimikowski, RA
Zitiervorschlag:Fortmann, jurisPR-VersR 9/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Haftung des Versicherungsmaklers durch fehlenden Hinweis auf Deckungslücken bei der Umdeckung



Leitsatz

Der Versicherungsmakler hat sehr weitgehende Pflichten. Empfiehlt er beispielsweise den Wechsel einer Personenversicherung, muss er dem Kunden einen nachvollziehbaren und geordneten Überblick über alle wesentlichen leistungs- und prämienrelevanten Unterschiede der bestehenden zu der angebotenen Versicherung verschaffen.



A.
Problemstellung
Versicherungsmakler haben als „Sachwalter“ des Versicherungsnehmers diesen umfassend zu beraten. Dies gilt insbesondere in der Situation, in der eine Umdeckung stattfindet und hiermit Nachteile (z.B. Deckungslücken) für den Versicherungsnehmer verbunden sind. Eine solche Situation liegt der Entscheidung des OLG Karlsruhe zugrunde.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin machte gegen den Versicherungsmakler Schadensersatzansprüche aufgrund einer fehlerhaften Beratung geltend. Der Versicherungsmakler hatte die als Selbstständige tätige Klägerin bei dem Wechsel ihrer privaten Krankenversicherung beraten. Dabei wies er sie nicht explizit darauf hin, dass der neue Vertrag keine Leistung für die Arbeitsunfähigkeit und den stationären Krankenhausaufenthalt in Form von Kranken(haus)tagegeld vorsah. Diese Leistungen waren hingegen im Altvertrag vereinbart. In der Beratungsdokumentation fand sich auch kein Hinweis zu dieser Thematik.
Der Antrag wurde von dem Mitarbeitenden des Versicherungsmaklers ausgefüllt und von der Klägerin „blind“ unterschrieben. Der Versicherungsbeginn war April 2019. Anfang 2021 machte die Klägerin Ansprüche gegen den Versicherer geltend. Dabei stellte sich heraus, dass die Risikofragen im Antrag teilweise falsch beantwortet waren. Die Klägerin konnte erreichen, dass der Vertrag noch weiter fortbesteht, musste hierfür aber einen Risikozuschlag rückwirkend ab Vertragsbeginn zahlen. Damit war die zu zahlende Versicherungsprämie im Neuvertrag höher als im Altvertrag.
Das Landgericht wies die Klage teilweise ab. Es stellte lediglich fest, dass der Versicherungsmakler zur Zahlung von Krankenhaustagegeld und Krankentagegeld im Umfang und zu den Bedingungen des Altvertrags und zur Erstattung sämtlicher materiellen Schäden aus der fehlerhaften Versicherungsmaklerberatung verpflichtet sei. Hiergegen legte der Versicherungsmakler Berufung ein. Diese hatte nur in geringem Umfang Erfolg. Das OLG Karlsruhe hat entschieden, dass der Klägerin ein Schadensersatzanspruch aus den §§ 63, 61 Abs. 1 Satz 1 VVG zustehe. Dies begründete das Gericht wie folgt:
Der für den Versicherungsmakler tätige Mitarbeitende habe bei der Umdeckungsempfehlung seine Beratungspflicht verletzt. Er habe die Klägerin insbesondere nicht auf die fehlende Absicherung der Arbeitsunfähigkeit und des stationären Krankenhausaufenthalts durch ein Kranken(haus)tagegeld hingewiesen, obwohl eine solche Absicherung unter dem Altvertrag gegeben war. Dass er diese Pflicht erfüllt hat, konnte er nicht nachweisen. Hierfür sei der Versicherungsmakler darlegungs- und beweisbelastet, da in der Beratungsdokumentation ein entsprechender Hinweis nicht vorhanden sei und es damit zu einer Beweislastumkehr zulasten des Versicherungsmaklers komme. Jedenfalls reiche allein die Vorlage eines Leistungsvergleichs nebst Angebotsblatt hierfür nicht aus.
Der Klägerin sei auch ein kausaler Schaden durch die Falschberatung entstanden. Hier sei nach der Vermutung beratungsgerechten Verhaltens davon auszugehen, dass die Klägerin eine Umdeckung nicht vorgenommen hätte, wenn sie von der signifikanten Deckungslücke gewusst hätte. Der Vermögensschaden der Klägerin liege zumindest in dem Verlust des Anspruchs auf das Kranken(haus)tagegeld. Bei der Schadenshöhe sei die Versicherungsprämie nicht zu berücksichtigen, da Prämieneinsparungen durch den Neuvertrag aufgrund des nachträglichen Risikozuschlags nicht hatten erreicht werden können.
Auch ein Mitverschulden nach § 254 BGB liege nicht vor. Die Klägerin habe nicht aus den überlassenen Vertragsunterlagen selbst herausfinden müssen, dass eine Deckungslücke durch Nichtabschluss der Kranken(haus)tagegeld-Bausteine entstand. Vielmehr habe sie auf die Sachkunde des hinzugezogenen Beraters vertrauen dürfen. Zudem führte das Gericht aus, dass die Deckungslücke für die Klägerin weder aus dem überlassenen Leistungsvergleich noch aus dem Angebotsblatt erkennbar war.
