- 28.10.2024
- Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG)
Zum sog. Reemtsma-Anspruch auf Vorsteuererstattung im Billigkeitswege
Zum sog. Reemtsma-Anspruch auf Vorsteuererstattung im Billigkeitswege
Das FG Baden-Württemberg (Außensenate Freiburg) hat mit Urteil vom 6.12.2023 (14 K 1423/21) zum sog. Reemtsma-Anspruch auf Vorsteuererstattung im Billigkeitswege entschieden. Die Richterin am FG Claudia Büchter-Hole kommentiert die Entscheidung und gibt Hinweise für die Praxis:
I. Problemstellung
Die FinVerw. hat im BMF-Schreiben vom 12.4.2022 III C 2-S 7358/20/10001:004, BStBl I 2022, 652) die bisherige Rspr. des EuGH und BFH zum Direktanspruch verarbeitet, und dort (Tz. 11) u. a. die Auffassung vertreten, dass der Leistungsempfänger seinen Anspruch auf Erstattung einer unzutreffend in Rechnung gestellten und rechtsgrundlos gezahlten USt regelmäßig zunächst zivilrechtlich gegenüber dem Leistenden geltend zu machen habe. Der Direktanspruch könne daher nur nachrangig gegenüber dem Verfahren zu Steuerberichtigung nach § 14c Abs. 1 UStG zum Tragen kommen. Von einer von vornherein unmöglichen oder übermäßig erschwerten Erstattung durch den Leistenden sei regelmäßig nur im Fall eines bereits mangels Masse abgelehnten Insolvenzantrages über dessen Vermögen auszugehen. Die bloße Zahlungsunfähigkeit des Leistenden i. S. der InsO genüge dafür nicht. Im Fall eines vorliegenden Insolvenzantrages bzw. eines laufenden Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Leistenden bestehe für den Leistungsempfänger noch Aussicht, den geltend gemachten Anspruch in Höhe der Quote teilweise zu erhalten. Ein Direktanspruch könne dann ggf. nur in Höhe der Differenz zwischen dem Erstattungsanspruch gegenüber dem Leistenden und der erhaltenen Quote entstehen. Über den Direktanspruch können daher nach Anmeldung der Forderungen zur Tabelle erst entschieden werden, wenn das Insolvenzverfahren abgeschlossen und ggf. die Quote zugeteilt sei.
Mit dieser Auffassung musste sich das Gericht im Besprechungsfall auseinander setzen, da die Klin. nicht mehr länger auf ihren Anspruch warten wollte und einen Direktanspruch gegen das FA geltend gemacht hatte. Im Zeitpunkt der Entscheidung war das Insolvenzverfahren bereits über elfeinhalb (!) Jahre anhängig und ein Abschluss nicht in Sicht. Der Fiskus war ungerechtfertigt bereichert, denn unstreitig hat er im vorliegenden Fall die von C als Leistenden abgeführte USt zu erstatten, sei es an C, sei es an die Klin., der als letztlich belasteter Unternehmerin entsprechende Liquidität entzogen worden war, nachdem sie ihren zu Unrecht vorgenommenen Vorsteuerabzug berichtigt und die zu Unrecht geltend gemachten Vorsteuern an das FA gezahlt hatte.
II. Rechtslage
Nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten überlässt es der EuGH dem jeweiligen Mitgliedsstaat, die Verfahrensmodalitäten, die den Schutz der dem Bürger aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, autonom zu regeln (EuGH-Urteil vom 15.3.2007 Rs. C-35/05 Reemtsma Cigarettenfabriken, HFR 2007, 515, Rz. 40).
