- 11.09.2024
- Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG)
Schätzung auf Basis der amtlichen Richtsatzsammlung
Schätzung auf Basis der amtlichen Richtsatzsammlung
Das Schleswig-Holsteinische FG hat mit Beschluss vom 8.5.2024 (1 V 123/23) zur Schätzung auf Basis der amtlichen Richtsatzsammlung entschieden. Der Richter am FG Dr. Michael Hennigfeld kommentiert die Entscheidung und gibt Hinweise für die Praxis:
I. Problemstellung
Streitig war im Rahmen eines AdV-Verfahrens die Rechtmäßigkeit von Hinzuschätzungen. Die Antragstellerin betreibt ein asiatisches Restaurant. Im Rahmen einer Außenprüfung wurden zahlreiche Buchführungsmängel und die Verwendung eines manipulierten Kassensystems festgestellt. Da die aufgefundene Buchführung unter erheblichen Mängeln litt, wurden die Besteuerungsgrundlagen auf Grundlage der amtlichen Richtwertsammlung geschätzt. Gegen die entsprechenden Änderungsbescheide wandte sich die Antragstellerin mit Einspruch und einem ersten Antrag auf AdV, den sie jedoch in der Folge zurücknahm. Später stellte sie einen weiteren, hier entschiedenen Antrag auf AdV. Sie führte aus, dass die Schätzung nach der amtlichen Richtsatzsammlung nicht zu korrekten Ergebnissen führe und versuchte dies durch Vorlage eigener Analysen zu untermauern.
II. Die Entscheidung des FG
Das FG hat den Antrag auf AdV abgelehnt. Auf Grund der vorliegenden Buchführungsmängel habe eine Schätzungsbefugnis des Antragsgegners bestanden. Der Antragsgegner habe auch den äußeren Betriebsvergleich durch Anwendung der amtlichen Richtsatzsammlung der Schätzung zu Grunde legen dürfen. Die Anwendung der amtlichen Richtsatzsammlung sei eine nach der Rechtsprechung des BFH anerkannte Schätzungsmethode. Zwar habe der BFH in einem anhängigen Revisionsverfahren die Frage aufgeworfen, auf welchen Grundlagenparametern die Richtsätze beruhten und ob die Richtsätze tauglich im Hinblick auf eine Schätzung seien. Hieraus ergebe sich jedoch gegenwärtig noch keine konkret absehbare Abweichung von der bisherigen Spruchpraxis des BFH, so dass noch keine hinreichenden ernstlichen rechtlichen Zweifel an der Zulässigkeit der Schätzungsmethode gegeben seien. In der Sache habe der Antragsgegner nach summarischer Prüfung eine zutreffende Schätzung vorgenommen.
III. Hinweise für die Praxis
Das FG hat die Beschwerde nicht zugelassen. Die vorliegende Entscheidung enthält zwei interessante Aussagen. Zum einen kam das Gericht zum Ergebnis, dass § 69 Abs. 6 FGO der Zulässigkeit des vorliegenden zweiten Aussetzungsantrages nicht entgegenstand, da die Antragstellerin einen ersten Aussetzungsantrag zurückgenommen hatte. Da eine gerichtliche Entscheidung über die AdV nicht in materielle Rechtskraft erwächst, kann jederzeit ein Folgeantrag gestellt werden. Um Missbräuche zu vermeiden, bestimmt § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO allerdings, dass eine Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses im Aussetzungsverfahren nur beantragt werden kann, wenn veränderte oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände vorliegen. Das FG wies darauf hin, dass diese Einschränkung nur dann gelten kann, wenn es zuvor überhaupt zu einer erstmaligen Ablehnung eines Aussetzungsantrags gekommen ist. Die zweite interessante Aussage des Beschlusses betrifft die Frage, inwieweit Schätzungen unter Rückgriff auf die amtliche Richtsatzsammlung vorgenommen werden dürfen. Nach der langjährigen Rechtsprechung des BFH ist die Richtsatzschätzung eine anerkannte Schätzungsmethode (z.B. BFH-Beschluss vom 8.8.2019 X B 117/18, HFR 2020, 325). Allerdings hatte der BFH in einem Beschluss vom 14.12.2022 X R 19/21 (HFR 2023, 412) das BMF aufgefordert, einem Revisionsverfahren beizutreten, um zu der Frage Stellung zu nehmen, ob und – wenn ja – unter welchen Voraussetzungen ein äußerer Betriebsvergleich in Gestalt einer Schätzung anhand der Richtsätze der amtlichen Richtsatzsammlung des BMF zulässig ist. Der BFH führt aus, dass sich das Gericht bislang in keiner Entscheidung näher damit aus einander gesetzt habe, auf welchen Grundlagen und Parametern die Richtsätze des BMF beruhten, wie sie zustande kämen und welche Auswirkungen sich hieraus auf die Tauglichkeit eines äußeren Betriebsvergleichs ergäben. Diese Ausführungen hat das FG im Ausgangsverfahren jedoch nicht dazu bewogen, im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung grundsätzliche rechtliche Bedenken im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der vorgenommenen Schätzung zu haben. Gleichwohl sollte das anhängige Verfahren beim BFH in der Praxis bei Schätzungsfällen beachtet und dessen weiterer Verlauf beobachtet werden. Ein erster Termin für eine mündliche Verhandlung im Januar 2024 ist offenbar in der Folge wieder aufgehoben worden (Ebner, ZWH 2024, 41). Parallel zum Verfahren X R 19/21 sind noch die Verfahren X R 23/21 und X R 24/21 anhängig.