Die Klägerin hätte auch nicht nachträglich eine Kranken(haus)tagegeld-Versicherung abschließen müssen. Es handle sich hierbei nicht um eine Schadensminderungsmaßnahme. Durch den Abschluss dieser Versicherung müsste die Klägerin Versicherungsprämien aufwenden, die den zu erstattenden Schaden erst einmal erhöhen würden. Zudem sei ungewiss, ob überhaupt in Zukunft ein Leistungsfall eintreten werde, der den Abschluss rechtfertigen könnte. Des Weiteren wäre vom Versicherungsmakler auch nicht nachgewiesen worden, dass der Abschluss dieser Versicherung bei den Vorerkrankungen der Klägerin überhaupt möglich sei.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des OLG Karlsruhe ist eine lehrbuchmäßige Prüfung von Haftungsansprüchen gegen den Versicherungsmakler. Das Gericht stellt sich zunächst die Frage, wer für den Nachweis der Pflichtverletzung darlegungs- und beweisbelastet ist. Es kommt hierbei zutreffend zu der Auffassung, dass dies der Versicherungsmakler ist. Nach § 61 Abs. 2 VVG muss dieser seine erfolgte Beratung dokumentieren. Ist diese Dokumentation unvollständig, lückenhaft oder gar nicht vorhanden, tritt zwar in der Regel keine Schadensersatzpflicht ein, aber die Rechtsprechung gesteht dem Versicherungsnehmer Beweiserleichterungen zu, die bis zu einer Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast reichen (BGH, Urt. v. 13.11.2014 - III ZR 544/13 - NJW 2015, 1026; BGH, Urt. v. 25.09.2014 - III ZR 440/13 - NJW-RR 2015, 548). Es stellt sich aber immer wieder die Frage, welche konkreten Punkte in der Dokumentation enthalten sein müssen. In der Regel wird man allerdings eine weite Dokumentationspflicht zulasten des Versicherungsmaklers annehmen müssen. Er muss alles dokumentieren, was ihm die §§ 60, 61 VVG an Pflichten im konkreten Fall auferlegen. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass er bei seiner Beratung zur Umdeckung auf die signifikanten Deckungslücken durch Nichtabschluss des Kranken(haus)tagegelds hätte hinweisen müssen. Nur im Ausnahmefall muss auf insignifikante Deckungslücken, die keine Bedeutung für die Umdeckung haben, nicht hingewiesen werden. Dies dürfte aber in der Praxis die absolute Ausnahme sein. In der Regel ist der Versicherungsmakler verpflichtet, bei der Umdeckung des Vertrages alle Deckungslücken gegenüber dem Versicherungsnehmer deutlich hervorzuheben und dies auch entsprechend zu dokumentieren.
Zutreffend ist das OLG Karlsruhe anschließend davon ausgegangen, dass zugunsten der Klägerin die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens eingriff. Gerade bei der Nichtaufklärung über Deckungslücken liegt die Vermutung nahe, dass der Versicherungsnehmer eine Umdeckung nicht vorgenommen hätte, wenn er auf diese bei der Beratung hingewiesen worden wäre. Ob eine Erschütterung dieser Vermutung gelingt, hängt von den Umständen des jeweiligen konkreten Einzelfalls ab. Dies könnte z.B. dann möglich sein, wenn den geringfügigen Deckungslücken signifikante Vorteile des Neuvertrages gegenüberstehen.
Dass die Überlassung von Versicherungsbedingungen, Angebotsunterlagen usw. nicht den Einwand eines Mitverschuldens rechtfertigen, liegt auf der Hand. Der Versicherungsnehmer geht gerade aus dem Grund zum Versicherungsmakler, weil er keine vertieften Kenntnisse in Versicherungsangelegenheiten hat. Er darf somit grundsätzlich darauf vertrauen, dass dessen Beratung zutreffend ist, und muss dies nicht – auch nicht anhand von überlassenen Unterlagen – hinterfragen. Hier gilt nichts anderes als z.B. im Verhältnis eines Mandanten zu seinem Rechtsanwalt (BGH, Beschl. v. 23.09.2010 - IX ZR 132/08).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Dieses Urteil des OLG Karlsruhe zeigt einmal mehr, wie wichtig die ordnungsgemäße Dokumentation der erfolgten Beratung durch den Versicherungsmakler ist. Der Versicherungsmakler wird darlegungs- und beweisbelastet für den Beratungsinhalt, wenn die Dokumentation wichtige Hinweis nicht enthält oder ersichtlich lückenhaft ist. Die Versicherungsmakler sollten ihre Beratungs- und Dokumentationsprozesse daher regelmäßig überprüfen, damit ein Beratungsverschulden nicht aus „formalen“ Gründen vermutet wird und der Versicherungsmakler sich dann entlasten muss. Der Nachweis, dass eine ordnungsgemäße Beratung doch stattgefunden hat, wird in der Praxis schwierig sein und häufig scheitern.



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