Nach der Rspr. des BFH ist der Direktanspruch bei Erfüllung der Voraussetzungen nur im Rahmen des Billigkeitsverfahrens gem. §§ 163, 227 AO mit einer Ermessensreduzierung auf null zu gewähren. Voraussetzung hierfür ist, dass der Leistende die in Rechnung gestellte und vom Leistungsempfänger bezahlte Leistung tatsächlich erbracht hat, für die mangels Steuerbarkeit oder auf Grund einer Steuerfreiheit oder Steuersatzermäßigung die in der Rechnung ausgewiesene Steuer nicht gesetzlich entstanden ist. Die „zu Unrecht“ in Rechnung gestellte und vereinnahmte USt muss durch den Leistenden an die FinBeh. abgeführt worden sein. Zudem darf der Fiskus als Anspruchsgegner auch tatsächlich nicht (bereits) entreichert sein (BFH-Urteile vom 22.8.2019 V R 50/16, BFHE 266, 395, HFR 2020, 74). Der Direktanspruch besteht für den EuGH stets unter dem Vorbehalt, dass weder Missbrauch noch Betrug seitens der betroffenen Stpfl. vorlagen (EuGH-Urteil vom 13.10.2022 Rs. C-397/21 HUMDA, HFR 2022, 1189). In der HUMDA-Entscheidung des EuGH hat bei einem Sachverhalt, der dadurch gekennzeichnet war, dass die Erstattung der durch den Dienstleistungserbringer irrtümlich in Rechnung gestellten MwSt auf Grund der Tatsache, dass über diesen ein Liquidationsverfahren eröffnet wurde, unmöglich oder übermäßig schwierig war, entschieden, dass die Steuerverwaltung unter solchen Umständen diese rechtsgrundlos gezahlte MwSt innerhalb einer angemessenen Frist nach Antragstellung zu erstatten hat. Tut sie dies nicht, ist der Erstattungsbetrag zu verzinsen, wobei die Bedingungen für die Zahlung solcher Zinsen, insbesondere der Zinssatz und die Berechnungsmethode für die Zinsen (einfache Verzinsung oder Zahlung von Zinseszinsen), sich nach innerstaatlichem Recht bestimmen. In dem Verfahren war das Liquidationsverfahren eröffnet aber noch nicht abgeschlossen; allerdings war die Forderung der Leistungsempfängerin auf Erstattung der zu viel gezahlten USt nach Auskunft des Liquidators uneinbringlich.
III. Die Entscheidung des FG und deren Einordnung und Würdigung
Das Gericht hat im Besprechungsfall der Klin. den von ihr begehrten Erstattungsanspruch im Billigkeitsverfahren zugesprochen, ohne den Ausgang des Insolvenzverfahrens abzuwarten, zumal der Insolvenzverwalter bereits zu erkennen gegeben hatte, dass mit einer Quote von 0 % zu rechnen sei. Damit hat es die von der FinVerw. vertretene Auffassung abgelehnt, wonach grds. erst einmal der Ausgang des Insolvenzverfahrens abzuwarten ist. Hierauf hatte der EuGH in der HUMDA-Entscheidung, dem ein vergleichbarer Sachverhalt wie vorliegend zugrundelag, ebenfalls nicht verwiesen, sondern vielmehr eine Verzinsung für den Fall gewährt, dass nicht innerhalb angemessener Frist über den Antrag entschieden wird. Sodann hat sich das Gericht sehr ausführlich mit der von der FinVerw. vertretenen Auffassung zur Nachrangigkeit des Direktanspruchs auseinandergesetzt und diese abgelehnt, vielmehr der Klin. die Möglichkeit der sofortigen Geltendmachung des Direktanspruchs zugesprochen in voller Höhe.
Da zurzeit noch eine Vorlage des BFH (Beschluss vom 3.11.2022 XI R 6/21, BFHE 277, 549, BStBl II 2023, 469) beim EuGH anhängig ist (Az. Rs. C-83/23) und zudem gegen die Nachfolgeentscheidung des FG Münster (Urteil vom 23.1.2024 15 K 2327/20 AO, EFG 2024, 1257, mit Anm. Schöppner) zur Schütte-Entscheidung des EuGH die Revision beim BFH anhängig ist (Az. XI R 17/24), die insbesondere Fragen der angemessenen Frist und Verzinsung betrifft, dürfte die Rechtsentwicklung zum Direktanspruch deutlich Fahrt aufnehmen.